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KOMMUNISTISCHE STREITPUNKTE - Zirkularblätter - Nr. 6 - 10.10.2000 - Onlineversion

Werner Imhof

Das Ferne liegt so nah ...

Über kommunistische Produktion als praktische Möglichkeit oder mögliche Praxis



I. Methodische Vorbemerkungen. Oder: Die Theorie muß praktisch werden.

Nach allgemeiner Auffassung läßt sich die kapitalistische Produktionsweise verstehen, ohne daß dazu ein Verständnis nichtkapitalistischer, gar kommunistischer Produktion nötig wäre. Bei der bürgerlichen Ökonomie, die der "Illusion von der Ewigkeit und Letztinstanzlichkeit kapitalistischer Produktion" (Engels) anhängt, ist das nicht verwunderlich. Aber auch nach gängiger linker Logik ist die Analyse und Kritik des Kapitalismus, selbst marxistische, nicht gebunden an eine Vorstellung seiner praktischen Aufhebung. An "kapitalismuskritischer" Literatur herrscht denn auch kein Mangel. Eine kommunistische Produktionsweise dagegen ist – wenn sie nicht sowieso mit der historisch bankrotten Form der zentralen Planung gleichgesetzt wird – den allermeisten Linken nur als nebelhafte Utopie vorstellbar, die weit jenseits dessen liegt, was als "sozialistische Marktwirtschaft" oder als "demokratischer Sozialismus" für realisierbar gilt.

Ich möchte die gängige Logik umkehren und behaupten: Ohne eine Vorstellung von kommunisti­scher Produktion, und zwar eine praktische Vorstellung und nicht nur eine abstrakt-theoretische "Definition", kann es auch kein wirkliches Verständnis der herrschenden Praxis kapitalistischer Produktion geben. Oder in Marx' Worten: Das "positive Verständnis des Bestehenden" ist nur erreicht, wenn es "das Verständnis seiner Negation einschließt". Im zweiten Teil meines Vortrags werde ich beschreiben, wie sich meine Vorstellung von kommunistischer Produktion als möglicher Praxis entwickelt hat, und zwar als Praxis, die mit der Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln auch die Aufhebung des Geldes voraussetzt.

Die ganze Schwierigkeit, sich eine kommunistische Organisation der gesellschaftlichen Arbeit vorzustellen, liegt in der Schwierigkeit, sich die gesellschaftliche Reproduktion ohne Geld vorzu­stellen. Fällt aber erst mal der Geldschleier, der alle Zusammenhänge verkehrt und mystifiziert, dann fällt auch sehr schnell der Schleier der Kapitalform. Das ist uns vor einem Jahr offensichtlich nicht recht gelungen. Denn wie Jochen später formulierte, ist die Vorstellung von kommunistischer Produktion als möglicher Praxis oder praktische Möglichkeit damals "kaum mehr als ein Postulat" gewesen, und das scheint allgemeiner Eindruck gewesen zu sein, nach der anschließenden "Funkstille" zu urteilen.

Zur Anregung der Vorstellungskraft daher zunächst eine kritische Rückblende zur letzten KW 48. Ein Ereignis, das schlagartig die Hohlheit der gängigen linken Phraseologie deutlich machte, der wir alle mehr oder weniger verhaftet sind, war die Frage des Kollegen Harry: "Was ist eigentlich das Kapital? Das Geld, die Maschinen oder der Vorstand? An wen soll ich mich wenden?"

Was Harry bloßstellte, ist eine Phraseologie, die sich auf Marx' Kritik der politischen Ökonomie zu stützen scheint, tatsächlich aber ein kritisches Verständnis der gesellschaftlichen Beziehungen nur simuliert. Eine Phraseologie, die mehr der Autosuggestion und Selbstbestätigung dient, links zu sein, dazuzugehören und ein "höheres", "richtigeres" Bewußtsein zu besitzen, als daß sie wirkliches Verständnis ausdrückt und geeignet ist, anderen zum kritischen Verständnis der Verhältnisse zu verhelfen. Eine Phraseologie, die die verdinglichten Verhältnisse nur in ebenso verdinglichten Gedankenformen reproduziert, weil ihnen das Wichtigste fehlt – das Verständnis gesellschaftlicher Praxis, genauer: des gesellschaftlichen Arbeits- und Reproduktionsprozesses in seiner kapitalistischen Form. Eine Phraseologie, die mit Begriffen, Schlagworten, Abstraktionen hantiert, mit denen keine lebendige praktische Vorstellung verbunden ist.

Diese Phraseologie ist kein Privileg einer bestimmten Richtung. Sie ist den revolutionaristischen (d.h. sich "revolutionär" gebenden und verstehenden) Richtungen ebenso eigen wie den reformistischen. Die einen (insbesondere die Spielarten des Stalinismus) glauben, mit der Begrifflichkeit, die sie zu beherrschen meinen, auch die Herrschaft über die Wirklichkeit beanspruchen und die Zukunft bestimmen zu können (für Martin Ausdruck einer "kategorialen Denkweise"). Die anderen geben sich mit der scheinradikalen Bezeichnung gesellschaftlicher Phänomene (etwa als "Kapital", "Profitmaximierung", "Imperialismus" oder auch "Schweinesystem") zufrieden und halten sich dafür ihre "Widerständigkeit" zugute (eine "phänomenologische Denkweise" nach Martin). Man könnte noch eine dritte, scheinbar unpolitische Denkweise hinzufügen, die akademische, die den formalisierten Umgang mit den verdinglichten Kategorien der politischen Ökonomie, als Expertendisziplin kultiviert.

Hier noch mal ein typisches Beispiel für die Oberflächlichkeit linken Denkens, das nicht einmal mehr die elementarsten Dinge reflektiert und die unmittelbare Erscheinung für "bare Münze" nimmt:

"Geld ist genug da!" Dies ist das zentrale Argument, das dem Protest gegen die Sparpolitik der Regierung Begründung und Perspektive verleihen soll (siehe auch das gleichnamige Buch von Herbert Schui und Eckart Spoo, Distel Verlag 1996). Es drückt ein doppeltes Unverständnis aus: 1. Unverständnis für die Tatsache, daß überhaupt Geld da ist, daß gesellschaftliche Arbeit sich im Geld verselbständigt, weil sie privater Herrschaft über die Produktionsmittel unterworfen ist; und 2. Unverständnis für die Tatsache, daß gespart wird, nicht obwohl genug Geld da ist, sondern gerade weil zuviel Geld da ist, nämlich Geld, das als Kapital fungieren, also sich vermehren soll, und diese Vermehrung nur gelingen kann, wenn die notwendige Arbeit im gesellschaftlichen Maßstab, also der Konsum der Lohnabhängigen und ihres "unproduktiven" Anhangs, reduziert wird, damit die Mehrarbeit ausgedehnt werden kann. Dagegen zu "argumentieren", daß ja "Geld genug da" sei, heißt nur, die "ungerechten" Verteilungsverhältnisse zu beklagen, ohne die Produktionsweise in Frage zu stellen, die sie hervorgebracht hat, und dafür zu sorgen, daß der Protest stumpf bleibt.

