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  KOMMUNISTISCHE STREITPUNKTE - Zirkularblätter - Extra zum Krieg - 16.10.1999 - Onlineversion

Ansgar Knolle-Grothusen 

Wer treibt und wer wird getrieben im NATO-Krieg gegen Jugoslawien? 

Einleitungsbeitrag auf einer Diskussionsveranstaltung der 
DKP Hamburg am 10. Mai 1999 
   
 Liebe Freunde, liebe Genossinnen und Genossen,

daß es den NATO-Ländern, die in Jugoslawien Krieg führen, nicht um das Leid von Menschen geht und auch nicht um die Rechte nationaler Minderheiten, daß dies nur ein Propaganda-Vorhang ist, hinter dem die wahren Absichten verborgen werden, das setze ich in dieser Veranstaltung voraus - wenn da jedoch Zweifel bestehen, müßte man auch dies in der Diskussion nochmal ausführlicher behandeln. Aber damit ist die Frage ja noch nicht beantwortet - welche Interessen hinter diesem Krieg stecken. In der Anti-Kriegs-Bewegung kursieren die unterschiedlichsten Einschätzungen.

Das gängigste und einfachste Schema behauptet, wir hätten es hier mit einem Krieg zwischen der NATO und Jugoslawien zu tun. So schreibt etwa Hannes Hofbauer in der "jungen Welt" - nachgedruckt in der Sonderausgabe der Marxistischen Blätter zum NATO-Krieg: "Nun (nach der Teilung Bosniens durch das Dayton-Abkommen im November 95) soll Belgrad endgültig in die Knie gezwungen werden. Als einziges Land auf dem Balkan, dessen Regierung sich den IWF- und NATO-Diktaten bislang nicht zu beugen gewillt war, bekommt Jugoslawien die volle Gewalt der abendländischen Wertegemeinschaft zu spüren. Da kommen die rebellischen Albaner im Kosovo mit ihren verzweifelten Hilferufen an die NATO gerade recht."

Aber stimmt dieses Bild? - Ist Jugoslawien tatsächlich das kleine gallische Dorf, das dem Cäsar im fernen Washington Paroli bietet, das aufgrund irgendeines magischen Zaubertrankes gegenüber der Macht des Dollars immun ist - und sind die Regierungen in Bonn Paris und London tatsächlich nur die willenlosen Vasallen und Hilfstruppen des mächtigen Imperators in Amerika?

Oder ist Jugoslawien gar nicht in erster Linie Subjekt, Partei, Seite in der Auseinandersetzung, sondern vielmehr ein Objekt imperialistischer Rivalitäten, der Apfel, um den die USA und Euroland sich hinter den Kulissen streiten, das Spielzeug das im Streit zweier Kinder kaputtgeht, weil keines es dem anderen gönnt? 

Wer treibt und wer wird getrieben im NATO-Krieg gegen Jugoslawien?

Von welchen Interessen ist das deutsche Vorgehen auf dem Balkan bestimmt und von welchen Interessen das amerikanische? 

Zu diesen Fragen wollen wir versuchen, uns mit dieser Veranstaltung ein etwas klareres Bild zu verschaffen.

Eine ausgearbeitete Position zu diesen Frage bezieht die Gruppe, die das Zirkular "Übergänge" herausgibt. Diese Gruppe haben wir gebeten, ihre Position hier einleitend vorzustellen. Zuvor werde ich noch für die Kommission Marxistische Theorie und Bildung der DKP Hamburg ein paar Gedanken vortragen. Ich hoffe, daß wir mit diesen beiden knappen einleitenden Beiträgen die Grundlage für eine spannende allgemeine Diskussion legen können.

Zu den USA: Mit dem Marshallplan, der Bildung der NATO, der Spaltung Deutschlands ging es den USA darum, einen gegen die Sowjetunion gerichteten militärischen und ökonomischen Block zur Stabilisierung des imperialistischen Herrschaftssystems Westeuropa und zur Sicherung der Hegemoniestellung der USA auf dem Kontinent zu schaffen. Von dieser doppelten Zielsetzung war die amerikanische NATO- und Westeuropapolitik über lange Zeiträume bestimmt. Grundlage davon war eine Weltlage nach dem zweiten Weltkrieg, in der die USA die unangefochtene imperialistische Supermacht war, und die Hauptfront des weltweiten Klassenkonflikts zwischen Bourgeoisie und Proletariat vorübergehend die Form eines Konfliktes zwischen Staatensystemen annahm, zwischen den imperialistischen Staaten mit der Hauptmacht USA und den sozialistischen mit der Hauptmacht Sowjetunion. Nach der Auflösung des sozialistischen Lagers hat sich hier einiges verändert: Die USA sehen sich einerseits als einzig verbliebene Supermacht selbst in einer weltbeherrschenden Stellung und propagieren die neue Weltordnung, eine unipolare Welt, in der die USA und nur die USA zu sagen haben, wo der Hase langläuft. Die unter USA-Dominanz geschaffenen politischen, ökonomischen und militärischen internationalen Instrumente werden unter dem Gesichtspunkt ihrer weiteren Zweckmäßigkeit unter den neuen Bedingungen betrachtet, wobei die USA besonders mit der UNO gegenwärtig nur relativ wenig anzufangen wissen. Diese neue Stellung, in der sich die USA sehen wollen, gründet sich in erster Linie auf ihre unangefochtene militärische Überlegenheit, in zweiter Linie auf ihre ökonomische Sonderstellung in der Welt als der Macht, die die Weltleitwährung, den Dollar, kontrolliert, drittens auf ihre ökonomische Stärke und ihre historisch bedingte Vormachtstellung in den wesentlichen internationalen Unterdrückungsinstrumenten des Imperialismus wie Weltbank, IWF, WTO, NATO, UNO usw. 

