Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

Die Regierung gibt das umstrittene Flughafenprojekt Notre-Dame-des-Landes (NDDL) auf – Sieg für eine widerständige Umweltbewegung?

02/2018

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Es ist die erste gesellschaftliche Protestbewegung in Frankreich seit Jahren, die sich erfolgreich gegen ein Regierungsvorhaben durchsetzen konnte. Und erst recht seit dem Amtsantritt von Präsident Emmanuel Macron im Mai 2017, dem es jedenfalls bislang gelungen ist, sich gegen sozialpolitische Widerstände durchzusetzen – etwa beim Arbeitsrecht – und dessen Beliebtheitswerte rund um den Jahreswechsel wieder auf rund 50 Prozent Zustimmung wuchsen. Auch wenn dieser neuerliche Popularitätsgewinn, nach einem Absacken im vergangenen Spätsommer (ab August 17), vor allem darauf zurückzuführen ist, dass die orientierungslose konservative Wählerschaft sich nun vielfach Macron anschloss. (NACHTRÄGLiCHE ANMERKUNG: In den letzten Januartagen 2018 war erneut ein Popularitätsrückgang für Emmanuel Macron und seinen Premierminister Edouard Philippe zu verzeichnen.

Präsident Macron und sein Premierminister Edouard Philippe schienen also vorläufig durchregieren zu können. Doch am vorigen Mittwoch, den 17. Januar 18 gab Philippe eine Entscheidung bekannt, die schnell durch Konservative und Rechtsextreme, aber auch durch sozialdemokratische wie bürgerliche Regionalfürsten in Westfrankreich als „Einknicken des Staates“ vor Protestlern angegriffen wurde. Am Ende der Kabinettssitzung wurde die Entscheidung publik, das umstrittene und umkämpfte Flughafenprojekt in Notre-Dame-des-Landes (NDDL) – rund zwanzig Kilometer nördlich von Nantes – werde nicht durchgeführt. Eric Woerth, Ex-Minister unter Nicolas Sarkozy, behauptete beispielsweise, die Regierung habe gegenüber „ein paar Dutzend“ hartnäckigen Besetzern nachgegeben.

Die Entscheidung der Regierung ist unterdessen unwiderruflich, denn die Gemeinnützigkeitserklärung für das Bauvorhaben, das zu seinen juristischen Voraussetzungen gehört, läuft am 08. Februar d.J. aus. Die Regierung wird sie nicht um zehn Jahre verlängern. Danach entfällt die rechtliche Möglichkeit, den Baubeginn anzuordnen.

In Wirklichkeit war die Opposition gegen das Bauprojekt in NDDL, das in immer breiteren Kreise zu den „sinnlosen Großprojekten“ mit umweltzerstörerischem Charakter gezählt wurde – einzigartige Feuchtgebiete hätten ihm weichen müssen -, natürlich erheblich breiter. Die Besetzung des Baugeländes hatte 2009 begonnen. Seit dem Jahr 2012, in dessen Herbst es im Rahmen der Polizeioffensive unter dem offiziellen Codenamen „Operation Cäsar“ (im Sturm auf gallische Dörfer?) zu ersten heftigen Auseinandersetzungen kam, zog das 1.650 Hektar umfassende strittige Gelände mehr und mehr Menschen an. Rund 300 Menschen leben dort heute ständig. Doch an Protestwochenenden wie im Mai und August 2013 kamen bis zu 40.000 Menschen aus der Nähe und von weiter weg zusammen.

Die Planungen für das Flughafenprojekt begannen bereits im Jahr 1965, doch mehrfach hatten Regierungen es zwischenzeitlich auf Eis gelegt, ohne die Baupläne offiziell zu beerdigen. Das Projekt als solches ist längst überholt, denn wie der amtierende Umweltminister Nicolas Hulot – selbst ein Gegner des Flughafenbaus – angibt, wurde es einstmals entworfen, um das Großraumflugzeug Concorde aufzunehmen. Diese überdimensionierte Maschine wurde 2003, nach einem spektakulären Unfall bei Paris drei Jahre zuvor, ausgemustert. Ferner grïndeten die Planungen für den Flughafen NDDL, die ab 2008 von Regierungsseite beschleunigt wurden und unter westfranzösischen Regionalpolitikern eine wahre Lobby aufweisen, auf die Prognose eines Anwachsens von damals drei Millionen auf künftig zehn Millionen Passagiere pro Jahr. 2016 und 2017 lag ihre reale Zahl am bisherigen Flughafen Nates-Atlantique, an dem nun bis 2022 Ausbaumaßnahmen beginnen sollen, zwischen 4,5 und 5 Millionen. Die Flughafenlobbyisten wünschen den weiteren rasanten Anstieg dieser Passagierzahlen – was ökologisch und klimapolitisch jedoch offenkundigen Irrsinn darstellt.

Die Befürworter des Projekts, das durch den Baukonzern und Branchenriesen Vinci durchgeführt werden sollte – Letztere dürfte nun Regressforderungen stellen -, beriefen sich auf den angeblichen Respekt der Demokratie. Im Juni 2016 hatten 55 Prozent bei einer Abstimmung auf Bezirksebene dem Bauvorhaben zugestimmt. Doch zuvor hatte die damalige Regierung die Ebene, auf welcher abgestimmt werden sollte, geändert. Auf Ebene der gesamten Region Pays-de-la-Loire wäre das Vorhaben durchgefallen, ebenso bei einer Abstimmung in den unmittelbar vom Bauvorhaben betroffenen Kommunen. Am Ende wurde eine Ebene festgelegt, die passen sollte.

