Ein Sammelband lässt diejenigen zu Wort
kommen, die im Irak mit dem Sturz Saddam Husseins in
erster Linie Chancen und Hoffnung verbinden.
Es gibt eine Art von KritikerInnen des
Irakkriegs, die bestenfalls als
moralisch bezeichnen werden können. Michael Moore ist ihr wohl bekanntester
Vertreter. Für diese ist US-Präsident Bush und sein Clan für alles Böse auf
der Welt verantwortlich. Kein Wunder, dass eine solche Einstellung in den
Ruf nach dem besseren Präsidenten mündete, für den Moore zeitweise sogar den
Jugoslawienkrieger Wesley Clark hielt.
Nun gibt es Linke, die dieses simple
Bush-Bashing mit guten Argumenten
kritisieren und vor den Fallstricken von Antiamerikanismus und verkürzter
Kapitalismuskritik warnen. Ein Teil dieser Linken hat jetzt gemeinsam mit
irakischen ExilpolitikerInnen meist kurdischer Herkunft im Freiburger Ca
Ira-Verlag einen Sammelband über den Irak herausgegeben. Doch eine fundierte
materialistische Analyse des Baathismus und des Saddam-Regimes wird darin
vergeblich gesucht. Statt Bush ist in dem Sammelband Saddam Hussein, sein
Clan und die Baath-Partei für alles Übel verantwortlich. Die AutorInnen
machen sich über die allgegenwärtigen NahostexpertInnen lustig, die gegen
den US-Krieg mit moralischen Argumenten Front machten. Doch selber bieten
sie sich als alternative ExpertInnen an, die überwiegend das Hohelied der
Befreiung des Irak singen und sich am Wettbewerb um die bessere Herrschaft
im Irak beteiligen.
Die berechtigte Kritik, dass sich die
KriegskritikerInnen die Realität nach
ihrer eigenen Meinung zurechtbasteln und über die Verbrechen des Baathismus
schweigen, wird durch eine andere Realitätsschaffung ersetzt, die ebenfalls
vieles ausblendet, was nicht ins Bild passt. Natürlich können die
VerfasserInnen begründen, warum sie den medial breit ausgewalzten Fakt der
nicht vorhandenen Massenvernichtungswaffen oder die Folterungen durch US-und
britische Soldaten in Abu Ghraib nicht in den Mittelpunkt ihrer Beiträge
stellen wollen. Aber rechtfertigt das die fast zwanghafte Ausblendung des
Themas in einem Buch, das sich immerhin der Frage widmet, ob sich Irak auf
dem Weg zur bürgerlichen Demokratie befindet? Lediglich Thomas Schmidinger
geht im Abschlussbeitrag kurz auf die Folterungen in der Post-Saddam-Ära
ein, aber nur um zu bedauern, dass dadurch das baathistische Foltergefängnis
Abu Ghraib in den Hintergrund gerät.
Zu den Kriegsgründen nimmt Mary Kreutzer
Stellung. Sie verwirft mit Recht
Positionen, die nur einen platten Krieg um Öl sehen. Zustimmend zitiert sie
den Berliner Politologen Herfried Münkler, der in dem Krieg im Irak den
Versuch der USA sieht, im Nahen Osten erdölproduzierende Rentierstaaten in
steuereintreibende neoliberale Staaten umzuwandeln. Diese These hat einige
Plausibilität, doch wo dabei die Chancen einer größeren Partizipation der
Bevölkerung liegen sollen, kann die lange Zeit in der
Lateinamerikasolidarität aktive Mary Kreutzer nicht erklären. Denn nicht nur
das Beispiel Chile zeigt, dass der Abbau von Verwertungsblockaden für das
Kapital und Partizipation der Bevölkerung oft antagonistische Widersprüche
sind.
Ein anderes Beispiel für die
Realitätsklitterung zeigt sich auch bereits am
Titelbild des Buches. Die stürzende Saddam-Statue wird in mehreren Artikeln
als Signal für die Befreiung bewertet. „Es waren diese Statuen und Bilder,
die als erste fielen bei der Befreiung, die getragen schien von der
ungeheuren Wut der Bilderstürmerei, mit der an der Statue das Unrecht
gerächt wurde, das dem Menschen zugefügt wurde“, schreiben die
Nahostexperten Uwer und Osten-Sacken. Nun wäre doch aber eher die Frage
interessant, warum nur ein sehr geringer Teil junger Menschen beim Fall der
Statute jubelte. Das Autorenduo Uwer/Osten-Sacken kommt manchmal zu
merkwürdigen argumentativen Verrenkungen. So beschreiben Uwer/Osten-Sacken
eine Gruppe von Männern, die sich über die Müllberge in einem Stadtteil von
Bagdad aufregen und dafür die USA verantwortlich machen: „Die nahe liegende
Tatsache, dass der stinkende Müll nicht von den Amerikanern, sondern von
den Anwohnerinnen und Anwohnern selbst achtlos dort hingeworfen wurde, war
bereits vollkommen überlagert von einer langen Kette hintergründiger
Kausalitäten, die selbst das Einfachste noch in den Bereich hochgradig
abstrakter Sinnzusammenhänge stellen.“ Nun ist nicht anzunehmen, dass die
AnwohnerInnen tatsächlich glaubten, US-Soldaten würden dort heimlich ihren
Müll abladen. Sie beschwerten sich vielmehr über die zusammengebrochene
Müllentsorgung, die man auch mit etwas Selbsthilfe nicht von alleine regeln
kann. Das Autorenduo schreibt selber, dass die Beschwerden Erfolg hatten und
die Müllberge schließlich von US-Soldaten und BewohnerInnen gemeinsam
geräumt wurden. Die Aktion könnte also auch als erfolgreiche
Bürgerinitiative bezeichnet werden.
