Dritter Brief an einen sozialdemokratischen Genossen

von Antonín Dick

02-2014

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Sehr geehrter, lieber Herr Buchmann(*),

Mit Erstaunen nehme ich wahr, dass Sie mit keinem einzigen Wort auf Tatsachen, die zeitgeschichtliche Forschungen inzwischen zutage gefördert haben, eingehen. Die Verstrickungen des vorgeblichen inneren Emigranten Peter Huchel im Dritten Reich sind offenbar, wie der englische Literaturhistoriker Stephen Parker eindrucksvoll nachweisen konnte, doch Sie ignorieren sie weiterhin, obwohl ich Ihnen darüber mehrmals Mitteilung machte, mehr noch, Sie blättern in vertrotzter Geschichtsvergessenheit der Öffentlichkeit die politischen Fehler des jüdischen Naziverfolgten und Antifaschisten Alexander Abusch hin, die er in der DDR als Funktionär begangen hat, stillschweigend suggerierend, dass die in der DDR begangenen Fehler und Unrechtshandlungen mit dem Terror der Nazis, der sich über ganz Europa ausdehnte, gleichzusetzen wären, um dann kurzerhand die Alexander-Abusch- durch eine Peter-Huchel-Straße zu ersetzen. Dieser Tausch, diese Gleichsetzung, das sollten Sie wissen, ist eine Ohrfeige für alle Opfer des Nationalsozialismus.

Als hauptamtlicher Straßenumbenenner haben Sie vor wenigen Jahren ein Buch zu den Hellersdorfer Straßenumbenennungen herausgegeben. Sie schreiben darin: „In meiner Eigenschaft als Berater des Ausschusses hatte ich die Namen Peter Huchel, Louis Lewin, Heinrich Grüber und Rosa Valetti ins Gespräch gebracht.“ Die Auslöschung des Namens Alexander Abusch aus dem Straßenverzeichnis von Berlin, begründen Sie mit der ehrenwerten Behauptung, „dass es sich bei dieser Umbenennung um eine Art historischer Wiedergutmachung handelte: Huchel ‚bekam‘ die Straße eines derjenigen stalinistischen Kulturfunktionäre der DDR, die den weltoffenen Chefredakteur von ‚Sinn und Form‘ aus seinem Amt und dann außer Landes gedrängt hatten.“ Eine offene Rechnung aus dem Jahre 1953? Wie kommen Sie eigentlich dazu, nach einem halben Jahrhundert Recht mit diesen entehrenden Konsequenzen zu sprechen? Gegen einen Überlebenden des Hitlerfaschismus? Der obendrein noch als Jude unter den von Stalin herrührenden antijüdischen Wellen zu leiden und für Jahre deswegen alle seine hohen Funktionen in der DDR verloren hatte? Der für diese Zeit unter dem Damoklesschwert schlimmster Ängste gestanden hatte?

Sie wollen „eine Art historischer Wiedergutmachung“ walten lassen, Gerechtigkeit, Frieden, schreiben Sie. Aber was ist das für eine Art von Frieden? Der der Flüchtlingsgegner, die neuerdings just durch Hellersdorf ziehen? Durch die von Ihnen umbenannten Straßen? In einem Brief vom 30. August 1945 an einen englischen Künstler schreibt der nach England emigrierte Antifaschist Oskar Kokoschka über solche Art von Frieden: „Diese Art Frieden, den man Europa vergönnt, bedeutet langsame künstliche Degradation alles Menschlichen, das vielleicht noch den Faschismus überlebt hatte.“ Und als ob er die Hellersdorfer Fackelträger der Heimat geahnt hätte, schreibt er warnend: „Es scheint, dass Demokratie sogar schlimmer ist, weil niemand weiß, was sie bedeutet, und sie so verschieden erklärt, dass statt einem Hitler wir jetzt 10 000 haben.“ Was wollen Sie diesen tagtäglich sich erneuernden Rechten entgegensetzen, die tatsächlich, wie es Kokoschka voraussah, in die Tausenden anwachsen? Einen demontierten und entehrten Alexander Abusch? Ihr Genosse und Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, Herr Dr. Frank Walter Steinmeier, widerspricht Ihrer eisernen Demontage von Überlebenden der Hitlerdiktatur, denn er sagt auf einer Eröffnung einer Ausstellung in der Gedenkstätte Flossenbürg: „Wir wollen mit dieser Gedenkstätte allen Menschen Ehre erweisen, die unter dem Nationalsozialismus gelitten haben. Wir verneigen uns vor ihrem Leid, Und wir erinnern uns. Denn wir wissen: Versöhnung ist nur dort möglich, wo Erinnerung gegenwärtig wird. Wo wir als Deutsche unser schweres Erbe der Vergangenheit annehmen und uns unserer Verpflichtungen für die Zukunft bewusst werden.“ Und dann sagt Herr Dr. Steinmeier etwas, als hätte er es direkt Ihnen, der Sie eine Demontage von Überlebenden des Holocaust mit fürchterlichen Folgen betreiben, ins Stammbuch geschrieben: „Wir wissen auch: Wir brauchen für diese Erinnerung die Hilfe derer, die den Terror der Nationalsozialisten überlebt haben:“

Doch Sie wenden sich nicht hilfeflehend an das wertvolle autobiographische Erbe von Alexander Abusch, im Gegenteil, sie stoßen es in den Dreck der Rechten. Schämen Sie sich nicht angesichts der Forderung einer Persönlichkeit, der immerhin Mitglied des Präsidiums Ihrer Partei ist? Und seit wenigen Wochen Repräsentant der Regierung der Bundesrepublik Deutschland für die internationale Gemeinschaft?