Eine Mehrheit der französischen Gesellschaft befürwortet die Entscheidung, das Bauvorhaben NDDL aufzugeben: Je nach Umfrage waren es vergangene Woche respektive 68, 74 und 76 Prozent. Um es nicht nach einem „Sieg der Chaoten“ aussehen zu lassen, wie vor allem rechtsorientierte Medien und Politiker nunmehr wettern, kündigte die Regierung jedoch zugleich die Räumung der ZAD an. So, also als zone à défendre (zu verteidigende Zone), bezeichnen die Besetzer das ehemals als Baugelände vorgesehene Territorium. Konservative Parlamentarier trommeln eifrig für ihre gewaltsame Vertreibung, und der Front National-Abgeordnete Sébastian Chenu forderte, die Betroffenen „an ihren Dreadlocks herauszuziehen“, wie er sich die Dinge ausmalte.

Umgekehrt forderten unter anderem der grüne Europaparlamentarier José Bové, der linke Sozialdemokrat und Linksnationalist Jean-Luc Mélenchon und Philippe Poutou aus der radikalen Linken, die Besetzer dürften bleiben, habe die Regierungsentscheidung gegen das Flughafenprojekt ihnen doch in der Sache Recht gegeben. Diese linken Prominenten malten die Idee aus, künftig könne das Gelände für landwirtschaftliche Experimente – etwa mit kollektiver Bewirtschaftung – dienen. Ähnliches passierte auf dem Hochplateau des Larzac im Zentralmassiv, wo ab 1974 massive Widerstände den Bau eines riesigen Manöverplatzes der Armee verhindern, welcher 1981 aufgegeben wurde. Danach blieben vormals zugezogene städtische Linke dort, gründeten landwirtschaftliche Genossenschaft und blieben oft politisch aktiv. Zu ihnen zählte etwa auch Bové.

Vor Ort in NDDL hatte die Regierung vorige Woche bereits 4.600 Personen umfassende Einsatzkräfte zusammengezogen; darunter 500 gendarmes mobiles, Angehörige einer militarisierten Einheit, die dem Verteidigungsministerium untersteht und zum Teil über Panzerfahrzeuge und schweres Räumgerät verfügt. Innenminister Gérard Collomb wollte dadurch einen Autoritätsbeweis erzielen. Konkret hat Premierminister Philippe den Insassen der ZAD jedoch nun bis zum 30. März Zeit gegeben, das Gelände zu verlassen. Denn juristisch besteht bis zu diesem Datum ein alljährlicher Räumungsstopp für Wohnungen während des so genannten „Winterfriedens“. Viele Wohnquartiere von Besetzern, von denen einige mittlerweile mit Kleinkindern vor Ort leben, fallen unter dieses jahreszeitliche Räumungsverbot. Schon diese Woche läuft jedoch ein Ultimatum an die Besetzer aus, das sie auffordert, die drei Straßen, welche über das nunmehr ehemalige Baugelände führen und unpassierbar gemacht worden, wieder befahrbar zu machen. Am Wochenende kündigten die Besetzer an, an diesem Montag, den 22. Januar 18 mit Räumungsarbeiten auf der berühmt gewordenen „Hindernisstraße“ (route des chicanes) zu beginnen, die über drei Kilometer hinweg quasi flächendeckend verbarrikadiert worden war.

Die eigentliche Auseinandersetzung der nächsten Zeit wird sich darum drehen, unter welchem Status künftig die Bewirtschaftung des 1.650 Hektars großen Areals stattfindet. Edouard Philippe kündigte an, das in den letzten fünfzehn Jahren durch die Regierung enteignete Land werde an die vormaligen Eigentümer zurückgegeben. Diese sind jedoch zum Teil verstorben oder nicht mehr als Landwirte aktiv, oder begnügen sich vollauf mit ihrer damaligen Entschädigung. Über neue Niederlassungsgenehmigungen an Landwirte könne „ab Ende April“ diskutiert werden, fügte der Premierminister hinzu. Dies soll darauf hinauslaufen, dass die ZAD als solche bis dahin nicht mehr bestehen kann, auf dass keine Vorstellungen von kollektiver Landbewirtschaftung und Genossenschaftsbildung mehr herumspuken. Die derzeitigen Bewohner – oft Linksradikale, die jedoch mit den eher bürgerlichen Anwohnerinitiativen wie ACIPA eine Vereinbarung getroffen haben, wonach alte wie neue Einwohner einvernehmlich und gleichberechtigt über die Zukunft entscheiden – wollen jedoch weiterhin als Kollektiv auftreten.

Für ihre Pläne gibt es sogar einige offene Türen. Die drei durch die Regierung eingesetzten Vermittler, deren am 13. Dezember 17 vorgelegter Expertenbericht die Basis für die Einstellung des Bauvorhabens abgegeben hat, sprechen sich etwa dafür aus, der Staat solle Eigentümer des Geländes bleiben. Er könnte es dann für 99 Jahre an einen Trägerverein vermieten. Auch der amtierende Landwirtschaftsminister Stéphane Travert sieht Experimentierspielraum und will das Gelände der Erprobung von biologischem Nahrungsmittelanbau für Schulkantinen widmen – nicht die dümmste Idee in seiner Laufbahn -, präzisiert jedoch nicht, welchen Status die Produzenten dabei haben sollten. Die örtliche Landwirtschaftskammer opponiert hingegen scharf gegen alle kollektiven und, wie sie behauptet, „illegalen Experimente“. Diese Debatte dürfte den nächsten Konfliktstoff liefern.

Editorischer Hinweis
Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe. Es handeeelt sich um eine ausführliche Fassung eines Artikels, von welchem eine gekürzte Fassung am 25. Januar 18 in der Berliner Wochenzeitung Jungle World publiziert wurde