Revolutionäre Kunst
sollte denjenigen, die die Welt verändern
wollen, Orientierung geben. Dazu muss sie das
sichtbar machen, was im Alltag der Vielen
meist unsichtbar bleibt: ein globales
kapitalistisches System.
Fangen wir dort
an, wo’s wehtut. Die Chancen für eine linke
Revolution stehen schlecht. Schon allein das
Wort „Revolution“ auszusprechen, fällt schwer
und fühlt sich – nach Jahrzehnten des
neoliberalen Triumph- und linken Rückzugs – hohl
und irgendwie pathetisch an: wie ein einsamer
Kneipengast am Tresen, der an seiner Bierflasche
nippt und nicht mehr merkt, dass diese schon
seit Stunden leer ist. Es ist wahr: Die Linke,
sie hat bessere Zeiten gesehen. Die guten alten
Zeiten aber, von denen so gerne die Rede ist,
auch sie hat es nie gegeben. Vielmehr leben wir
in einer Epoche, in der die eklatantesten
Widersprüche auf engstem Raum zusammenfallen.
„In unseren Tagen“, so brachte Karl Marx (1856)
die Erfahrung der Moderne auf den Punkt,
„scheint jedes Ding mit seinem Gegenteil
schwanger zu gehen“.
Marx’ Sprache mag uns veraltet vorkommen, das
dialektische Versprechen, das sie birgt, ist es
nicht. Es taugt bestens als Motto für das Hier
und Heute. Und sollte – bei aller Vor- und
Umsicht, die der Wiederaufstieg rechter und
faschistischer Kräfte verlangt – der Linken auch
ein wenig Mut machen. Marx’ Dialektik lehrt uns,
dass Ideologie (in diesem Fall: rechte und
nationalistische Hetze) und Utopie (der Ausblick
auf eine linke, klassenlose Gesellschaft) in
gewisser Weise näher beisammen liegen als es an
der Oberfläche der Gesellschaft oft den Anschein
hat.
Das klingt paradox und riecht verdächtig streng
nach „Hufeisen-Theorie“ (dem liberalen Mythos,
dass sich Rechtsextremismus und
Linksradikalismus wie die Enden eines Hufeisens
politisch annähern). Aus analytischer Sicht aber
ist es wichtig, selbst so unliebsame Themen wie
Nationalismus in ihrer ganzen historischen Tiefe
zu durchdringen, anstatt sie als ideologische
Oberflächenphänomene („die dummen AfD-Wähler
halt“) abzutun. Der marxistische
Literaturwissenschaftler Fredric Jameson fasst
dieses Paradox folgendermassen zusammen:
„Es ist in der heutigen Welt zunehmend
offensichtlich (falls es jemals in Zweifel
stand), dass eine Linke, die die immense
utopische Anziehungskraft von Nationalismus
nicht begreifen kann (genauso wenig wie die von
Religion oder Faschismus), kaum darauf hoffen
kann, sich solch kollektive Energien
‚wiederanzueignen’ und sich damit selbst zu
politischer Ohnmacht verdammt“ (Jameson 1982: S.
298; Übers. FN).
Mit anderen Worten: Für die Linke geht es darum,
zu verstehen, dass der Aufstieg der Rechten
Ausdruck tiefer liegender Kräfte ist, die
keineswegs zwangsweise in rechte Bahnen fliessen
müssen. Das kann und darf natürlich nicht
heissen, die Verwundbarkeit, aber auch
Handlungsmacht, derjenigen, die unter rechter
Gewalt am meisten leiden, als „zweitrangig“
abzutun. Ganz im Gegenteil: Genau darin – im
Bestehen auf eine feministische,
antirassistische, LGBTQI-positive Gegenbewegung
– besteht der Gradmesser für den Erfolg einer
Neuen Klassenpolitik. Ihre Aufgabe ist es, die
dialektischen Vorzeichen vor der derzeitigen
historischen Lage umzukehren: von einem
rechts-reaktionären Minus hin zu einem
links-revolutionären Plus. Von der Defensive in
die Offensive.
Zwischen
Theorie und Praxis
Das ist, wie so
oft, leichter gesagt als getan. In Bezug auf die
Praxis sind erste Schritte bereits erkennbar.
