KOMMUNISTISCHE
STREITPUNKTE
- Zirkularblätter - Extra zum Krieg -
16.10.1999 - Onlineversion
Daniel Dockerill, Matthias Grewe Ob mit oder ohne Nato, ob Angriff oder Verteidigung: Kein Friede mit Deutschmark und EurolandFlugblatt der Gruppe "übergänge zum kommunismus" vom 26. 4. 1999 |
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Über einen Monat hält das Bombardement
Jugoslawiens durch die Nato nun bereits an. Die einhellige Anklage aller
Opponenten dagegen heißt: „Angriffskrieg". Die „größte
Friedensbewegung der Welt", wie die Nato sich selber einst gerne nannte,
hat sich allem Anschein nach gegen ihr eigenes „Völkerrecht" zu einem
Anschlag auf die Souveränität eines kleinen Landes verschworen,
das nicht so spuren will, wie es die augenblicklichen Interessen der westlichen
Wertegemeinschaft verlangen. Aber welche Interessen sind das?
Deutsche OppositionZweifellos ist es die Nato, die den gegenwärtigen Krieg vom Zaun gebrochen hat, und zweifellos ist die Nato zu neunzig Prozent ein amerikanisches Unternehmen. Selbst alle anderen an dem Militärpakt beteiligten Länder zusammengenommen sind derzeit kaum in der Lage, die überlegene Militärmaschinerie der USA nennenswert zu relativieren. Andererseits könnten die USA gerade deswegen, soweit es auf ihre militärische Stärke ankommt, auf die Nato ebensogut verzichten und haben das, wie jüngst im Falle des Irak, bislang ja auch immer getan. Kriegstechnisch gesehen haben sich die aufwendigen und umständlichen Entscheidungsprozeduren des westlichen Militärbündnisses in diesem ersten heißen Krieg seiner fünfzigjährigen Geschichte bereits jetzt als ein gravierendes Hindernis erwiesen, das Miloševic z.B. bislang vor größeren militärischen Überraschungen seitens seines Gegners bewahrt hat. Jedoch ist allen auch links gerne gehandelten anderslautenden Gerüchten zum Trotz der Krieg immer noch keineswegs irgendein „Ende" der Politik, sondern deren Fortsetzung mit gewaltsamen Mitteln. Die Niederlage der USA in Vietnam hat vor der ganzen Welt demonstriert, daß auch die größte Militärmacht kriegerisch nicht gewinnen kann, was sie politisch im Begriff ist zu verlieren. Krieg ist PolitikDie Eindämmung des Kommunismus hat sich inzwischen anders erledigt. Miloševic stellt allenfalls eine versprengte Nachhut jenes „Reichs des Bösen" dar, das vor einem knappen Jahrzehnt unter tätiger Mithilfe seines damaligen obersten Chefs in seine Einzelteile zerlegt worden ist. Miloševics Regime ist an sich weder eine Bedrohung, noch auch nur ein ernsthaftes Hindernis bei der Herstellung jener globalen Menschenrechtsgemeinschaft, deren materieller Inhalt weltweite Gewerbe- und Handelsfreiheit für die großen Kapitalzusammenballungen der Weltmarktmetropolen ist. Insofern erweist sich die offizielle Kriegspropaganda der Nato, die den jugoslawischen Präsidenten tagtäglich zum obersten Menschenfeind ausruft, selbst an ihren eigenen Maßstäben gemessen als pure Hysterie und offensichtlich absurd. So wenig sie daher als Auskunftsmittel über Motive und Hintergründe des Krieges taugt, so sehr aber als Indiz für eine kaum mehr rational zu bewältigende Zwangslage, in der die Balkanpolitik des Westens schon seit geraumer Zeit steckt: Miloševic ist nicht so sehr Partei, als vielmehr das eher zufällige Objekt eines Konflikts, der die Geschichte unter ihrer Oberfläche für alle Beteiligten gefährlich hat eskalieren lassen und dessen Brisanz derzeit eben darum niemand von ihnen öffentlich auszusprechen wagt. „Kriege die nicht zu gewinnen sind"Am wenigsten verklausuliert erscheint der politische Zweck des Krieges in der Rede von der „Glaubwürdig-keit der Nato", die auf dem Spiel stehe. Fragt sich freilich, welcher Teufel die Nato-Strategen geritten hat, sie gerade jetzt und ausgerechnet in dieser unberechenbaren Weltgegend auf die Probe zu stellen. Brandstifter als BiedermannDie USA hatten aber am Ende wohl gar keine Wahl. Zu lange bereits und allzu erfolgreich hatte vor allem der deutsche Zauberlehrling am Pulverfaß Balkan herumgezündelt. So oder so schien es nur noch eine Frage der Zeit, wann es in die Luft fliegen würde. Ein explodierender