Allgemeine Bedingungen der
Unterdrückungswelle J.
Schmierer: Wir meinen, daß man nicht an den Phänomenen
hängenbleiben darf, daß man nicht auf das Verfolgungsphänomen
starren darf, was unter Umständen dazu führen könnte, die genaue
Tragweite dieser Verfolgungen nicht richtig einzuschätzen,
sondern hysterisch zu reagieren. Wir meinen auch nicht, daß
solche Erklärungen ausreichen wie «innerstaatliche
Feinderklärung», weil man ja sonst gleich von vornherein davon
absieht, daß es sich hier tatsächlich zum Teil auch um
Verfolgungen von wirklichen Feinden handelt, die ja nicht
einfach erfunden werden müssen. Die Kommunisten müssen nicht
erfunden werden, sondern sind tatsächlich vorhanden. Es handelt
sich nicht nur um eine sozialpsychologische Frage, daß diese
Verfolgungsmaßnahmen jetzt zur
Befestigung der Herrschaft über das Bewußtsein der Massen
dienen, sondern sie richten sich natürlich gegen einen Gegner,
der tatsächlich mit der herrschenden Klasse um das Bewußtsein
der Masse kämpft. Gehen wir zunächst von dem scheinbaren
Widerspruch in der Politik der SPD-Regierung aus zwischen
scheinbarer Friedenspolitik auf der Ebene der Außenpolitik und
Zunahme der inneren Verfolgungen in der Bundesrepublik selber.
Wir meinen, daß da kein Widerspruch existiert, sondern daß der
Widerspruch bloß auf der Ebene der Phänomene liegt. Wir gehen in
der Einschätzung der gegenwärtigen Verfolgungswellen davon aus,
daß wir sie ableiten aus der gegenwärtigen Entwicklung des
BRD-Imperialismus im Rahmen der innerimperialistischen
Auseinandersetzung und also auch der Auseinandersetzungen mit
der Sowjetunion und dem Comecon-Lager. Man kann sich dabei aber
auch nicht bloß auf die Frage der Ostpolitik beschränken,
sondern muß auch die Politik in der EWG hinzunehmen. Nach
unserer Auffassung ist derzeitig der BRD-Imperialismus dabei,
sich einerseits in Westeuropa die Ausgangsposition und
Vorrangstellung zu sichern, die ihm andererseits ermöglicht,
eine vorläufig vorwiegend oder zunächst friedliche Expansion
nach Osten zu unternehmen, wobei die Möglichkeit dieser
friedlichen Expansion gerade durch innere Entwicklungen in der
Sowjetunion und in den Comecon-Ländern selber ermöglicht wird,
also daß diese Entwicklung, diese Expansion friedlich möglich
ist. Man muß aber sehen, wenn man die angeblich friedliche
Politik im EWG-Raum und andererseits die Politik gegenüber den
osteuropäischen Staaten betrachtet, daß die Ziele, nämlich
Expansionen des BRD-Kapitals in Westeuropa und in Osteuropa, in
die Sowjetunion hinein, selber notwendig aggressiv sind; und es
sich derzeitig nur vorübergehend darum handelt, diesen Zielen
mit friedlichen Mitteln näher zu kommen. Aber der Kampf um
Absatzmärkte, um Kapital, um Kapitalanlagesphären und auch um
Grundstofflager muß natürlich notwendig zu Auseinandersetzungen
führen, die derzeit, auch in bestimmten Fällen die Form
kriegerischer Auseinandersetzungen annehmen können. Wenn man
sich überlegt, daß der BRD-Imperialismus, nachdem er in den joer
Jahren wieder in das imperialistische Lager eintreten konnte,
heute dabei ist, wirklich seine Vorrangstellung zu sichern, dann
ist auf der anderen Seite einsichtig, daß der Kampf um diese
Vorrangstellung mit der Notwendigkeit verbunden ist, den inneren
Druck auf die Arbeiterklasse zu verschärfen. Und ich glaube
auch, in diesem Zusammenhang sind die Verfolgungswellen, die
jetzt stattfinden, schon zu sehen — auch wenn die Arbeiterklasse
selber scheinbar noch nicht so unmittelbar betroffen ist. Denn
natürlich ist auch das Betriebsverfassungsgesetz (BVG) etwa in
diesem Zusammenhang zu sehen, das in den zentralen Punkten,
nämlich «Friedenspflicht» und Verpflichtungen zur
«vertrauensvollen Zusammenarbeit», eine Verschlechterung der
Kampfbedingungen der Arbeiterklasse darstellt. Und wir meinen
deswegen auch, wellen
davon aus, daß wir sie ableiten aus der gegenwärtigen
Entwicklung des BRD-Imperialismus im Rahmen der
innerimperialistischen Auseinandersetzung und also auch der
Auseinandersetzungen mit der Sowjetunion und dem Comecon-Lager.
Man kann sich dabei aber auch nicht bloß auf die Frage der
Ostpolitik beschränken, sondern muß auch die Politik in der EWG
hinzunehmen. Nach unserer Auffassung ist derzeitig der
BRD-Imperialismus dabei, sich einerseits in Westeuropa die
Ausgangsposition und Vorrangstellung zu sichern, die ihm
andererseits ermöglicht, eine vorläufig vorwiegend oder zunächst
friedliche Expansion nach Osten zu unternehmen, wobei die
Möglichkeit dieser friedlichen Expansion gerade durch innere
Entwicklungen in der Sowjetunion und in den Comecon-Ländern
selber ermöglicht wird, also daß diese Entwicklung, diese
Expansion friedlich möglich ist. Man muß aber sehen, wenn man
die angeblich friedliche Politik im EWG-Raum und andererseits
die Politik gegenüber den osteuropäischen Staaten betrachtet,
daß die Ziele, nämlich Expansionen des BRD-Kapitals in
Westeuropa und in Osteuropa, in die Sowjetunion hinein, selber
notwendig aggressiv sind; und es sich derzeitig nur
vorübergehend darum handelt, diesen Zielen mit friedlichen
Mitteln näher zu kommen. Aber der Kampf um Absatzmärkte, um
Kapital, um Kapitalanlagesphären und auch um Grundstofflager muß
natürlich notwendig zu Auseinandersetzungen führen, die derzeit,
auch in bestimmten Fällen die Form kriegerischer
Auseinandersetzungen annehmen können. Wenn man sich überlegt,
daß der BRD-Imperialismus, nachdem er in den joer Jahren wieder
in das imperialistische Lager eintreten konnte, heute dabei ist,
wirklich seine Vorrangstellung zu sichern, dann ist auf der
anderen Seite einsichtig, daß der Kampf um diese Vorrangstellung
mit der Notwendigkeit verbunden ist, den inneren Druck auf die
Arbeiterklasse zu verschärfen. Und ich glaube auch, in diesem
Zusammenhang sind die Verfolgungswellen, die jetzt stattfinden,
schon zu sehen — auch wenn die Arbeiterklasse selber scheinbar
noch nicht so unmittelbar betroffen ist. Denn natürlich ist auch
das Betriebsverfassungsgesetz (BVG) etwa in diesem Zusammenhang
zu sehen, das in den zentralen Punkten, nämlich
«Friedenspflicht» und Verpflichtungen zur «vertrauensvollen
Zusammenarbeit», eine Verschlechterung der Kampfbedingungen der
Arbeiterklasse darstellt. Und wir meinen deswegen auch,
daß das Ziel der Verfolgungsmaßnahmen nicht einfach Linke
sind, sondern auf der einen Seite speziell Kommunisten und auf
der anderen Seite Linke insofern, als es darauf ankommt, den
bürgerlichen Staatsapparat von allen «gefährlichen» Elementen
freizuhalten. Das ist der Punkt, um den es bei der Verfolgung
geht: Das Kampffeld, das Kampfinstrument der herrschenden
Klasse, der bürgerliche Staat, soll in Ordnung gebracht werden,
um die mit der Politik der Expansion notwendig verstärkte
Unterdrückung durchführen zu können. Der entscheidende Punkt ist
also, Schaffung des Kampfinstruments, Reinigung des
Staatsapparates von unsicheren Stellen, keineswegs nur bei
Lehrern und Intellektuellen, sondern betroffen ist der ganze
öffentliche Dienst. Wie wichtig das ist, kann man an einem
kleinen Beispiel, den jüngsten Vorgängen in Heidelberg, sehen.
Hier ist ein liberaler Rektor für den Staatsapparat tendenziell
untragbar geworden, weil er die Verfolgung der Kommunisten nicht
effektiv genug zuläßt.
J. Seifert: Ich stimme zu, daß
wir bei der Analyse davon auszugehen haben, daß der Kapitalismus
in der Bundesrepublik die Stagnation zur Zeit nur überwinden
kann, wenn es ihm gelingt, einerseits die Löhne niedrig zu
halten und andererseits die Wachstumsrate durch Vergrößerung des
Exportanteils zu steigern. Dazu braucht man eine politische
Absicherung. Das geschieht durch die Ost-Politik der
SPD-FDP-Regierung, aber auch - das ist auch nur ein Beispiel -
durch die Reise von Brandt nach Persien. Die Kapitalinteressen
in der Bundesrepublik sind im internationalen Konkurrenzkampf
darauf angewiesen, daß die BRD als sicherer Partner erscheint,
als ein Partner, der stabiler ist als die USA und Frankreich.