Debatten über die politische und
organisatorische Ausrichtung der (radikalen)
Linken werden im Moment an vielen Orten mit
Eifer und begrüssenswerter und hoffentlich
andauernder Offenheit geführt. Prominent waren
und sind Diskussionen über eine Neue
Klassenpolitik (etwa in der Monatszeitschrift
analyse & kritik oder in kritisch-lesen.de
Ausgabe #47), über Transformation, Revolution
und radikale Reformpolitik (auf dem Debattenblog
der Interventionistischen Linken) oder über den
anstehenden Frauen*streik und einen „offensiven
Feminismus“ (Bröse 2018). Nina Scholz stellt in
diesem Zusammenhang zu Recht das fragile
Verhältnis zwischen Theorie (denjenigen, die
meist schreiben) und Praxis (denjenigen, die
meist machen) in den Mittelpunkt. Hier muss es
zu mehr Überschneidungen, Austausch und
gegenseitigem Verständnis kommen. Das ist das
eine.
Das andere – und hier kommt dann doch wieder
etwas Theorie ins Spiel – ist die Frage, welche
tieferen strukturellen und historischen
Bedingungen der Umsetzung einer „linken Politik
der Offensive“ im Wege stehen. In der
Vergangenheit stand – nicht immer, aber doch
zumeist – eine lokale „Mikropolitik des Moments“
im Vordergrund, der es auf lange Sicht an
Durchschlagskraft fehlte und deren
Kräfteverschleiss auf Dauer nicht durchzuhalten
war. In Scholz’ Worten:
„Einzelne Events standen im Fokus, Hoffnungen
waren oft an Spontanität von Massen, Riots, Mobs
geknüpft. Die erhofften Erfolge blieben aus.
Exemplarisch steht dafür Occupy Wall Street, das
trotz seiner nur mässigen langfristigen Erfolge
zur Blaupause für die internationale Linke
wurde. Solche ‚Events’ kosten Kraft. Es kostet
Kraft, sie zu organisieren, sie zu begleiten,
sich danach davon zu erholen – und dann wieder
von vorne zu beginnen“ (Scholz 2018: S. 206f).
Warum ist es der Linken in Westeuropa und
Nordamerika in den vergangenen Jahren und
vielleicht sogar Jahrzehnten leichter gefallen,
sich auf eine Mikropolitik des Moments zu
verlegen als auf eine Politik, die – was auch
immer das genau heisst – aufs Ganze zielt? Oder,
um zu unserem traurigen Kneipengast von oben
zurückzukehren: Warum fällt es uns selbst als
Linke so schwer, von Revolution zu sprechen,
ohne dabei entweder in einen
verklärend-nostalgischen oder aber in einen
bitter-zynischen Zungenschlag zu verfallen?
Ein erster Antwortversuch könnte darin bestehen,
zu den Basics zurückzukehren, allen voran der
Frage: Was ist eine Revolution eigentlich?
Schlicht gesagt: Eine Revolution ist die
Veränderung nicht nur einzelner oder gar
mehrerer Teile der Gesellschaft, eine Revolution
ist die Umwälzung der gesamten Gesellschaft und
ihrer grundlegenden Funktionsweise selbst. Um es
etwas philosophisch-hochtrabender zu sagen und
zugleich einen Begriff zu rehabilitieren, der in
der Linken mitunter auf heftige Abneigung
stösst: Eine Revolution zielt auf die
Veränderung der gesellschaftlichen Totalität.
Diese kapitalistische Totalität hat nichts
Fixiertes, Starres und Unveränderliches an sich.
Vielmehr formt der Kapitalismus ein dynamisches
und offenes Ganzes, das stets im Wandel
begriffen und von tiefen Ungleichheiten,
Differenzen und Widersprüchen durchzogen ist:
eine Totalität, die sich niemals in einer
allumfassenden Vogelperspektive einfangen lässt,
sondern der wir uns nur immer wieder und aus
möglichst verschiedenen Blickwinkeln annähern
können.
In der marxistischen Theorietradition bezeichnet
man einen solchen (notwendigerweise begrenzten)
Blickwinkel als „Standpunkt“, der je nach Lage
der Betrachter*innen ganz verschiedene
Teilaspekte des Ganzen sichtbar werden lässt.