Eine ähnliche Rolle spielt übrigens auch die Forderung nach einer "Grundsicherung" oder einem "Existenzgeld", zumal wenn sie ausdrücklich auf ein "arbeitsunabhängiges Einkommen" abstellt. Wenn das "Existenzgeld" mehr sein soll als ein staatliches Almosen wie die heutige Sozialhilfe, die kaum das Existenzminimum sichert, also etwa ein Einkommen in Höhe eines durchschnittlichen Arbeiterlohns, dann ist die Forderung, an eine bürgerliche Regierung gerichtet, ebenso illusionär wie die Forderung nach "Arbeit für alle" oder einem "Recht auf Arbeit", deren geldförmiges Spie­gelbild sie ist. Ein "arbeitsunabhängiges" Einkommen gibt es außerdem nicht. Jedes (nicht fiktive) Einkommen ist Produkt gesellschaftlicher Arbeit. Die Frage ist nur, ob es eigene Arbeit ersetzt oder auf Lohnarbeit beruht oder auf der Aneignung fremder Arbeit, also arbeitsloses Einkommen ist. "Arbeitsunabhängiges Einkommen" kann nur zweierlei bedeuten. Entweder soll es ebenfalls arbeitsloses Einkommen sein. Dann läuft die Frage darauf hinaus, aus welcher Quelle, aus welchem Teil der gesellschaftlichen Arbeit es sich speisen soll – aus der notwendigen Arbeit bzw. dem Konsumtionsfonds der Lohnabhängigen oder aus der Mehrarbeit bzw. dem Konsumtions- und Akkumulationsfonds der Kapitalisten. Im ersten Fall hieße die Forderung: Wir wollen den Lohn mit den Lohnabhängigen teilen, aber nicht die Arbeit. Im zweiten Fall hieße sie: Wir wollen am Privileg der Kapitalisten auf ein arbeitsloses Einkommen teilhaben, nicht aber es in Frage stellen... Oder aber das "arbeitsunabhängige Einkommen" bedeutet schlicht: Wir haben nichts gegen staatlichen Arbeitszwang, nur soll die Einkommenshöhe davon unabhängig bleiben. Alles wahrhaft "systemsprengende" Perspektiven! So etwas kommt eben heraus, wenn man als "gnadenloser Reformist" (Martin über sich selbst) unbedingt Widersprüche lösen will, die sich auf dem Boden der kapitalistischen Produktionsweise nicht lösen lassen...

Daß sich der Gesamtprozeß der materiellen Reproduktion der unmittelbaren Anschauung entzieht, ist natürlich nicht den Linken anzulasten, sondern der besonderen, kapitalistischen Form dieses Prozesses bzw. den verselbständigten Formen der gesellschaftlichen Arbeit. Kein Mensch hat je Wert und Kapital als solche gesehen oder gar als chemische Substanz oder physikalische Eigenschaft von Arbeitsprodukten nachgewiesen. Und doch gelten sie als quasi natürliche Phänomene. Jeder Mensch denkt in Preisen, aber kaum einer weiß, was er tut, wenn er die Glei­chung 1 Glas Bier = 2 DM aufstellt; ja, er weiß in der Regel nicht einmal, daß er eine Gleichung aufstellt, einen Vergleich anstellt. Die völlige Gleichgültigkeit und Gedankenlosigkeit gegen die Form ökonomischer Erscheinungen, über die sich schon Marx aufgeregt hat, teilen die Linken fast aller Couleur (mit Ausnahme der Wertkritiker, die sich aber mit ihrer Formkritik in eine Sackgasse verrannt haben) längst mit der Masse der Bevölkerung, der sie sich gern überlegen wähnen. Man kann aber nicht ernsthaft über die Kritik und Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise reden, wenn man nicht bereit ist, die eigene "Formblindheit", das eigene Bewußtsein, also den eigenen Sprachgebrauch, selbstkritisch zu reflektieren.

Die Nagelprobe, der sich jede/r selbst unterziehen kann, ist die Frage: Was besagen die Begriffe, mit denen wir gesellschaftliche Phänomene bezeichnen und umgehen, als würden sie sich von selbst verstehen – was besagen diese Begriffe eigentlich über die gesellschaftliche Praxis der Menschen? Oft genug wird die Antwort Stottern, Schweigen, wenn nicht Verständnislosigkeit sein. Das ist dann ein Zeichen dafür, daß man das Begreifen menschlicher Praxis ersetzt (hat) durch die sprachliche Reproduktion des dinglichen Scheins, den sie hervorbringt. Wo Worte fehlen, da stellt gewöhnlich ein Begriff sich ein (oder so ähnlich)... Ich zitiere nochmals Marx' 8. These über Feuerbach: "Alles gesellschaftliche Leben ist wesentlich praktisch. Alle Mysterien, welche die Theorie zum Mystizismus veranlassen, finden ihre rationelle Lösung in der menschlichen Praxis und im Begreifen dieser Praxis." Das gilt nicht nur für die heute herrschende Praxis kapitalistischer Produktion, sondern auch für eine mögliche künftige Praxis kommunistischer Produktion.

Mehr noch: Die eine Praxis ist ohne die andere nicht zu begreifen. Das heißt, wenn eine praktische Vorstellung vom gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß in seiner kapitalistischen Form fehlt, ist auch keine praktische Vorstellung davon möglich, wie diese Form aufzuheben, durch eine kommunistische zu ersetzen wäre – und umgekehrt! Marx hätte nie die kapitalistische Form der gesellschaftlichen Reproduktion entschlüsseln können, wenn er keine Vorstellung von ihrer kommunistischen Form gehabt hätte, die er ja auch immer wieder (wenn auch oft nur beiläufig) zur Sprache gebracht hat.

Was aber ist der Begriff der (oder besser: einer) "kommunistischen Produktionsweise", wenn er keine anschauliche Vorstellung gesellschaftlicher Praxis beinhaltet? Eine bloße Phrase, eine verselbständigte Formel, ein leeres Bekenntnis, das um so lächerlicher wirkt, je mehr es als historische Gewißheit vorgetragen wird. Dann wird "der Kommunismus" zum Mythos, schlimmer noch: zum Fetisch, der seine AnhängerInnen beherrscht und ihr Denken durch Glauben und Beschwörung ersetzt. Auch hierzu noch einige Beispiele, die zeigen sollen, wie sich Begriffe im Sprachgebrauch, also im Bewußtsein, verselbständigen können und sich gegen die emanzipatorische Praxis wenden, die sie doch "eigentlich" bezeichnen soll(t)en.

· In einer Reaktion auf meine "Nachlese zur 48. Woche 1998" schrieb Jochen: Es ist "eine nach Hegel riechende Illusion, daß der Kommunismus eine Totalität menschlicher Beziehungen organisiert". Allerdings, denn "der Kommunismus" wird überhaupt nichts organisieren. Er wird die Praxis lebendiger Menschen sein, die ihre gesellschaftlichen Beziehungen selbstbewußt oder bewußt selbst organisieren, oder er wird gar nicht sein. D.h. selbst noch in der richtigen Ablehnung einer totalitären Kommunismus-Vorstellung wird "der Kommunismus" als mythisches Subjekt reproduziert – und das in Bezug auf einen Text, in dem ich mich ausdrücklich von dem historisch diskreditierten und zum Ersatzsubjekt verselbständigten Begriff "des Kommunismus" abgesetzt habe.

