Der Ruf nach
Selbstbestimmung ertönt scheinbar aus Nord Kosovo. Viele „
Linke“ in Deutschland welche das Selbstbestimmungsrecht Kosovas
ablehnten und ablehnen, setzen sich jetzt plötzlich für das
Selbstbestimmungsrecht der Serben in Nord Kosova ein. Einige
dieser Linken sind durchaus ernstzunehmen und nicht mit der
stalinistisch, nostalgischen „ Milosevic Linken“ in Deutschland
gleichzusetzen. Vernünftige Linke- haben den Gesetzen der
formalen Logik gehorchend- durchaus Recht. Aber die Wahrheit
ist nach Hegel immer konkret. Was sagen uns also die brennenden
Barrikaden, die Angriffe auf Grenzstationen und auf NATO
Soldaten in Nord Kosova ? Sind sie Ausdruck eines berechtigten
Anliegens oder gar einer antiimperialistischen Gesinnung von
vielen Serben in Nord Kosova ? Der Autor dieser Zeilen
behauptet, dass die Organisatoren und Teilnehmer an diesen
Protesten keinerlei gerechtfertigte Anliegen haben. Ganz im
Gegenteil, dieser Kampf ist ultrareaktionär. Begeben wir uns
deshalb in die Niederungen der Analyse.
Gibt es eine
serbische Mehrheit in Nord Kosova
In der Tat, diese Mehrheit existiert. Im Norden Kosovas, ab der
geteilten Stadt Mitrovica leben ca. 40.000 Serben. Genaue Zahlen
hierzu gibt es nicht. Neben den Serben leben in Nord Kosova aber
auch noch einige tausend Albaner. Die Albaner sind zweifellos in
der Minderheit. Wie kam es zu dieser Situation ? Im Januar 2000
wurde unter den Augen des französischen Militärs 11.200 Albaner
aus dem Norden Kosovas vertrieben. Dabei gab es 9 TOTE.
Hauptsächlich wurden die Vertreibungen in Nord Mitrovica von
serbischen Paramilitärs durchgeführt. Bis zum Jahr 1999 war
Mitrovica eine multinationale Arbeiterstadt. Auch im Norden
Mitrovicas gab es wie in Gesamt- Mitrovica eine albanische
Mehrheit. In Mitrovica lebten Serben, Albaner, Roma, Bosnier
usw. in einer ungeteilten Arbeiterstadt. Die Lebensbasis von
Mitrovica war das Kombinat Trepca mit seinen enormen Vorkommen
an Chrom, Nickel Kupfer, Blei aber auch Gold und Silber. Neben
dem Bergbau gab es verarbeitende Kapazitäten in Mitrovica,
Kosova und in Serbien. Im Jahr 1999 wurde Mitrovica offiziell
ethnisch geteilt. Die Menschen in Kosova sagen: „Die serbische
Armee und die Polizei zog ab, aber sie kamen nur bis Mitrovica.“
Dort regieren ungebrochen serbische parallele Staatsstrukturen.