Balkan, in den Griechenland und die Türkei unweigerlich als Gegner verwickelt sein werden, bedeutet das sichere Ende der Nato und damit der im Großen und Ganzen allgemein akzeptierten militärischen Vorherrschaft der USA in Europa. Die Nato war von Anfang an nicht einfach ein kapitalistisches Militärbündnis gegen den kommunistischen Osten, sondern sollte nicht zuletzt naheliegende deutsche Ambitionen unterbinden, im Schatten der sowjetisch-amerikanischen Konfrontation erneut die europäische Hegemonie anzustreben. Bekanntlich hatte Stalin nach 1945 ein neutrales kapitalistisches Gesamtdeutschland favorisiert, also eines, das mit den USA konkurriert. Dem wurde mit der Einbindung Westdeutschlands in die Nato ein Riegel vorgeschoben, der überdies den Vorteil hatte, das von der deutschen Bourgeoisie beherrschte Territorium um ein Drittel zu reduzieren. Für das Verhältnis zwischen den USA und dem antikommunistischen Frontstaat BRD ergab sich daraus eine eigenartige Ambivalenz, die im Großen und Ganzen bis 1989 anhielt: Als europäische Schutzmacht hielten die USA ihren potentesten Konkurrenten in Europa politisch und militärisch am kurzen Zügel, waren aber zugleich dazu verdammt, ihm im Kampf gegen den Kommunismus seinen kapitalistischen Geschäftserfolg zu garantieren, mit der Folge, daß in Gestalt der BRD sich die deutsche Bourgeoisie zur unangefochtenen ökonomischen Vormacht in Europa größer aufrichten konnte, als jemals zuvor. Avanti Dilettanti!Der Dilettantismus, der namentlich die deutsche Außenpolitik derzeit zu kennzeichnen scheint und ihr sowohl von Befürwortern wie von manchen Gegnern der Nato-Bomben den Vorwurf eingetragen hat, „unprofessionell" zu sein und gar „versagt" zu haben, liegt daher zu einem erheblichen Maß in der Logik der Sache. Die Leichtfertigkeit ist weniger eine der angewandten Mittel, als vielmehr deren Zweckes: der endgültigen Destabilisierung der europäischen Nachkriegsordnung, von der nach der Zeitenwende des Jahres 1989 als letzte – einstmals tragende, heute jedoch kaum mehr als sich selbst repräsentierende – Säule allein noch die Nato stehengeblieben ist. Eine Opposition hierzulande gegen den Krieg, die sich vor allem gegen die Nato richtet und den Angriffscharakter ihres Krieges gegen Jugoslawien hervorhebt, wird sich vielleicht schon sehr bald sagen lassen müssen, daß sie offensichtlich mit den hiesigen Wölfen geheult hat. Von seiten der USA handelt es sich bereits jetzt eher um einen solchen „Angriff", den nach einer bekannten Redensart als „die beste Verteidigung" zu bezeichnen wohl ein glatter Euphemismus wäre. Die Operation der Nato hat sich hoffnungslos festgefahren. Weder kann sie weiter vorwärts gehen (zum totalen Krieg auf dem Boden), noch gar zurück zum Stand vor der Bombardierung, ohne die Nato selbst aufs Spiel zu setzen. Die für die Jubiläumsfeier in Washington noch einmal mühsam aufgerichtete Fassade der Geschlossenheit, dürfte angesichts der verfahrenen Kriegslage sehr bald wieder Risse zeigen, die dann kaum mehr zu reparieren sein werden. (Die Indizien dafür lassen sich bis in die als „Diskussion" aufgezogenen Kriegpropagandashows im hiesigen Fernsehen hinein aufspüren, wo das anfangs völlig einmütige Lager der Befürworter der humanitären Bomben neuerdings untereinander in die Haare darüber gerät, was denn wohl schief gelaufen sei und wie es weiter gehen soll.) Verteidigung als der beste AngriffUnd wie wird sich die jetzige Opposition gegen den Krieg positionieren, wenn an diesem die Nato auseinanderbricht und Euroland unter deutsch-französischer Führung gegen die militärische Supermacht USA offen zu rebellieren beginnt? Wer wird dann im „Angriff", wer in der „Verteidigung" sein, wenn schließlich auch eine deutsche Regierung zu entdecken beginnt, daß mit der Zerstörung der Brücken von Novi Sad die „Donau als wichtigste Wasserstraße Europas … von den alliierten Bombern … un-wegsam gemacht worden" sei und also unter „amerikanischem Kommando Europa" den falschen, den „Krieg gegen sich selbst" (jW, 17.4.) geführt habe? DD, MG, Kiel, 26.4.99
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