buchmarkt online (http://www.buchmarkt.de)
vom 17.06.2002 um 10:29
Linke Buchtage Berlin zeigten breites Spektrum an
Verlagen und Buchhandlungen
Passendes Ambiente für die Premiere: Im Mehringhof, Genossenschaftsbesitz an
der Kreuzberger Gneisenaustraße, fanden am Wochenende die ersten Linken
Buchtage Berlin statt. Verlage wie der Verbrecher Verlag oder der Verlag für
das Studium der Arbeiterbewegung präsentierten sich genauso wie etwa der
Kreuzberger Infoladen M99 (Revolutionsbedarf und Gemischtwarenladen).
taz vom 17.6.2002
Die Trotzdemisten bleiben ihrer Sache treu
Gefährlich waren vor allem die Buletten
auf dem Grill: Am Wochenende fanden im Mehringhof zum ersten Mal die "Linken
Buchtage Berlin" statt
Nirgendwo sonst im ehemaligen Westberlin
drängeln sich so viele alternative Läden und Initiativen an einem Ort wie in
den Tiefen des Mehringhofs. Seit über zwanzig Jahren sind die ehemaligen
Gewerbehöfe an der Kreuzberger Gneisenaustraße fest im Besitz einer
Genossenschaft. Also genau das passende Ambiente für die "Ersten Linken
Buchtage". Mehrere dutzend alternativer Verlage und Buchläden waren am
Wochenende dort zu Gast: Die Spannbreite reichte vom nicht ganz so
traditionsreichen Berliner Verbrecher-Verlag über den Kreuzberger Infoladen
M99 ("Revolutionsbedarf und Gemischtwarenladen") bis zum renommierten
Hamburger "Verlag für das Studium der Arbeiterbewegung" (VSA-Verlag).
Ähnlich wie der Mehringhof selbst reicht die Gründungsgeschichte vieler
Aussteller in die wilden Siebzigerjahre zurück. Der Trotzdem-Verlag zum
Beispiel wollte bei seiner Gründung 1978 durch "libertäre politische
Sachbücher" und Literatur "trotz alledem" zum "Erhalt und zur Entwicklung
einer lebendigen Gegenkultur beitragen". Wie die eigens in den Mehringhof
verlegte Genossenschaftsversammlung des Verlags zeigte, sind die
Trotzdemisten auch organisatorisch der Sache treu geblieben.
Die inhaltlichen Schwerpunkte der Linken Buchtage lagen oft abseits des
linken Mainstreams: Der zu Wendezeiten in Ostberlin gegründete
Basisdruckverlag etwa stellte mit Andreas Hansens und Hubert van Bergs Buch
"Wir sind die Genossen Piraten" die Geschichte einer kommunistischen
Schiffskaperung vor. Eine bizarre Fußnote der deutschen Literaturgeschichte:
1920 entführte der expressionistische Schriftsteller Franz Jung die "Senator
Schröder" von Cuxhaven ins russische Murmansk.
Einen Helden ganz anderen Zuschnitts hatte die Hamburger Edition Nautilus
mit dem irischen Hooligan und Intellektuellen John McGuffin im Programm. In
den Storys des unlängst verstorbenen Enfant terrible dreht es sich etwa um
misslungene Banküberfälle, bekiffte Hochzeitsgäste oder die Landung von
Aliens in der Grafschaft Fermanagh. Vorgestellt wurden die Texte von
McGuffin-Übersetzer Jürgen Schneider.
Gerd Dombrowski nahm mit seinem Satire-Sammelband "Die neuen Heiligen"
Lichtgestalten wie den Dalai-Lama, Jenny Elvers und Franz Beckenbauer auf
die Schippe. Unsere postmodernen Ikonen, so Dombrowski, sind Ausdruck eines,
wenn nicht menschen-, so doch immerhin zuschauerverachtenden
Unterdrückungssystems.
Eine kernige Alternative zum Medienterror der neuen Mitte bot Herausgeber
Wolfgang Eckhardt mit einer Einführung in die Schriften des russischen
Anarchisten Bakunin. Das Thema Freiheit bekam äußerst aktuelle Züge: Mit der
Präsentation von Peter Novaks Buch zu Gefängnissystem und
Gefangenenwiderstand in der Türkei wollten die Veranstalter dazu beitragen,
dass die Frage von politischer Gefangenschaft und Solidarität der Linken
wieder diskutiert wird - was in der anschließenden Diskussion auch geschah.
