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KOMMUNISTISCHE STREITPUNKTE - Zirkularblätter - Nr. 7 - 20.07.2001 - Onlineversion

Klaus Hermann, Klaus Braunwarth

Briefwechsel über Klaus Braunwarth's Imperialismus und Weltordnung

III. Brief von Klaus Herrmann vom 23.11.00



Uelzen, den 23.11.00

Lieber Klaus Braunwarth,

entschuldige bitte den Zeitverzug meiner Antwort auf Deinen Brief von Ende September. Damit unser Meinungsaustausch, dessen Fortsetzung und Intensivierung auch mir am Herzen liegt, nicht rechthaberische Züge annimmt, will ich zunächst einen Punkt ansprechen, der mich zur Selbstkorrektur nötigt.

Es geht dabei um das Dienstleistungskapital und dessen Rolle im Akkumulationsprozeß. Um diesbezüglichen überschwenglichen Vorstellungen entgegenzutreten, habe ich polemisch argumentiert und es kurzschlüssig den faux frais der kapitalistischen Mehrwertproduktion insgesamt zugerechnet; ein Kurzschluß, der mir jetzt zu schaffen macht, bei der Absicht, ökonomische Arbeiten von mir unter dem Stichwort "Kapitalakkumulation und Krise" zusammenzutragen, ähnlich wie ich es mit solchen zum "Realsozialismus" gemacht habe. Zur Bestätigung meiner Auffassung habe ich seinerzeit H. Grossmann zitiert: "Der dingliche Charakter der Waren ist eine notwendige Voraussetzung ihrer Akkumulation. Nur insoweit der Wert vergegenständlicht ist, geht er in den Warenkreislauf W-G-W ein, kann er sich als eine Kapitalakkumulation darstellen." (Bei mir: "Analytisches zu Kapitalverwertung und Verwertungsgrenze", in "offensiv" 10/96, S.7)

Vielleicht bietet der Begriff des Stoffwechselprozesses im Sinne von Marx einen Schlüssel zur Klärung des tatsächlichen Sachverhalts. Abgelöst von aller Naturbasis wäre Kapitalakkumulation ein Perpetuum mobile, so wie es in der schwärmerischen Vorstellung, daß das industrielle vom Dienstleistungskapital verdrängt oder abgelöst werden könnte, herumgeistert. Die Verschleuderung öffentlichen und staatlichen Eigentums macht die Frage nach der Rolle dieses Kapitals für den Akkumulationsprozeß des Kapitals überhaupt - und dessen Schicksal - zur vielleicht dringlichsten.

Was hat man sich unter Mehrwertproduktion beim Dienstleistungskapital vorzustellen, wo nicht die Konkurrenz um die Darstellung eines Mehr oder Minder von vergegenständlichter Arbeitszeit im Produkt Verwertungskonkurrenz und Produktinnovation zugleich vorwärtstreibt? Gehört nicht Dinglichkeit des Substrats zum Begriff des relativen Mehrwerts? Michael Heinrich hat in seiner Kurz-Rezension (Märzheft von "konkret", 3/00,S.41) das Problem überspielt; ich zitiere: "Am stofflichen Inhalt der Arbeiten orientierte Unterscheidungen spielen für die Kapitalverwertung aber keine Rolle, entscheidend ist die ökonomische Form der Arbeitsverausgabung: Produziert sie -- die Form! (Ausruf des Zitierenden) -- nur einen Gebrauchswert (wie z.B. der Privatkoch eines Vermögenden), oder produziert sie Wert und Mehrwert (wie der Koch in einem kapitalistisch betriebenen Restaurant). Vieles von dem, was auf den ersten Blick als 'unproduktive Arbeit' erscheint, kann im kapitalistischen Sinne durchaus produktiv und Grundlage der Akkumulation sein." Wonach dann wie selbstverständlich der "neu entstehende globale Konkurrenzkapitalismus" zu einer normalen Bewegungsform des Kapitals überhöht wird.

Betrieblich integrierte Dienstleistung in der Industrie bietet für das Verständnis keine Schwierigkeiten; sie gehört zu den faux frais kapitalistischer Warenproduktion; staatlich alimentierte Dienstleistung wird aus Steueraufkommen bestritten; neu ist die Größenordnung durchkapitalisierter Dienstleistung, nicht das in seinem Aktionsradius begrenzte kleingewerbliche Dienstleistungskapital. Zu vermuten ist, daß die Kapitalproduktivität des Dienstleistungskapitals eine abhängige Variable der Akkumulation des Industriekapitals und von Überakkumulation ist. Fraglos macht es sich alle marktgängigen Innovationen zunutze, wie sie von der Industrie in Gestalt von Apparaten, Instrumentarien und Technologien bereitgestellt werden.

