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  KOMMUNISTISCHE STREITPUNKTE - Zirkularblätter - Extra zum Krieg - 16.10.1999 - Onlineversion

Daniel Dockerill, Matthias Grewe 

5 Antikriegsthesen - Entwurf 

   
Das folgende Thesen-Fragment ist entstanden im Anschluß an ein erstes (von mittlerweile drei) Treffen zwischen der Initiative Kein Frieden mit der Nato aus Schleswig-Holstein und dem Hamburger Bündnis antiimperialistischer und antimilitaristischer Gruppen und Einzelpersonen und soll dazu dienen, der Diskussion über Stand und Aufgaben revolutionärer Opposition im wieder kriegsfähig geworden Deutschland Orientierung oder wenigsten Reibungsflächen zu geben. Die Diskussion dauert an. DD, 21.06.99.

1. 

Die Mobilisierung gegen den Sonderparteitag der Grünen in Bielefeld war richtig und notwendig
Für eine revolutionäre Opposition gegen den jüngsten von Deutschland angezettelten Krieg, wenn es sie denn gibt in diesem Land, stellte bis Bielefeld die grüne Partei den politisch angreifbarsten Teil der regierenden Kriegskoalition dar. Für die politische Sicherung des deutschen Hinterlands im Krieg gegen Jugoslawien hatte der grüne Himmelfahrtsparteitag eine zentrale Funktion. Es ging um eine Begradigung und Befestigung der – mit Ausnahme der PDS, die sowieso nicht zählt – von allen demokratischen Parteien gehaltenen inneren Kriegsfront. Die Regierungsfähigkeit der Grünen stand auf dem Spiel. Am Zerbrechen der frisch gewählten rot-grünen Regierung ausgerechnet über den Krieg konnte auch die parlamentarische sogenannte „Opposition" kein Interesse haben, die immerhin während ihrer eigenen Regierungszeit denselben Krieg zielstrebig und hartnäckig vorbereitet hatte.
Die Grünen sind derzeit in mancher Hinsicht die modernste deutsche Partei, und gerade das macht sie besonders angreifbar. Sie haben sich am weitesten vorgewagt auf jenes Neuland, das sich der deutschen Politik mit der Wiedergewinnung ihrer vollen Souveränität im Zuge der Demontage von Sowjetunion und Warschauer Pakt vor zehn Jahren eröffnet hat. Als jüngstes Mitglied des demokratischen Establishments am wenigsten belastet mit den Traditionen der von politischen und militärischen Restriktionen geprägten offiziellen deutschen Nachkriegspolitik, vertreten sie am ungehemmtesten die künftigen strategischen deutschen Interessen: Als traditionelle Kritiker der Nato und amerikanischer Machtpolitik sind sie prädestiniert, unter der Parole globaler Durchsetzung der Menschenrechte und des ungeteilten Schutzes sämtlicher „bedrohter Völker" Deutschland in den Kampf gegen die nunmehr vor allem noch militärisch begründete Vorherrschaft der USA in Europa und der Welt zu treiben.
Der weitaus größte Teil der innergrünen Gegner und Kritiker des Krieges (repräsentiert von Figuren wie Christian Ströbele) hat in diesem Sinne völlig zurecht die Regierungsbeteiligung der Grünen nicht in Frage gestellt und seine Rolle als das kritische Gewissen ihrer offiziellen Kriegspolitik definiert.1  Fischers Friedens-plan wie das daran anschließende G8-Papier heftet man sich als dessen Ausfluß ans eigene Revers. Die Frage, wer da wen drängt oder für sich instrumentalisiert, soll im Augenblick nicht unsere Sorge sein, klar war jedenfalls bereits vor dem Parteitag, daß aus den Grünen selbst keine Kraft entstehen würde, die bereit und fähig wäre, mit ihrer Kriegsgegnerschaft ernst zu machen und die Kriegskoalition aufzukündigen. In der Mobilisierung nach Bielefeld konnte es daher nicht etwa um „innere Widersprüche" der Grünen gehen, denen durch Druck von außen auf die Sprünge zu helfen gewesen wäre.2  Es mußte um die Verhinderung des grünen Sonderparteitags gehen, also um die direkte Infragestellung der Demokratie - und damit Regierungsfähigkeit der Grünen von außen.