Aber es hieße, Ihren Demontagefuror nur unvollständig zu ergründen, wollte man nicht noch diese Ungeheuerlichkeit ans Licht bringen, die man nicht anders identifizieren kann als mit dem Terminus des „Entwicklers von Judengleichungen“. Denn als ein solcher betätigen Sie sich in hemdsärmeliger Form. In Ihrem immerhin siebzigseitigen Buch führen Sie nämlich aus, dass „mit dem gleichen Beschluss, der Norden und Abusch ihre zu DDR-Zeiten verliehenen Straßenbenennungen aberkannte, die nach einem weiteren führenden SED-Politiker, Paul Verner, benannte Straße den Namen eines einstmals weltweit bekannten Berliner Wissenschaftlers (Louis Lewin, d. A.) bekam, der sich Zeit seines Lebens öffentlich zu seinem jüdischen Glauben bekannt hatte.“

Das ist der Gipfel all Ihrer Übergriffe auf die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus, sehr geehrter Herr Buchmann!

Die beiden jüdischen Opfer des Nationalsozialismus Albert Norden und Alexander Abusch werden ihres öffentlichen Gedenkens beraubt, und dafür verpassen Sie dem jüdischen Wissenschaftler Louis Lewin ein Straßenschild. Zwei öffentliche Ehrungen für zwei Juden und einen nichtjüdischen Kommunisten mit einem Schlag liquidiert – dafür eine öffentliche Ehrung für einen unpolitischen Juden etabliert! Zwei Juden und einen nichtjüdischen Kommunisten, die Sie als schlecht bewerten, lassen Sie in der Versenkung verschwinden, um einen anderen Juden, den Sie als gut bewerten, dafür aus der Versenkung zu holen, also die Aufstellung einer abstrusen Menschengleichung der Form:

1 kommunistischer Jude + 1 kommunistischer Jude + 1 nichtjüdischer Kommunist =
1 nichtkommunistischer Jude.

zur Geltung zu bringen. Und dann die abenteuerliche Begründung für diese grausige Gleichung, die Bände spricht über Ihren versteckten Antisemitismus!

Sie betonen, dass Louis Lewin „sich Zeit seines Lebens öffentlich zu seinem jüdischen Glauben bekannt hatte.“ In der Tat, Albert Norden und Alexander Abusch und anderen Juden war dieses öffentliche Bekenntnis in der DDR nicht vergönnt, denn sonst hätten sie bekanntermaßen ihre hohen Funktionen sofort verloren. Stets haben Juden sich verstecken müssen, nicht nur in fremden Wohnungen, in Kellern und auf Dachböden, auf Friedhöfen und in Wäldern, sondern auch in anderen Konfessionen, in Unterdecks von Schiffen und in Fluchtländern, in doppelten Staatsbürgerschaften oder fremden Identitäten. Während der Nazizeit haben in Berlin mehr als 1000 Juden in solchen und anderen Verstecken überlebt. Wollen Sie diesen Menschen deshalb Vorwürfe machen? Clara Lewin, der Ehefrau von Louis Lewin, war ein Versteck leider nicht vergönnt. Sie wurde nach Theresienstadt deportiert und dort ermordet. Über Jahrhunderte haben Juden überlebt, weil sie auf das öffentliche Bekenntnis zu ihrem Glauben verzichtet haben. Und jetzt kommen Sie und werfen es nach dem Untergang der DDR Juden vor, dass sie dort nicht öffentlich als Juden auftraten? Louis Lewin war das Überleben als bekennender Jude vergönnt, weil er vor der sogenannten nationalen Erhebung aus dem irdischen Leben schied. Seine Frau und Millionen andere jüdische Menschen wurden liquidiert. Und Sie kommen daher und spielen eine Gruppe von Juden gegen die andere aus, nur um die drei kommunistischen Kämpfer gegen den Nationalsozialismus im Gedächtnis unserer Gesellschaft auszulöschen. Wer ein guter Jude ist, bestimme ich – ein nichtjüdischer, mit staatlicher Hoheitsmacht ausgestatteter Deutscher! Merken Sie die Verirrung des menschlichen Geistes, wenn man diesen Satz, der zu den Voraussetzungen Ihres staatlichen Handelns gehört, einmal aufschreibt?

Mit Bedacht schreibe ich Ihnen diesen Brief heute, am Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Völkermords am jüdischen Volk, an alle Opfer. Ich verfolge gerade, während ich diesen Brief schreibe, die Gedenkstunde im Deutschen Bundestag. Der Präsident des Deutschen Bundestages Herr Dr. Norbert Lammert eröffnet die Gedenkstunde. Und er sagt: „In Deutschland ist Intoleranz nicht mehr tolerierbar.“ Was Sie mit Ihren vom Wahnwitz diktierten Straßenumbenennungen betreiben, sehr geehrter Herr Buchmann, ist praktizierte Intoleranz.

Ich erwarte und erbitte von Ihnen eine Stellungnahme.


In alter, freundschaftlicher Verbundenheit

Ihr Dr. Antonín Dick
Mitglied der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, Landesverband Berlin

geschrieben am Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer
des Nationalsozialismus, dem Tag der Befreiung des
Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau durch die Rote Armee
am 27. Januar 1945

Editorische Hinweise

*) Der authentische Name wurde durch ein Pseudonym ersetzt.

Der erste Brief erschien in TREND 9/2013 - der zweite in TREND 11/2013.

 

Vom Autor erschien bei TREND:


TREND-Spezialedition
Rose des Exilgeborenen

Ein Essay von Antonín Dick