Der Grossteil der 25 AutorInnen des
Sammelbandes kommt aus dem Irak.
Natürlich sind keine Baathisten und Islamisten vertreten, wie die
Herausgeber im Vorwort betonen. Das ist auch gut so. Doch es wäre sicher
interessanter gewesen, mehr AutorInnen zu gewinnen, die weder Baath noch
Besatzung propagieren. Der Beitrag der Feministin und Aktivistin der von den
Herausgebern gleich als linksradikal titulierten Arbeiterkommunistischen
Partei, Houzan Mahmoud, über die Frauenbewegung ist hier besonders
interessant. Sie schwelgt nicht in Befreiungsrethorik, sondern liefert eine
nüchterne und erschreckende Bilanz der Situation der Frauen im Nach-Saddam-
Irak. Sie beschreibt, wie Islamisten überall die Rechte der Frauen
zurückzudrehen versuchen. Aber sie zeigt auch, wie durch Selbstorganisation
Erfolge erzielt werden konnten. So wurde der Versuch islamischer
Gruppierungen, die Scharia zur Grundlage der Rechtssprechung zu machen,
abgewehrt.
Solche nüchternen Analysen fehlen vor allem
bei vielen rein ethnisch
argumentierenden AutorInnen, egal ob sie auf kurdischer, yezidischer oder
assyrischer Basis stehen. Oft darf nicht der Hinweis fehlen, welch lange
Geschichte ihre Ethnie auf dem irakischen Territorium hat. Das ist von einer
Perspektive der Betroffenen erst mal verständlich. Doch viele der
österreichischen oder deutschen AutorInnen haben sich noch vor Jahren
vehement gegen eine solche ethnische Orientierung ausgesprochen, wenn es um
die PKK in der Türkei ging. Ist nicht die Errichtung eines bürgerlichen
Nationalstaats vom Standpunkt der bürgerlichen Demokratie ein grösserer
Fortschritt als eine Ethnisierung? Das ist eine der vielen Fragen, die mit
der Sammelband aufwirft. Immerhin merkt Schmidinger kritisch an, dass in
kurdischen Gruppen gerne vergessen wird, dass es unter ihnen durchaus
probaathistische Strömungen gab. So werden auf einmal alle Kurden zu Opfern
- und Täter sind nur die Anderen. Dass im innerkurdischen Krieg im Nordirak
einmal die baathistische Armee zu Hilfe gerufen wurde, die dabei gleich
zahlreiche Oppositionelle erledigte, wird nicht erwähnt.
En passant erfährt der/die LeserIn einiges
über die Geschichte der
irakischen Linken und merkt auch, wie bis heute bestimmte historische
Ereignisse der irakischen Geschichte völlig unterschiedlich bewertet werden.
Während Kasim Talaa von der Kommunistischen Partei des Irak den 1936
putschenden General Bakr Sidqi noch immer als zumindest anfänglich
progressiv einschätzt, sieht der Europa-Sprecher der assyrischen Bewegung,
Thomas Shairzid, in eben diesem General einen den Hauptverantwortlichen für
Massaker an ethnischen Minderheiten.
Der Irak wird die Weltöffentlichkeit auch
noch lange nach den Wahlen
beschäftigen. Wer die Gedankenwelt und Vorstellungen derer kennen lernen
will, die mit dem Sturz des Baathismus Hoffnung auf eine Befreiung der
Menschen verbinden, sollte diesen Sammelband lesen. Doch ob sich der Irak
auf den Weg zur bürgerlichen Demokratie befindet? Ist das beim gegenwärtigen
Stand des Kapitalismus weltweit überhaupt möglich? Diese Frage muss
zwangsläufig offen bleiben. Allerdings haben die Wahlen im Irak gezeigt
,dass sich ein recht hoher Prozentsatz der IrakerInnen trotz der Drohungen
des baathistisch-islamistischen Untergrunds nicht von der Stimmabgabe
abhalten ließ. Ein nicht geringer Prozentsatz verfolgte damit ethnische
Interessen, ein anderer Teil will möglichst schnell eine
islamisch-schiitische Herrschaft, viele wollen eine demokratische
Legitimation um die Truppen der USA und Großbritanniens möglichst schnell
zum Verlassen des Iraks zu veranlassen. Doch eines zeigen die Wahlen auch:
jene Rüdiger Göbels Werner Pirkers (junge Welt) und wie sie alle heißen,
die sich rhetorisch im sicheren westeuropäischen Hinterland am „irakischen
Widerstand“ berauschten, müssen erkennen, dass sie mal wieder einer Chimäre
aufgesessen sind. Vielleicht sind manche der AutorInnen des durchaus
kritikwürdigen Buches näher an den Bedürfnissen großer Teiler der irakischen
Bevölkerung als die Freunde des baathistisch-islamistischen Untergrunds, den
sie beschönigend irakischer Widerstand nennen.
Editorische Anmerkungen
Der Autor stellte uns seinen Text
am 1.2.2005 zur Veröffentlichung zur Verfügung.
|