Unsere Analyse wird jedoch unzureichend, wenn wir bei einer
rein ökonomischen Erklärung stehen bleiben. Warum gibt es
beispielsweise nicht im gleichen Maße eine solche
Verfolgungswelle in anderen westeuropäischen Ländern? Warum hat
man sich in Frankreich und Italien, aber auch in den
angelsächsischen Ländern daran gewöhnt, daß Marxisten, daß auch
Kommunisten Lehrer sein dürfen? Das sind Fragen, die man nur
durch eine Analyse erklären kann, die bestimmte historische
Fakten - Faschismus - und konkrete Vorgänge im politischen
Bereich berücksichtigt. In diesem Zusammenhang kann deshalb das,
was man «innerstaatliche Feinderklärung» genannt hat, doch etwas
zur Analyse beitragen. In den Entstehungsjahren der BRD und in
der Restaurationsphase war der äußere Feind, den das System zur
Stabilisierung brauchte, identisch mit dem Feind im Innern, mit
der KPD und ihren Organisationen. Die Intensität, mit der der
«innere Feind» bekämpft wurde, ließ nach, als es im Verhältnis
des Ostblocks zu den kapitalistischen Staaten zu einem
veränderten politischen Verhalten kam. So konnte die Schüler-
und Studentenbewegung in einer Zeit operieren, in der die
Inhaber der Staatsgewalt in der Bestimmung
des inneren Feindes verunsichert waren. Das Ausmaß dieser
Revolte hat dazu geführt, daß die innerstaatliche Feinderklärung
teilweise abgeschwächt, teilweise außer Kraft gesetzt wurde. Die
Illegalitätserklärungen blieben - wenn man vom Verbot des
Heidelberger SDS einmal absieht, das ja erst in einer relativ
späten Phase erfolgt - rein verbal. Die DKP und die aus der
Studentenbewegung entstehenden Organisationskerne wurden zwar
nicht sanktioniert, aber aus Opportunitätsgründen geduldet.
Mancher hat daran falsche Hoffnungen geknüpft. Die eigenen
Möglichkeiten wurden überschätzt, es wurde nicht analysiert,
welchen Spielraum der Staatsapparat hat. Beispielhaft dafür ist
das Gerede von einer revolutionären Berufspraxis als Lehrer.
Doch nun ist zu fragen: Warum kommt es heute unter einer
SPD-FDP-Bundesregierung zu einer neuen innerstaatlichen
Feinderklärung? Welche Funktion hat sie im politischen Bereich?
W. Lefèvre: Ja eben, wenn du
nach ihrer Funktion fragst, kommst du auf die Frage nach der
sozialpolitischen Situation — und das heißt vornehmlich eben
doch auf die ökonomische Situation zurück.
J. Seifert: Das streite
ich ja nicht ab. Wir dürfen jedoch auch nicht übersehen, daß die
CDU/CSU sowohl in der Außenpolitik als auch in relevanten
innenpolitischen Fragen auf einen Konfrontationskurs gegangen
ist. Dieser Konfrontationskurs birgt für die CDU/CSU die Gefahr
in sich, daß die SPD nach «links» gedrängt wird, daß die
Polarisierung im politischen Bereich tendenziell den Charakter
einer Klassenauseinandersetzung annehmen könnte. Um die
Polarisierung nicht zu unversöhnlicher, absoluter Feindschaft
werden zu lassen, bedürfte es eines gemeinsamen Feindes: der
sogenannten Linksradikalen. So wurde die SPD in einen Zugzwang
gebracht, sich nach links abzugrenzen. Die neue innerstaatliche
Feinderklärung ist deshalb - so meine ich — auch zu bestimmen
als ein von der CDU/ CSU gemachter Versuch, die Polarisierung
zwischen den Regierungsparteien einerseits und der Opposition
andererseits voranzutreiben, zugleich jedoch eine totale
Konfrontation auszuschließen. Der gemeinsame Feind soll
vereinbaren.
W. Lefèvre: Wenn ich ausführlich auf das antworten
soll, was Joscha vorhin gesagt hat, dann käme hier eine
EWG-Debatte herein, die viel zu weit führen würde. Nur eine
Bemerkung dazu: Was Joscha den Kampf des BRD-Imperialismus um
seine Vorherrschaft genannt hat, ist eben doch, und das wissen
die Kapitalisten auch ganz genau, nur innerhalb der EWG möglich.
Und zweitens: Die Sowjetunion der 30er
Jahre war vielleicht noch militärisch zu besiegen, die der /oer
Jahre ist es nicht mehr. Das sind zwei Dinge, mit denen die
BRD-Imperialisten kalkulieren müssen, und mit denen sie auch
kalkulieren.
Dennoch ist es vollkommen richtig zu sagen, daß die BRD sich
in einer Situation befindet, in der sie, ob sie will oder nicht,
Druck nach innen ausüben muß. Repression
ist ja nicht erst, wenn einer von uns von der Uni geschmissen
wird oder eine Demonstration verprügelt wird, sondern auch, wenn
die Arbeitssituation in den Fabriken sich verschärft. Und die
heutige Situation in den Fabriken ist wesentlich unerträglicher
als vor zehn Jahren. Repression ist auch, wenn die
Lebensbedingungen sich so verschlechtern, daß die Leute
gezwungen sind, Überstunden bis zu zehn, zwölf Stunden zu
machen, das aber unter den Anforderungen der heutigen
Technologie, wo schon in acht Stunden mehr Lebenskraft aus dem
Arbeiter herausgepreßt wird als etwa vor dreißig Jahren in zehn
oder elf Stunden. Zu all dem ist die BRD gezwungen, weil sie,
wie alle kapitalistischen Länder mit der zweiten ganz vehementen
Krise einer Weltüberproduktion des kapitalistischen Lager
konfrontiert ist. Natürlich gibt es ein Gerangel zwischen all
den kapitalistischen Ländern, wer bei einer nötig werdenden
Regelung zwischen ihnen darüber entscheidet, wie man z. B.
Exporte kontingentiert, wie man Einflußsphären aufteilt etc. -
von welchen Startlöchern aus die einzelnen «Partner» an eine
solche Übereinkunft gehen. Natürlich versucht die BRD, weil sie
in diesem Streit nicht mehr als BRD allein auftreten kann,
sondern mit der EWG auftreten muß, z. B. gegen USA, gegen Japan,
sich in der EWG eine Position zu verschaffen, so daß die EWG
zugleich ihre ureigensten Interessen vertritt. Das ist keine
Frage. Aber insgesamt stimmt doch wohl, wenn man sagt, der
BRD-Imperialismus steckt in einer Krise, die darin besteht, daß
er konfrontiert ist mit einer Überproduktion, die vorerst nicht
zu lösen ist, sondern auf die Rationalisierungen, weitere
Intensivierung der Arbeit, weitere verschärfte Ausbeutungen
hinausläuft und eventuell, ich will das hier gar nicht weiter
ausmalen, mit einer strukturellen Arbeitslosigkeit als Folge von
Konzentration einhergeht. All das sind Zeichen, die am Horizont
seit Mitte der 6oer Jahre stehen, die jeder sehen konnte, die
immer deutlicher werden, wie etwa im letzten Sommer mit der
Weltwährungskrise, und entsprechend ist etwas zu erwarten von
seiten der Arbeiter. Jetzt kommt aber etwas sehr Eigenartiges
hinzu, was aber in der deutschen Geschichte gar nicht so
eigenartig ist: Die herrschende Klasse Deutschlands hat immer
aus sozialen Erhebungen in anderen Ländern gelernt, bevor diese
in Deutschland selbst ausbrachen. D. h., die Repression wirst du
z.T. nur daraus erklären können, daß die deutschen Unternehmer
natürlich nicht so dumm sind, denn schließlich reisen sie ja
jeden Tag nach Paris, Brüssel und Mailand, sich nicht ausrechnen
können, daß die bundesrepublikanische Situation heute so
aussieht, wie sie in Frankreich und Italien 1962/63 ausgesehen
hat, und daß man eben nicht tatenlos warten darf, wie die
Kollegen in Italien und Frankreich, bis hier der Mai 1968
ausbricht, sondern daß man dem vorbeugen muß. Ich denke, das ist
einer der wichtigsten Gründe. Speziell kommt da noch etwas dazu,
da hat der Joscha - glaube ich - ganz
recht, was aus den Zufälligkeiten der sozial-liberalen Koalition
resultiert. Die sozial-liberale Koalition war notwendig, weil
die alte CDU diese neue ökonomische Politik des
BRD-Imperialismus nicht durchführen konnte. Die SPD, so
verkommen und verrottet sie ist, war aber auf der anderen Seite
nicht an die Macht zu bringen, ohne daß die herrschende Klasse
zunächst jene Reformillusionen hinnehmen mußte, die diese Partei
an ihren linken Seiten usw. mitschleppt, die man sozusagen hof-
und regierungsfähig machen mußte, um überhaupt diese Regierung
haben zu können. Und jetzt, wo es an die Zeit der Verwirklichung
der Reformen käme, da passen schon CDU, Unternehmer usw. auf,
daß mit diesem sozusagen überschwenglichen rosa Rest dieser
ansonsten so brauchbaren SPD nicht erst ernst gemacht werden
kann. Und von daher ist ein spezieller Grund dafür da, daß man
jetzt die SPD trimmt, all das, was an ihr rosa aussieht,
abzulegen.
