Wie soll und kann sich eine
deutsche Linke zum Krieg im Gazastreifen verhalten? Wann ist
eine Kritik an der israelischen Staatsführung gegenüber den
besetzten und hermetisch abgeriegelten Gebieten einseitig? Ist
der Widerstand gegen Besatzung legitim? Wer hat diesen Krieg
ausgelöst? Handelt es sich bei der Operation ›Gegossenes Blei‹
um einen Selbstverteidigungsakt des israelischen Staates? Wie
verhält sich die deutsche Linke zur ›Hamas‹? Ein Rück- und
Ausblick.
Eine Auseinandersetzung mit linken
Positionen zu Israel und zum Einmarsch der israelischen Armee
in den Gazastreifen
Angesichts des militärischen Einmarsches der israelischen
Armee in den Gazastreifen (Operation ›Gegossenes Blei‹) lodern
die Auseinandersetzungen innerhalb der deutschen Linken wieder
auf:
Wie soll und kann sich eine
deutsche Linke zu diesem Krieg verhalten? Wann ist eine Kritik
an der israelischen Staatsführung gegenüber den besetzten und
hermetisch abgeriegelten Gebieten einseitig? Ist der
Widerstand gegen Besatzung legitim? Wer hat diesen Krieg
ausgelöst? Handelt es sich bei der Operation ›Gegossenes Blei‹
um einen Selbstverteidigungsakt des israelischen Staates? Wie
verhält sich die deutsche Linke zur ›Hamas‹?
Anlässlich einer Demonstration in Frankfurt am 14.1.2009
einigten sich eine Mehrheit der beteiligten Gruppen darauf,
auf jede ›einseitige‹ Parteinahme und Schuldzuweisung zu
verzichten. Man hatte zurecht Angst, dass all die
(abgebrochenen) Auseinandersetzungen der letzten 30 Jahre in
einer Wucht und Unvermittelbarkeit aufeinandergeprallt wären,
dass das Bündnis dies nicht überlebt hätte. Ein humanitärer
Appell an alle Seiten gleichermaßen war das Ergebnis. Für
viele war diese ›Rot-Kreuz‹-Stellungnahme der radikalen Linken
pragmatisch bis blamabel.
Als ein Vertreter des No-Nato-Bündnisses den Satz begann: »Der
Konflikt in Gaza hat seinen Ursprung in der Besatzungs-
und Vertreibungspolitik des israelischen Staates…«
wurde der Redebeitrag abgebrochen, da die
Demonstrationsleitung darin eine Verletzung des beschlossenen
Minimalkonsens sah. Es kam zu heftigen Wortauseindersetzungen
und zu Rangeleien, die mit Mühe beendet werden konnten.
›Alles muss man selbst machen‹ war das Leitmotiv dieser
Demonstration. Ein Motto, das niemand auf den
Palästinakonflikt anwenden wollte.
Wer die Geschichte der radikalen Linken zu Israel-Palästina
kennt, die tiefe Spaltung in Pro-Israel und die
Pro-Palästina-Lager der letzten Jahre, wundert sich nicht
sonderlich. Nicht einmal in ›Friedenszeiten‹ war die deutsche
Linke in der Lage, die unterschiedlichen Positionen zu
Israel/Palästina gemeinsam zu diskutieren.
Vielleicht hilft ein wenig Abstand zu den gegenwärtigen
Bildern und Eindrücken, ein Blick zurück in die Geschichte der
deutschen Linken, um zu verstehen, dass der
Israel-Palästina-Konflikt eben nicht ein Streitpunkt von
vielen ist, sondern zurecht ein Besonderer.
Folgendes Zitat von Ulrike Meinhof aus dem Jahre 1967 möchte
ich voranstellen, eine politische Stellungnahme, die nicht nur
unter ›68er‹ weitsichtig und mutig war, sondern bis heute
Bedeutung für die Auseinandersetzungen innerhalb der Linken
haben sollte: »Für die europäische Linke gibt es keinen Grund,
ihre Solidarität mit den Verfolgten aufzugeben, sie reicht in
die Gegenwart und schließt den Staat Israel ein, den britische
Kolonialpolitik und nationalsozialistische Judenverfolgung
begründet haben. Die Menschen, die heute in Israel leben, die
Juden nicht nur, auch die Araber, waren nicht Subjekt, sondern
primär Objekt dieser Staatsgründung. Wer den Bestand dieses
Staates glaubt zur Disposition stellen zu wollen, muß wissen,
daß nicht die Täter, sondern wiederum die Opfer von damals
getroffen würden.« (Konkret, 7/1967)
Ihre Aufforderung, Imperialismuskritik und internationale
Solidarität aus der jeweiligen nationalen Kontexten zu
entwickeln, anstatt sie verbal-radikal zu überspringen,
verhallte auch damals weitgehendst. Genauso die von ihr
formulierte Verpflichtung, die historische Verantwortung für
die (Staats-)Verbrechen des deutschen Nationalsozialismus
nicht teilnahmslos an die Herrschenden zu delegieren, sondern
in der eigenen politischen Praxis und Parteinahme sichtbar zu
machen.