Die Kulturwissenschaftlerin bell hooks etwa
bezeichnet ihre Perspektive auf das grosse Ganze
als ein Denken, Schreiben und Handeln von den
„Rändern“ her. Ihre Worte erinnern uns daran,
dass sich der Wille zu einer „ganzheitlichen“
Perspektive und das wichtige Feingefühl für
Differenzen und Unterschiede keineswegs
ausschliessen:
„Am Rand zu stehen, bedeutet Teil des Ganzen zu
sein, aber ausserhalb des Machtzentrums. Die
Eisenbahnschienen waren für uns schwarze
Amerikanerinnen in einer Kleinstadt in Kentucky
eine tägliche Erinnerung an unsere Marginalität.
[...] Jenseits dieser Schienen lag eine Welt, in
der wir als Dienstmädchen, als Hausmeisterinnen,
als Prostituierte arbeiten konnten. [...] Unser
Überleben hing davon ab, uns im Öffentlichen
beständig über die Trennung von Rand und Zentrum
bewusst zu sein und privat fortwährend die
Bestätigung zu erfahren, dass wir ein
unerlässlicher, ja lebensnotwendiger Teil des
Ganzen waren“ (hooks 2004: S. 156; Übers. FN).
Ebensowenig funktioniert der Kapitalismus heute
noch national (falls er das jemals tat), sondern
längst global. Wenn es sich also irgendwie
komisch, ja fast falsch anfühlt, von Revolution
zu sprechen, dann besteht der Grund dafür
keineswegs darin, dass mit dem Begriff der
Revolution etwas nicht stimmt (tatsächlich wird
er dringender gebraucht denn je). Was dieses
Wort so schal schmecken lässt, ist vielmehr die
Tatsache, dass das, worauf es sich
notwendigerweise bezieht – die Totalität des
gegenwärtig existierenden Kapitalismus – erstens
niemals komplett sichtbar gemacht werden kann
und, zweitens, in den vergangenen Jahrzehnten
noch viel komplexer, vielschichtiger und
unüberschaubarer geworden ist als etwa noch zu
Marx’ Zeiten. Kurz gesagt: Wir können uns keine
Revolution vorstellen, weil wir uns den
Kapitalismus nicht vorstellen können. Das ist
das grundlegende historische Dilemma, dem sich
eine offensive Linke stellen muss.
Den
Kapitalismus verstehen, aber auch fühlen?
Niemand hat
dieses Dilemma prägnanter auf den Punkt gebracht
als Fredric Jameson mit seiner Forderung nach
einer „marxistischen Ästhetik“ (1988). Das
klingt kompliziert, ist im Grunde aber simpel.
Die beste Erklärung liegt, ebenfalls wie so oft,
in der historischen Genese des Kapitalismus
selbst. Jameson unterscheidet drei grobe
Entwicklungsstufen des westlichen Kapitalismus:
einen anfänglichen „Marktkapitalismus“, der im
Übergang vom Feudalismus vorherrschte, einen von
der einsetzenden Kolonialisierung der Welt
geprägten „Monopolkapitalismus“ sowie, seit etwa
dem Ende des Zweiten Weltkriegs, den sogenannten
„Spätkapitalismus“.
Betrachten wir diese drei Entwicklungsstufen aus
dem Blickwinkel einer Einwohner*in Londons.
Während unsere Londoner*in im Marktkapitalismus
jene kapitalistischen Räume, die ihre
Erfahrungswelt prägen, noch weitgehend
überblicken kann (die Produkte, die sie auf dem
Marktplatz kauft, kommen in aller Regel aus dem
unmittelbaren Umkreis), ist dies zu Zeiten des
Monopolkapitalismus keineswegs mehr der Fall.
Folgen wir unserer Londoner*in nun auf den
Marktplatz, hat sie es mit Produkten aus aller
Welt zu tun – mit Zucker aus Jamaica etwa oder
mit Tee aus Indien.
Diese Waren kann sie sehen, fühlen, schmecken,
riechen und auch hören. Sie sind Teil ihrer
tagtäglichen, sensorischen Erfahrungswelt. Das
kapitalistische Weltsystem aber, das diese Waren
erst zu ihr bringt (unter schlimmsten
kolonialistischen und rassistischen
Ausbeutungsverhältnissen wohlgemerkt), entzieht
sich ihrer Erfahrung. In diesem Sinne wird der
Kapitalismus zu einer Ursache, die in ihren
konkreten Auswirkungen zwar allseits präsent
ist, die im gelebten Alltag der Vielen
allerdings unsichtbar bleibt.
