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KOMMUNISTISCHE STREITPUNKTE - Zirkularblätter - Nr. 7 - 20.11.2001 - Onlineversion

Werner Imhof

Thesen

zur Aufhebung der Warenproduktion



· Ausgangspunkt aller Vorstellungen einer möglichen "sozialen Transformation" hin zu einer nichtkapitalistischen Gesellschaft kann nur die Wirklichkeit des Kapitalismus sein. Das Mögliche ist im Wirklichen angelegt, oder es ist bloßes Wunschdenken. Ein "Antikapitalismus", der auf der "Suche nach Wegen aus dem Kapitalismus" oder auf der "Suche nach gesellschaftlichen Alternativen" ist, kultiviert eine abstrakte Negation der Wirklichkeit, wenn nicht gar die geistige Kapitulation vor ihr. Worauf es ankommt, ist eine konkrete Vorstellung ihrer praktischen Negation, die nur aus dem Verständnis der herrschenden Praxis gewonnen werden kann. Das grundlegende Instrumentarium dazu liefert die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie.


· Kern- und Angelpunkt aller Kapitalismuskritik ist die Kritik des Privateigentums an Produktionsmitteln. Die traditionelle Kritik von Sozialdemokraten und Kommunisten war eine halbe Kritik. Sie blieb beim Klassengegensatz von Bourgeoisie und Proletariat, Besitzenden und Besitzlosen stehen. Das Privateigentum trennt aber auch die Besitzenden, d.h. auch die Betriebe und die Belegschaften, voneinander, und – das Wichtigste – das Privateigentum (bzw. der Austausch unter Privateigentümern) zwingt den Produkten Wertform auf und hat das Geld hervorgebracht. Es sind diese verselbständigten Formen gesellschaftlicher Arbeitszeit, die als "Sachzwänge" die Menschen beherrschen, die Verwertung des Werts, die Anhäufung privater Verfügung über gesellschaftliche Arbeitszeit zum Selbstzweck erheben und als Naturbedingung der Produktion erscheinen lassen.. In diesen verselbständigten und gesellschaftlich respektierten Zwängen liegt der "Terror der Ökonomie" begründet, nicht in den Charaktermasken, die diese Zwänge exekutieren.


· Die Vermehrung des Privateigentums als Selbstzweck schafft aber gleichzeitig die Bedingungen, es aufzuheben. Das Privateigentum ist entstanden aus gesellschaftlicher Arbeitsteilung, und die Entwicklung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung ist es, die das Privateigentum überflüssig und hinderlich macht. Denn sie verbindet alle Teilproduzenten zu einem supranationalen gesellschaftlichen Produktionsprozeß, in dem alle voneinander abhängig sind und der dank der entwickelten Verkehrs- und Kommunikationsmittel auch unmittelbar gesellschaftlich, ohne trennende Markt- und Geldbeziehungen organisiert werden und bisher unterdrückten oder zu kurz gekommenen gesellschaftlichen Zwecken unterworfen werden kann.


· Gesellschaftliche Produktion (sozialistische oder kommunistische Produktion sind dafür bloß Synonyme) umfaßt also die doppelte – vertikale und horizontale – Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln. Die Besitzergreifung der Produktionsmittel durch die Produzenten und die Aufhebung des kapitalistischen Produktionsmanagements ist unvollständig, wenn sie nicht einschließt sowohl die Organisation direkter und kooperativer Beziehungen zwischen den Betrieben (als Produzenten und produktive Konsumenten wie als bisherige Konkurrenten) als auch die Organisation kooperativer Beziehungen zwischen Betrieben und individuellen, privaten wie öffentlichen Konsumenten. Erst dann kann von "genossenschaftlicher Regelung der Gesamtarbeit" ("Gothaer Programm" der SPD, 1875) die Rede sein.