Die Weigerung der radikalen Linken, sich dieser Schwierigkeit
zu stellen, wird nicht nur mit der Beteiligung von Mitgliedern
der RZ- und ›Bewegung 2.Juni‹ an der
Entebbe-Flugzeugentführung eines palästinensischen Kommandos
1976 offensichtlich. Sie ist lediglich spektakulärer Ausdruck
einer Palästinasolidaritätsarbeit der 80er Jahre, in der die
Identifikation mit dem palästinensischen Befreiungskampf all
zu oft die Unfähigkeit verbergen half, der Aufforderung Ulrike
Meinhofs an die radikale Linke gerecht zu werden. So
verwundert es nicht, dass die gescheiterte Entebbe-Aktion
weder innerhalb noch außerhalb der
Palästina-Solidaritäts-Komitees Anlass für eine kritische
Selbstbestimmung militanter Positionen gegenüber Israel war,
sondern Schweigen. Erst Mitte der 80er Jahre sorgten zwei
Ereignisse für Verwirrung und hitzige Debatten innerhalb der
radikalen Linken: zum einen anlässlich der Aufführung des
Fassbinder-Stückes ›Der Müll, die Stadt und der Tod‹ im Jahre
1985. Zum anderen der 1987 verfasste Aufruf ›Boykottiert
Israel, Waren, Kibbuzim und Strände‹ aus militanten
Zusammenhängen in den besetzten Häusern in der Hamburger
Hafenstraße. Auch wenn diese wichtigen Auseinandersetzungen
die Lokalität des Anlasses überwanden, so blieben die
Versuche, die bisherige Politik der radikalen Linken gegenüber
Israel und dem palästinensischen Befreiungskampf neu zu
bestimmen, marginal und brüchig. Eine neue Offensivität ergab
sich daraus nicht. Im Gegenteil. Die Infragestellung
antiimperialistischer Strategien und nationaler
Befreiungskämpfe, die wackligen Annäherungen an die eigenen
nationalen Bedingtheiten machte nicht Mut, sondern sorgte für
breite Verunsicherung.
Als der US-alliierte Krieg gegen den Irak 1991 begann, konnte
zwar die Losung ›Kein Blut für Öl‹ für kurze Zeit eine breite
Anti-Kriegs-Bewegung zusammenführen und -halten. Als jedoch
die irakische Regierung Israel mit Krieg und Giftgasangriffen
drohte und Scud-Raketen auf israelischem Territorium
einschlugen, machte die deutsche Staatslinke aus der ›Lehre
von Auschwitz‹ eine Kriegswaffe und rief dazu auf, Israel mit
allen Mitteln zu verteidigen. Sie brachte die besondere
Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel in Stellung und
trat damit in die Kriegskoalition gegen den Irak ein. Weder
der richtige Verweis auf die imperialistischen Ziele der
westlichen Kriegskoalitionäre, noch der Verweis auf die
antiimperialistischen Solidaritätsbewegungen in arabischen
Nachbarstaaten konnte das moralische und politische Leck
stopfen.
Wie verhält sich die radikale Linke angesichts der Drohung,
Israel militärisch zu vernichten und geo-politisch von der
Landkarte zu löschen? Hat auch die radikale Linke eine
Verantwortung gegenüber dem Staat Israel - und wenn ja,
welche?
Dass die radikale Linke darauf keine gemeinsam-tragende
Antwort hatte, hängt mit der paradox anmutenden Aufforderung
zusammen, die Ulrike Meinhof 1967 formulierte und seitdem
weitgehendst unbeantwortet blieb. Dass die radikale Linke
dieses Versäumnis nicht zum gemeinsamen Ausgangspunkt machte,
trug mit dazu bei, dass die Antikriegsbewegung 1991 politisch
nicht verhindern konnte, dass die Staatslinke die Solidarität
mit den Opfern des Holocaust in eine Kriegserklärung gegen den
Irak münden ließ.
Glücklicherweise blieben nicht nur Sprachlosigkeit und
Handlungsunfähigkeit zurück. In vielen Städten und Gruppen
wurden zum ersten Mal (linke) jüdische Positionen diskutiert,
die sich taktisch nicht vereinnahmen ließen, sondern uns mit
dem Vorwurf konfrontierten, dass im Antizionismus der
deutschen Linken ein versteckter bzw. geleugneter
Antisemitismus zum tragen komme. Viele dieser Kritiken sind
nicht neu. Wir hatten sie nur all zu oft nicht wahrgenommen,
geschweige denn ernsthaft geprüft.
Bis in die 90er Jahre hinein betrachte die radikale Linke
Israel nicht von der eigenen Geschichte, sondern von
palästinensischen Stellungen aus. Wir übernahmen
selbstentlastend und erleichtert deren Argumente, zitierten
ihre Analysen (wie z.B. die von ›Al Karamal‹, Ali Hashash oder
Karam Khella), teilten ihren Hass gegen das israelische
»Siedlerprojekt«, verurteilten im selben Wortlaut den
Zionismus als rassistische Herrschaftsideologie eines
imperialistischen Staates. Im selben Atemzug rangen wir uns
jede Art von Verständnis und Erklärung für die inneren
Strukturen des palästinensischen Widerstandes ab, für deren
Forderungen nach einem eigenen palästinensischen Nationalstaat
oder für die militärische Ausbildung von Neonazis in
palästinensischen Ausbildungslagern. Was an Israel
bedingungslos kritisiert wurde, wurde mit Blick auf den
palästinensischen Widerstand im Namen der Solidarität mit den
›Opfern der Opfer‹ zu rechtfertigen versucht. Was als linker
Antizionismus Kritik an nationalstaatlichen Ideologien
vortäuschte, wurde still oder offen mit der Unterstützung
palästinensischer Forderungen nach Eigenstaatlichkeit
reproduziert.
