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KOMMUNISTISCHE STREITPUNKTE - Zirkularblätter - Nr. 7 - 20.07.2001 - Onlineversion

Klaus Hermann, Klaus Braunwarth

Briefwechsel über Klaus Braunwarth's Imperialismus und Weltordnung

V. Brief von Klaus Herrmann vom 07.03.01



Uelzen, den 7.3.01

Lieber Klaus Braunwarth,

Dein Brief von Ende Dezember, für den ich Dir herzlich danke, hat sich mit meiner Kompilationsarbeit überschnitten, deren Ergebnis ich Dir in der Anlage vorlege.

Der Obertitel "Kapitalakkumulation und Krise" bezieht sich strikt genommen nur auf den längsten, mittleren Abschnitt unter der Ziffer 11. .. Hier hat sich mir auch Gelegenheit geboten für den Einschub einer Passage, die den Gedanken aufnimmt, den ich zuerst Dir in meinem letzten Brief mitgeteilt habe ("Was hat man sich unter Mehrwertproduktion beim Dienstleistungskapital vorzustellen usw."). Im übrigen bin ich bei der Anordnung des Materials im großen und ganzen der Entstehungszeit der Texte gefolgt. Was sich dabei ergeben hat ist, daß ein Begriff wie Staatskapitalismus zunächst aufgenommen wird, um erst an späterer bzw. anderer Stelle (in "Zur Kritik und Theorie des Realsozialismus") in seiner Einseitigkeit kritisiert, "korrigiert" zu werden. Ähnlich changiert der Begriff Weltmarkt je nach Zusammenhang. Ich empfinde dergleichen nicht als Manko, was sicherlich zusammenstimmt mit meiner Aversion, umgekehrt aus Begriffen wie aus erstarrten Monaden zu deduzieren. Zu berichtigen hatte ich nur Weniges, dafür umso mehr mich in der Kunst des Weglassens zu üben. ...

Deiner Rekapitulation zu produktiver und unproduktiver Arbeit nach Marx kann ich weitgehend zustimmen. Allerdings schlägst Du damit einen Seitenpfad ein, auf dem es für das von mir aufgeworfene Problem nichts zu ernten gibt. Jede Art von Lohnarbeit, die nicht aus Revenue gelöhnt wird, ist wert- und mehrwertproduktiv, andernfalls fände sie keinen kapitalistischen Anwender. Meine Überlegung zielt dahin, daß nicht alle Quellen des Mehrwerts gleichermaßen relevant sind für Fortgang bzw. Stagnation/Abbruch des Akkumulations- und Expansionsprozesses des gesellschaftlichen Gesamtkapitals. Was für den individuellen Kapitalisten bzw. ganze Kapitalgruppen Mehrwert ist, ist es nicht auch notwendig für das akkumulierte gesellschaftliche Gesamtkapital. Konsens besteht, daß das Handels- und Finanzdienstleistungskapital den gesamtgesellschaftlichen Mehrwert nicht vermehrt, sondern in respektiver Größenordnung mindert - Wert abschöpft, "der woanders produziert wird". Bleibt die Frage, wodurch sich neuere Formen kapitalistischer Dienstleistung von den altbekannten im Banken- und Versicherungsgewerbe unter akkumulationstheoretischem Gesichtspunkt unterscheiden. Dein Hinweis auf die Kultur- und Medienindustrie sticht nicht, da sie in ihrer ganzen Breite auf der Produktion warenförmiger Produkte in dinglicher Gestalt von den Apparaten und Apparaturen bis zu Schallplatte, CD und Film beruht mit Dienstleistung als den faux frais für Werbung, Vertrieb und Verkauf; wobei Starkult und "Kult" - wie das heute allgemein heißt - zur Werbung gehören. Und auch die sogenannten High-Tech-Branchen sind mehrwertproduktiv für das gesellschaftliche Gesamtkapital durch ihre Produkte vom Computer bis zu Handy und Chip und nicht durch begleitende Dienstleistung und dienstleistende Anwender. Neu ist Tourismus als Branche "industrialisierter" kapitalistischer Dienstleistung und eben die Kapitalisierung von Infrastuktur durch Privatisierung.

Unter der Voraussetzung von Kapitalkonkurrenz konkurrieren Dienstleistungskapital und industrielles auf dem Kapitalmarkt um die Gunst des Anlage suchenden Kapitals. Indiz für Erfolg oder Mißerfolg - die Profitabilität des Kapitals - ist die Rendite, die nichts mehr über die Quellen des Mehrwerts und die stattgehabten Wertbewegungen verrät. Dafür dürfte von der Rendite als Kapitalertrag der Trug von Kapitalproduktivität des Dienstleistungskapitals ausgehen. Daß auch das Dienstleistungskapital Kapitalertrag akkumulativer Verwendung zuführt, seis zu eigener Erweiterung bzw. zur Erweiterung der eigenen Sphäre, seis dem Industriekapital, ändert nichts an seiner Rolle im Verwertungsprozeß des gesellschaftlichen Gesamtkapitals. Wofern es zur Vermehrung des gesamtgesellschaftlichen Mehrwerts beiträgt, schöpft es absoluten Mehrwert.

Die von mir zitierte Passage aus Mandels "Spätkapitalismus" (S. 51) steht nicht singulär. So bemerkt im letzten Heft vom "Argument" eine englischsprachige Autorin: "...ich behaupte..., daß die Verwandlung von Dienstleistungen in materielle Produkte im Kapitalismus auf lange Sicht die vorherrschende Tendenz ist." Und: "Dieser unerschöpfliche Drang zur Hervorbringung neuer Waren ist vielleicht die zentrale Tendenz in der Geschichte des Kapitalismus, ist doch die Produktion materieller Güter der einfachste Weg, um aus lebendiger Arbeit Wert zu schöpfen." (Ursula Huws "Der Mythos der 'Weightless Economy'", "Das Argument" 238, H. 5/6 2000, S.648,650). Solchen auf der empirischen Ebene angesiedelten Beobachtungen versuchen meine Überlegungen nur eine plausible akkumulationstheoretische Begründung zu geben. Permanente Überakkumulation macht aus dem "einfachsten Weg" einen schwierigen und führt zur Begehrlichkeit des Kapitals, sich die bislang öffentliche, staatliche und kommunale Infrastruktur zu unterwerfen.

...

Anlage: Klaus Herrmann, Kapitalakkumulation und Krise


 

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