J. Seifert: Warum läßt
sich die SPD dazu bringen, gerade in dieser Situation?
Funktion der SPD
J. Schmierer: Um das
beantworten zu können, müßte man vielleicht die Einschätzung der
SPD, die du gebraucht hast, überprüfen; d.h. wenn du sagst: «so
verkommen und verrottet die SPD ist», dann betrachtest du die
SPD immer noch von einem Standpunkt aus, als wäre sie eine
verrottete und verkommene Arbeiterpartei. Ich halte die SPD
weder für verkommen, noch für verrottet im Sinne einer
bürgerlichen Partei, sondern für eine höchst effektive Partei.
Man darf auch nicht einfach sagen, die SPD sei jetzt durch den
Bruch der CDU gezwungen worden, oder man kann ebenso nicht
sagen, sie mache das sehr ungern, sondern man muß sehen, daß sie
in bestimmten Vorhaben ganz klar vorgeprescht ist - im Sinne der
Bourgeoisie. Die Hamburger Beschlüsse sind natürlich nicht auf
Druck der CDU zustande gekommen. Daß die SPD versucht, über die
Widersprüche, in die sie zu Teilen ihres Wählerpotentials gerät,
hinwegzukommen, das ist eine andere Sache. Auf jeden Fall darf
man diese Widersprüche, in die die SPD aufgrund ihrer Geschichte
gerät, nicht so mißverstehen, daß man sich wundert, warum die
SPD diese Politik macht. Dann nämlich begreift man die SPD nicht
als bewußten Handlanger des Kapitals, sondern als eine Partei,
die unglückseligerweise in diese Rolle gekommen ist. Auf dieser
Ebene bleibt dann auch der Widerspruch zwischen Außenpolitik und
Innenpolitik bestehen, denn dann wird die Außenpolitik der
SPD-Regierung doch als eine Politik begriffen, die im Grunde
fortschrittlich ist und im Widerspruch zu ihrer Innenpolitik
steht, zu der sie gezwungen wird, durch die «böse» CDU. Das
Problem ist, den Funktionswandel der SPD zu sehen; zu sehen, wer
sie will, mit wem sie koaliert, daß sie
von der Mehrheit der Arbeiter als ihre Interessenvertretung
angesehen wird, nichtsdestoweniger eine durch und durch
bürgerliche Partei ist.
W. Lefèvre: So einfach läßt sich der Punkt nicht fassen.
Joscha hat ganz recht, wenn er sagt, die SPD hat nicht bedrängt
durch diese Ereignisse, sondern hat ganz bewußt die Politik des
Kapitals gemacht. Aber: die SPD ist die Partei eines fiktiven
Kapitalismus, nämlich eines schon zum Staatskapitalismus
gediehenen. Sie tut so, als wäre der Kapitalismus schon von
einer Kommandozentrale auszumachen. Das bringt sie auch nebenbei
in Widerspruch zum konkreten Kapitalismus. Und das macht auch
ihre reformistische Qualität aus, ihre Fähigkeit, reformistische
Illusionen in der Arbeiterklasse zu bewirken. Nehmt z.B. ihre
Vorstellungen von Sozialpolitik, von Markterweiterungspolitik,
von Kaufkraftpolitik etc.; an so etwas würde ein Kapitalist nur
denken, wenn ihm garantiert ist, daß nicht mit den Löhnen oder
Steuern, die er bezahlt, Kaufkraft für seine Produkte geschaffen
werden soll; anderenfalls lehnt er solche sozialdemokratische
Politik mit Recht als schlechtes Geschäft ab. Und diese
Widersprüche zwischen der kapitalistischen SPD und den
Kapitalisten sind auch der Grund, weshalb es einen pseudo-linken
Flügel in der SPD geben kann, der so etwas wie
Sozialreformerisches draufhat, und der auch immer noch einen
großen Einfluß auf Teile der Arbeiterklasse hat. Und deshalb ist
es auch meine Meinung, daß man nicht so tun kann, als sei die
SPD hier versehentlich in die Repressionen reingeschlittert.
Vielmehr muß ihr reformerischer Teil -
soweit er fürs Kapital zu weit geht - jetzt abgebaut werden,
wenn sie an der Regierung bleiben will.
J. Seifert: Ich halte
die Analyse der Vorgänge im politischen Bereich deshalb für so
relevant, weil es nicht nur um den Beschluß der
Ministerpräsidenten geht. Parallel dazu läuft ja eine Kampagne
gegen linke Gewerkschafter und ein Bündnis zwischen den
sogenannten christlichen Gewerkschaftern mit Sozialdemokraten,
mit dem Ziel einer Ausschaltung von Kommunisten und den Gruppen
der «Neuen Linken» bei den Betriebsratswahlen und bei der
Aktivität in den Betrieben. Nur wenn wir den politischen Bereich
mit in die Analyse einbeziehen, wenn wir beispielsweise fragen,
welche Tendenzen gibt es in den Gewerkschaften, ist eine
sinnvolle Gegenstrategie zu bestimmen. Das ist deshalb wichtig,
weil wir nur dann entscheiden können, ob es aussichtsreich ist,
auf Widersprüche im bürgerlichen Lager etwa in der Weise zu
setzen, wie es bei der englischen Zehnstunden-Bill von 1847
geschehen ist. Dieses Gesetz ist bekanntlich ja nicht von der
englischen Arbeiterklasse im Frontalangriff erkämpft worden;
trotzdem nannte Marx eine solche Ausnutzung von Widersprüchen
den «Sieg eines Prinzips», einen Erfolg der «politischen
Ökonomie der Arbeiterklasse».
Ziel der Verfolgungen
A. Widmann: Es ist vielleicht besser, wir gehen hier
nicht weiter auf die SPD-Frage ein, sondern auf das Ziel der
Verfolgungen, wie es Joscha dargestellt hat. Er hat gesagt, auf
der einen Seite seien das Ziel die Kommunisten, auf der anderen
die Freisetzung des Staatsapparates von Linken, um die
Verfolgungen der Kommunisten zu garantieren. Wir hatten die
Sache so gesehen, daß es sich um eine neue Phase des
BRD-Imperialismus handelt, eine offensive Phase, die begleitet
ist von einer verstärkten Unterdrückung nach innen. Wir hatten
besonderes Gewicht auf die Bedeutung der öffentlichen Meinung
und deren Beherrschung gelegt. Wir haben nach unseren knappen
Recherchen den Eindruck gewonnen, daß eine neue Phase in dem
Sinne eingetreten ist, daß es nicht mehr so ganz gleichgültig
ist, was die Leute gesagt bekommen, wer in den Rundfunkanstalten
sitzt, wer die Kinder unterrichtet usw., sondern daß es jetzt
darum geht, ein ganz klares Programm unter die Leute zu bringen.
Die FAZ bringt seit der Unternehmertagung in Stuttgart, auf der
Miehlke so ein großes Programm entworfen hat, was die
Unternehmer zu machen haben. Der zweite Punkt seines Programms
war der, dem Dialektischen Materialismus eine ebenso in sich
geschlossene und in sich stimmige Weltanschauung
entgegenzustellen.
W. Lefèvre: Das wollen sie schon seit hundert Jahren.
A. Widmann: Seitdem finden wir auffällig häufig Artikel
in der FAZ mit der Tendenz, ein neues Bild der Unternehmer in
die Öffentlichkeit zu bringen, quasi als Leitbild, die freie
Marktwirtschaft als einzig richtige Wirtschaftsform zu
proklamieren; also grundsätzliche ideologische Artikel, in denen
wieder so etwas wie eine Weltanschauung hergestellt wird. Wir
sehen das in einem für uns ganz deutlichen Zusammenhang mit dem,
was sich in den Medien tut, z.B. wird das ganz deutlich bei dem
Gerangel um das Bayrische Rundfunkgesetz und das private
Fernsehen.
J. Seifert: Das hat aber auch
noch andere Gründe. Z.B. geht es dabei auch schlicht um den
Machtkampf im politischen Bereich, um den Kampf um
Einflußchancen gegen die Sozialdemokratie. Das überlagert sich,
weil für bestimmte Kapitalinteressen die SPD noch immer nicht
als zuverlässig genug gilt.