· Gesellschaftliche Produktion ist mit zentraler Planwirtschaft ebenso unvereinbar wie mit der Aufrechterhaltung von Marktbeziehungen und Geld. Die gesellschaftliche Arbeit kann nicht "höheren Orts" geplant werden, sie kann nur plan- und verantwortungsvoll von den Produzenten selbst organisiert werden, im Dienste der individuellen – privaten wie öffentlichen – Konsumtion und im Sinne der humanen und ökologischen Optimierung der Produktionsprozesse. Die Gesamtarbeit kann und muß auch nicht durch administrative Weisung verteilt werden, denn sie ist immer schon verteilt. Gegenstand der Planung können immer nur Änderungen der gegebenen Verteilung und Zusammensetzung der Gesamtarbeit sein. Die freiwillige Zentralisierung von Planungsvorhaben und -vorgaben kann entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip auf das gesamtgesellschaftlich erforderliche Mindestmaß beschränkt werden.


· Die Möglichkeit gesellschaftlicher Produktion kann nur Wirklichkeit werden, wenn die große Mehrheit der bisher Lohnabhängigen selbst sie will und durchführt, und zwar nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auf supranationaler Ebene, wie sie etwa die EU darstellt. Gesellschaftliche Produktion gegen den Willen oder auch nur mit einer teilnahmslosen, desinteressierten Mehrheit der Produzenten ist ein Widerspruch in sich. Damit unvereinbar sind daher alle Partei- und Revolutionskonzepte, die auf die Bildung und Etablierung eines Stellvertretersubjekts hinauslaufen.


· Die Frage der politischen Macht ist weder zeitlich noch organisatorisch von der ökonomischen Umwälzung zu trennen. Die politische Form, in der die Befreiung der Arbeit möglich wird, kann nur aus der Organisationsform der assoziierten Produzenten entspringen (Beispiel Turin). Das Etappendenken von erst politischer Machteroberung, dann ökonomischer Umwälzung als Werk einer sozialistischen/kommunistischen Regierung(spartei) steht dem ebenso im Weg wie die traditionellen Organisationsformen der Arbeiterbewegung, nämlich parlamentarische Parteien einerseits und rein syndikalistische Gewerkschaften andererseits. Parlamentarische Parteien kultivieren Staatsgläubigkeit und Stellvertretermentalität; Gewerkschaften, die die Lohnabhängigen nur als Lohnabhängige begreifen und organisieren, fesseln sie ans Privateigentum und hindern sie daran, sich als gesellschaftliche Produzenten zu begreifen.


· "Alles gesellschaftliche Leben ist wesentlich praktisch. Alle Mysterien, welche die Theorie zum Mystizismus veranlassen, finden ihre rationelle Lösung in der menschlichen Praxis und in dem Begreifen dieser Praxis." (Marx, 8. Feuerbach-These) Das Mysterium, das die Lohnabhängigen hindert, die Praxis der kapitalistischen Produktion und die Möglichkeit unmittelbar gesellschaftlicher Produktion zu begreifen, ist die Wertform der Produkte und ihre Verdoppelung in Ware und Geld. Der bisherige Parteimarxismus hat die "rationelle Lösung" dieses Mysteriums für unnötig oder unmöglich gehalten. Dabei ist es sehr wohl begreifbar als entfremdete, vom Privateigentum erzwungene Manier, mit der gesellschaftlichen Arbeitszeit umzugehen. Ohne Entwicklung einer empirisch begründeten Kritik daran ist die ideologische Macht des Geld- und Kapitalfetischs nicht zu brechen. Die Erkenntnis, daß die Erde eine Kugel ist, hat den Schein nicht beseitigt, sie sei eine Scheibe; und doch ist die Erkenntnis Allgemeingut geworden. Ebenso kann und muß sich die Erkenntnis in den praktischen Grund der Wert- und Kapitalform Bahn brechen. Das heißt, die Theorie (die Kritik der politischen Ökonomie) muß praktisch werden, um einer neuen Praxis den Weg zu bereiten. Die gesellschaftliche Produktion dagegen bedarf keiner separaten Theorie, sie bedarf nur der klaren und einfachen Vorstellung als selbstbewußter Praxis.


Werner Imhof 07.06.01


 

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