Jeder Polizist im Norden ist ein Serbe, er bekommt sein Gehalt
aus Serbien. Es gibt keine albanischen Polizisten im Norden
Kosovas. Jeder Lehrer, jeder Beamte und jeder Spezialpolizist
wird von Belgrad bezahlt. Die Finanzierung der parallelen
Strukturen in Kosova kostet den serbischen Staat pro Jahr 500
Millionen Euro. Der Kampf um die Zugehörigkeit von Nord Kosova
zu Serbien, akzeptiert die jüngsten Vertreibungen aus Nord
Kosova. Offen wird den Albanern die Rückkehr in ihre Häuser
verweigert. Ergo die serbischen Barrikaden sind Ausdruck einer
reaktionären Politik des serbischen Staates, sowie von
nationalistischen Banditen in Nord Kosova. Dieser Kampf
ignoriert die einfachsten Menschenrechte. Jegliche Rückkehr von
Albanern wird verweigert. Die albanischen Bauern in der Gemeinde
Leposavic und in anderen Gemeinden werden von der Außenwelt
abgeschnitten. Den albanischen Bauern in Nord Kosova wird die
Luft zum Atmen genommen. Sie sollen vertrieben werden, um ein
rein serbisches Gebiet zu schaffen. Die wenigen Albaner in Nord
Mitrovica gehen nachts nicht aus dem Haus. Dies ist kein Kampf
um Selbstbestimmung sondern eine Politik der ethnischen
Säuberung. Die serbischen Institutionen in Nord Kosova
verweigern aber auch den Roma elementare Rechte. Die größte Roma
Siedlung -Kosovas- befindet sich auf einer Giftmüllhalde des
ehemaligen Kombinats Trepca. Internationale Organisationen
stellten dort eine enorme Krebsrate und Kindersterblichkeit
fest. Die serbisch parallelen Institutionen verweigern ihnen
jegliche Hilfe. Die Politik des Selbstbestimmungsrechtes ist
immer konkret. Die serbische Mehrheit in Nord Kosova hat das
Recht ohne jegliche Unterdrückung in Kosova zu leben. Es darf
allerdings mit diesem Recht kein Schindluder auf der Basis der
ethnischen Säuberung betrieben werden. Die Vertreibungen aus
Nord Kosova fanden in jüngster Zeit statt. Völlig abgesehen von
den historischen Vertreibungen, welche in der jüngsten
Geschichte ein Alexander Rankovic unter dem Stichwirt „
Entwaffnung“ betrieb. In den fünfziger Jahren wurden 300.000
Albaner von Rankovic in die Türkei vertrieben. Die Vertreibungen
liefen nicht nur willkürlich ab, sondern gezielt. Es gab eine „
Kolonialpolitik“ von Rankovic bis Milosevic. Besonders aus dem
Norden wurden damals viele Albaner vertrieben. Die Gemeinde
Svecan wurde so zur rein serbischen Stadt in den fünfziger Jahre
mit einigen albanischen Bauern im Umfeld.
Grenzen und
die Frage des Presevo Tals
Im Preshevo Tal
welches zu Serbien gehört lebten bis vor kurzem 100.000
Albanerinnen. Jetzt leben in diesem Gebiet nur noch 50.000
Albaner. Sie werden strukturell und mit offener Gewaltanwendung
diskriminiert. Viele flüchteten aus diesem Gebiet weil sie
keinerlei Perspektive mehr sehen. Die Arbeitslosigkeit ist die
höchste in Serbien. Alle Behörden werden klar von serbischen
Nationalisten dominiert. Für einen Albaner ist es oft unmöglich
Arbeit zu finden. Zudem wird ein Albaner im Presevo Tal offen
rassistisch diskriminiert. Auf der internationalen Agenda
spricht nicht NIEMAND von der Unterdrückung im Presevo Tal. Die
Frage von Grenzkorrekturen zwischen Serbien und Kosova kann
nicht ohne die staatliche Zugehörigkeit des Presevo Tals
diskutiert werden. Dies soll betont werden weil für einen
Marxisten, Grenzen nichts heiliges sind.
Keine
Grenzkorrektur - Demokratische Rechte
Es ist im
Interesse der serbischen und albanischen Arbeiter in Mitrovica
den internationalen Charakter der Arbeiterstadt
wiederherzustellen. Es geht um gemeinsame soziale Interessen.
Das Kombinat Trepca soll in diesem Jahr privatisiert werden.
Allerdings wird nicht das Kombinat wiederhergestellt werden, es
sollen nur die Minen mit günstigen Arbeitern ausgeraubt werden.
Verarbeitende Kapazitäten wie die in Zvecan im Norden Kosovas,
aber auch im Süden Kosovas sollen der Verwesung unterstellt
werden. Das ist nicht im Interesse aller Arbeiter, egal welcher
Nationalität. Im Interesse der Reaktionäre ist die Teilung der
Arbeiterklasse anhand ethnischer Linien. Linke Politik hat sich
deshalb gegen die Politik der Legitimierung der ethnischen
Säuberungen im Norden Kosovas zu richten. Dies ist auch im
Interesse der dortigen Menschen. Ein Leben hinter Barrikaden,
ein Leben in Abgrenzung zum Anderen ist kein Leben.
Editorische Hinweise
Wir erhielten diesen Text vom
Autor zur Veröffentlichung in dieser TREND-Ausgabe.