· Ein anderes Beispiel liefert Willi G., der meint, an eben diesem Begriff "Kommunismus" festhalten zu müssen, obwohl er ihn inhaltlich nicht mit Leben füllen kann. "Der Kommunismus" wird so zum leeren Kampfbegriff, zur trotzigen Beschwörungsformel.

· Auf die Spitze getrieben wird die Anbetung "des Kommunismus" als Mythos und Fetisch z.B. bei den "Übergängern", nachzulesen zuletzt in Nr. 3 der "Kommunistischen Streitpunkte" vom Juni 99, wo Karl-Heinz Landwehr (KHL) z.B. das "daniederliegen des kommunismus" konstatiert und die "grausam gründliche selbstkritik des kommunismus" beschwört (S. 21 bzw. 20; Herv. von mir). Seit einigen Jahren versuchen die "Übergänger", eine "programmatische Debatte" über den "Übergang zum Kommunismus" zu führen Auch wenn sie dabei nicht recht vom Fleck kommen, steht für sie fest, daß sie "das Programm der Kommunisten" (Matthias Grewe) auf die Beine stellen müssen. "Kommunisten" sind also zeitlose Gestalten, die sich 1. dadurch definieren, daß sie sich selbst als solche verstehen, auch wenn sie kein Programm haben und laut KHL nicht mal "in der lage" sind, "die debatte (darüber) auch wirklich inhaltlich führen zu können" (ebd.), und 2. durch ihre Gewißheit, daß sie es sind, die den Gang der Geschichte zu bestimmen haben, noch ohne zu wissen wie und bevor sie überhaupt begonnen haben, sich dem "empiristischen" (KHL) Urteil der Geschichte zu stellen.

· Schließlich mein eigener Sprachgebrauch, etwa der "emanzipatorische Kommunismus". Zum einen handelt es sich um eine Tautologie. Wenn aber der Begriff "Kommunismus" nicht einfach als befreiende und befreite Praxis gesellschaftlicher Individuen verstanden werden kann, dann hilft auch die nochmalige Betonung seines "emanzipatorischen" Sinns nicht weiter, die ja die fürchterliche historische Belastung des Begriffs nur bestätigt. Zum anderen (oder eben deswegen) ist auch ein "emanzipatorischer Kommunismus" immer noch ein Abstraktum, das vom heutigen Alltagsverstand gar nicht anders verstanden werden kann denn als fremdbestimmtes "System", nicht aber als gemeinnützige Selbstorganisation der gesellschaftlichen Arbeit durch die assoziierten Produzenten. Ich ziehe es deshalb vor, den Begriff in seiner substantivischen Form und erst recht als grammatisches Subjekt bis auf weiteres nicht mehr zu benutzen.

· Wie das Kleben an abstrakten Kategorien das Denken behindern kann, zeigte auch das Bild von der "Kluft zwischen den [weit entwickelten] objektiven und den [anscheinend oder scheinbar 'ausgelöschten'] subjektiven Voraussetzungen einer kommunistischen Produktionsweise", das ich in den "Antithesen zu den Thesen der 'Übergänge zum Kommunismus' vom August 1998" benutzt hatte (in der KW 48/98 hieß der leicht gekürzte Text "Nachdenken über einen emanzipatorischen Kommunismus"). Ich hatte es zwar kurz darauf in einer "Nachträglichen Vorbemerkung" korrigiert, doch auch die Korrektur verrät noch die Schwierigkeiten, die ich hatte, meinen eigenen Denkfehler zu begreifen. Da er ziemlich verbreitet ist, möchte ich näher auf ihn eingehen.

Die "Kluft" zwischen der (behaupteten) Möglichkeit kommunistischer Produktion und dem fehlenden Bewußtsein davon in der Arbeiterbewegung ist ein Scheinwiderspruch ohne reale Existenz. Sie war allein Ausdruck oder Projektion eines Problems im eigenen Kopf. Die real existierende "Kluft" nämlich ist die zwischen meiner Vorstellung von kommunistischer Produktion und den gesellschaftlich herrschenden Vorstellungen von der Alternativlosigkeit kapitalistischer Marktwirtschaft und von der Unverzichtbarkeit des Geldes. Sie reproduziert sich ständig als Widerspruch zwischen den eigenen Bemühungen, mit dem Verständnis der kapitalistischen Produktionsweise ein Verständnis ihrer praktischen Aufhebung zu entwikkeln und zu vermitteln, und der ideologischen Macht der kapitalistischen Produktionsweise, die diese Bemühungen so erschwert, auch im eigenen Kopf.

Als "objektive Kluft" kann diese subjektive Schwierigkeit nur dem abstrakten und bloß anschauenden Denken erscheinen, das sich selbst nicht als Teil der vorhandenen "subjektiven Bedingungen", als Teil des möglichen Subjekts kommunistischer Produktion begreift und selbst keine praktische Vorstellung von ihr hat, um dann über die "Voraussetzungen" ihrer Verwirklichung zu räsonnieren; Voraussetzungen, die in den Gegensatz von "objektiven" und "subjektiven" auseinanderfallen, weil dem abstrakten Denken die vermittelnde Vorstellung der Praxis fehlt.

Die "Reife" der objektiven Voraussetzungen kommunistischer Produktion ist ja zunächst mal nur eine subjektive Behauptung, Gegenstand meines Denkens; und sie bleibt eine Phrase, solange die praktische Bedeutung dieser Voraussetzungen unklar bleibt. Wenn sie aber auch nur ein bißchen Realitätsgehalt hat, dem Denken also "gegenständliche Wahrheit" zukommt, dann muß sich das in der Praxis erweisen, die natürlich vorerst nur eine vorstellbare oder vorgestellte Praxis sein kann, ideelle Vorwegnahme des praktisch Möglichen. Und der Nachweis ihrer "Realitätstüchtigkeit" kann nur darin bestehen, daß sie nachvollziehbar ist und auch tatsächlich von anderen nachvollzogen wird. Was umgekehrt bedeutet, daß es an der Unausgegorenheit oder auch Untauglichkeit der Vorstellung liegen muß, wenn es nicht gelingt, die Vorstellungskraft anderer zu erreichen und die Macht der herrschenden Vorstellungen über sie zu brechen.

Das Scheinproblem, wie die "Kluft" zwischen der vorhandenen Möglichkeit kommunistischer Produktion und dem "nichtvorhandenen" Bewußtsein der Lohnabhängigen zu überwinden sei, löst sich also auf in das einzig reale Problem, wie wir selbst eine nachvollziehbare praktische Vorstellung von ihr gewinnen. Alles Räsonnieren über das Auseinanderklaffen von objektiven und subjektiven, materiellen und geistigen Bedingungen kommunistischer Produktion, über die "Reife" der einen und die "Unreife" der anderen usw. ist müßig (wenn nicht Ablenkung von der Unreife des eigenen Bewußtseins), wenn man sie nicht im eigenen Kopf vereinigen kann. Auch der Blick zurück auf die Geschichte der bisherigen sozialistischen und kommunistischen Bewegung kann keine Klarheit darüber bringen, warum und woran sie gescheitert ist, wenn man nicht selbst wenigstens ansatzweise eine Vorstellung davon hat, was ihre ursprüngliche Zielsetzung heute praktisch bedeutet. Was mir vorschwebt, ist ein Bewußtsein von der Selbstorganisation der gesellschaftlichen Arbeit durch die assoziierten oder vereinten Produzenten, das geeignet sein sollte, zum praktischen Selbstbewußtsein einer emanzipatorischen Bewegung zu werden.