Aber mit der Zerstörung und dem Zerfall der sozialistischen Staaten beginnt sich unter der Hand auch etwas anderes zu verschieben, nämlich das Kräfteverhältnis zwischen den USA und ihrem bisherigen westeuropäischen Juniorpartner: Westeuropa und speziell Deutschland hat von der Zerschlagung der sozialistischen Staaten in viel stärkerer Weise ökonomisch und geostrategisch profitieren können als die USA. Die USA hatten 1997 ein Bruttoinlandsprodukt von 11700 Milliarden Mark. Die EURO-Länder lagen nur knapp dahinter mit cirka 11000 Milliarden Mark. und bezieht man Großbritannien und die EU-Beitrittskandidaten der ersten Runde (Polen, Tschechien, Ungarn, Slowenien, Estland) mit ein, hat man einen mit 14000 Milliarden Bruttoinlandsprodukt und 373 Millionen Menschen deutlich gegenüber den USA größeren Wirtschaftsraum, der zusätzlich im Osten noch erhebliches Expansionspotential hat.

Und der deutsche Imperialismus hat seine günstigere Ausgangsposition im Run auf neue Kolonien, auf Rohstoffquellen, Sklaven- und Absatzmärkte weidlich ausgenutzt. Nicht nur die DDR konnte man sich einverleiben, wieder zum ganzen Staat werden, nicht nur in den osteuropäischen Staaten und Ländern der ehemaligen Sowjetunion konnte man den USA ökonomisch politisch weitgehend den Rang ablaufen - vielleicht mit Ausnahme der an die Türkei grenzenden mittelasiatischen Republiken, in denen die USA auch stark Fuß fassen konnten, auch auf dem Balkan konnte sich Deutschland durch mundgerechte Zerstückelung ganz zielgerichtet in der ersten Hälfte der 90er Jahre die Filetstücke Slowenien und Kroatien sichern, in denen es heute ökonomisch den maßgeblichen Einfluß hat. Dabei konnte der deutsche Imperialismus profitieren von der Vorarbeit, die die USA und der IWF zuvor mit der Zerstörung der jugoslawischen Wirtschaft geleistet hatten, in dem Bestreben, die letzten Relikte der jugoslawischen Selbstverwaltung der Betriebe durch Arbeiterräte zu liquidieren. Der US-Imperialismus, der den EURO nur solange nicht zu fürchten braucht, solange er gestützt auf seine militärische Stärke die Definitionsmacht darüber hat, für welches Kapital welche Märkte geöffnet sind und für welches nicht, konnte über dieses aggressive Vorgehen des deutschen Imperialismus nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Im nächsten Akt in Bosnien mußte gezeigt werden, daß der deutsche und europäische Imperialismus auch auf dem Balkan nicht an den USA und ihrem Militär vorbeikommt. Das Ergebnis ist bekannt:
Bosnien wurde ein NATO-Protektorat mit klar verteilten Einflußbereichen zwischen USA und EU. So besagt der Artikel VII der in Dayton unterschriebenen bosnischen Verfassung, daß der Präsident der bosnischen Zentralbank vom Internationalen Währungsfond bestimmt wird und weder ein Bürger Bosnien-Herzegowinas noch eines der Nachbarstaaten sein darf. So ernennt der Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in London den Vorsitzenden der Kommission zur Regulierung der öffentlichen Wirtschaftsunternehmen in Bosnien, die die Geschicke aller öffentlichen Unternehmen lenkt, von der Energie- und Wasserwirtschaft über die Post, die Eisenbahnen, die Straßenbauverwaltung usw.

In den Kosovo-Krieg nun hat m.E. in den der deutsche Imperialismus die USA höchst geschickt hineinmanövriert. Nun haben Euroland und die USA einander im Schwitzkasten und keiner darf zuerst loslassen. Wie dieses Abenteuer auch immer im Einzelnen ausgehen wird; der Ausgang wird ein Gewinn für den deutschen und eine Schwächung des amerikanischen Imperialismus und der NATO bedeuten. Deutschland konnte erstmals seine Militärmacht im Ernstfall testen, es hat neue Argumente um den Ausbau einer US-unabhängigen europäischen Streitmacht zu forcieren, hierfür rühren Verheugen, Fischer und Co. in den letzten Wochen ganz massiv die Werbetrommel, es kann sich sogar als Friedensstifter, der die UNO und die Russen wieder ins Boot bringt aufspielen; und wie stark die USA sich dadurch an die Wand gespielt fühlen, zeigt ihr verzweifeltes Sperrfeuer durch die Bombardierung der chinesischen Botschaft, ein Schuß, der wohl ebenfalls nach hinten losgeht.

Sicherlich ist der europäische Imperialismus heute noch nicht stark genug, um sich von den USA zu lösen, und für eine Zerstörung der NATO wäre es auch für den deutschen Imperialismus noch zu früh, aber die Weichen dahin werden ganz unverkennbar gestellt. 

Für Kommunisten ist es unverzichtbar, in erster Linie gegen die eigene Bourgeoisie, gegen die Kriegspartei im eigenen Land zu kämpfen, egal ob sie ihre imperialistische Ziele nun Seit an Seit mit den USA oder auf deutschem Sonderweg durchzusetzen versucht.

 
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