trend spezial:  Die Aufstände in Nordafrika

Erklärung der ICOR zum Volksaufstand in Tunesien
vom ICC - International Coordinating Committee, 23. Januar 2011

02/11

trend
onlinezeitung

1 – Am Freitag, 17. Dezember 2010, verbrannte sich Mohamed Bouazizi, ein junger, arbeitsloser Akademiker von 26 Jahren. Er opferte sich selbst, nachdem die Ortspolizei von Sidi Bouzid seine einzigen Mittel für seinen Unterhalt konfiszierte, nämlich einen Karren zum Verkauf von Obst und Gemüse. Das war der Auftakt für einen Volksaufstand, der am Freitag, dem 14. Januar 2011 in der Flucht des Diktators Ben Ali nach Saudi Arabien seinen vorläufigen Höhepunkt fand. Der Aufstand richtete sich gegen den Hunger, das Elend und die Arbeitslosigkeit, die besonders die Jugend trifft und gegen das undemokratische Ben Ali-Regime.

2 – Im ganzen Land brachen spontan Straßendemonstrationen, Versammlungen und Streiks gegen das Regime von Ben Ali unter der Führung dortiger revolutionärer Aktivisten der Arbeiterklasse aus. Die Protestierenden fordern Brot, Arbeit für die Jugend und das Recht auf ein würdevolles Leben.

3 – Angesichts dieser Revolte der ausgebeuteten und ihrer Zukunft beraubten Jugend antwortete die herrschende Klasse mit einem Kugelhagel, bei dem über 100 Menschen ihr Leben verloren.

4 – Angesichts dieses Blutvergießens hat die Bourgeoisie der „demokratischen“ Länder keinen Finger gehoben, um die Barbarei des Regimes zu verurteilen und die Beendigung der Repression zu fordern. Stattdessen sind verschiedene Imperialisten und Kompradoren- Komplizen dieses Gemetzels! Selbst die bürgerlichen Medien verbreiten nur ein unvollständiges und verzerrtes Bild über die Verbrechen von Ben Ali.

5 – Nach dem blutigen Wochenende vom 8. und 9. Januar 2011 bot der französische Staat noch offen seine Unterstützung für den rücksichtslosen Diktator an. Die französische Außenministerin, Michèle Alliot-Marie, bot in ihrer Rede an die Nationalversammlung am 12. Januar 2011 an, den Sicherheitskräften von Tunesien zu helfen: „Wir behaupten, dass die Gewandtheit unserer Sicherheitskräfte, die überall auf der Welt anerkannt ist, es ermöglichen würde, die Sicherheitslage in diesem Land zu lösen.“

6 – Dieser blutige Staatsterror konnte die Massen nicht mehr davon abhalten, für demokratische Verhältnisse zu kämpfen. Versammlungen und Solidaritätsdemonstrationen entwickelten sich im ganzen Land: in Sfax, Kairouan, Thala, Bizerte, Sousse, Meknessi, Souk, Jedid, Ben Gardane, Medenine, Siliana ... Trotz Repression, trotz fehlender Freiheit der Meinungsäußerung schwenkten die Demonstranten Schilder, auf denen stand: „Heute haben wir keine Angst mehr!“

7 – Die Kräfte der Repression haben die Proteste mit einem Kugelhagel begrüßt. Am 24. Dezember 2010 wurde ein junger Demonstrant von 18 Jahren, Mohamed Ammari, von Polizeikugeln getötet. Ein weiterer, Chawki Hidri, wurde schwer verletzt und starb am 1. Januar 2011. In Kasserine, Thala und Regueb verwandelte sich die Repression gegen Demonstrationen in ein Massaker. Kaltblütig feuerte die Polizei in die Menge und tötete mehr als 25 Menschen. Bis Freitag, 14. Januar 2011, waren mehr als 90 Getötete auf der provisorischen Liste der von Kugeln Getroffenen!

8 – Ab 3. Januar 2011 mobilisierten sich Schulkinder gegenseitig und benutzten Handys und das Internet, insbesondere Facebook und Twitter, um zu einem Generalstreik aller Schüler aufzurufen. Sie demonstrierten am 3. und 4. Januar 2011 und ihnen schlossen sich arbeitslose Akademiker in Thala an. Die jungen Demonstranten erlebten Schlagstöcke und Tränengas. Im Verlauf dieser Konfrontationen wurde der Sitz der Regierung besetzt und das Zentrum der Regierungspartei angezündet. Der im Internet verbreitete Aufruf zu einem nationalen Schülerstreik wurde in verschiedenen Städten befolgt. In Tunis, Sfax, Sidi Bouzid, Bizerte, Grombalia, Jbeniana, Sousse schlossen sich Arbeitslose den Schulkindern an. Solidaritätsversammlungen fanden auch in Hammamet und Kasserine statt.