Rendite und Renditeerwartungen steuern die Bewegungen des Kapitals auf dem Kapitalmarkt, an denen das Dienstleistungskapital heute überproportional und mit Sicherheit aufgrund des staatlich betriebenen Ausverkaufs öffentlicher Dienstleistung teilhat. Ich scheue mich, von Profitratenbewegungen zu sprechen, weil die Profitraten durch die staatliche Alimentation gerade großer Industriekapitale von der Direktsubvention bis zu den Vorgaben von Wissenschaft und Forschung verfälscht und darum wenig aussagekräftig für die genuine Akkumulationspotenz des Kapitals sind. Natürlich sprudeln die Quellen des Mehrwerts, absoluten und relativen, reicher mit der Vergrößerung des Industriearbeiterheeres im "globalen Konkurrenzkapitalismus". Aber wie immer es um die durch Staatsinterventionismus verfälschten Profitraten stehen mag, Profitraten gleichen sich letztlich zum Durchschnittsprofit aus, und der Zufluß von Kapital in die Dienstleistung bemißt sich nach Renditeerwartungen/Renditen; als solches - als Dienstleistungskapital - kann es an der Mehrwertproduktion aber doch nur teilnehmen durch Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und Verlängerung der Arbeitszeit. Soweit meine Überlegungen, die ich Dir hiermit zu Zu- und Widerspruch antrage.

Nach Deinen Zeilen vom September, für die ich Dir dankbar bin, sehe ich den Differenzpunkt in unseren Auffassungen schärfer. Du sagst vom Kapital: "Historisch: es geht nicht aus Anderem, z.B. der Arbeit hervor, wie die 'wertfundamentalistischen' Flachköpfe glauben, sondern aus der bestimmten Beziehung seiner Bildungselemente aufeinander, die jedes für sich nicht Kapital sind und ginge es nach ihm, bildete sein Zyklus einen Kreislauf der ewigen Wiedergeburt." Darüber, daß noch nicht Kapital ist, woraus es sich historisch konstituiert hat, besteht Konsens; aber was ist unter einem Kreislauf der ewigen Wiedergeburt in Bezug auf das Kapital zu denken, dessen Zyklen die Widersprüche perpetuieren und kumulieren? Wertschöpfungsprozesse lassen sich heute weniger denn je aus Profitraten und Profitratenbewegungen ablesen, das setzt aber nicht das Gesetz vom tendentiellen Fall der Profitrate außer Kraft. Was die Kapitalisten, nicht das Kapital, sich einbilden, ist Ideologie, der der zitierte Michael Heinrich sich angleicht. Auch Du gibst dem Kapital zuviel vor. Daß das Kapital aus einer bestimmten Beziehung seiner Bildungselemente aufeinander hervorgeht, heißt doch gerade, daß es historisch nicht von sich ausgeht. Dadurch daß Du hier von der Reflexion auf die historischen Bau- und Abbauelemente des Kapitals abstrahierst, gerät Dir der Vorsatz zum Zitierten zur Tautologie: "Logisch: Es - das Kapital - beginnt seinen Zyklus als Geld - Geld, das nicht mehr nur bloßes Tausch-, Kauf- und Zahlungsmittel ist, also Geld als Kapital - und beschließt ihn als mehr Geld." Darin steckt nur die Behauptung, daß mehr als Geld und mehr Geld identische Ausdrücke für das Kapital sind. "Geschichte ist ohne Theorie nicht zu begreifen und wo es mit der letzteren hapert, wird man auch ihrer Logik nicht auf die Spur kommen." Konsens ist, daß ohne Theorie die Geschichte nicht zu begreifen ist. Ist aber daraus, daß es eine Logik des Kapitals gibt, auf eine solche der Geschichte zu schließen? Logisch geht es doch in der Geschichte zuallerletzt zu, was immer eine bestimmte Interpretationsvariante des historischen Materialismus dazu gesagt hat. Ich verstehe die einschlägigen Begrifflichkeiten von Marx und Engels nicht als Oberbegriffe, aus denen die Geschichte zu deduzieren sei. - "Die Geschicke des Kapitalismus werden nicht einfach 'klassengesellschaftlich entschieden', was sich die Klassenakteure vornehmen geht bloß als Element in das Resultat eines gesellschaftlichen Gesamtprozesses ein, den niemand beherrscht." Zweck und Ziel antikapitalistischer Klassenaktivitäten ist es, diesen gesellschaftlichen Gesamtprozeß zu beherrschen; das ist die raison d'etre, Existenzgrund und Legitimationsbasis des Marxschen Sozialismus/Kommunismus. Es ehrt den Sowjetmarxismus, daß er diesen Anspruch in der Theorie nie preisgegeben hat, auch wenn er an der Größe der Aufgabe gescheitert ist. ...


es folgt: IV. Brief von Klaus Braunwarth vom 29.12.00


 

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