A. Widmann: Wir haben es uns so überlegt, und wir
möchten hier an die Resolution des ZK der KP China zur
Kulturrevolution vom 8. August erinnern, in der es heißt: die
Verschärfung eines Klassenkampfes in jedem Land beginnt immer
mit einem Kampf um die öffentliche Meinung. Es ist unser
Eindruck, daß es im Moment einen Kampf um grundsätzliche
ideologische «Weltanschauungsfragen» gibt. Das Kapital ist im
Moment offensiv und will die entsprechenden Posten mit hörigen
Leuten besetzen. Wir haben das, was sich im Moment abspielt,
mehr unter diesem Gesichtspunkt gesehen, als unter dem, das man
sagt, es bilden sich Gruppen, die zur Avantgarde des
Proletariats werden können, wenngleich sie es jetzt noch nicht
sind. Die Kapitalisten sehen das und schlagen deshalb zu.
J. Schmierer: Wenn ich da
gleich darauf eingehen kann. Das, was ich vorhin sagte, war
notwendig ziemlich verkürzt. Was viel wichtiger ist, sind nicht
die kommunistischen Grüppchen oder Gruppen, die sich bilden,
sondern wichtig sind die Bewegungen und Regungen in der
Arbeiterklasse selber, die spontane Reaktionen auf den
verschärften Druck sind. Ich meine, dort, wo es gelungen ist,
daß in bestimmter Weise Kommunisten auch eine Basis gefunden
haben, da liegt es natürlich auch an diesen objektiv bedingten
spontanen Bewegungen in der Arbeiterklasse selber. Ich bin
weithin mit der Frage der Propagandaoffensive einverstanden,
darauf komme ich auch später noch zurück. Ich sehe aber
andererseits schon die Möglichkeit der Organisation des
Proletariats. Auch die Propagandaoffensive hat das Ziel, dagegen
anzukämpfen. Wenn man etwa den Katzer im Bundestag reden hört,
daß der Linksradikalismus vor allem in den Betrieben und in den
Universitäten ständig zunehmen würde, muß man auf die
Reihenfolge achten, in der das genannt wird. Vor zwei Jahren
oder etwa 1968, wenn da solche Sätze gekommen wären, hätte man
von seiten der herrschenden Klasse so argumentiert, daß man
gesagt hätte: «Guck sie doch an, die Spinner, die haben
überhaupt nichts mit der Arbeiterklasse zu tun». Man muß
natürlich hier auf die Nuancen achten, die sich in der
Propaganda in der herrschenden Klasse zeigen. Wenn man von der
herrschenden Klasse ausgeht, so hat sie doch folgendes gelernt:
Die Studentenbewegung hat sie anfangs - und natürlich auch zu
recht - als Bewegung innerhalb der Bourgeoisie begriffen und hat
deswegen relativ verwirrt reagiert. Einerseits so, daß sie
durchaus versuchte zu diskutieren, andererseits so, daß auch
über das SDS-Verbot diskutiert worden ist. Heute hat die
herrschende Klasse gemerkt, daß die Studentenbewegung ihrerseits
vermittelt war über allgemeine Widersprüche des
BRD-Imperialismus, daß sie nicht einfach so eine Sache war, die
mal gekommen und dann wieder zusammengebrochen ist. Obwohl sie
als Studentenbewegung keinerlei Relevanz hat, ist sie doch
Symptom für bestimmte Entwicklungen innerhalb der BRD. Einige
Teile der Studentenbewegung haben bestimmte Entwicklungen
durchgemacht, die sie in die Lage versetzten, taktisch und
strategisch sich Überlegungen zu machen, die über das «In-den-Tag-reinleben»
der Studentenbewegung - das ja existiert hat - hinausgehen. Aber
dieser Aspekt der Propagandaoffensive ist ja wichtig, und da
sind wir auch in der Analyse, die wir im «Neuen Roten Forum»
abgedruckt haben, darauf eingegangen, insofern als es sich ja
nicht einfach um eine Sache handelt, wo man verschreckt reagiert
auf Entwicklungen in der öffentlichen Meinung,
sondern wo ganz zielbewußt — etwa von seiten des
BDI-Instituts — versucht wird, eine Kampagne mit allen Mitteln
einzuleiten. Nebenbei bemerkt ist das ein zusätzlicher Punkt,
der erklärt, warum auch Lehrer jetzt den Repressionen ausgesetzt
sind. Aber jetzt noch einmal zurück zu der Frage der Entwicklung
des BRD-Imperialismus und des Imperialismus überhaupt. Wir
müssen sehen, daß der Imperialismus heute nicht einfach bloßes
Objekt der Bewegung ist, wie er das lange Zeit gegenüber den
Befreiungskriegen etwa gewesen ist, sondern daß er heute
gegenüber den unterentwickelt gehaltenen Ländern bestimmte
Strategien zustande bringt, die Submetropolen schaffen, und wo
er zum Teil tatsächlich in der Offensive ist — und das
andererseits, und das ist entscheidend, die Offensive gegenüber
den revisionistischen Ländern, die überhaupt erst - jetzt
speziell im Hinblick auf den BRD-Imperialismus — die Chance
bietet, sich selber wieder als progressiven Faktor anzubieten.
D. h., die Propagandaoffensive hat in der Offensive des Kapitals
selber und in der Offensive des Imperialismus eine bestimmte
reale Basis. Das ist nicht einfach eine hysterische Reaktion auf
irgend etwas, sondern ist eine Offensive, die einer
politisch-ökonomischen Offensive entspricht, und die ihre Chance
gerade in den Entwicklungen innerhalb des ehemaligen
sozialistischen Lagers hat — und sich auch deshalb vorläufig als
so friedlich ausgeben kann. Die Tatsache, daß diese Offensive
sich als friedlich ausgeben kann, ist von ganz entscheidender
Bedeutung im Kampf um die Meinung der Massen. Deshalb ist auch
eine bloße euphorische Solidarisierungsstrategie der Linken in
der Weise, daß sie versucht, aufgrund der Repressionen eine
möglichst breite Solidarisierung zustande zu bringen, völlig
hilflos. Auf dieser Ebene kann man die Verteidigungslinie
überhaupt nicht ziehen, und deshalb sind auch die Reaktionen,
die seitens bestimmter Linker erfolgen, so erschreckend hilflos.
Ich meine, wenn man gegenüber der Entwicklung jetzt z. B. sagt,
es komme vor allem darauf an, wieder eine diskutierende
Öffentlichkeit herzustellen, wie wir sie 1968 oder 1967 zu
Anfang der Bewegung gehabt haben, dann wird überhaupt nicht
gesehen, daß gegenüber einer sehr viel bewußter gewordenen
Bourgeoisie nicht mehr die Mittel der Abwehrmaßnahmen und des
taktischen Verhaltens dieselben bleiben können, wie sie etwa
1968 aufgrund der Unsicherheit der Bourgeoisie hinsichtlich der
Einschätzung der Studentenbewegung bestanden haben. Andererseits
wird es auch nicht möglich sein, das alte Potential zu halten,
das die Studentenbewegung hervorgebracht hat, wenn man versucht,
eine Neuauflage der diskutierenden Öffentlichkeit zu schaffen.
Sondern wir werden auch an den Universitäten und in dem, was so
diffus als antiautoritäre Bewegung bezeichnet wird, dem Kapital
nur Widerstand leisten können, wenn wir Fortschritte in unserer
Arbeit machen, die sich ausrichten muß auf die real vorhandenen
Bewegungen in der Arbeiterklasse und auch
dort den Schwerpunkt setzen muß - sonst werden wir reichlich auf
den Arsch fallen bei dieser ganzen Sache. Ich sehe eine
entscheidende Gefahr darin, daß das, was ihr in Hannover gemacht
habt und was in den «Hannoveraner Info» propagiert wird, eine
völlig falsche Reaktion ergibt, wenn als strategische Maßnahme
eine «linke Öffentlichkeit herstellen» gefordert wird; hinzu
kommt noch die Sache mit der «Schaffung des inneren Feindes».
Hier liegt der Angriff tatsächlich bloß auf der Überbau-Ebene
des Kapitals, hier wird nicht mehr erklärt, hier kann auch die
Propagandaoffensive selber gar nicht mehr abgeleitet werden,
weil man gar nicht mehr sieht, daß es tatsächlich um reale
Gefahren für den Imperialismus geht, und deswegen auch bestimmte
Ideologien ausgeschaltet werden müssen — aber nicht die
Ideologie der freien Diskussion.
