Der Kolonialstaat Israel
gilt seinen Fans in aller Welt u.a. als „der Staat der
Aufklärung“ und als „die einzige Demokratie im Mittleren
Osten“. Pressefreiheit bzw. das Recht auf freie
Berichterstattung fallen nach dieser Definition offensichtlich
nicht mehr unter die Kategorien „Aufklärung“ und „Demokratie“.
Die israelische Armee verwehrt nämlich fast allen Journalisten
den Zugang zum Gaza-Streifen, um den Informationsfluss über
den von ihr geführten Vernichtungsfeldzug soweit wie möglich
zu begrenzen.
Umso erfreulicher, dass es der unabhängigen, linken
italienischen Tageszeitung „il manifesto“ gelang,
telefonischen Kontakt zu Saleh Adel Adi, einem
Leitungsmitglied der PFLP-nahen linksradikalen
Jugendorganisation Palestine Progressive Youth Union (PPYU) im
Flüchtlingslager Jabaliya, herzustellen, das zu den von der
sog. Operation „Gegossenes Blei“ besonders betroffenen
Gebieten zählt. Das Interview erschien am 10.1.2009.
Stimmen aus Jabaliya
„Ihr Ziel? Sie wollen uns zu einem
Volk von Flüchtlingen degradieren“
Die jungen Progressiven: Tausende wurden vertrieben. Die
Strukturen der Zivilgesellschaft sind verwüstet.
Michelangelo Cocco
„Hier findet kein Krieg gegen die Hamas statt“ – ruft Salah ins
Telefon – „sondern eine Invasion, die darauf abzielt, die
Palästinenser als nationales Gebilde zu zerschlagen.“ Für die
Islamisten, die den Gaza-Streifen regieren und die er als „nicht
demokratisch und an den Menschenrechten desinteressiert“,
beschreibt, hegt Salah Adel Adi keine besonderen Sympathien.
Aber jetzt kümmern er und seine Genossen von der Palestine
Progressive Youth Union (der der PFLP nahe stehenden
Jugendorganisation) sich, zusammen mit den Mitgliedern der Hamas
und aller anderen palästinensischen Fraktionen, vor allem um den
Schutz und die Verteidigung Ihres Flüchtlingslagers Jabaliya.
Wie ist die Lage in Jabaliya?
„Hier sind die Soldaten noch nicht rein gekommen, aber ständig
gibt es Angriffe der F-16-Jagdbomber und der
Apache-Kampfhubschrauber. Allein gestern wurden 22 Menschen
getötet und 16 Gebäude zerstört. Wir wissen, dass im gesamten
Gaza-Streifen über 600 Wohnhäuser zerstört und circa 3.000
beschädigt wurden. Wenige Kilometer von hier in Beit Laiya
wurden Dutzende Zivilisten massakriert.“
Wie schafft man es, unter diesen Bedingungen zu überleben?
„Der Strom kommt und geht. Seit vier Tagen haben wir kein
fließendes Wasser und auch die Nahrungsmittel gehen zu Neige.
Arzneimittel sind nicht mehr zu bekommen. Eine dramatische
Situation, die der seit eineinhalb Jahren andauernden
regelrechten Belagerung die Krone aufgesetzt hat. Die Präsenz
der israelischen Truppen hat den Gaza-Streifen in drei Teile
geteilt. Die Kommunikation unter der Bevölkerung ist unmöglich
geworden. Alle kommunalen Behörden und Einrichtungen haben
aufgehört zu funktionieren. In vielen Teilen kommt kein Wasser
mehr an, weil die Israelis die Pumpanlagen zerstört haben. So
versuchen 1,5 Millionen Palästinenser unter den täglichen
Bombardements zu überleben und der größte Teil davon sind
Kinder. Neben den Einrichtungen der Hamas zerstören sie auch die
wenigen Strukturen der Zivilgesellschaft, das heißt die von uns
Linken.“
Wer sind die Palästinenser, die kämpfen?
„Es handelt sich um Mitglieder aller Organisationen, von der
Hamas über den Islamischen Jihad bis hin zur Volksfront für die
Befreiung Palästinas (PFLP). Die Israelis versuchen im Moment,
uns zu zerstören, aber wir sind im Widerstand vereint. Auch die
Spaltungen zwischen Hamas und Fatah sind jetzt hier überwunden.
Israel versucht uns als nationales Gebilde zu zerschlagen. Sie
möchten, dass wir ein riesiges Flüchtlingslager werden und dann
nach Ägypten abwandern. Und leider wurden bereits Tausende
Menschen aus Beit Laiya (im Norden) und Rafah (im Süden) in
andere Gebiete evakuiert, womit sie nach der Naqba 1948 erneut
zu Flüchtlingen geworden sind.“
Glauben Sie, dass die Hamas zumindest teilweise für das
verantwortlich ist, was jetzt geschieht?
„Die Hamas hat einen schweren Fehler begangen als sie die
Einheit der Palästinenser gebrochen und hier in Gaza selbst alle
Macht übernommen hat. Aber das was jetzt, in diesen Tagen
passiert, sind Massaker, die die Besatzungsmacht begeht.“
Wird die Hamas, wenn alles vorbei ist, schwächer sein?
„Das ist schwer vorherzusagen, aber das Ausmaß der Zerstörungen
(auch ihrer Infrastruktur) ist derart, dass irgendein
Machtwechsel zugunsten der Fatah stattfinden könnte. Im Übrigen
ist genau das eines der Ziele der Israelis.“
Editorische
Anmerkungen
Die eingerückte
Vorbemerkung
und die Übersetzung stammen von
Rosso.
Die Übersetzung erschien am 13.01.2009 bei Indymedia.
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