Das klingt wahrscheinlich missionarisch und anmaßend, und das widerstrebt mir selbst. Jochen hat denn auch zu Recht seine Skepsis angemeldet: "Doch sollten wir nicht vergessen, wer wir sind und wo wir sind, und uns nicht (erneut) wie Zwanzigjährige benehmen. Ich glaube, es dürfte eine Illusion sein, sich von unserer theoretischen Diskussion Entwürfe zu erhoffen, die 'endlich gefundene radikale Auswege' bringen, auf die bisher nur niemand gekommen ist." Diese Befürchtung ist mir nicht fremd. Und Jochen hätte sicher Recht, wenn es denn so wäre, daß bisher nur niemand darauf gekommen ist. Aber dem ist nicht so.

Die "genossenschaftliche Regelung der Gesamtarbeit" (Gothaer Programm, 1875) "ohne Dazwischenkunft des vielberühmten 'Werts'" (Engels), also auch des Geldes, war einmal anerkanntes, wenn auch vielleicht nur abstrakt anerkanntes Ziel der revolutionären Sozialdemokratie. Sie war für Marx eine selbstverständliche, wahrscheinlich allzu selbstverständliche, lebendige Vorstellung, die z.B. seiner ätzenden Kritik am Gothaer Programm zugrunde liegt und die an hundert Stellen seiner Kritik der politischen Ökonomie deutlich wird – wenn man sie denn zu lesen versteht. Sie war praktische Vorstellung auch für Engels, ebenso für Lenin (jawohl) – wenn auch bei beiden deformiert durch ihre Verabsolutierung des Zentralismus (ein Thema für sich, das sich m.E. aus dem damaligen Entwicklungsstadium des Kapitalismus und aus der Rückständigkeit Rußlands verstehen läßt). Sielebte weiter in theoretischen Köpfen wie Luxemburg und Gramsci und in linkskommunistischen Strömungen wie den holländischen Rätekommunisten. Das Allerwichtigste aber ist, daß diese Vorstellung kommunistischer Produktion in der Praxis bewiesen hat, daß sie breiteste Arbeitermassen begeistern und mobilisieren konnte – auch wenn sie in den meisten proletarischen Bewegungen dank gütiger Mithilfe von Sozialdemokraten und Kommunisten verdunkelt war durch etatistische Illusionen und syndikalistische Denkschranken. Musterbeispiel für mich: die kommunistische Bewegung in Turin nach dem ersten Weltkrieg, auf die ich noch zurückkomme.

Daß diese Vorstellung dennoch in der Arbeiterbewegung nicht nachhaltig Fuß faßte und von den Stalinisten so fürchterlich pervertiert werden konnte, ist eine Entwicklung, die erklärt werden muß (und nicht nur einfach verurteilt werden kann). Aber diese Erklärung setzt voraus, daß man selbst eine lebendige praktische Vorstellung von kommunistischer Produktion hat – und ein Verständnis der Methode, wie diese Vorstellung zu erwerben bzw. zu wecken ist. In den "Skizzen eines emanzipatorischen Kommunismus" habe ich diese Methode zu entwickeln und zu begründen versucht. Kurz gesagt, läßt sie sich so zusammenfassen:

Die Theorie muß praktisch werden; das abstrakte Denken muß lernen, konkret zu werden; der "wissenschaftliche Sozialismus" ist nur dann wissenschaftlich, wenn er sich als Wissenschaft aufzuheben sucht.

Die Formulierungen sind bewußt paradox, weil die Wirklichkeit paradox ist. Ich möchte noch eine – hoffentlich provozierende – Variante hinzufügen: Es geht darum, die traditionelle "Dualität von Theorie und Praxis" (Lukács) aufzuheben. Was damit gemeint ist, will ich hier nur an einem Beispiel andeuten (ausführlicher wollte ich das Problem eigentlich in der Fortsetzung der "Skizzen..." behandeln). Bernds Antwort auf Harrys eingangs zitierte Frage vor einem Jahr war sinngemäß: Eine "Fachsprache" wie die marxistische sei unverzichtbar wegen der Kompliziertheit des "Stoffes". Ich behaupte umgekehrt: Solange die Theorie als Fachjargon daherkommt, sind die Leute, die ihn benutzen, in Wahrheit Stümper, die den "Stoff", um den es geht – die Beziehungen der Menschen in der gesellschaftlichen Reproduktion – nicht als solche begreifen, nicht in gesellschaftliche Praxis auflösen können. Soweit wir die Marxsche Theorie nötig haben, brauchen wir sie nur zur Denunziation und Dekonstruktion der herrschenden Praxis, nicht aber zur Konstruktion einer "Theorie des Kommunismus", eines Theoriengebäudes namens "kommunistisches System". Die kommunistische Produktionsweise bedarf keiner besonderen Theorie, sondern nur der klaren und einfachen Vorstellung als selbstbewußte Praxis.

II. Elemente einer praktischen Vorstellung von kommunistischer Produktion

Ich möchte Euch darstellen, wie sich meine Vorstellung von kommunistischer Produktion in den letzten vier, fünf Jahren schrittweise – z.T. über regelrechte Aha-Erlebnisse – entwickelt hat. Also kein fertiges Gedankengebäude (das habe ich nicht, und das kann es auch nicht geben), sondern sozusagen das Erkenntnis- und Vorstellungsmaterial, das sich mehr und mehr zu einer praktischen Vorstellung zusammenfügt. Dabei werde ich mehrfach zwischen der theoretischen und der empirischen Ebene wechseln. Denn wie die Erfahrung das theoretische Verständnis gefördert hat, das abstrakte Denken konkret(er) werden ließ, so hat umgekehrt die theoretische Einsicht die Empirie durchsichtiger gemacht. Ich hoffe, daß diese Darstellungsweise (die nicht immer streng chronologisch ist) das Verständnis erleichtert.

Vorweg noch eine grundsätzliche Anmerkung: Ohne empirische Kenntnisse über die heutige kapitalistische Wirtschaft braucht man gar nicht erst anzufangen, über eine kommunistische Art und Weise der Produktion (und Verteilung) zu reden. Man kann sich nicht ernsthaft über die Aufhebung der kapitalistischen Beziehungen in Produktion und Konsumtion unterhalten, wenn man keine Ahnung davon hat, wie diese Beziehungen heute konkret organisiert sind bzw. sich verändern. Welche Beziehungen meine ich? Die Beziehungen der Betriebe untereinander als Lieferanten und Bezieher von Produktionsmitteln, die Beziehungen der Betriebe in gleichen oder verwandten Produktionszweigen und die Beziehungen zwischen den Konsumtionsmittel (im weitesten) Sinne erzeugenden Betrieben und den sog. Endverbrauchern (heute durch den Handel vermittelt). Diese Beziehungen sind es im wesentlichen, in denen sich der Stoffwechselprozeß der gesellschaftlichen Arbeit vollzieht.