J. Seifert: Ich bin
direkt angesprochen Es gibt auch bei uns in Hannover
Unterschiede in der Beurteilung. Was Peter Brückner in
Heidelberg gesagt hat, ist nur ein Aspekt. Das macht Brückner in
seiner neuesten Veröffentlichung, die unter dem Titel
«Staatsfeinde» bei Wagenbach erscheint, selbst deutlich. Wichtig
ist das, was wir hier unter dem Stichwort «reale Bewegung»
zusammenfassen. Gerade die dabei entwickelten Basisaktivitäten
sollen getroffen werden. Die sogenannte Liberalisierung des
Beschlusses der Ministerpräsidenten, die unscharfe, nicht auf
Organisationszugehörigkeiten festgelegte Formulierungen des
Beschlusses läßt es heute zu, daß man sich einerseits mit der
DKP als Partei abfinden und sie bestehen lassen kann, daß
man zugleich aber alles, was an Basisaktivitäten geschieht, zu
treffen versucht — sei es nun in den Schulen und Hochschulen,
sei es in den Betrieben. Es gilt, diese neue Form der
gegenwärtigen Bestimmung des inneren Feindes zu erkennen:
Entscheidend für die Bestimmung als innerer Feind ist nicht die
Organisationszugehörigkeit, die Mitgliedschaft; getroffen werden
soll vielmehr eine ganz bestimmte Form der Aktivität an der
Basis. Ich halte es für falsch, wenn wir aus der bloßen Tatsache
der innerstaatlichen Feinderklärung ableiten würden, daß von den
davon betroffenen Gruppen hier und jetzt auch wirklich eine
Gefahr ausgeht. Nicht jeder, der zum inneren Feind gemacht wird
- denken wir an die Juden im NS-Regime — ist auch realiter eine
Bedrohung; trotzdem braucht man die Juden, trotzdem braucht man
das Baader-Meinhof-Etikett, trotzdem braucht man das Gespenst
einer Machtergreifung durch den «roten Faschismus». Für das
Verhalten der Sozialdemokraten bei der gegenwärtigen
Feinderklärung ist es allerdings auch von Bedeutung, daß sich
die SPD gerade durch Basisaktivitäten in Frage gestellt sieht.
Je mehr die Sozialdemokratie den Kontakt zur Basis verliert, je
mehr diese Partei objektiv die Funktion eines Ordnungsfaktors
zur Aufrechterhaltung der kapitalistischen Produktionsweise
erfüllt und sich auf Einflußchancen in den Massenmedien verläßt,
desto mehr wird für sie jede
Basisaktivität zur Bedrohung. Deshalb wird es für einige
Sozialdemokraten zu einer Existenzfrage, zu sagen, daß alles,
was sich links von ihnen tut, in einem verbotenen Raum
geschieht. Wenn man das weiß, macht man sich keine Illusionen
über die Herstellung einer diskutierenden Öffentlichkeit. Wem
bekannt ist, wie die KPD in den 5oer Jahren zerschlagen worden
ist — mit legalen Mitteln und mit Mitteln außerhalb der
Legalität — und welche Rolle gerade bei diesen Maßnahmen die
nicht vorhandene Öffentlichkeit spielte, der muß -so meine ich -
fragen, wie kann man eine neue Erzeugung des Verschweigens, des
Totschweigens verhindern, wie können wir Einbrüche erzielen...
J. Schmierer: Das kann
doch kein Selbstzweck sein...
J. Seifert: Darüber sind
wir einig. Ich halte die Abstraktion «die» Öffentlichkeit schon
für eine den Blick trübende Verselbständigung. Hier geht es
konkret um die Frage, in welchem Umfang werden
Verfolgungsmaßnahmen über den Kreis der unmittelbar Betroffenen
hinaus noch bekannt, in welchem Umfang finden Aktivitäten an der
Basis noch eine überregionale Resonanz? Wer meint, das würde
sich naturwüchsig regeln, der verkennt, daß wichtige
Aktionsformen von der studentischen Protestbewegung ja
entwickelt worden sind, um sich auf die Weise Gehör zu
verschaffen! Wenn wir davon ausgehen, daß Basisaktivitäten in
einer spezifischen Weise Resonanz erzeugen können und daß es bei
den kommenden Auseinandersetzungen gerade auf diese Formen des
Widerhalls an der Basis ankommt, dann kann es uns dennoch nicht
gleichgültig sein, ob Unterdrückungsmaßnahmen der Staatsgewalt
von liberalen Medien registriert oder überhaupt nicht zur
Kenntnis genommen werden. Deshalb ist die Analyse des
politischen Bereichs so eminent wichtig, deshalb kommt es
auch darauf an, jede Chance zu nutzen, jeden Ansatz
aufzuspüren, um zu verhindern, daß sich über die
Repressionsmaßregeln ein Schleier des Schweigens senkt. Deshalb
kann es sich die Linke nicht leisten, nur wegen bestimmter
Organisationszugehörigkeiten andere vor den Kopf zu stoßen, die
sich gleichfalls gegen den Beschluß der Ministerpräsidenten
wenden. In der gegenwärtigen Situation ist die Gewerkschaft
Erziehung und Wissenschaft ein wichtiger Faktor. Es wäre falsch,
die Kritik linker Sozialdemokraten und auch die Proteste der DKP
einfach abzutun. Hier ist es teilweise allerdings notwendig, die
Argumente zu kritisieren, mit denen der neuen innerstaatlichen
Feinderklärung entgegengetreten wird. Doch primär geht es heute
darum, zu verhindern, daß die zweite Unterdrückungswelle in der
BRD zu ähnlichen Ergebnissen führt, wie die Verfolgung der KPD
in den 5oer Jahren.
W. Lefèvre: Ich bin ganz einig mit euch, daß man
langfristig überhaupt nur arbeiten kann, wenn man sich durch
solche Repressionskampagnen wie im Augenblick überhaupt nicht
beirren läßt bei dem, was man Kleinarbeit
nennen kann. D. h., Arbeit an den z. T. noch schlechten, z. T.
schon besseren Bewegungsansätzen der Klassen selber. Nur,
aktuelle Schläge der Konterrevolution beantwortet man, das war
einmal ein geflügeltes Wort im SDS - und ich denke, ein
richtiges -, nicht mit der Ankündigung langfristiger Wühlarbeit.
Wir wissen natürlich, die Arbeiterklasse Deutschlands ist nicht
mehr so passiv wie vor zehn Jahren, aber sie ist z. B. noch
nicht bereit, gegen Repressionsmaßnahmen, wie sie im Moment
laufen, aufzutreten - obgleich sich diese Maßnahmen ja nicht
nur, der Joscha hat das ja vorhin gezeigt, gegen die
Intelligenz, sondern - wie die Novellierung des BVG, die
Konzentration des Polizeiapparates usw. zeigen - auch gegen die
Arbeiterklasse selber richten. Du stehst also vor dem alten
Problem der Linken der letzten zehn Jahre: Müssen wir die
verschiedenen präventiven Maßnahmen des kapitalistischen
Staatsapparates hinnehmen, weil sich die Arbeiterklasse nicht
zureichend oder manchmal auch gar nicht zur Wehr setzt, oder
müssen wir nicht mit den vorhandenen Kräften einen Abwehrkampf
führen, auch wenn wir dabei in die sektiererischen Gefahren
geraten, die mit jeder Sorte «stellvertretenden Klassenkampfs»
verbunden sind. Und ich denke, du kommst nicht umhin, dich in
diese Gefahren hineinzubegeben, mit dem jetzt vorhandenen
Potential Defensivschlachten zu führen, und zwar ohne Rücksicht
darauf, ob das nun Bürgersöhnchen sind oder nicht.
Strategie-Ansätze
J. Schmierer: Damit du
mich nicht mißverstehst, wir haben niemals aufgehört an der
Universität zu arbeiten. Wir sind nie zu einer
Intellektuellen-Verachtung gekommen. Vielleicht gerade deshalb,
weil wir keine übertriebenen Hoffnungen hatten ...
D. Hildebrandt: Wir haben niemals aufgehört, das zu
führen, was wir den demokratischen Kampf genannt haben. Wir sind
niemals übergegangen von der Euphorie der Bewegung zu neuen
angeblich möglichen direkten Veränderungen der Gesellschaft, wie
sie in den Konzepten von Rätestrukturen, Basisdemokratie
diskutiert wurden, oder wie das auch immer geheißen hat. Wir
haben vielmehr niemals aufgehört, den demokratischen Kampf, d.
h. die Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Staatsmacht, auch
auf der Ebene der demokratischen Rechte, zu führen. Wir haben
uns also niemals grundsätzlich gegen die mögliche Ausnutzung von
Bündnismöglichkeiten und Öffentlichkeit ausgesprochen - aber
heute geht es doch um die Analyse dessen, was passiert. Und da
steht doch fest, daß etwa der Beschluß der Ministerpräsidenten
die klare Stoßrichtung hat, politische Gruppen an der
Universität direkt zu treffen. Sie sollen nicht mehr auftreten
können, ohne zu riskieren, ihre Berufsperspektive zu verlieren.