David und Goliath – oder: Der Opfer(aus-)tausch
Die massive Kritik an der imperialistischen Politik Israels,
der linke Blick auf Israel, der diesen Staat im Wesentlichen
nur noch als ›Brückenkopf‹ des kapitalistischen Westens
wahrnehmen konnte, die offene und/oder verdeckte
Infragestellung des staatlichen Existenzrechtes Israels
markieren Positionen, die die deutsche Linke erst nach 1967
eingenommen hatte. Vor und bis 1967 existierte in der
heranwachsenden 68er Protestbewegung ein positives Bild von
Israel. Israel galt ohne Wenn und Aber als ›Heimstätte der
Überlebenden des Holocaust‹. Die Staatsgründung Israels 1948
erschien als unbestrittene Konsequenz aus einer europäischen
Staatengeschichte, in der seit Jahrhunderten Menschen
jüdischen Glaubens verfolgt wurden, ihres Lebens nie sicher
sein konnten. Die staatliche Existenz Israels galt der Linken
als lebender, unauslöschlicher Beweis für die begangenen und
im Wiederaufbaudeutschland verdrängten Naziverbrechen. Ein
sicherer und zu schützender Ort für die ZeugInnen des in der
Geschichte einzigartigen Versuches, ein ganzes Volk
industriell auszulöschen.
Dass diese Heimstätte nicht in Europa, oder in Deutschland
selbst liegen sollte (und konnte), dass biblische und
imperiale Erwägungen den Ausschlag gaben, dass in dieser
›Wiedergutmachung‹ ein weiteres Staatsverbrechen bereits
angelegt war, wurde damals kaum bzw. gar nicht
problematisiert. Das war nicht zufällig, sondern zwingend.
Denn in der linken Wahrnehmung Israels spiegelte sich mehr ein
deutsches Verhältnis wider, als dass die Bedingungen dieser
Staatsgründung selbst – der im Kolonialstil praktizierte Akt
der Staatsausrufung 1948, die geo-politischen Ziele vieler
israelischer Staatsgründer, die weit darüber hinausgingen –
mit zum Ausgangspunkt der Solidarität gemacht worden wären. In
dieser innerdeutschen Auseinandersetzung spielten die
Überlebenden als Menschen mit unterschiedlichsten Herkünften,
Vorstellungen und politischen Konsequenzen kaum eine Rolle.
Das Gewicht bekamen sie, die Sympathie verdienten sie sich als
Opfer, unterschiedslos. Das, was die deutsche Linke mit den
Opfern der Nazi-Verbrechen verband, was sie in ihr Überleben
hineinprojizierte, hatte selten etwas mit diesen zu tun.
Anstatt sich den Handelnden, den AkteurInnen politischer
Prozess in Israel zu nähern, blieb die deutsche Linke bis 1967
der eigenen Opfer-Metaphysik verhaftet: Die jahrhundertelange
antisemitische Verfolgung, das seit Menschengedenken durch
Vertreibung und Pogrome geprägte jüdische Leben, ohne
›Heimat‹, sprich nationalstaatliches Privileg, bestimmte den
Blick auf Israel. Doch die Staatsgründung Israels 1948 war
nicht nur ein imperialer, kolonialer Akt: So unterschiedlich
die Motive der Staatsgründung innerhalb der israelischen
GründerInnengeneration auch waren, eines einte sie zweifellos:
Nie wieder Opfer sein, nie wieder Diskriminierung,Vertreibung
und Vernichtung wehrlos gegenüberstehen. Anstatt sich diesem
politischen Bewusstsein zu stellen, die unterschiedlichen –
religiösen, nationalistischen, rassistischen bis hin zu
sozialistischen – Positionen wahrzunehmen, die
Machtverhältnisse innerhalb des israelischen Staates,
imaginierte man die Opfer in einen paradieschen Zustand: Man
bewunderte den bewaffneten Kampf um nationale Selbstbestimmung
(der Film ›Exodus‹ war die cineastische Übersetzung dafür),
die ›Fruchtbarmachung der Wüste‹, die Aufbauleistung Israels.
Viele sahen im Kibbuz-System die Verwirklichung einer
sozialistischen Gesellschaftsutopie, das Ende kapitalistischer
Ausbeutung, die Gleichberechtigung von Frau und Mann innerhalb
kollektiver Lebensformen – ein gemeinsamer Kampf um den Aufbau
einer sozialistischen Gesellschaft. Diese Bewunderung und
Unterstützung spiegelte weniger die israelischen Verhältnisse
wider – diese Projektionen mussten vielmehr gegen die sozialen
und politischen Verhältnisse dort behauptet werden.
Der Sieg der israelischen Armee 1967 im Sechs-Tage-Krieg
stellte nicht nur die linke Opfer-Metaphysik auf den Kopf,
sondern auch die innerdeutschen Israel-Frontlinien. Aus
Ex-Nazis und Rassisten wurden philo-semitische Bewunderer des
Staates Israel, aus linken und militanten AntifaschistInnen
wurden Feinde des Staates Israel. Die Neue Linke wechselte das
Objekt, solidarisierte sich nun mit den ›Opfern der Opfer‹.