In ihrer Gründungsphase haben sich die Grünen selbst als den parlamentarischen Arm der außerparlamentarischen Linken definiert und diese hat ihrerseits vielfach die Grünen in diesem Sinne genutzt oder geglaubt zu nutzen. So manche autonom angetretene Initiative verdankt den Grünen die „Staatsknete", mit der sie sich heute recht oder schlecht über Wasser hält. Zahlreiche alternative Karrieren auch außerhalb der Grünen wären ohne den grünen Marsch in die Institutionen undenkbar gewesen. Der Versuch einer Verhinderung des grünen Sonderparteitag hatte darum nicht zuletzt den Sinn, die Nabelschnur unwiderruflich zu durchtrennen, die große Teile der Opposition gegen den Krieg mit der kriegerisch gewordenen deutsch-grünen Politik bis heute fatal verbindet.
Gemessen an diesem Stellenwert der Aktion in Bielefeld war die Mobilisierung dazu niederschmetternd schwach. Ihr erklärte Ziel mußte sie daher verfehlen. Trotz Farbbeutelwurf mit Kollateralschaden konnte der grüne Parteitag ordnungsgemäß zu seinem geplanten Ende gebracht werden. In anderer Hinsicht hat die Aktion dennoch einiges klargestellt. Mit Bielefeld ist innerhalb des linksradikal-autonomen Spektrums ein Stück jener Scheidelinie sichtbar geworden, an der die gesamte außerparlamentarische Linke künftig sich polarisieren muß.
Sich beispielsweise militant und möglichst massenhaft dem offenen Nazismus in den Weg zu stellen, bleibt ohne Frage richtig und notwendig. Wenn jedoch in Bielefeld nach bundesweiter Mobilisierung sich ganze 500 Kriegsgegner einfinden, um den Parteitag einer Partei anzugreifen, die zwar nicht NPD heißt, aber immerhin an jener Regierung beteiligt ist, die den ersten deutschen Krieg nach Hitler organisiert, und gut drei Wochen später in Hamburg wieder 5000 gegen den Aufmarsch der Nazis auf die Straße gehen, dann stimmt wohl etwas mit den Proportionen nicht. Den Nazismus entschieden bekämpfen ist eine Sache. Ihn als ein bestimmtes Element bürgerlicher Herrschaft zu begreifen und sich mit dieser im Ganzen und in allen ihren Formen zu konfrontieren, offenbar eine ganz andere, der sich anzunehmen, auch unter den Autonomen zur Zeit nur eine deutliche Minderheit bereit zu sein scheint.
Zugleich hat Bielefeld alte Trennungen reproduziert, die an sich eher überholt sein sollten: etwa zwischen autonom-„undogmatischen" Linksradikalen auf der einen Seite und revolutionär-marxistischen „Arbeiterbewegungs-Linken" auf der anderen. Letztere mögen weniger Grund zur Demonstration ihres Bruchs mit den Grünen gehabt haben; der Versuch, die hiesige Kriegsregierung an einer ihrer empfindlichsten Stellen politisch wirksam zu treffen, hätte dennoch auch ihr Anliegen sein können und müssen.3  Und für die Zukunft revolutionärer Opposition in diesem Land bleibt die gemeinsame klare Frontstellung gegen die grün-deutsche Avantgarde der bürgerlich-reaktionären Reform deutscher Innen- und Außenpolitik ein unverzichtbares essential.