Weitere Schwerpunkte vom Afghanistankrieg über Abu Jamal bis zur
Faschismustheorie ergänzten den aktuellen Kontext. Zum Abschluss der
Buchtage war eine Diskussionsveranstaltung zum Thema "Verklärte Blicke auf
die RAF" vorgesehen. Neben Ex-RAF-Mitglied Karl-Heinz Delwo hatte man den
Filmemacher Gerd Conradt ("Starbuck Holger Meins") und den Autor Leander
Scholz (RAF-Roman "Rosenfest") geladen. Doch ob mit oder ohne Verklärung:
Überall dort, wo auf den linken Buchtagen die bewegte Vergangenheit
beschworen wurde, stand das im merkwürdigem Kontrast zur harmlosen
Tristesse, die die Mehringhöfe in der Gegenwart ausstrahlen. Wenn etwas
wirklich gefährlich aussah, dann waren das die heftig qualmenden Buletten
auf den Grillrosten.
ANSGAR WARNER
taz Berlin lokal Nr. 6776 vom 17.6.2002, Seite 25, 129 Zeilen (TAZ-Bericht),
ANSGAR WARNER
Zitty Tagestip vom
14.6.2002 |
|
|
Linke BuchtageGut, dass es
sie gibt, all die aufrechten, linken Weltverbesserer, die Samuel
Huntington als reinen Ideologen entlarven, die sich um den
Gefangenenhungerstreik in der Türkei kümmern und die Staats- und
Gesellschaftstheorien Michael Bakunins in die nächste Generation
weiter tragen. |
Sie alle
feiern sich noch bis zum Sonntagabend selber, allerdings schon
längst nicht mehr so verbissen wie noch vor 20 Jahren |
ND vom 14.6.02
1. Linke Buchtage im Mehringhof
Alternative Verlage laden ein nach Kreuzberg
Von Tom Mustroph
Das alternative Großprojekt Mehringhof in der Gneisenaustraße öffnet
heute bis Sonntag seine Pforten für die 1. Linken Buchtage Berlin. "Mit
dem Verschwinden von linken Buchläden und Infoläden verliert auch die
alternative Gegenöffentlichkeit mehr und mehr an Raum und
Aufmerksamkeit", konstatiert der Organisator Jörg Sundermeier vom
Berliner Verbrecher Verlag.
Zwar hat sich die informationelle
Infrastruktur weitgehend ins Internet verlagert, aber ein Buch in den
Händen zu halten oder im wirklichen Leben mit ähnlich Gesinnten
zusammenzukommen kann durch websites, news groups und chatrooms wohl
nicht ersetzt werden.
Die Linken Buchtage bieten daher die
Möglichkeit, die Programme alternativer Verlage kennen zu lernen (u.a.
Basis-Druck, b.books, Edition Nautilus, Schmetterling Verlag, Verbrecher
Verlag). Für lebhafte Auseinandersetzungen wird eine Fülle von
Veranstaltungen sorgen. Heute um 20 Uhr etwa widmet sich Uwe Rada in
seinem Buch "Berliner Barbaren" der Angst vor der "Osteuropäisierung"
der Stadt durch polnische Bauarbeiter und ukrainische Putzfrauen. Jürgen
Schneider stellt eine Stunde später neue Texte des trinkenden Hooligans
und Dichters Sean McGuffin vor. Der Samstag ist von Debatten zur
Möglichkeit einer Umgestaltung der Gesellschaft geprägt. Die Jour Fix
Initiative Berlin untersucht ab 14.30 Uhr, inwiefern eine Revolution
noch möglich ist. Um 17 Uhr äußert Detlef Hartmann seine Kritik an der
neuen Bibel der Linken, dem "Empire"-Buch von Hardt/Negri, um 20.30 Uhr
organisiert b.books eine weitere Diskussion
über das Buch. Einen kleinen Leckerbissen reicht vorher (15.30 Uhr)
Andreas Hansen mit der Erinnerung an die Entführung der "Senator
Schröder" durch den expressionistischen Schriftsteller (und damaligen
Angehörigen der KAPD) Franz Jung im Jahre 1920. Am Sonntag sticht eine
Kurzfilm-Matinee zu Gerd Conradts Film "Starbuck Holger Meins" (11 Uhr)
ins Auge, gefolgt von einer Diskussion mit dem Regisseur, dem
Ex-RAF-Mitglied Karl-Heinz Dellwo und dem Autor Leander Scholz über
"verklärte Blicke auf die RAF". Der Eintritt ist zu allen
Veranstaltungen frei.
taz vom
14.6. 2002
Jetzt halt Direktvermarktung
Mehr Platz für Gegenöffentlichkeit: Bei den ersten "Linken Buchtagen"
Berlins
In so einer betagten Klassikerschrift fragt Lenin also: "Was tun?" Was
immer noch ein mitreißender Titel ist, selbst wenn man seinen
Ausführungen über die organisatorischen Fragen der russischen
Arbeiterbewegung nicht mehr recht folgen möchte (schließlich hat sich
Lenins Betonung vom Primat der Partei gegenüber der Stoßkraft spontaner
Impulse dann auch nicht als sonderlich attraktiv erwiesen). Gleichwohl.