Die verlorene Unschuld der Opfer
Mit dem israelischen ›Blitzsieg‹ 1967 über scheinbar weit
überlegene (arabische) Feinde begann der Antisemitismus in
Deutschland paradoxe Wege zu gehen.
Das rechtschaffene Deutschland entdeckte nicht länger in
Israel den ›Judenstaat‹, sondern Moshe Dayan als zweiten
Rommel, als wiedergeborenen ›Wüstenfuchs‹ im Afrikafeldzug.
Mit der militärischen Vernichtung seiner Feinde, mit der
Eroberung und Besetzung fremder Territorien, mit der
militärischen Verwirklichung der ›biblischen‹ Grenzen des
Staates Israel wurde für viele Deutsche ein Jahrtausendtraum
nachsynchronisiert, der unter den Trümmern des Dritten Reiches
verschüttet schien – und in der Begeisterung für die geniale
israelische Kriegskunst ungestraft wieder aufleben durfte. An
den bewunderten Helden des Krieges war nichts ›Jüdisches‹
mehr. Mit den nun erfolgten Zuschreibungen wie Tapferkeit,
Entschlossenheit, Wagemut, Disziplin, Wille und Glaube an den
Sieg wurden innerhalb der rassistischen Konstruktion von
Wesenheiten eine philo-semitische Umdeutung vorgenommen.
Das, was der deutsche Antisemitismus dem ›Juden‹ zuschrieb,
wurde nun in die Gestalt des ›Arabers‹ verschoben. Die
deutsche Kriegsberichterstattung zeigte nicht nur, wie Sieger
aussehen, sondern auch wie Verlierer aussehen müssen. (Die
Golfkriegsberichterstattung war zumindest diesbezüglich nur
eine Wiederholung.) Die Bilder von barfüßigen, arabischen
Soldaten, von Tausenden in der Wüste zurückgelassenen
Militärstiefeln, von um ihr Leben flehenden Soldaten, die
kopf- und führungslos in der Wüste herumirrten, zeigten mehr
als einen Kriegsgegner. Sie visualisierten den ewigen
Verlierer, seine Rückständigkeit, seine Unzivilisiertheit,
seine Aussichtslosigkeit. Israel wurde zum Symbol der
Überlegenheit westlicher Zivilisation – umgeben von einem
Orient, der gegen die Moderne vergeblich anzurennen versucht.
Auch für die deutsche Linke wurde der Sechs-Tage-Krieg 1967
zum entscheidenden Wendepunkt ihrer Israel-Solidarität.
Plötzlich war die deutsche Linke nicht mehr mit Opfern,
sondern mit einem strahlenden Sieger konfrontiert - von der
westlichen Welt maßgeblich unterstützt, von dem seit
Jahrhunderten antisemitisch geprägten Europa bewundert. Die
scheinbar einstimmige Begeisterung für diese israelische
Glanztat reichte von BILD bis FR, vom Ex-Nazi bis zu
Ex-WiderstandskämpferIn, von CSU bis SPD.
Lassen wir einmal beiseite, ob sich Israel ›nur‹ gegen seine
Feinde verteidigte, oder, ob es der erste offizielle
Expansionskrieg Israels war, um die ›biblischen‹ Grenzen
militärisch herzustellen. Fest steht jedenfalls, dass Israel
infolge dieses Krieges fremde Territorien besetzte, die dort
lebenden Menschen vertrieb bzw. israelischem Besatzungsrecht
unterwarf und durch gezielte Besiedlungen de facto zu
israelischem Staatsterritorium machte.
Für viele Linke wurde aus dem Staat Israel, als Heimstätte der
Überlebenden des Holocaust, ein Staat, der selbst imperiale
(Kriegs-) Ziele verfolgt. Aus Opfern wurden TäterInnen, aus
Vertriebenen VertreiberInnen, aus Verfolgten VerfolgerInnen,
aus Unschuldigen wurden Schuldige. Aus David wurde ein
Goliath.
Nun, die Geschichte der Herrschenden ist voll von Beispielen,
in denen einstig Verfolgte mit Eroberung der Macht (z.B. die
UdSSR oder Algerien), mit Gründung eines eigenen
Nationalstaates (z.B. Jugoslawien oder Polen), mit dem
siegreichen Befreiungskampf (z.B. Vietnam) selbst die Logik
von Herrschaft und Ausbeutung reproduzierten. Im besten Fall
hätte sich die Linke – im Nachhinein – erklären können, wie es
zu so etwas hat kommen können. Im schlechtesten Fall – der im
Zuge der internationalistischen Solidaritätsbewegung der 60er
und 70er Jahre eher der Normalfall war – hätte sich die Linke
einfach enttäuscht abwenden können, ohne viel Aufsehens, wie
später, in anderen (Zweifels-)Fällen auch (z.B. Vietnam,
Portugal, Chile, Iran, usw.).
Doch Israel wurde auf ganz eigenartige Weise zum Sonderfall
internationalistischer Solidarität. Alles, was sonst die Regel
war, wurde über den Haufen geworfen. Alles, was woanders auch
konsequent gewesen wäre, wurde einzigartig am Beispiel Israel
exekutiert. Alles, was woanders noch für Verständnis sprach,
wendete sich am Beispiel Israel in ungeahnter Weise dagegen.
Für diesen ›Sonderfall‹ internationalistischer Solidarität
lassen sich zwei Erklärungen anführen:
1. Es liegt an der
Einzigartigkeit des Staates Israel, an der Unvergleichbarkeit
mit anderen Nationalbewegungen und Staatsgründungen.
