1. Das
bolschewistische und später stalinistische Regime
bildet eine Entwicklungsdiktatur: Angesichts
der Unterentwicklung der sozialökonomischen
Verhältnisse 1917 war es unvermeidlich, daß während
einiger Jahrzehnte in erster
Linie forciert industrialisiert und akkumuliert
wurde. Dies erforderte gesellschaftlichen Zwang und
führte zu einem diktatorischen Regime. Dieser Topos
ist u.a. bei Adler, Kofier, Rosdolsky, Kuron und
Modzelewski, Mattick, Carlo, Melotti, Fantham und
Machover, Schmiederer, Campeanu anzutreffen.
2.
Die Sowjetunion weist eine Analogie mit der
asiatischen Produktionsweise auf: Der
Stalinismus ist keine Variante »orientalischer
Despotie«, ähnelt ihr aber in mancherlei Hinsicht.
Die Analyse z.B. der klassischen chinesischen
Gesellschaft hat zumindest heuristischen Wert für
das Studium der Sowjetgesellschaft. Dieser Topos
ist u.a. bei Sternberg, Frölich, Simin, Konräd und
Szelenyi vorzufinden. Eng verwandt mit diesem Thema
ist die Erwägung von Gorter, Pannekoek, Wagner,
Wittfogel und anderen, daß Rußland bzw. die
Sowjetunion traditionell einer völlig anderen
ökonomischen, politischen und kulturellen Sphäre
als »der Westen« angehörten.
3.
Die Sowjetgesellschaft ist ein Bastardgebilde,
ein »uneigentliches« Phänomen, eine ins Nichts
führende Abzweigung vom Hauptweg der menschlichen
Geschichte. Zu den Vertreterinnen dieser Auffassung
gehören Kautsky, Simin und Ticktin, auch Laurat und
Shachtman könnten hierzu gerechnet werden.
4.
Der Bolschewismus und/oder Stalinismus ist eine
historisch befristete Erscheinung: Innerhalb
einiger Jahre wird sie einer anderen, dauerhafteren
Formation Platz machen müssen. Dieser Topos - der
dem dritten nahesteht, aber keineswegs mit ihm
identisch ist - ist bei Kautsky, Trotzki und
Pedrosa anzutreffen.
5.
Die Sowjetunion verkörpert ein Übergangsstadium
zwischen Klassen- und klassenloser Gesellschaft,
und weist daher Parallelen mit dem
Übergangsstadium von der klassenlosen zur
Klassengesellschaft auf. Dieser Topos ist bei
Rizzi, Simin und Bahro anzutreffen.
6.
Stalinismus und Faschismus/Nationalsozialismus
sind zwei Varianten derselben Gesellschaftsform.
Dieser Topos - der auch aus der
Totalitarismus-Theorie bekannt ist - ist bei den
Vertreterinnen der Staatskapitalismus-Theorien
(Rühle, Pollock) vorzufinden und bei Vertreterinnen
der Theorien einer neuen Produktionsweise (Laurat,
Weil, Rizzi, Burnham).
7.
In der Sowjetunion handelt es sich um die
Unterwerfung der Ökonomie unter die Politik
oder, anders gesagt, um einen vollständig
verselbständigten Staat. Vertreterinnen dieses
Topos sind Hilferding, Pedrosa, Damus, Schmiederer
u.a.
8.
Die Macht der herrschenden Elite beruht auf der
Trennung von Kopf- und Handarbeit (Wissen als
Grundlage der Herrschaft). Dieser Topos ist in den
Theorien der Managerklasse (Weil, Burnham)
anzutreffen, aber auch bei Cycon, Eggert, dem SZ
Tübingen, Eichwede und Kaiser, Konräd und Szelenyi.
Eine etwas abweichende Variante (die Elite als
Sektor der Kopfarbeiter) wird von Bahro vertreten.
9.
Die Arbeiter in der Sowjetunion sind keine
»freien Lohnarbeiter« im Sinne
von Marx: Da sie alle letztendlich ihre
Arbeitskraft einem Unternehmer zur Verfügung
stellen müssen und darüber hinaus Arbeitspflicht
besteht, ist ein wesentliches Element der Marxschen
»Freiheit« verschwunden, nämlich die Freiheit,
zwischen verschiedenen Ausbeutern zu wählen. Dieser
Topos ist im Werk von Rizzi, Burnham und Guttmann
vorzufinden.
10.
Je länger die Sowjetunion besteht, desto stärker
ist das Wachstum der Ineffizienz oder, wie
manche Autorinnen es ausdrücken, die Entwicklung
des Widerspruchs zwischen Produktivkräften und
Produktionsverhältnissen. Dieser Topos kam in den
siebziger Jahren auf (Carlo, Ticktin, Conert,
Feher u.a.).
11.
Die Sowjetgesellschaft hat keine autonomen
Bewegungsgesetze; ihre Entwicklungsrichtung
wird vom Konkurrenzdruck der kapitalistischen
Umwelt bestimmt. Dieser Topos ist bereits bei
Cliff auszumachen und kehrte später u.a. bei
Marcuse und Sweezy wieder.