Wenn eben die linken Buchhandlungen und Infoläden langsam verschwinden,
stellt sich doch wieder die Frage nach neuer Organisation, um die
Gegenöffentlichkeit nicht vollends ins Abseits treiben zu lassen.
Direktvermarktung ist dabei eine aparte Alternative, die bei den ersten
"Linken Buchtagen" Berlins an diesem Wochenende im Mehringhof nicht nur
die Möglichkeit zur Kontaktaufnahme mit den 43 ausstellenden Verlagen
gibt, sondern auch mit einer Fülle an Lesungen und Diskussionen Raum für
streitbare Kontroversen öffnet. Das Programm findet sich unter
www.linkebuchtage.partisan.net.
taz Berlin lokal Nr. 6774 vom 14.6.2002, Seite 26, 33 Zeilen (TAZ-Bericht)
Junge Welt - Interview
vom 12.6.2002
Interview: Thomas Epp
Linke Verlage in Deutschland immer am Rande des
Abgrunds?
jW sprach mit Rainer Wendling, Mitarbeiter der linken Verlagsgemeinschaft
Assoziation A und Mitveranstalter der Linken Buchtage am Wochenende in
Berlin.
F: Was hat Sie auf die Idee gebracht, die Berliner Linken Buchtage (14
bis 16. Juni im Mehringhof in Berlin-Kreuzberg) zu organisieren? Unter anderem
die Linke Literaturmesse in Nürnberg, die immer im Herbst stattfindet.
Nach deren Vorbild wollen wir dieses Jahr zum ersten Mal in Berlin
Buchtage organisieren. Auf den großen Buchmessen in Frankfurt und
Leipzig gehen die kleinen linken Verlage leider immer mehr unter.
F: Wie geht es den linken Verlagen und Buchhandlungen zur Zeit?
Ich kenne keinen linken Verlag, der von sich behauptet, daß es ihm
wirklich gut ginge. Das gleiche gilt für den linken Buchhandel. Verlage
und Buchhandlungen haben zunehmend ökonomische Schwierigkeiten. Jede
Kleinigkeit, die die Lage verschärft, etwa Druckkosten- oder
Mieterhöhungen, kann das Ende bedeuten, weil sie kaum über finanzielle
Reserven verfügen.
F: Woran liegt das?
Zum
einen ist die linke Szene nicht mehr so groß wie früher, zum anderen
wird nicht mehr soviel gelesen, weil heute mehr Zeit bei der Arbeit und
im Internet verbracht wird. Vor allem theoretische Texte spielen nicht
mehr die Rolle wie früher. Das kann man an der Auflagenhöhe feststellen.
In den 70er und 80er Jahren waren die Auflagenhöhen in den linken
Verlagen annähernd doppelt so hoch wie heute. Die Folge sind steigende
Buchpreise, was wiederum mehr Leute vom Bücherkauf abschreckt.
Es gibt auch nicht mehr die enge Bindung der linken Szene an Verlage und
Buchhandel. Anstatt in den linken Buchladen zu gehen, bestellen viele
ihre Bücher heute einfach bei Amazon, ohne sich große Gedanken darüber
zu machen, was das eigentlich für ein Konzern ist.
F: Kann man sagen, daß sich die Kundschaft in einem bestimmten
gesellschaftlichen Milieu konzentriert?
Erfreulich ist, daß wir ein sehr großes junges Publikum haben. Sowohl
Studenten als auch Leute mit anderen Jobs sind darunter. Gleichzeitig
muß man aber feststellen, daß die ältere Kundschaft immer kleiner wird.
Das mag damit zusammenhängen, daß Zeit und Interesse für linke Lektüre
abnimmt, sobald die Leute richtig in ihre Berufe eingestiegen sind.
F: Können linke Verlage als kommerzielle Unternehmen überleben oder
sind sie auf Stiftungen und Spenden angewiesen?
So gut wie alle sind auf zusätzliche Gelder angewiesen. Viele versuchen,
bestimmte Sozialgelder zu erlangen, indem sie beispielsweise ABM-Stellen
vergeben. Für die Titel, die nicht in hohen Auflagen zu verkaufen sind,
versucht man, an Fördertöpfe heranzukommen, an öffentliche Stiftungen
verschiedenster Art. Das gelingt manchmal, ist aber in letzter Zeit auch
immer schwieriger geworden. Es ist immer eine Gratwanderung und ein
ziemlicher Eiertanz.
Quelle:
http://www.jungewelt.de/2002/06-13/016.php
|