2. Es ist dem besonderen Verhältnis der radikalen Linken zur
deutschen Geschichte des Nationalsozialismus geschuldet.
Anstatt die politische und historische Verantwortung selbst zu
übernehmen, wurde sie den Opfern übertragen.
Ich möchte die Eigenartigkeiten
linker Kritik an Israel auf drei Punkte konzentrieren, auf die
fast alle Argumentationen der letzten Jahre zuliefen.
1. Ich kenne keinen Fall internationalistischer
Solidarität, wo die Linke aus Enttäuschung die Seite so
bedingungslos und kritiklos wechselte.
Wenn ich an die russische Oktoberrevolution 1917/18, an den
erfolgreichen Befreiungskampf in Algerien oder Vietnam denke,
kann ich mich nicht daran erinnern, dass die radikale Linke
zum Kampf gegen die neuen Machthaber und Unterdrücker
aufgerufen hätte. Die minoritäre Kritik an den neuen
Machthabern löste weder eine Solidarität mit den Opfern der
Opfer aus, noch gab es massive Bemühungen, der neuen
Staatsmacht den Kampf anzusagen. Der focussierte, verengte
Blick auf den Kampf gegen Fremdherrschaft, gegen imperiale
Groß- und Kolonialmächte verdrängte zu oft die (selbst-)kritische
Frage, wofür die ›Opfer‹, die Unterdrückten kämpften, welche
Vorstellungen sie von Gesellschaft und Befreiung hatten, was
in ihrem Kampf gegen den Feind darüber hinauswies …
All diese Kritik schien die Solidaritätsbewegung an Israel
nachzuholen. Sie kritisierte zu Recht das israelische Vorgehen
gegenüber PalästinenserInnen als rassistisch, sie verurteilte
zu Recht die Besetzung fremder Territorien als
kolonialistisch, erkannte zu Recht in der massiven
wirtschaftlichen und militärischen Aufrüstung Israels durch
die USA, Deutschland usw., seine Brückenkopf-Funktion für den
westlichen Imperialismus. All das wäre so richtig, wenn sich
nicht – im selben Atemzug – der Unschuldsblick auf den
palästinensischen Widerstand, auf das neue Objekt
internationalistischer Solidarität wiederholt hätte.
Ende der 60er und ganz massiv in den 70er Jahren entstanden
überall in der BRD Palästina-Solidaritätsgruppen, die von nun
an einen kontinuierlichen und dominanten Bezugspunkt für die
internationalistische deutsche Linke darstellten. Anstatt die
Solidarität daran zu messen, was über das Opfer-Sein, über den
Kampf gegen Fremd-Herrschaft hinausweist, fand in vielen
Palästina-Gruppen lediglich ein Objekt(um-)tausch statt: Ich
kann mich nicht daran erinnern, dass die Rolle der
palästinensischen Bourgeoisie ähnlich scharf thematisiert
wurde, wie die der zionistischen Organisationen für Israel. Es
wurde kaum der Frage nach der ›arabischen Allianzen‹ im Kampf
gegen den Erzfeind Israel nachgegangen, der Frage nach den
Motiven und Zielen reaktionärer arabischer Nationalstaaten,
die mit Millionenbeträgen den palästinensischen
Befreiungskampf unterstützten. Nachfragen, die in Bezug auf
›zionistische Allianzen‹ und Geldgeberinteressen für das
›Siedlerprojekt‹ Israel selbstverständlich erschienen. Ich
weiß, wie wenig in den 60er und 70er Jahren die Frage eine
Rolle spielte, wie demokratisch PLO-Entscheidungen zustande
kamen, wie (basis-)demokratisch die verschiedenen
Befreiungsorganisationen aufgebaut waren, oder welche Rolle
die Frau im palästinensischen Befreiungskampf einnahm bzw.
einnehmen durfte. Und schon gar nicht kann ich mich an hitzige
Debatten erinnern, die das Ziel eines eigenständigen
palästinensischen Nationalstaates hinterfragten, bzw. die
Legitimität von National-Staatlichkeit überhaupt zur
Diskussion stellten.
2. Mir ist kein Land bekannt, dem die radikale
(deutsche) Linke mit der Kritik an kapitalistischen und
imperialistischen Wirtschaftsstrukturen zugleich das
›staatliche Existenzrecht‹ abgesprochen, aberkannt hätte.
Ich kann mich an keine einzige Diskussion, an keine einzige
Grundsatzdebatte der 70er Jahre erinnern, die die Kritik an
einem kapitalistischen, imperialen System mit der Aberkennung
nationaler Eigenständigkeit verknüpfte. Mir ist nicht bekannt,
dass die Kritik an der US-Ausrottungspolitik gegenüber
IndianerInnen, an der gewaltsamen Landnahme und Besiedlung, an
der Versklavung der Schwarzen auf das Existenzrecht dieses
Siedlerstaates USA zielte.