2. 

Noch in der Anfangsphase des Krieges Ende März, rief das Hamburger Forum zu einer Kundgebung vor dem amerikanischen Konsulat auf.  Neben einer PDSlerin, sollten eine Grüne und ein Juso reden. So sah es fast so aus, als wenn die USA Krieg gegen Jugoslawien führten und die deutsche Politik würde gegen diesen Sachverhalt opponieren.
Noch Ende Mai auf einen Ratschlag des Hamburger Forums, auf dem sich glücklicherweise mittlerweile bei der Mehrheit herumgesprochen hatte, so schien es zumindest, daß sich auch Deutschland und zwar an exponierter Stelle an diesem Krieg beteiligte, war es frisch ausgetretenen und zum offiziellen Kriegskurs der Partei sich kritisch positionierenden Grünen möglich, dazu aufzufordern, den Nationalismus eines Milosevic zu geiseln, ohne auf die nationalistischen Interessen eines imperialistischen Deutschlands auch nur einmal zu sprechen zu kommen. Im Gegenteil; die Beiträge, die die letzthinnig ökonomischen Interessen dieses Krieges auch auf dieser Veranstaltung immer wieder ansprachen, wurden von den anwesenden Grünen bespöttelt.
Wenn die autonome Linke von Beginn des Krieges an, die herrschenden deutschen Kriegsparteien, vor allem die Grünen zum Ziel ihrer politischen Aktivitäten machte und Diskussionen bezüglich weitergehender Aktionen sich um Konzerne und Banken des deutschen Kapitals konzentrieren ist natürlich die Frage aufgeworfen, wie bestimmen sich diese Aktivitäten und Überlegungen inhaltlich?
Es lag der revolutionären Linken von Anfang an fern, den Kriegsgrund in dem Nationalismus der Serben zu suchen. Ebenso war sehr schnell klar, daß sich hinter dem vermeintlichen geschlossenen Vorgehen aller „Natopartner", divergierende Interessen zwischen - hauptsächlich - Deutsch-Euroland und den USA zu verbergen suchten. Nach seiner Vereinigung mit der DDR entfaltete das mächtiger gewordene Deutschland, neben anderem, eine aggressivere Außenpolitik. Mit seiner Anerkennung Kroatien und Sloweniens begann es seinen Destabilisierungs- und Zerschlagungsprozeß Jugoslawiens, auch und gerade gegen die Interessen der USA. „Die USA hatten 1997 ein Bruttoinlandsprodukt von 11700 Milliarden Mark. Die EURO-Länder lagen nur knapp dahinter mit circa 11000 Milliarden Mark. Und bezieht man Großbritannien und die EU-Beitrittskandidaten der ersten Runde (Polen, Tschechien, Ungarn, Slowenien, Estland) mit ein, hat man einen mit 14000 Milliarden Bruttoinlandsprodukt und 373 Millionen Menschen deutlich gegenüber den USA größeren Wirtschaftsraum, der zusätzlich im Osten noch erhebliches Expansionspotential hat."(AKG, Reader, S.14) Es ist selbstverständlich, daß ein der Welthegemonialmacht Konkurrenz zu machen beginnender Wirtschaftsraum, auch politisch und militärisch nachziehen muß. Ersterer versucht bestehende Herrschaftsverhältnisse zu stabilisieren und zweiterer zu destabilisieren. Und wo anders denn als im eigenen Hause in Europa sollte dieser damit beginnen?  Die Patt-Situation von Dayton 1995, machte deutlich, „daß der deutsche und europäische Imperialismus" vorläufig „auch auf den Balkan nicht an den USA und ihrem Militär vorbeikommt." Die USA, so müßte man hinzufügen, aber auch nicht an der deutschen diplomatischen Vorherrschaft in Europa. „Das Ergebnis ist bekannt: Bosnien wurde ein Nato-Protektorat mit klar verteilten Einflußbereichen zwischen USA und EU. So besagt der Artikel VII der in Dayton unterschriebenen bosnischen Verfassung, daß der Präsident der bosnischen Zentralbank vom Internationalen Währungsfond bestimmt wird und weder ein Bürger Bosnien-Herzegowinas noch eines der Nachbarstaaten sein darf. So ernennt der Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in London den Vorsitzenden der Kommision zur Regulierung der öffentlichen Wirtschaftsunternehmen in Bosnien, die die Geschicke aller öffentlichen Unternehmen lenkt, von der Energie und Wasserwirtschaft über die Post, die Eisenbahnen,  die Straßenbauverwaltung usw.. Aber Deutschland hatte über BND und MAD längst wieder Feuer an eine andere Lunte gelegt. Im Kosovo wurden nationalistische Gruppierungen bewaffnet und ausgerüstet. Der Rest ist bekannt. Nachdem auch hier die USA die Herausforderung annahmen, wurden sie über den Rambouilletvertrag in einen Krieg getrieben, dessen krasses Mißverhältnis der Militärpotentiale der Kriegsparteien alleine, die völlige Einseitigkeit der Kriegshandlungen auf einen anderen Krieg hinter diesem, eben den Deutsch Europäisch US Amerikanischen verweist.
So ist es also mehr als berechtigt und nur folgerichtig unsere Aktivitäten gegen den Krieg aufs Zentrum des deutschen Imperialismus, die herrschenden Parteien und des deutschen Groß- und Finanzkapitals, zu richten.

3.

Das dieser Krieg eine spezifisch deutsche Handschrift trägt und gleichzeitig die USA in Kalamitäten stürzt, scheint nicht zu reichen. Schon Mitte April trat der deutsche Kriegstreiber als Friedensengel hervor und brachte einem von der NATO abweichenden Friedensplan in die Diskussion, den Madelaine Albright damit kommentierte, daß sie die Deutschen daran erinnerte, daß man es „nun mit den Resultaten ihrer voreiligen staatlichen Anerkennung Sloweniens und Kroatiens zu tun" hätte (jw, 17.4) Was ist nun aber das spezifisch deutsche Interesse welches es nötigt, permanent querzuschießen.
Der erste Generalsekretär der NATO, Lord Ismay, sagte zu deren Gründungszeiten, Zweck der NATO sei es, „to keep the Americans in, the Russians out and the Germans down". Die NATO war nie einfaches kapitalistisches militärisches Verteidigungs- oder Angriffsbündnis gegen den realen Sozalismus, sondern sollte immer auch naheliegende deutsche Ambitionen verhindern, im Schatten der sowjetisch-amerikanischen Konfrontation erneut die europäische Hegemonie anzustreben. Nachdem nun einer der Gründe der Existenz der NATO hinfällig ist, bleiben nur noch diese, um mit Lord Ismay zu sprechen, ‘to keep the Americans in and the Germans down.’