Das Ziel ist also nicht so sehr die Einigung des
Lehrerapparates, sondern die Verhinderung des offenen
politischen Auftretens - und das wird sich noch verschärfen. Und
da stellt sich die Frage - und darum ist die Analyse so wichtig
- welche Bündnisse man schließt und mit
welchen Argumentationen man sich an die demokratische
Öffentlichkeit wendet. Man sieht z. B., daß jetzt im Bewußtsein
der Schwäche und in einer gewissen Hysterie eine Politik mit
falscher Stoßrichtung gemacht wird. Man versucht, Maßnahmen, die
heute durchaus innerhalb der bürgerlichen Demokratie
durchgesetzt werden, mit den Prinzipien bürgerlicher Demokratie
zu schlagen. Also ein breites Bündnis herzustellen, das sich auf
die Verfassung beruft, das die Bourgeoisie zwingen will, ihre
Maßnahmen aufgrund ihrer eigenen abstrakten Gesetzlichkeit
zurückzunehmen. Viele Gruppen geben im Augenblick bei der
Bestimmung der Bündnisse Grundpfeiler einer sozialistischen
Bündnispolitik auf, weil sie bei der Analyse nicht klar genug
gesehen haben, daß sich das, was im Augenblick geschieht, gegen
die sich herausbildende Avantgarde der Arbeiterklasse richtet
und damit natürlich in der Konsequenz auch gegen alles, was noch
irgendwie als oppositionell angesehen werden kann. Diese
Bündnisse werden natürlich in der Abwehr dieser Maßnahmen
scheitern.
J. Schmierer:
Ich habe ja schon gesagt, die alte Taktik der
Solidaritätskampagne geht nicht mehr, weil klar ist, daß auf der
Ebene der bloßen Solidaritätsdemonstration mit einzelnen
besonders Betroffenen der breit angesetzten Verfolgungskampagnen
nicht begegnet werden kann. Inzwischen ist es doch so, daß die
Studenten schon fürchten müssen, in Seminaren aufzutreten, für
das Studentenparlament zu kandidieren, weil das ihre
Angehörigkeit zu einer politischen Organisation offenlegt und
das Berufsverbot nach sich zieht. Wir können nur dadurch wieder
in die Offensive kommen, wenn wir unsere Politik ändern, und
zwar auch an der Universität nachweisbar ändern. Wir müssen für
die Studenten nachprüfbar auf die realen Bedingungen, die in der
Arbeiterklasse da sind, eingehen. Müssen sie an der Universität
vermitteln, wobei das Entscheidende ist, daß wir diese Politik
nicht verlogen vermitteln. Das würde die ganze Resignation auf
einer neuen Ebene wieder hervorbringen.
W. Lefèvre: Was heißt das konkret? Z. B. Sommersemester
72 Heidelberg? Du kannst doch jetzt, wo die Repressionswelle
läuft, nicht eine auf 1975 ausgerichtete Politik vorstellen.
J. Schmierer: Da in
Heidelberg die Studentenbewegung noch intakt ist, nicht
auseinandergebrochen, die diskutierende studentische
Öffentlichkeit also vorhanden ist, wäre es ziemlich leicht für
uns, im Rahmen einer taktischen Entgegnung auf die Re-pressionen
eine Solidaritätskampagne durchzuführen. Es würden dafür
wahrscheinlich viele auf die Straße gehen. Was würde das aber
helfen, wenn wir ganz genau wissen, daß solche
Solidaritätsaktionen praktisch dauernd nötig wären, denn Mandel
ist natürlich weder der erste noch der letzte -warum sollte man
nicht für jeden Lehrer auf die Straße gehen? Wir sind gezwungen,
durch diese Verfolgungsmaßnahmen unsere ganze Politik an der
Universität zu überprüfen. Wir müssen uns jetzt schon überlegen,
wie wir zu bestimmten Formen der politischen Arbeit übergehen,
die nicht sofort die ganze Organisation offenlegen und alle
Sympathisanten faßbar macht. Das ist das eine. Das andere ist,
daß wir versuchen müssen, an der Universität - und das ist das
Entscheidende der Arbeit an der Universität — einen
strategischen Blick zu entwickeln.
Dadurch etwa, daß man auf die realen Bewegungen in der
Arbeiterklasse zielt, und das ist zunächst mal
Aufklärungsarbeit. Hier kommt es sehr auf das Wie dieser
Aufklärungsarbeit an. Man darf den Studenten kein falsches Bild
der Arbeiterklasse vorführen, schon gar nicht auf dem
Hintergrund spektakulärer Ereignisse, sondern man muß in den
Studenten die Fähigkeit entwickeln - und das hat der SDS und die
Studentenbewegung in weiten Teilen nie gemacht - sich in realen
Situationen zurechtzufinden. Das ist der entscheidende Punkt.
Wenn uns das gelingt, dann führt auch das taktische Nachgeben in
bestimmten Situationen nicht zu Resignation. Wie kann man — und
das ist doch eine entscheidende Frage - ein Bewußtsein
entwickeln, das die Studenten und die Intellektuellen überhaupt
von ihrer falschen Spontaneität herunterbringt. Wir müssen doch
unsere eigenen früheren Auffassungen auch in der Weise
bekämpfen, daß wir klarmachen, daß Spontaneität zwar wichtig
ist, aber doch überwunden, zu Bewußtsein werden muß. Sie muß
übergeführt werden in bewußtes Handeln. Wobei bewußtes Handeln
in zunehmendem Maße sich von spontanem Handeln unterscheiden
wird.
J. Seifert: Resignation
ist immer nur einfache Negation, in ihr werden Erfahrungen nicht
auf eine neue Ebene gehoben.
W. Lefèvre: Meines Erachtens ist es richtig, zu sagen,
daß die nächste Offensive der Sozialisten erst von einer ganz
anderen sozialen Grundlage aus geführt werden kann, nämlich von
der dem Sozialismus allein angemessenen Grundlage der
Arbeiterklasse aus. Auch hat Joscha recht, wenn er betont, daß
jeder Versuch von Politik, der so tut, als habe die
Studentenbewegung die Apo, keine Niederlagenerfahrungen gemacht,
scheitert und nur dazu beiträgt, daß die gegenwärtigen
sozialistischen Kräfte, wie es zu einem bedauerlich großen Teil
schon der Fall ist, der Resignation verfallen. Dennoch denke
ich, daß das Zurückweichen, auf das man sich jetzt einrichten
muß, um sich die aufbauende Kleinarbeit nicht zerschlagen zu
lassen, nicht ohne Resignation abgehen wird, wenn man nicht auch
Defensivschlachten führt. Auch meine ich nicht, daß wir über
keinerlei machtpolitische Mittel verfügen. Der Widerstand, den
wir z.B. an den Universitäten ausüben können - Streik,
Erzwingung der Schließung oder ähnliches
-, ist sicherlich der gegenwärtigen Repressionswelle
unangemessen, weil sich diese in erster Linie ja gar nicht gegen
die Intelligenz richtet. Aber ist diese Einsicht vielleicht ein
Grund, auf derartigen Widerstand zu verzichten?! Die wenigen
Möglichkeiten von Abwehraktionen und auch Abwehrschlachten, die
wir haben, können wir doch nicht ungenutzt lassen, bloß weil sie
insgesamt unzureichend sind, angesichts des Charakters der
gegenwärtigen Offensive der bundesrepublikanischen Kapitalisten
und ihres Staatsapparats. Würden wir diese Möglichkeiten
ungenutzt lassen, dann müßten wir auch in Kauf nehmen, daß die
sozialistischen Kräfte, mit denen wir jetzt rechnen können,
nicht für die von Joscha beschriebene langfristige Arbeit
gewonnen werden können, sondern in Apathie verfallen oder den
sozialdemokratischen Weg gehen.
J. Schmierer: Du hast
jetzt das Bild etwas sehr strapaziert, und zwar so, daß auch
wirklich Fehler dabei herausgekommen sind. Ich meine, daß wir im
Gegenteil sowohl ideologisch als auch organisatorisch bestimmte
Positionen errungen haben, die es uns erlauben, z. B. diesen
Verfolgungsmaßnahmen standzuhalten. Wir werden bei diesen
Verfolgungsmaßnahmen noch dazulernen, und ich glaube nicht, daß
das zur Auflösung etwa der Massenbasis an der Universität führen
wird. Das wäre auch ein schwerer Schaden für die Kämpfe der
Arbeiterklassen. Es ist ganz klar, unsere Pflicht als
Kommunisten ist es, von den Kämpfen der Arbeiterklasse
auszugehen, jeden Kampf von dieser Position aus zu führen und
die erreichten Positionen in der Studentenbewegung nicht
aufzugeben. Aber die Frage ist, wie können diese Positionen
verteidigt werden und wie können sie so verteidigt werden, daß
sie nicht zu Niederlagen, sondern zur ideologischen und
organisatorischen Stabilisierung führen.