*

Bis vor einigen Jahren war meine eigene Vorstellung von kommunistischer Produktionsweise eine ziemlich abstrakte. Sie bestand aus theoretischen Ansichten, die praktisch nicht weiter konkretisierbar waren, etwa der, daß "die Gesellschaft ihre Ökonomie unter bewußte Herrschaft und Kontrolle bringen" muß, oder der, daß mit dem Privateigentum an Produktionsmitteln auch der Austausch der Produkte und das Geld wegfallen müßten. Es waren abstrakte Negationen der kapitalistischen (und der "realsozialistischen") Praxis, die auch nur durch abstraktes Denken, in Kategorien der "politischen Ökonomie", vermittelbar und nachvollziehbar schienen, also ungeeignet für die "Praxis", wenn sie nicht sektiererisch sein sollte. Ich lebte mit einer Art Schizophrenie: auf der einen Seite ein abstrakt-kommunistisches Privatbewußtsein, kommunikationsfähig nur in kleinen Zirkeln, auf der anderen eine "öffentliche", vor allem betriebliche, "Praxis", verstanden als "Vertretung von Belegschaftsinteressen", die sich durch den Gegensatz zur sozialpartnerschaftlichen Betriebsrats- und Gewerkschaftsbürokratie definierte.

Dieser Widerspruch war durchaus nicht nur mein persönliches Problem. Er war ein Erbe der Geschichte, ein ungelöstes Dilemma der sozialdemokratischen wie der kommunistischen Bewegung, das auch die nach 1968 entstandene "Neue Linke" nicht hatte überwinden können: der Widerspruch zwischen einer abstrakt-"revolutionären" Theorie und der konkret-"reformistischen" (gewerkschaftlichen, parlamentarischen usw.) Praxis, nur scheinbar aufgehoben in der sog. "Dialektik von Reform und Revolution". In der Sozialdemokratie wurde der Widerspruch "überwunden" durch die Anpassung der Marxschen Theorie an die reformistische Praxis und die schließliche Preisgabe der Theorie. In der kommunistischen Bewegung erstarrte die Theorie zum Dogma, dem die Praxis als instrumentelle (zwischen Reformismus und Abenteurertum schwankende) Taktiererei dienen sollte.

Meine eigene Bewußtseinsspaltung war mir ebenso bewußt wie ihr historischer Hintergrund; mir war auch klar, daß sie auf die Dauer nicht durchzuhalten war. Doch schien sie damals bis auf weiteres unüberwindbar. Und sie war es auch, solange das praktische Bewußtsein fixiert war auf die betriebliche Interessenvertretung und das theoretische Bewußtsein hinderte, praktisch zu werden. Die Praxis mußte erst fragwürdig werden, damit das Denken die eingefahrenen Bahnen verlassen konnte.

Bevor ich darauf eingehe, möchte ich einige Erfahrungen aus der betrieblichen Praxis anführen, die für das weitere Verständnis wichtig sind und die zeigen, wie sich die Arbeiter selbst zu den Produktionsmitteln, zum Produktionsprozeß und zum gesellschaftlichen Zusammenhang ihrer Arbeit verhalten. Diese Erfahrungen werden natürlich von Betrieb zu Betrieb variieren, sie dürften aber für einen traditionellen Großbetrieb nicht untypisch sein. Man könnte ein ganzes Buch darüber schreiben, was ich hier nur andeuten kann.

Betriebliche Erfahrungen

Die Kollegen haben – das ist nichts umwerfend Neues – ein zwiespältiges Verhältnis zum Produktionsprozeß. So wie sie den Feierabend, das Wochenende, den Urlaub und im Alter den (Vor-)Ruhestand herbeisehnen, so willkommen ist ihnen auch jede Unterbrechung im Produktionsfluß, jeder Stillstand, der ihnen (mit Ausnahme der zuständigen Facharbeiter und Anlagenfahrer) eine Erholung von Streß und Monotonie beschert. Andererseits empfinden sie aber auch Genugtuung, wenn "der Laden läuft", vor allem auf der Nachtschicht, wenn die höheren "Führungskräfte" nicht da sind und selbst die Meister in ihren Buden hocken. Es ist das Bewußtsein, "eigentlich brauchen wir die gar nicht", das sie mit einem gewissen Stolz erfüllt und sogar zum Antrieb wird, den Betriebsablauf zu optimieren. Dieses Bewußtsein wird noch bestätigt, wenn bei jeder größeren Störung Abteilungs-, Betriebs- und Werksleiter herbeieilen, nur um nörgelnd und antreibend im Wege zu stehen. In diesem Zwiespalt ist der ganze Widerspruch zwischen dem gesellschaftlichen Charakter der Arbeit und ihrer kapitalistischen Organisationsform im Keim enthalten und ebenso seine Lösung – die Aneignung der Produktionsmittel und die Selbstorganisation der Arbeit durch die (unmittelbaren und mittelbaren) Produzenten.

Ähnlich ist es mit dem Verhältnis zu den Produktionsanlagen. Die Maschinen- und die Facharbeiter kennen ihre Funktionstüchtigkeit und ihre Macken am besten. Sie haben ein doppeltes Interesse an einer vorbeugenden Wartung und Instandhaltung, zum einen, um sich den Streß von Betriebsstörungen zu ersparen, zum andern, weil sie sich für den Betriebsablauf und die Anlagen verantwortlich fühlen, obwohl sie ihnen nicht gehören. Doch vorbeugende Wartung kostet zusätzliche Arbeitszeit bzw. -kraft, erhöht nur die Kosten der Produktionsmittel (also des "konstanten Kapitals") und schmälert den Gewinn. So wird sie "von oben" auf das Allernotwendigste begrenzt, um nur die akutesten Störungsgefahren zu beseitigen; ähnlich wie Unfallverhütungsmaßnahmen dann als optimiert gelten, wenn sich ihre Kosten mit denen der statistisch zu erwartenden Unfälle die Waage halten.

Jeder Produktionsbetrieb hat irgendeine Art von Qualitätskontrolle und -sicherung, die die Einhaltung von technischen Standards und Kundenanforderungen überwacht. Sie ist (neben Verkauf und Versand) eine der Schnittstellen zwischen Produktion und Konsumtion, zwischen Lieferant und Bezieher(n). Bei uns im Werk, wo Stahlrohre unterschiedlicher Art und Abmessung hergestellt werden, ist das Qualitätsbewußtsein der Belegschaft oft ausgeprägter als das der "Führungskräfte". Die Kollegen wissen sehr gut, daß minderwertige Pipeline- und Ölfeldrohre eine Gefahr für die Umwelt darstellen (und natürlich auch "Aufträge gefährden"), und sie haben wie jeder normale Arbeiter ein persönliches Interesse an der Qualität ihrer Produkte. Das kollidiert nicht selten mit dem eher quantitativen Denken der "Führungskräfte", die auf hohe Tonnen- oder Stückzahlen und niedrige Ausschußquoten drängen, vor allem wenn die Kundenspezifikationen relativ simpel sind, wie bei den sog. "Russenrohren". Der Ausspruch eines Meisters, "die Rohre kommen doch sowieso alle unter die Erde", ist zum geflügelten Wort in der Belegschaft geworden. Es gibt aber auch andere Erfahrungen, dann nämlich, wenn ein Kunde, z.B. ein großer Ölkonzern, hohe Qualitätsansprüche stellt und zur Kontrolle eigene Abnehmer ins Werk schickt. Da sie die Macht haben, die ganze Produktion stillzusetzen, wenn etwas nicht vertragsgemäß läuft, ist das Verhältnis zu ihnen nicht gerade sehr kooperativ, wird ihre Tätigkeit eher als lästige Einmischung "von außen" empfunden.