4.  

Nun kann sich natürlich, daß wird jedem einleuchten, die Führungsmacht eines neuen aufstrebenden europäischen Imperialismus, dort wo sie ökonomische und politische Selbstständigkeit erlangt,  auch nicht mehr länger militärisch binden lassen. Sie muß, so ihr strategisches Ziel, dieses transatlantische Militärbündnis NATO, welches, der momentan stärksten Militärmacht der Welt, der USA, ihre direkte militärische Präsenz in Europa legitimiert, zerbrechen. Auf den Weg dahin kann sie mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln die NATO für ihre Interessen einzuspannen versuchen und ihren Einfluß in diesem Bündnis vergrößern zu suchen. Gleichzeitig wird die eigene europäische Armee mit großen Engagement zügig auf und ausgebaut. Unter diesen Gesichtspunkt den Jugoslawienfeldzug betrachtet, war Deutschland der Angreifer des kapitalistischen Status Quo und die USA der Verteidiger eben dieses Zustandes, indem sie die Nummer 1 waren und keinen Grund hatten  daran etwas zu verändern. Der EU-Gipfel hat die Weichen für ein dem Anspruch nach den USA ebenbürtiges Europa gestellt, und der Weltwirtschaftsgipfel hat gezeigt das der Einfluß Deutsch-Europas, zumindest was den eigenen Kontinent betrifft, von den USA akzeptiert wird. Sollte es eines Tages passieren, daß die USA, oder eventuell eine andere Macht, den Expansionsdrang und Hegemonialanspruch Eurolandes nicht mehr akzeptiert, und eventuell auch bewaffnet zurückzudrängen sich genötigt sieht, befindet Deutschland sich dann im Verteidigungskrieg und die USA im Angriffskrieg ? Ist dann dieser Krieg, den Deutschland dann führen wird, legitim?

5.  

Diese Fragen eventuell mit „Ja" beantworten zu müssen kommt dabei heraus, wenn man die Berechtigung von Kriegen eben davon abhängig macht, ob sie Angriffs- oder Verteidigungskriege sind. In Wirklichkeit sind Angriff und Verteidigung Momente eines jeden Krieges und nicht geeignet etwas über seine Berechtigung und unsere Stellung zu ihm zu sagen. Für Revolutionäre muß vielmehr ausschlaggebend sein, für welchen sozialen Inhalt wird dieser Krieg geführt. Und es ist sicher, daß gemeinsame Interesse aller Jugoslawien angreifenden Staaten, liegt in der strikten Verteidigung der verallgemeinerten Warenproduktion, des Kapitalismus.  Ihre divergierenden Interessen liegen in der Konkurrenz zueinander um die Einflußsphären um die sie ringen, sind also klassisch imperialistische. Basis und Ziel ihres agierens ist unsere weitere Ausbeutung, die Aufrechterhaltung der Trennung unserer subjektiven von unseren objektiven Produktionsbedingungen und damit unsere weiter fortbestehende Verkümmerung als Menschen - unsere Existenz als Proleten! Der Krieg, der ihren Krieg bekämpft ist nicht nur legitim sondern notwendig. So gesehen kann ein Angriffskrieg durchaus auch etwas begrüßenswertes sein!   
     
Matthias Grewe                                                                     Hamburg, den 9./ 22.6.99 


Anmerkungen

S.  dazu  auch das unten  dokumentierte „Streitgespräch".
2   Die Frankfurter Gruppe L.U.P.U.S. schrieb am „16. Nato-Kriegstag 1999" in ihrem Papier „‚Nie wieder Krieg!‘ (1948) ‚Nie wieder Srebrenica?‘ (1995)": „Am 12.5.1999 findet ein Sonderparteitag der Grünen statt. Wenn es dort gelänge, eine Mehrheit dafür zu gewinnen, der grünen Regierungsfraktion das Vertrauen zu entziehen, wäre der Bruch der rot-grünen Regierungskoalition möglich. Ganz realpolitisch gesprochen: das ist zu schaffen."
3  Möglich ist freilich auch, daß die revolutionären Kräfte aus dieser Ecke ihr Bielefeld erst noch vor sich haben, dann nämlich, wenn das linksreformistische Lager, für das parlamentarisch die PDS steht, Gelegenheit erhält, seinen bornierten Antiamerikanismus, mit dem es in diesem Krieg noch Opposition treiben konnte, zu wenden in einen konstruktiven Beitrag zur militanten Verteidigung Europas  und seiner sozialen und kulturellen sog. „Werte" gegen veraltete Hegomonieansprüche einer schwächelnden Dollar-Nation.

 
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