Was du da eben gesagt hast, hat zwar deinen Intentionen
ziemlich widersprochen, aber du hast doch so etwas wie eine
letzte Schlacht Vesuv beschrieben und zwar damit, daß du gesagt
hast: Solange die Herrschaftsseite nicht mit ihren Repressionen
nachgibt, solange werden wir dafür sorgen, daß die Universität
nicht funktioniert. Das ist ein ganz illusionäres Konzept, weil
es nach wie vor die Auseinandersetzung auf den Staat beschränkt
und zwar dort, wo schon was passiert ist. Während wir umgekehrt
alle Kämpfe danach bestimmen müssen, wie sie in Beziehung zu den
Kämpfen der Arbeiterklasse stehen und wie wir als Kommunisten
dann in diese Kämpfe einzugreifen haben. Ich spreche überhaupt
nicht gegen den Kampf, den führen wir noch ziemlich intensiv in
Heidelberg, ich spreche aber dagegen, daß wir falsches
Bewußtsein in der Studentenbewegung stabilisieren, daß wir
selber uns diesem falschen Bewußtsein unterwerfen. So werden wir
nicht in der Lage sein, diesen Verfolgungsmaßnahmen zu begegnen.
Wir müssen gerade darüber eine Diskussion in der Universität
zustanden bekommen, wie wir diesen Angriffen, die nicht mehr
primär gegen die Studentenbewegung gerichtet sind, adäquat
begegnen können. Und da komme ich auf den Propaganda-Feldzug
zurück. Die Konsolidierung hat doch inzwischen ganz andere
Formen angenommen, und wir brauchen doch nicht auf die
Erwartungen, die die Bourgeoisie uns gegenüber hat, hereinfallen
und genau so reagieren, wie sie es erwartet.
J. Seifert: Ich halte
das Wort Rückzug für nicht angemessen. Es handelt sich in der
gegenwärtigen Phase noch weitgehend um einen Propaganda-Feldzug.
Es wäre ein Fehler, das nicht zu erkennen. Getroffen werden
sollen ganz bestimmte Aktivitäten an der Basis. Aber gerade
solche Arbeit ist durch Kampagnen, die bisher primär in den
Massenmedien geführt werden, nicht ohne weiteres lahmzulegen.
Das ist die Stärke jeder wirklichen Basisarbeit.
A. Widmann: Ich sehe einen wesentlichen Unterschied
zwischen dem was Lefèvre und Schmierer sagen darin, daß Lefèvre
im Hintergrund dauernd die Vorstellung von den großen Massen der
Studenten hat, die man nicht einfach fallen lassen darf -während
Schmierer dauernd die ideologische und organisatorische
Festigung betont. Er argumentiert doch so, wenn er sagt, daß man
gerade durch diese ideologische und organisatorische Festigung
den Massen der Studenten hilft. In bestimmten Situationen aber
gerade nicht dadurch, daß man sie praktische Erfahrungen im
Sinne einer Rektoratserstürmung machen läßt.
D. Hildebrandt: Der Erfolg der Aktionen von dieser Art
1967 bis 1970 beruhte doch darauf, daß sie aufbauen konnten auf
dem demokratischen Bewußtsein großer Teile der Studenten, die
die Institutionen verändern oder letztlich gar abschaffen
wollten, nach den Vorstellungen, die sie sich von ihnen gemacht
hatten, d. h. von deren notwendiger demokratischer Struktur.
Ihre Stoßkraft kam aus der Illusion einer möglichen linearen
Ausbreitung der Bewegung. Das hat dann dazu geführt, daß man
damals sagte, der SDS definiere sich in der Aktion. Das führte
zur Ausschaltung von bestimmten Diskussionen und das wiederum
zur zunehmenden Zersplitterung, weil die Aktionen eben nicht zur
weiteren linearen Ausdehnung geführt hatten. Aus dieser
Zersplitterung entstanden zwei Pole: erstens der Versuch der
«Erneuerung der Demokratie», den revolutionären Kampf eben darum
versacken zu lassen, im Grunde also seinen Frieden mit der
Bourgeoisie zu machen, und diese Teile gingen zur DKP. Gerade
aus dieser Resignation - angesichts des Ausbleibens der
erwarteten Ausbreitung - die den Ausweg dann nur noch im Kampf
für die «Erneuerung der Demokratie» sieht, erklärt sich dann
auch der dort überraschende Erfolg vom Spartakus und SHB an
einigen Universitäten. Diese Politik wird im Kampf gegen die
Repression scheitern, denn alle Versuche, etwa der DKP, sich
ganz lammfromm zu geben, immer wieder zu unterstreichen, daß man
auf dem Boden des Grundgesetzes steht, schützen sie nicht vor
den Angriffen der Staatsmacht, es sei
denn, sie verzichten auch auf den geringsten Anlaß. Der zweite
Pol ist der, der sich ein wenig in den Diskussionen über die
Militanz äußert, in den Fragen des sofortigen Widerstands. Hier
wird gesagt, wir dürfen nicht zurückweichen, wir müssen der
Staatsgewalt eins auswischen. Hier wird die strategische
Richtung der Aktion wieder nur aus der Aktion selber, aus dem
Widerstand, abgeleitet und nicht aus der Analyse und Diskussion
der gegenwärtigen Situation. Hier meine ich all das, was um die
Diskussionen des bewaffneten Kampfs in den Metropolen kursiert.
Eine ganz gefährliche Sache dabei ist, daß gerade solche
Gruppen, die in der Studentenbewegung keine oder kaum Praxis
hatten, sich in einer linksradikalen Attitüde mit verfolgten und
in die Enge getriebenen Gruppen oder Einzelnen in der Weise
«solidarisieren», daß sie darüber theoretisie-ren und
leichtfertig die These verbreiten, es sei jetzt und heute direkt
bewaffneter Widerstand zu leisten, ohne daß sie selber es tun,
sich also mit der Praxis und dem Heroismus anderer schmücken.
Bei der Durchführung der Solidaritätsaktionen, oder besser, des
demokratischen Kampfes, müssen wir darauf achten, daß die
Bündnisse eine materielle Grundlage und eine praktische
Perspektive haben. Sie können nicht mehr einfach
Solidaritätsaktionen aus dem Bewußtsein der Verletzung der
Demokratie sein, von den demokratischen Spielregeln ausgehen,
sondern müssen die Möglichkeiten tatsächlicher praktischer
Arbeit aufgreifen. Wir müssen bei der Frage der Bündnisse - und
hier spielt die Gewerkschaftsarbeit u. a. eine Rolle - darauf
achten, gegen wen sich der Schlag richtet und wer mitgetroffen
wird. Deswegen ist die Analyse so wichtig. An der Universität
ist es noch verhältnismäßig einfach, weil hier unter den
Studenten ein Interesse daran besteht, in der Auseinandersetzung
mit der Repression und den Gang der monokapitalistischen
Hochschulreform - die sehr wohl vermittelbar ist mit dem
Anspruch des demokratischen Staates und damit dem spontanen
Bewußtsein der Studenten - den Kampf mit
den Kämpfen der Arbeiterklasse zu vermitteln. So kann der
Studentenbewegung eine Perspektive für den demokratischen Kampf
gegeben und die Massenbasis erhalten werden.
J. Seifert: Aber bewußte
Aktion heißt doch, ein ganz bestimmtes Ziel vor Augen zu haben.
Ich muß analysieren, was hier und jetzt möglich ist...
D. Hildebrandt: Es gibt doch keine «sicheren» Aktionen
...
J. Seifert: Es gibt keine
sicheren Aktionen, das ist klar. Es gibt im voraus auch nie die
Sicherheit, daß das, was wir tun, tatsächlich «systemüberwindend»
ist. Das gilt für jede Form der Basisaktivität ebenso wie den
Glauben an bestimmte Organisationsformen; denn jedes Ding ist
heute, so heißt es bei Marx, «schwanger mit seinem Gegenteil».
Wichtig ist es, unsere Aktivitäten in den konkreten Zusammenhang
einzuordnen, der sich aus der ökonomischen Entwicklung der
historisch-sozialen Situation und aus den
politischen Kräfteverhältnissen ergibt. Aber nur dann kann unser
Tun «systemüberwindend» werden, wenn es uns gelingt, unsere
heutige Aktivität zu einer Stufe auf dem Wege der Abschaffung
des Prinzips der Lohnarbeit zu machen. Ob etwas in dieser
Weise zum Hebel wird, darüber entscheidet allein die
weitere Form unserer praktisch-kritischen Tätigkeit.