Jeder Produktionsbetrieb muß auch irgendeine Form der Materialwirtschaft betreiben, die Hilfs- und Betriebsstoffe, Reserveteile und Vormaterial vorrätig hält. Hier laufen die stofflich-technischen Beziehungen zwischen den zahlreichen Lieferanten oder Zulieferern (bei Großbetrieben sind es Hunderte bis Tausende) und dem "eigenen" Betrieb zusammen. Art und Menge der zu bestellenden undabzurufenden bzw. der zu liefernden Materialien wird bestimmt durch den produktiven Konsumtionsbedarf der angeschlossenen Betriebe, natürlich nach vorheriger Auswahl von Lieferanten und Preisen durch den Einkauf. Im großen und ganzen aber handelt es sich um ein ziemlich stabiles System von Beziehungen zu Hunderten von Zulieferbetrieben. Die Vorstellung, daß sich diese Beziehungen auch ohne Vermittlung des Geldes, durch direkte Kommunikation organisieren ließen, liegt fast auf der Hand – wenn nicht das Tabu des Privateigentums im Wege stünde.

Beziehungen ähnlicher Art bestehen zu Betrieben, die dem "eigenen" Unternehmen nicht dingliche Waren verkaufen, sondern "Dienste" oder "Gewerke". Auch sie werden nicht als Glieder eines arbeitsteiligen Produktionsprozesses wahrgenommen, sondern als "Fremdfirmen", also vom Standpunkt des Privateigentums am Unternehmen, dem man die eigene Arbeitskraft verkauft. Im Röhrenwerk, in dem ich gearbeitet habe, bestanden Mitte der 90er Jahre rund 800 Werk- und Dienstverträge mit etwa 150 "Fremdfirmen".

Der gesellschaftliche Zusammenhang der Arbeit ist im Betriebsalltag also ständig präsent. Doch die gesellschaftlichen Beziehungen, in denen die betriebliche Arbeit stattfindet, erscheinen als bloße Verhältnisse von und zu Sachen und als monetäre Kosten. Ansätze eines Interesses, sich der Produktionsmittel und des Produktionsprozesses zu bemächtigen, sind durchaus vorhanden. Aber sie bleiben im Horizont des "eigenen" Betriebs. Der Betrieb ist der spontane, quasi-natürliche Bezugsrahmen, dessen gesellschaftliche Voraussetzungen "außen vor" bleiben, der als Welt für sich erlebt wird und die Belegschaft vom "Rest" der Gesellschaft trennt, und zwar um so mehr, je größer er ist, je mehr er Schutz vor den Unbilden der Konkurrenz und der Konjunktur zu bieten scheint. Dabei sollte "eigentlich" die nicht marktförmig organisierte arbeitsteilige Produktion in der Fabrik den Blick öffnen für die gesellschaftliche Arbeitsteilung und Anlaß geben zu der Überlegung, daß auch die gesellschaftliche Produktion ohne trennendes Privateigentum möglich sein sollte. Doch es ist umgekehrt: Gerade weil die betriebliche Arbeitsteilung ohne Waren- und Geldzirkulation auskommt, scheint ihre Organisationsweise nicht auf die Gesellschaft übertragbar. Und was diesen Schein verfestigt, ist eine "linke" Betriebsarbeit, die selbst nicht über den Horizont des Betriebs, des Privateigentums und des Geldes hinauskommt.

Die "Falle" der Betriebsborniertheit

Auch ich hatte bei meiner Tätigkeit als Vertrauensmann, später als Betriebsrat zunächst die Vorstellung, daß sich in der "konsequenten Vertretung von Belegschaftsinteressen" gegenüber dem Kapital und der "opportunistischen Arbeiterbürokratie" "Elemente" einer "anderen", "nichtopportunistischen" Arbeiterbewegung entwickeln würden, in der auch wieder über eine "Alternative" zur kapitalistischen Wirtschaftsweise nachgedacht und diskutiert werden könnte. Dann, so hoffte ich, würde sich auch der eingangs beschriebene Widerspruch zwischen Theorie und Praxis überwinden lassen. Diese Hoffnung war auch der Grund meiner Mitarbeit an der Zeitschrift "Signale – Dokumentation selbständiger Aktionen und Aktivitäten in der Arbeiterklasse" (1983-86).

Ich habe einige Zeit gebraucht, um zu begreifen, daß es in Wirklichkeit umgekehrt ist: Eine Praxis, die sich auf die "Vertretung von Belegschaftsinteressen" beschränkt oder auch nur konzentriert, weckt nicht das Bedürfnis nach Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise, sie blockiert es, weil auch sie gefangen bleibt im engen Horizont des Betriebs, also des Privateigentums, das die Betriebe als Glieder der gesellschaftlichen Gesamtarbeit voneinander trennt. Auch eine "konsequente" Vertretung von Belegschaftsinteressen ist blind für den gesellschaftlichen Zusammenhang der Betriebe untereinander wie für das Verhältnis von Gesamtarbeit und Gesamtkapital, sieht nur die Beziehungen zwischen Belegschaft und Einzelkapital (des Betriebs, des Unternehmens, des Konzerns, evtl. noch der Branche). Sie reduziert die "Belegschaftsmitglieder" auf ihre Rolle als Lohnabhängige oder Arbeitskraftverkäufer und als betriebliche Produzenten, ohne sie als gesellschaftliche Produzenten zu begreifen, die dem widersinnigen Privateigentum unterworfen sind. Und sie kann auch gar nicht anders, weil ihre Organisationsform, der Betriebsrat, der Organisation des Privateigentums, des Kapitals, angepaßt ist, nicht aber dem Zusammenhang der gesellschaftlichen Arbeit. Die an den Betriebshorizont gefesselte Interessenvertretung kann daher auch nicht das Bedürfnis wecken, ihn zu durchbrechen und eine gesellschaftliche Aneignungsperspektive zu entwickeln; sie kann ihn und damit auch das Lohnabhängigendasein immer nur reproduzieren. Die einzige "Perspektive", die sie hervorbringen bzw. bestätigen kann, ist die Verbesserung und Verteidigung der Bedingungen, unter denen die Lohnarbeit stattfindet. Das ist natürlich völlig legitim, jedenfalls für die Belegschaften, die eine andere Perspektive nicht erkennen können. Aber die Vorstellung, diese "Perspektive" könnte, wenn sie nur "konsequent" genug verfolgt wird, zumindest den "aktiven" Kollegen den Zugang zu einer "alternativen", sozialistischen Perspektive öffnen oder erleichtern, war eine Illusion, Produkt des eigenen Unvermögens, dieser "Alternative" einen praktischen Inhalt zu geben.