Was die deutsche Linke
nirgendwo auf der Welt machte, vollbrachte sie einzigartig am
Staat Israel. Sie diskutierte, stritt und bestritt (in
relevanten Teilen) schließlich das Existenzrecht des Staates
Israel. Wenn die deutsche Linke überall auf der Welt den Kampf
gegen das Verbrechen eines Staates nicht nur zu einem Kampf
gegen die Herrschenden gemacht hätte; wenn die deutsche Linke
das Staatswesen selbst als ein Akt des Verbrechens begriffen
hätte, egal, wer die Macht darin ausübt; wenn die Kritik der
Linken den Gewaltakt jeder Staatsgründung gemeint hätte, dann
hätte die Kritik am Staat Israel exemplarischen Charakter
gehabt. Doch all dies tat die deutsche Linke weder theoretisch
noch praktisch. Für die meisten deutschen Linken galt das
marxistisch-leninistische Konzept der Staatsübernahme. Mit der
Revolution war nicht die Zerschlagung, sondern die ›Eroberung‹
des Staatsapparats gemeint. Alleine, angesichts dieser
sozialistischen und kommunistischen Staatsverehrung eines
Großteils der deutschen Linken hätten die anarchistischen
Anwandlungen auffallen bzw. stutzig machen müssen. Doch bei
näherem Nachgehen der Argumente, die gegen das Existenzrecht
des Staates Israel ins Feld geführt wurden, kommt ganz und gar
nichts Anarchistisches zum Vorschein. Der Prozess um die An-
bzw. Aberkennung von Staatsrechten wurde exklusiv am Beispiel
Israel vollzogen - ein nationalistisches Schauspiel!
Seit den 70er Jahren hielten sich in der deutschen Linken– in
unterschiedlicher Gewichtung und Verknüpfung – folgende
geliehenen oder unwidersprochen gebliebenen Einwände gegenüber
einem Staat Israel:
- Voraussetzung für einen
Anspruch auf einen eigenen Staat sei »ein Territorium, auf dem
die Menschen seit geraumer Zeit leben« (Intifada-Komitee
Mainz/Wiesbaden, zitiert nach AK vom 21.10.1991). Folglich
haben Jüdinnen und Juden aufgrund der jahrhundertelangen
Diaspora diesen Anspruch verwirkt.
- Anspruch auf einen eigenen Staat darf nur erheben, wer auf
ein »Volk« verweisen kann, was für Jüdinnen und Juden nicht
zutrifft: »Das Judentum ist der Ausdruck für eine Religion,
wie auch das Christentum, der Islam und der Buddhismus. Dies
ist eine Bezeichnung für eine Religion, und nicht die
Bezeichnung für ein Volk.« (Karam Khella)
– eine linke Staatsbewilligung setzt voraus, dass eine
gemeinsame Kultur, eine gemeinsame Sprache existiert – beides
wird wegen erwiesener kultureller Vielfalt und
Mehrsprachigkeit bestritten.
Die Nichterfüllung vorgeblicher
Kriterien für ein nationalstaatliches Anerkennungsverfahren
mündete – bei allen Argumenten – in das (Gesamt-)Urteil, »dass
die ›jüdische Nation‹, abgesehen von der mythologischen
Komponente, künstlich geschaffen wurde ... Das Ziel ... war
nie das Wohlergehen der jüdischen Menschen und schon gar nicht
das der PalästinenserInnen, sondern immer nur der Staat.« (Intifada-Komitee
Mainz/Wiesbaden, zitiert nach AK vom 21.10.1991)
Nationalistischer kann ein
linkes Staatsrechtsverständnis kaum sein. Was sich als
radikale Kritik am Staat (Israel) ausgab, war nichts weiter
als die billige Reproduktion bürgerlicher, abendländischer
Staatsideologien. Sie kritisierte nicht die Konstrukte einer
Nationenbildung, den Mythos von dem einen Volk – sie machte
sie zur Bedingung linker Anerkennungspolitik.
Und was das »Wohlergehen«, gemeinsamer Staatsauftrag linker
und rechter Staatsrechtsinterpreten anbelangt: Wenn die Linke
ihre Staatskritik wirklich ernst gemeint hätte, dann wäre doch
zuallererst das Existenzrecht des Staates BRD zu bestreiten
gewesen, anstatt diese ›neue‹ Staatskritik einzigartig an
Israel zu exekutieren.
In der ganzen Kritik am Staat Israel, in der Bestreitung
seines Existenzrechtes kam keine radikale Staatskritik zum
Ausdruck, sondern ein linker Nationalismus, der Israel nur
vorwarf, seine Staatsgründung nicht im Zuge der europäischen
Nationalstaatenbildung vor 200 Jahren vollzogen zu haben, um
damit in den (Euro-) Genuss linker Verjährungsfristen zu
kommen.
Eine Linke, die die eigene nationale Verfasstheit vergisst,
indem sie selbstverständlich vom Existenzrecht des Staates BRD
ausgeht, betreibt mit dieser Staatskritik Herrschaftspolitik
und nicht Herrschaftskritik. In der Ab- und Anerkennung von
Nationalstaatlichkeit behauptet sich nicht die Kritik, sondern
das Konstrukt von der ›natürlichen‹ Nation.
Genau dieses natürliche (Staats-)Wesen musste wohl in den
Köpfen der Linken herumspuken, als sie vom »künstlichen
Gebilde« Israel redeten – als ginge es ihr um die Rettung der
Natur, um die Verteidigung organischer Verbindungen. Wie
nationalistisch dieses Bio-Gutachten ist, müsste alleine der (Rück-)Blick
auf die Wiedervereinigung des ›geteilten‹ Deutschlands
belegen. Wäre nicht in dieser Logik die Wiedervereinigung das
verdiente Ende einer unnatürlichen Spaltung? War nicht die
Ex-DDR ein künstliches Gebilde der Siegermächte, das mit dem
Anschluss nur renaturalisiert wurde?