9 –Am 27. und 28. Dezember 2010 schlossen sich Anwälte der Bewegung zur Solidarität mit der Bevölkerung von Sidi Bouzid an. Angesichts der ihnen auferlegten Repression, Verhaftungen und schwerer körperlicher Angriffe riefen die Anwälte zu einem Generalstreik am 6. Januar 2011 auf. Streikbewegungen betrafen auch Journalisten in Tunis und Lehrer in Bizerte.

10 – Es wurde eine totale Nachrichtensperre organisiert. In der Region Sidi Bouzid wurde für verschiedene Örtlichkeiten eine Ausgangssperre verhängt und die Armee mobilisiert. In Menzel Bouzaiane konnten die Verletzten nicht ins Krankenhaus transportiert werden und der Bevölkerung fehlte es an Lebensmitteln. Schulen wurden als Unterkunft für die Verstärkung der Polizei benutzt.

11 - Um zu versuchen, die Ruhe wiederherzustellen gab Ben Ali eine öffentliche Erklärung heraus. Er versprach, 300.000 Arbeitsplätze von 2011 – 2012 zu schaffen und alle Demonstranten frei zu lassen, außer denen, die Vandalismus begangen hatten. Er entließ seinen Innenminister, um ihn zum Sündenbock zu machen, und prangerte gleichzeitig die „orchestrierte“ Politik einer Minderheit als „Extremisten“ und „Terroristen“ an. Sie würden versuchen, den Interessen des Landes zu schaden.

12 – Die Wut der Arbeiterklasse und der unterdrückten Menschen wuchs bis Freitag, den 14. Januar 2011 dermaßen an, dass alle in Tunis auf der Straße waren. Die Demonstranten begannen, zum Innenministerium und zum Palast des Diktators Ben Ali zu gehen, der nach Saudi Arabien floh.

13 – Die Proteste haben erfolgreich den Diktator Ben Ali verjagt, aber seine Partei und sein Personal versuchten, die Massen zu täuschen. Der Premierminister Mahamed Ganoushi setzte Fouad Lambazae, den Präsidenten der zweiten Kammer des Parlaments, an den Platz von Ben Ali und bildete eine Regierung, die Wahlen nach zwei Monaten versprach. Doch die Massen wiesen diese Manipulation zurück und begannen, in jeder Stadt und in jedem Dorf Volkskomitees zu bilden. Sie streikten jeden Tag gegen diese Regierung.

14 – Die ICOR unterstützt den Kampf der Arbeiterklasse und der unterdrückten Massen in Tunesien. Sie unterstützt das Recht der Menschen, ihre eigene politische und wirtschaftliche Zukunft selbst entscheiden zu können.

15 – Die ICOR unterstützt die Forderung der Volksbewegung nach Rücktritt der Regierung und fordert die Bildung einer demokratischen Regierung durch das Volk. In jedem Dorf, jeder Stadt und Großstadt wurden schon Räte eingesetzt. Die ICOR unterstützt solche Räte als Form der direkten Demokratie.

16 – Die ICOR stellt auch fest, dass es einen Trend zum Kompromiss gibt, der von einigen Oppositionsparteien angeführt wird. Sie wollen einen Kompromiss erreichen, indem die Personen an der Macht ausgetauscht werden, während das Ausbeutersystem ohne Änderung gelassen wird. Die ICOR unterstützt den Kampf der lokalen und regionalen und anderer Volksräte gegen diesen Trend.

17 – Der Kampf der Arbeiterklasse und der unterdrückten Menschen von Tunesien ist ein Signal für andere Länder in der arabischen Welt und darüber hinaus. Er zeigt, wie Menschen ein diktatorisches Regime überwinden und ihre eigene Zukunft selbst bestimmen können. Die ICOR ruft alle ihre Mitglieder auf, diesen Versuch des Volkes auf jede mögliche Art und Weise zu unterstützen.

  • In Solidarität mit der Arbeiterklasse und den unterdrückten Massen von Tunesien und des Maghreb,
  • in Solidarität mit der Jugend, wo auch immer sie gegen Hunger und Arbeitslosigkeit kämpft,
  • in Solidarität mit dem Kampf für eine demokratische Volksmacht in Tunesien!

International Coordination of Revolutionary Parties and Organizations
- Office of the ICC -

Schmalhorststrasse 1c
D-45899 Gelsenkirchen
Germany
Phone: + 49-209-3597479
Email: coordinationint@yahoo.co.uk
Website: www.icor.info

Editorische Anmerkungen

Wir spiegelten von der ICOR- Website.