Was mir selbst geholfen hat, den bornierten Betriebshorizont zu überwinden, war denn auch nicht die "konsequente Vertretung von Belegschaftsinteressen", sondern umgekehrt deren fortschreitende Erosion. Die beanspruchte "Konsequenz" der Interessenvertretung wird zur Phrase, wenn ihre Voraussetzung, die Lohnabhängigkeit, selbst in Frage steht und die weitere Unterordnung unter das Kapital als beherrschendes Interesse sich mit anderen Interessen in den Haaren liegt; wenn sich die Interessenvertretung in Rückzugsgefechten und Schadensbegrenzung erschöpft, in bloßer Verteidigung des Status quo, der doch nicht zu halten ist; wenn die traditionellen Bezugsgrößen der Interessenvertretung, der Betrieb und die Belegschaft, durch Teilstillegungen, Ausgliederungen, "Fremdvergabe" und "Prekarisierung" der Arbeitsverhältnisse selbst erodieren oder gar komplett zur Disposition stehen. Und auch wenn der Kampf für "den Erhalt der Arbeitsplätze" zu militanten Aktionen führt, bleiben diese regelmäßig ohnmächtige Wut- und Verzweiflungsausbrüche, weil und solange sie an den Grenzen des Privateigentums Halt machen und sich auf den Kampf für den "eigenen" Betrieb beschränken. Dabei sind es gerade diese Kämpfe, die den Keim eines Anspruchs auf gesellschaftliche Verfügung über die Produktionsmittel enthalten (am deutlichsten spürbar war das in Rheinhausen). Aber er kann sich nicht entwickeln, solange die Belegschaften nicht nur materiell, sondern auch geistig an den Betrieb gefesselt sind. Und der Betriebsrat ist die ungeeignetste Organisation, ihnen da herauszuhelfen, weil die praktische Fixierung auf den Betrieb (oder das Unternehmen) auch sein Bewußtsein absorbiert und ihn vor lauter Bäumen (Betrieben) hindert, den Wald (ihren gesellschaftlichen Zusammenhang) zu sehen. Diese Verengung des Bewußtseins durch den Betriebsratsalltag war für mich überhaupt die ernüchterndste Erfahrung. Sie wurde um so unerträglicher, je mehr sich die "konsequente Vertretung von Belegschaftsinteressen" als Fiktion entpuppte. Aber erst der Abschied von der Betriebsratsarbeit selbst verschaffte mir den nötigen Abstand, um zu begreifen, was das Wesen der Betriebsborniertheit ausmacht: Es ist die ideologische Fesselung an das Privateigentum, das die Belegschaften voneinander trennt, und die Blindheit für das, was sie verbindet – ihre gesellschaftliche Arbeit.

Die "Prekarisierung" und Borniertheit der betrieblichen Interessenvertretung ist eine allgemeine Erfahrung der B&G-Linken. Wie jede Krise könnte sie eine heilsame Wirkung haben, nämlich die Abkehr von der Fiktion, man könne der Macht des Privateigentums Paroli bieten, indem man darauf verzichtet, es in Frage zu stellen. Doch wie u.a. die Diskussion auf und zwischen den TIE-Konferenzen, das unsägliche TIE-Papier "Gegen die Konkurrenz- und Standortlogik" oder die Adler/Riexinger-Thesen zeigen, ist die B&G-Linke bis auf wenige Ausnahmen zu einer radikalen Reflexion der eigenen Praxis weder fähig noch bereit. Sie klammert sich weiter an den Mythos "linker Betriebspolitik" und sucht ihn zu retten durch die Beschwörung einer "linken Gewerkschaftspolitik" (bzw. -strömung). Doch auch die Gewerkschaften sind Organisationen, die das Privateigentum an Produktionsmitteln voraussetzen und die Lohnabhängigen nur als Lohnabhängige erfassen. Sie können ihre überbetriebliche Solidarität organisieren, aber nicht ihre Vereinigung zum gesellschaftlichen Gesamtarbeiter, und nur dadurch würden sie zur Klasse für sich.

An dieser Stelle möchte ich zwei Passagen aus einem Artikel von Antonio Gramsci mit dem Titel "Syndikalismus und Arbeiterrat" zitieren, der am 8.11.1919 in der Zeitschrift "Ordine Nuovo" erschien. Die Zitate sind dem Buch "Der französische Maulwurf. Eine politische Reise" von Maria Antonietta Macciocchi entnommen (Rotbuch Verlag 1979). Sie selbst hatte diese und weitere Passagen 1976 in einem Gespräch mit Lip-Arbeitern vorgelesen, die erstaunt feststellten, wie sehr der Artikel ihren eigenen Erfahrungen mit den Gewerkschaften entsprach. Er hat auch heute nichts von seiner Aktualität verloren:

"Der Syndikalismus hat sich als bloße Form der kapitalistischen Gesellschaft entpuppt, nicht als eine mögliche Überwindung derselben. Er organisiert die Arbeiter nicht als Produzenten, sondern als Lohnempfänger, als Kreaturen des kapitalistischen Systems des Privateigentums, als Verkäufer der Ware Arbeitskraft. Der Syndikalismus vereint die Arbeiter nach Maßgabe des Werkzeugs oder des umzuwandelnden Materials, was heißt, daß der Syndikalismus die Arbeiter nach Maßgabe der Formen vereint, die das kapitalistische System, das System des ökonomischen Individualismus durchsetzt. Die Tatsache, sich eher des einen als des anderen Werkzeugs zu bedienen, eher den einen als den anderen Rohstoff umzuwandeln, hängt von der unterschiedlichen Befähigung und Möglichkeit ab, Leistung und Gewinn zu erbringen; der Arbeiter erstarrt ... in seiner eigenen Befähigung und begreift sie nicht als ein Moment der Produktion, sondern als bloßes Mittel, sein Leben zu fristen. Die Berufsgewerkschaft oder die Industriegewerkschaft, die ihn mit denjenigen Kollegen vereint, die im selben Beruf oder in derselben Industrie arbeiten, also mit denen, die dieselben Werkzeuge benutzen ..., trägt mit dazu bei, ihn immer unfähiger zu machen, sich als Produzent zu begreifen, und bringt ihn dazu, sich als eine 'Ware' zu betrachten, die auf dem nationalen und internationalen Markt angeboten wird, wo sich, durch das Spiel der Konkurrenz, deren Wert und Preis herausbildet."

"Der Arbeiter kann sich nur dann selbst als Produzent begreifen, wenn er sich als ein untrennbarer Teil des gesamten Systems der Arbeit begreift, das in dem hergestellten Gegenstand verkörpert ist, und wenn er die Einheit dieses industriellen Prozesses lebendig in sich spürt, eines Prozesses, der die Zusammenarbeit des ungelernten Arbeiters, des Facharbeiters, des Verwaltungsangestellten, des Ingenieurs und des technischen Direktors erheischt. Der Arbeiter kann sich selbst nur dann als Produzent begreifen, wenn er sich psychologisch in den besonderen Produktionsprozeß einer bestimmten Fabrik eingliedert..., sich als notwendiges und für die Tätigkeit eines, Automobile produzierenden, sozialen Ganzen unabkömmliches Glied erfahren hat, damit er eine neue Etappe erreicht und sich der Gesamtheit der Tätigkeit bewußt wird... Von dieser Zelle ausgehend – der Fabrik als Einheit, als schöpferischer Akt eines bestimmten Produkts –, gelangt der Arbeiter zum Verständnis immer größerer Einheiten, bis hin zur Nation, die in ihrer Gesamtheit ein riesiger Produktionsapparat ist, gekennzeichnet durch ihre Exporte, die Summe der Reichtümer, die sie gegen eine Summe äquivalenter Reichtümer austauscht, welche aus allen Enden der Welt herbeiströmen und die aus all jenen anderen riesigen Produktionsapparaten kommen, aus denen die Welt sich zusammensetzt. Dann ist der Arbeiter wirklich ein Produzent, weil er sich seiner Funktion im Produktionsprozeß bewußt geworden ist, und zwar auf allen Stufen, angefangen von der Fabrik bis hin zur Nation und zur Welt... Und er wird revolutionär, weil er den Kapitalisten, den Privateigentümer als Ballast begreift, als ein Hindernis, das es zu beseitigen gilt." (Hervorhebung von mir)