Ähnlich verhält es sich im heutigen
Spätkapitalismus. Hier sind es die
weitverzweigten Netzwerke der globalen Logistik,
die Produkte aus aller Welt wie von Geisterhand
an unserer Türschwelle abliefern. Hinter jeder
noch so banalen Bestellung, die wir bei Amazon,
Ebay und Co. aufgeben, tut sich ein mehr oder
weniger global koordiniertes Netzwerk aus
menschlicher und maschineller Arbeit auf, von
dem wir meist nur die Paketübergabe an der
Haustür zu Gesicht bekommen. Der „Rest“ liegt
jenseits unserer Sinneswahrnehmung: die
koordinierte Ausbeutung von Paketzusteller*innen
und Hafenarbeiter*innen, die meist schlimmen
Arbeitsbedingungen in weltweiten
Distributionszentren, die rassialisierte und
vergeschlechtlichte Arbeitsteilung globaler
Lieferketten.
Das grundlegende Dilemma bleibt damit das
Gleiche wie schon im Monopolkapitalismus: Die
subjektiven Erfahrungen, die in westlichen
Industrienationen gemacht werden, und jene
kapitalistische Totalität, die diese Erfahrungen
erst ermöglicht, fallen nicht zusammen. Zwischen
ihnen tut sich eine tiefe Lücke auf.
Eine Ästhetik
des globalen Widerstands
Es ist diese
Lücke, in der laut Jameson eine der wichtigsten
Aufgaben marxistischer Kunst- und
Kulturproduktion liegt. Sie besteht darin, das
Weltsystem des Spätkapitalismus wieder in die
natürliche Reichweite unserer
(körperlich-biologisch begrenzten)
Sinnesapparate zu rücken – und damit zugleich
den Glauben an die politische Umgestaltung und
letztendliche Überwindung dieses Systems
zurückzugewinnen. Genau das ist der Auftrag an
eine (zum Grossteil noch zu entwickelnde)
marxistische Ästhetik des Spätkapitalismus und
die Kulturproduktionen (seien es Romane,
Zeitschriften, Bilder, Poster, Filme, TV-Shows,
Musikstücke oder Performances), die in ihrem
Fahrwasser entstehen könnten.
Natürlich wurden Versuche in diese Richtung
längst unternommen. Eine aktuelle
„Bestandsaufnahme“ etwa liefern Alberto Toscano
und Jeff Kinkle in ihrem Buch „Cartographies of
the Absolute“ (2015). Um nur eines ihrer
unzähligen Beispiele zu nennen: Die
amerikanische Künstlerin Martha Rosler
unternimmt in ihrer zwischen 1967 und 1972
entstandenen Bildserie „Bringing the War Home:
House Beautiful“ (zu deutsch etwa: „Den Krieg
nach hause bringen: Häusliche Schönheit“) den
Versuch, westlichen Konsumalltag und
kapitalistische Totalität in Verbindung zu
setzen.
Den Hintergrund von Roslers Fotomontagen bilden
Ausschnitte aus Lifestyle-Magazinen: mondäne
Wohn- und Schlafzimmer, durchgestylte
Kücheneinrichtungen wie sie damals in den USA im
Trend lagen. Rosler versetzt die Betrachter*in
in Szenen, mit denen sie sich identifizieren
kann, ja wohl oder übel sogar muss. In diese
heile Welt amerikanischer Häuslichkeit montierte
Rosler Bilder des gleichzeitig stattfindenden
Vietnamkrieges – amerikanische Soldaten in
Schützengräben, Gefechtsszenen, Verwundete.
Rosler erklärt ihren Ansatz, wenn auch leider
nur auf Englisch, in folgendem Video.