Wenn die Kritik an der Staatsgründung Israels eine Kritik an
der kolonialen und imperialistischen Staatenbildung überhaupt
gewesen wäre, hätte die Linke nicht übersehen können, dass
auch die meisten Staaten rund herum auf dem Reißbrett der
Ex-Kolonialmächte entstanden waren (von Jordanien, über Syrien
bis zum Irak). Sie alle haben soviel und sowenig mit
kulturellen und geschichtlichen Gemeinsamkeiten zu tun wie
Israel. Der einzige Unterschied zwischen den arabischen
Staatsgründungen und der israelischen Staatsgründung besteht
im Zeitpunkt: Letztere liegt nur 60 Jahre zurück.
3. Ich kenne keine ›Opfer‹, denen die Linke so
andeutungsvoll bis vollendet eine Mitschuld an ihrer eigenen
Vertreibung, Verfolgung und Vernichtung nachzuweisen
versuchte, wie den Überlebenden des Holocaust.
Galten sie bis 1967 als Inkarnation der ›unschuldigen Opfer‹,
so wurde 20 Jahre nach der Staatsgründung Israels in der
deutschen Linken nachgeholt, was die einstige Solidarität nur
gestört hätte. Die Verdächtigungen waren nicht neu, um so mehr
deren Einfügung in linke Argumentationsfiguren. Dabei ging es
nicht darum, die Überlebenden zu begreifen, sondern ihnen die
einst verliehene Unschuld zu nehmen, sie mit den TäterInnen
ähnlich, vergleichbar machen, um sie als ›falsche‹ Opfer
abzustoßen.
20, 25 Jahre nach der militärischen Zerschlagung des Dritten
Reiches deckte die Linke die Zusammenarbeit zionistischer
Organisationen mit dem Naziregime auf. Aus Israel, einst
Heimstätte der Überlebenden des Holocaust, wurde nun ein von
den Nazis gefördertes ›Siedlerprojekt‹: »Die zionistische
Weltbewegung« war es, »die mit Nazideutschland
zusammenarbeitete, um die Rassenpolitik der Nazis maximal zur
Organisierung einer breit angelegten Emigration nach Palästina
auszunutzen. Die deutschen Faschisten wieder unterstützten die
Kolonialisierungspläne der Zionisten.« (Immer rebellieren,
zitiert nach ›Deutsche Linke zwischen Israel und Palästina‹,
Redaktion Arbeiterkampf, Hamburg 1988, S. 50) Die organisierte
Flucht nach Palästina wurde nicht mehr als sichere Rettung vor
Antisemitismus und drohender Vernichtung verstanden, sondern
als »verbrecherische Allianz zwischen Zionismus und deutschem
Faschismus.« (Ali Hashash, in ›Palästina - Kampf der
Gegensätze‹, S. 55)
Als letzter Akt der Entwürdigung der Opfer wurde ihnen
schließlich die Beteiligung an ihrer eigenen Vernichtung
vorgehalten: »Die Zionisten riefen zum Stillhalten und zur
Zusammenarbeit mit dem Naziregime auf. Sie leiteten den von
den Nazis installierten ›Judenrat‹ und beteiligten sich somit
unmittelbar an der Auswahl der zur Tötung ausersehenen Opfer.«
(Immer rebellieren, s.o., S. 50)
Selbst wenn Opfer ihre letzte (Über-)Lebenschance in der
Zusammenarbeit mit den Nazis gesucht hätten: Was ändert das an
der Tatsache, dass das Naziregime sie umgebracht hatte und
nicht sie sich selbst? Und auch die Tatsache, dass
zionistische Organisationen mit Nazis kooperiert haben (vor
allem zu einer Zeit, als die Nazis noch die Politik der
»forcierten Auswanderung« von Jüdinnen und Juden verfolgten),
ändert nichts daran, dass der Nationalsozialismus und eben
nicht zionistische Staatsgründungspläne den letzten Beweis
dafür lieferte, dass ein ›Volk ohne Staat‹ der Willkür aller
(europäischen) Staaten ausgeliefert war und ist.
Ausblick
Vielleicht eignet sich dieser historische Rückblick dazu,
furchtbare Fehler nicht zu wiederholen, die eigene politische
Parteinahme nicht über die Opfer zu begründen, sondern mit den
politischen und gesellschaftlichen Vorstellungen der
ProtagonistInnen dieses Konflikts:
1. Seit ein paar Jahren stehen
sich innerhalb der radikalen Linken lautstark zwei Positionen
sprachlos gegenüber: Die von antideutschen Grupperungen
dominierte ›Pro-Israel‹- Haltung und die von
anti-imperialistischen Gruppierungen dominierte ›Pro-Palästina‹-Solidarität
– die schlechteste und niedrig-schwelligste Kopie der
68er-Konstellationen: Nicht die Ideen und politschen Praxen
der Protagonisten, sondern das jeweils schlimmere Gegenüber
(›islamischer Faschismus‹ - israelisches Besatzungsregime)
begründet – in der Regel – diese enthnifizierte Parteinahme.