J. Schmierer: Wie führt man
diese Kämpfe aber im richtigen Bewußtsein? Da ist natürlich die
Frage, wie man den Erfolg ansetzt, wichtig, Aber falsch ist es,
den Erfolg darin zu sehen, ob man etwas erreicht hat, was die
Eroberung von Positionen an der Universität etwa im Sinne von
einem «sozialistischen Studium» angeht. Ich glaube nicht, daß
man da -denn die Studentenbewegung ist noch nicht Teil einer
breiten Massenbewegung - viel erreichen kann. Auch kann man
nicht den Staat zwingen, bestimmte Repressionsmaßnahmen
rückgängig zu machen. Den Erfolg hier anzusetzen, heißt gerade
sozialdemokratische Kriterien anzuwenden. Unsere
Erfolgskriterien müssen ideologische Klarheit und
organisatorische Stärke sein. Denn unser Ziel muß sein, immer
mehr Teile der Studenten von der Bourgeoisie zu trennen. Und nur
soweit können Reformen oder Rücknahmen von Repressionsmaßnahmen
durch die Bourgeoisie als Erfolg verbucht werden, wenn sie die
Trennung von der Bourgeoisie
stabilisieren. Auf der Ebene des unmittelbaren Erfolgs kann man
Abwehrkämpfe nicht erfolgreich führen. Würde etwa das
Einreiseverbot für Mandel zurückgenommen, so wäre der Grund
nicht in den Aktionen der Linken zu suchen, sondern in der
Uneinigkeit der Bourgeoisie. Ich meine, daß wir uns nicht ducken
müssen, daß wir uns nicht verstecken müssen. Ich meine aber
auch, daß jede Aktion nicht danach bemessen sein kann: wirkt das
jetzt spektakulär, gewinnen wir damit Einfluß auf die
Widersprüche innerhalb der bürgerlichen Presse, sondern der
entscheidende Punkt ist, wie stabilisieren wir die Ansätze von
revolutionärem Bewußtsein, die sich in diesen Bewegungen gezeigt
haben. Und da gewinnt der ideologische Kampf eine zentrale
Bedeutung, weil wir die Verhinderung der Unterwerfung unter die
Bourgeoisie nicht so erreichen können, daß wir sagen, wir führen
jetzt Aktionen durch, die die Grenzen der bürgerlichen Legalität
durchbrechen. Das halte ich für ganz falsch, denn gerade der
Spartakus profitiert ja von den Leuten, die sehr wohl solche
Aktionen gemacht haben. Die bloße Gesetzesübertretung wäre ja
erst dann stabilisierend, wenn man objektiv nicht mehr
zurückgehen könnte. Der wichtigste Punkt ist vielmehr der
ideologische Kampf gegen diese Neigung der Unterwerfung unter
die Bourgeoisie, die gerade darin ihre materielle Grundlage hat,
daß der größte Teil noch zurück kann. Denn diese
Repressionswelle läßt Auswege offen. Es soll ja nicht die
bürgerliche Intelligenz vernichtet werden, sondern es soll
verhindert werden, daß Teile der Intelligentz sich von der
Bourgeoisie abspalten und bewußt an der Seite der Arbeiterklasse
kämpfen.
W. Lefèvre: Wir wissen, daß ganz unabhängig davon, was
nun die DKP ist und was einige studentische Organisationen sind,
die sich leninistische Parteien oder so ähnlich nennen - daß
völlig unabhängig davon natürlich eine reale Bewegung der Klasse
in tausendfältiger Form, in jeder Fabrik usw. stattfindet und
die sich in rudimentären organisatorischen Ansätzen
niederschlägt, die, wenn's hochkommt, als Zirkelwesen, manchmal
sind es auch nur Freundeskreise u. ä., bezeichnet werden können.
Angesichts dieser Situationen, denke ich, ist es nur eine
abstrakte Auskunft für jemand, der jetzt als Lehrer nach
Oldenburg geschickt wird, wenn man ihm sagt, du mußt jetzt deine
Berufsperspektive innerhalb der Bündnisperspektive sehen und
dich an der Arbeiterbewegung orientieren und zwar an dem
Aktionsprogramm ihrer organisierten Vorhut. Und der fragt, wo
ist det?
J. Schmierer: Ich würde es viel
schärfer fassen. Ich würde sagen, daß das an den Schulen in den
größeren Städten gar nicht anders ist. Gerade in der Frage der
«revolutionären Berufsperspektive» hat sich gezeigt, daß in dem
Moment, wo der Beruf tatsächlich von vielen Genossen aufgenommen
worden ist, gar keine Perspektive war, sondern daß natürlich
gerade der Beruf am festesten in der Hand der Bourgeoisie ist.
Jetzt können wir doch nicht so reagieren, daß wir gegenüber der
Illusion von der «revolutionären Berufsperspektive» den
liberalen Unterricht als Möglichkeit anbieten. Sondern die
Antwort muß im Rahmen eines strategischen Konzepts gegeben
werden, so abstrakt das tatsächlich in vieler Hinsicht heute
noch ist, nämlich auf der Ebene der Schaffung einer politischen
Organisation, die in der Lage ist, die Kämpfe des Volkes unter
der Führung der Arbeiterklasse anzuleiten. Wir dürfen aber nicht
übersehen, daß die «revolutionäre Berufsperspektive» für viele
Genossen ein strategisches Konzept gewesen ist, dem die Meinung
zugrunde lag, die Studentenbewegung könne sich einfach so in das
Volk ausdehnen. Wir müssen diesem strategischen Konzept ein
strategisches Konzept entgegensetzen. Und wenn wir dieses
strategische Konzept, das jetzt zugegeben zunächst mal abstrakt
ist, dem entgegenstellen und auch erklären, warum das so sein
muß, dann, glaube ich, können wir wieder praktische
Handlungsanweisungen bis in die Berufssphäre reingeben. Wir
müssen gerade für die Schulen - was völlig versäumt wird - ein
Programm angeben, das sich eben in solche Sachen einläßt, wie
Kampf gegen das Beamtenrecht, Kampf gegen die zusätzliche
politische Unterdrückung, die in diesen Berufen mit Hilfe des
Beamtenrechts ausgeübt wird. Wir müssen andererseits in der Lage
sein, auch solchen Notwendigkeiten zu entsprechen, wie den, daß
es gar nicht möglich ist für den einzelnen Lehrer z.B. einen
materialistischen Unterricht zu machen. D.h., wir müssen
Organisationsformen finden und schaffen - und wir versuchen das
auch - die es erlauben, solche Sachen wie Unterrichtshilfe für
fortschrittliche Lehrer zu entwickeln.
Aber das wiederum können wir nur, wenn wir von einer
revolutionären Strategie ausgehen, die sich auf die
Arbeiterklasse stützt und die auch dann diese Tätigkeiten im
Schulbereich richtig einschätzen kann - ohne Illusionen. Denn
was nun jetzt dauernd ins Kreuz schlägt, sind die Illusionen,
die wir selber gesät haben.
W. Lefèvre: Also, was nicht geht, ist meines Erach-tens:
In einer Mathematikaufgabe kannst du dir zehn borgen, wenn du
von sieben zwölf abziehen mußt; du kannst aber nicht, um eine
Strategie zu entwerfen, dir die Arbeiterpartei gedanklich
borgen...
J. Schmierer: Du hast
die Alternative so dargestellt, wie sie nach meiner Auffassung
historisch schon nicht mehr stimmt. Das klingt praktisch so, daß
man entweder sagen müßte: wir sind die Partei der
Arbeiterklasse, wir zeigen euch die Perspektive, oder daß wir
sagen müßten, wir sind ein Intelligenzler-Zirkel, der versucht,
marxistisch-leninistisch zu sein. Diese
Alternative hat faktisch aufgrund der tatsächlichen historischen
Situation existiert. Diese Situation ist aber in bestimmter
Weise überwunden. Wir können von den lokalen Zirkeln, von denen
ich jetzt ausgehe, die es vermieden haben, sich irgendeiner
Partei anzugliedern, heute nicht mehr sagen, daß sie schlicht
Intelligenzler-Zirkel seien, selbst wenn dort die Intelligenz
noch überwiegt. Wir dürfen aus ihrer mangelnden Verankerung in
der Arbeiterklasse kein Hehl machen. Wir können nicht gegenüber
Bewegungen außerhalb der Arbeiterklasse genausowenig wie
gegenüber Bewegungen innerhalb der Arbeiterklasse einfach als
Führung auftreten. Das ist ganz klar. Wir müssen also sehen, daß
die kommunistischen Organisationen in die Lage kommen, gerade in
bezug auf ihre Fortschritte, in bezug auf ihre Arbeit in der
Arbeiterklasse und in bezug auf ihre Erfahrungen, die sie in
bestimmter Weise dort machen, auch eine politische und
organisatorische Perspektive für die Genossen zu entwickeln, die
in den Berufen stehen. Praktisch wird sich das niederschlagen
müssen etwa im Aufbau einer politischen Propagandazeitung
in der Arbeiterklasse.
Editorische Hinweise
Die Diskussion wurde
entnommen:
Ästhetik und Kommunikation, Nr. 8, Reinbek, Juni 1972, S. 6-16
Die
Diskussion fand am 23. März 1972 in Frankfurt (IKAe) statt.
*) Joscha Schmierer
Redaktion Neues Rotes Forum.
Dietrich Hildebrandt Redaktion Neues Rotes Forum.
Prof. Dr. jur. Jürgen Seifert Seminar Wissenschaft
von der Politik der Technischen Universität Hannover.
Wolfgang Lefèvre dessen Anstellung als
Wissenschaftlicher Assistent am Philosophischen Seminar der
Freien Universität Berlin vom Berliner Wissenschaftssenator
untersagt wurde. Arno Widmann
Redaktion Ästhetik und Kommunikation.
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