Eine von Roslers Collagen in diesem Video blickt
in die üppig eingerichtete Dachetage eines
amerikanischen Landhauses. Die Möbel sind
farblich aufeinander abgestimmt und in
unaufdringlichen Holz- und Pastelltönen
gehalten. Konzertierte Behaglichkeit im Schöner
Wohnen-Stil. Erst auf den zweiten Blick wird
deutlich: Im Bildvordergrund, farblich „passend“
zum restlichen Dekor, kauert eine
zusammengekrümmte Gestalt auf dem Boden
(schlafend, verwundet, tot?), deren Gesicht wir
nicht erkennen können, deren ungeklärte
Anwesenheit dem Bild aber eine umso
schauerlichere Wirkung verleiht.
Auch wenn Roslers Werk noch weit vielschichtiger
ist als dieser kurze Einblick verrät
(wiederkehrendes Thema ist etwa auch die
Industrialisierung weiblicher Schönheit im
Kapitalismus), was zählt ist die übergreifende
Geste: Roslers Montagen wehren sich mit aller
Macht gegen jene Lücke, die Jameson als
symptomatische Blindstelle westlichen
Alltagslebens identifiziert. Entgegen unserer
tief eingeprägten Seh- und Fühlgewohnheiten
führt uns Rosler vor Augen, dass die angeblich
so friedliche Arbeits- und Konsumsphäre
westlichen Alltagslebens auf einem kolonialen
und kapitalistischen Unterbau aufsitzt, ohne den
sie schlichtweg nicht existieren könnte. Oder,
anders gewendet: Roslers Bilder machen einen
Teil jenes geopolitischen Systems sichtbar, das
unserem Alltag zwar zugrunde liegt, in ihm aber
meist unsichtbar bleibt.
Klassenpolitik
auf kulturellem Terrain
Was aber, um zu
unserem Ausgangspunkt zurückzukehren, haben
Kunstwerke wie die von Rosler zur Eindämmung des
derzeitigen Rechtsrucks beizutragen? Die
oberflächliche Antwort lautet: Nicht allzu viel.
Kein AfD-Wähler wird sich eine gelungene
Bildcollage ansehen und danach seine Weltsicht
ändern. Dennoch markiert Jamesons Forderung nach
einer marxistischen Ästhetik einen der zentralen
Umschlagspunkte für eine links-offensive
Kehrtwende im Hier und Heute. Schliesslich
basiert der Erfolg der Rechten nicht zuletzt
darauf, an reale spätkapitalistische
Alltagserfahrungen (Abstiegsängste, soziale
Unsicherheit, Vereinsamung) anzuknüpfen, diese
aber in die Richtung reaktionärer Ideologien
(Nationalismus, Rassismus, Frauenfeindlichkeit)
zu wenden.
Aus linker Sicht gilt es, den ersten Schritt
ebenfalls zu meistern, den zweiten aber um 180
Grad zu drehen. Und genau hier spielt Ästhetik
eine so wichtige Rolle. Denn bei ihr geht es
nicht um rationale Erklärungen, sondern um
unmittelbare Sinneseindrücke, Gefühle und
Empfindungen – in marxistischer Sprache: um
Ideologie. Nicht um Ideologie im negativen Sinne
(etwa als „falsches Bewusstsein“), sondern im
neutralen, ja vielleicht sogar positiven Sinne:
um Ideologie als einer „Vision der Zukunft, die
die Massen ergreift“ (Jameson 1988: 355).
Will die Linke eine solche Zukunftsvision
entwickeln und damit den Kampf gegen den
Aufstieg der Rechten auch auf kulturellem
Terrain aufnehmen, dann brauchen wir vielleicht
nicht nur, wie Nina Scholz sie gefordert hat,
eine engere Verbindung zwischen Theorie und
Praxis, nicht nur, wie Sebastian Friedrich
(2017) sie gefordert hat, eine neue „Erzählung“
für die Gegenwart der Klassengesellschaft. Was
wir ebenso brauchen, ist eine fühl- und
erlebbare Kulturproduktion, die es einerseits
mit den Widersprüchen des Spätkapitalismus
aufnimmt und andererseits den breiten Massen
zugänglich ist. Eine befreiende und beflügelnde
Massenkultur im besten Sinne, die nicht nur den
Kapitalismus, sondern auch das, was derzeit noch
hinter ihm verborgen liegt, ein Stück weit
sichtbarer macht.
Quelle:
http://www.xn--untergrund-blttle-2qb.ch/
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