Für eine radikale Linke, die an der Überwindung des
Bestehenden festhält, käme es hingegen darauf an, die
Parteinahme gerade nicht daran zu bestimmen, wer weniger
grausam an den bestehenden Verhältnissen festhält. Vielmehr
geht es darum, sich auf die Seite, an die Seite
emanzipatorischer Prozesse zu stellen. Diese werden in Israel,
im Gazastreifen und im Westjordanland gleichermaßen
unterdrückt.
2. Eine radikale Linke solidarisiert sich nicht mit ›Opfern‹,
sondern mit politischen und gesellschaftlichen Zielen, die
über jede Art von Herrschaft und Ausbeutung hinausweisen.
3. Eine radikale Linke sollte internationales Recht
(insbesondere das UN-Völkerrecht) nicht unterschreiten,
sondern darüber hinausweisen. Die Besetzung fremder
Territorien ist nirgendwo ein ›Selbstverteidigungsakt‹,
sondern Ausdruck einer imperialen Logik.
4. Der Kampf gegen Besatzung ist überall auf der Welt legitim.
Die Legitimität dieses Widerstandsrechtes begründet sich in
der Besatzung - sie besagt nichts über die politischen Ziele.
Maßstab für eine radikale Linke kann jedoch nicht das im
Völkerrecht verankerte Recht auf Widerstand sein, sondern die
Mittel und Ziele, die über (Fremd-)Herrschaft hinausweisen.
5. Für eine radikale Linke misst sich die Legitimität der
Mittel weder an der Grausamkeit des Feindes, noch am
Schrecken, den sie verbreiten können. Wer gezielt
›Unbeteiligte‹, ›Zivilisten‹ angreift bzw. zur Geisel
militärischer Auseinandersetzungen macht – ob aus Gründen der
militärischen Unter- oder Überlegenheit - macht sich gleich
und nicht unterscheidbar.
6. Es gibt keinen Grund für eine radikale Linke, sich mit der
gegenwärtigen Staatsführung in Israel oder mit ›Hamas‹ bzw.
der ›palästinensischen Autonomiebehörde‹ zu solidarisieren.
Wer einen politischen, gesellschaftlichen Konflikt in Worten
und Taten ethnifiziert, wer politische Ziele einer
militärischen Logik unterordnet, wer nur das Fremde an
Herrschaft meint, bekämpft nicht Herrschaft, sondern
reproduziert sie.
7. Wer den Krieg der israelischen Armee im Gazastreifen mit
Methoden und Zielsetzungen des deutschen Faschismus vergleicht
(Belagerung Leningrads durch deutsche Truppen 1941-44 , die
Behauptung eines ›Holocaust am palästinensischen Volk‹),
kritisiert nicht das militärische Vorgehen der israelischen
Armee. Er beweist nur einen unerträglichen Umgang mit dem
Begriff ›Faschismus‹.
8. Die Linke ist nicht nur in Deutschland schwach und
einflusslos – sondern auch im Nahen Osten. Doch sie hat hier
das Privileg und die Chance, denen zu widersprechen, die nur
noch auf komplementäre Weise der Logik des Krieges das Wort
reden (sei in Form eines imaginierten Rechts Israels auf
›Selbstverteidigung‹ oder das Recht der ›Hamas‹, Vergeltung zu
üben). Wer zurecht den Methoden und Zielen der Hamas
widersprechen will, der möge sich nur für einige Momente
vorstellen, was passieren würde, wenn nur die Hälfte der
Summe, die für diesen israelischen Einmarsch ausgegeben wird,
für die Verbesserung der Lebensbedingungen im Gazastreifen
ausgegeben werden würde … Eine von vielen Möglichkeiten, die
gesellschaftliche Basis der ›Hamas‹ zu schwächen, anstatt
durch die Eskalation der Lebensbedingungen im Gazastreifen
ihre Macht zu stärken.
9. Wer einen Krieg beenden will, sucht sich den Feind nicht
aus, sondern verhandelt mit ihm. Bereits 2002 gab es ein
solches Friedensangebot: »Es gibt nur eine Lösung: Ende der
Besatzung, Auflösung der israelischen Siedlungen, Errichtung
eines palästinensischen Staates. Das muss natürlich (...) mit
einer Sicherheitsgarantie für Israel verbunden sein... Der
neue saudische Friedensplan ist wichtig. Die Saudis machen
Israel ein Angebot, das es noch nie gab: Im Falle eines
Rückzuges von den 1967 besetzten Gebieten wird Israel nicht
nur von einzelnen Staaten wie Ägypten und Jordanien, sondern
von der gesamten arabischen Welt völkerrechtlich anerkannt –
das wäre nicht nur ein Waffenstillstand, sondern ein echter
Friede. Außerdem bietet Saudi-Arabien... einen Kompromiß für
Jerusalem und eine faire Regelung der Frage der
palästinensischen Flüchtlinge an, das heißt ohne ein
pauschales Rückkehrrecht, das Israel als jüdischen Staat
bedrohen würde.« (Avi Primor, ehemaliger israelischer
Botschafter in Deutschland, Konkret 5/2002) Die damalige
israelische Regierung lehnte diesen Friedensplan ab. Auch die
Erklärung der ›Hamas‹ im Jahr 2006 , einem solchen
Friedensplan zuzustimmen, änderte an der absurden Behauptung
der israelischen Staatsführung nichts, es gäbe keine
Verhandlungspartner.
Editorische
Anmerkungen
Der Text
erschien bei Indymedia am 21.1.2009
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