"Die Wirklichkeit muß zum Gedanken drängen"

Die Reflexion der eigenen Betriebsarbeit ging einher mit einer erneuten Ratsuche bei Marx. Besonders zwei Fragen bedrängten mich: Warum ist der bisherige Marxismus so gründlich gescheitert und die einstige "Verbindung von wissenschaftlichem Sozialismus und Arbeiterbewegung" so vollständig zerstört? Und wie – wenn überhaupt – können die Lohnabhängigen gegen die Macht der verdinglichten Verhältnisse und versachlichten Zwänge kommunistisches Bewußtsein entwickeln? Oder anders ausgedrückt: "Es genügt nicht, daß der Gedanke zur Verwirklichung drängt, die Wirklichkeit muß selbst zum Gedanken drängen." (Marx, Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie) Beide Fragen führten zunächst zur Beschäftigung mit der Geschichte.

Der Geburtsfehler der KPD

In den "Antithesen zur den Thesen der 'Übergänge zum Kommunismus' vom August 1998" habe ich das in meinen Augen entscheidende Dilemma der KPD zu beschreiben versucht, in dem ihr historischer Niedergang (einschließlich der Implosion der DDR) vorprogrammiert war. Ich kann mich deshalb hier kurz fassen.

Als revolutionäres Kind der Sozialdemokratie hatte sie von dieser den Geburtsfehler geerbt, daß sie von der sozialistischen Organisation der Produktion als "Endziel" der proletarischen Revolution nur eine abstrakte Vorstellung hatte und daher auch kein konkretes praktisches Programm seiner Realisierung besaß. Die Sozialdemokratie hatte das einstige Ziel der "genossenschaftlichen Regelung der Gesamtarbeit" längst fallengelassen zugunsten einer zentral geleiteten "Staatswirtschaft" (auf dem Boden des Parlamentarismus, also einer repräsentativen Demokratie), in der auch das Geld als "Wertmaßstab" und "Zirkulationsmittel" fortwirken sollte. Die Betriebe sollten einander also weiter als getrennte Marktsubjekte gegenüberstehen und von einer selbständigen Staatsmacht gelenkt werden – eine doppelte Fremdherrschaft über die gesellschaftliche Arbeit. Die Halbheit der Novemberrevolution war ihr logisches Ergebnis. Sie blieb bei der Losung der "Arbeiterkontrolle" über die Betriebe stehen und erwartete deren "Sozialisierung" von Parlament und Regierung. Die Arbeiterräte wußten mit ihrer Macht nichts anderes anzufangen, als sie wieder aus der Hand zu geben. Was von der Rätebewegung blieb, war die kastrierte Organisationsform des Betriebsrats.

Auch die KPD blieb – trotz Rosa Luxemburgs Gründungsprogramm – im wesentlichen der Vorstellung eines zentralistischen Staatssozialismus verhaftet. Was sie von der SPD unterschied, war das Rezept seiner Realisierung auf revolutionärem, diktatorischem Wege. Das Mittel – die politische Macht, die "proletarische Diktatur" – verselbständigte sich gegenüber seinem Zweck und wurde zudem gleichgültig gegen seine Form als Räterepublik. Angetreten als Instrument der Arbeiterklasse im Dienste ihrer sozialen Befreiung, verwandelte sich die KPD innerhalb weniger Jahre zu einer Partei, die die Klasse zum Instrument ihrer Machtergreifung degradierte. Diese instrumentelle Logik war die Triebfeder ständig wechselnder "Taktiken", die sich bis zur primitiven "Hetze" (Ruth Fischer) verstiegen. Eine ihrer Tiefpunkte war die Begründung der "proletarischen Diktatur" und des "Sozialismus" mit der These, der Kapitalismus könne nicht einmal mehr die physische Existenz des Proletariats sichern. "Sozialismus" also als das geringere Übel, als letzter Ausweg, aufgezwungen aus schierer Not und Verzweiflung! "Wir würden ja gerne darauf verzichten, aber der Kapitalismus läßt uns keine andere Wahl." Ich kenne keine demoralisierendere Begründung, keine vernichtendere Karikatur der Idee sozialer Emanzipation.

Die kommunistische Bewegung in Turin

In völligem Gegensatz zur Taktiererei und Phrasendrescherei der KPD stand der klare Kurs der Turiner Kommunisten um die Wochenzeitung "Ordine Nuovo", die zur geistigen Führung einer organisierten Massenbewegung wurden, die im April 1920 in einen (vorzeitig provozierten) Generalstreik mündete – und die ihresgleichen in der Geschichte sucht. Als Quelle liegt mir nur ein Bericht von Gramsci vor, der 1921 im Organ des Exekutivkomitees der KI, "Die Kommunistische Internationale" Nr. 14, erschien (der komplette Artikel ist am Schluß dieser Broschüre abgedruckt). Aber Gramsci, meine ich, kann man Glaubwürdigkeit unterstellen:

"Zum ersten Mal unternahm das Proletariat in Turin den Kampf um die Kontrolle über die Produktion, ohne durch Hunger und Arbeitslosigkeit unmittelbar dazu gezwungen zu sein. Zudem war es nicht nur eine Minderheit, die als Vorhut der örtlichen Arbeiterschaft in den Kampf trat – nein, die gesamte Masse der Turiner Arbeiter nahm den Kampf auf und unterstützte ihn trotz härtester Entbehrungen und größter Opfer bis zum Ende, ohne zu wanken." (Hervorhebung von mir.)

Vorher schon hatte es in Turin bewaffnete Aufstände gegeben, im Mai 1915 gegen die Kriegsteilnahme Italiens und im August 1917 nach einem Besuch von Delegierten des Petrograder Sowjets. Was die Bewegung von 1920 auszeichnete, waren ihre Orientierung und ihre Organisationsform. Die Initiative dazu war von der "Ordine Nuovo" und ihren Anhängern in der Sozialistischen Partei ausgegangen (die italienische KP wurde erst 1921 gegründet), die gegen Syndikalismus und Anarchismus eintraten für

"... die Verlegung des industriellen Kampfes aus der Sphäre des Kampfes für die Verbesserung der Lebensbedingungen, für Neueinführungen und Verbesserungen in der Industrie – in die Sphäre des revolutionären Kampfes für die Kontrolle über die Produktion und für die Diktatur des Proletariats... für eine neue Ordnung in den Produktions- und sozialen Beziehungen."

Außerdem hatten sie gegen die bestehenden "von den Kapitalisten anerkannten Arbeiterausschüsse" "die Frage der Betriebsräte auf die Tagesordnung gesetzt". Trotz Namensgleichheit waren sie grundverschieden von den Betriebsräten deutscher Provenienz.

"Die Organisation der Betriebsräte beruht auf folgenden Grundsätzen: in jeder Fabrik, in jeder Werkstatt wird auf der Grundlage der Vertretung (und nicht auf der alten Grundlage des bürokratischen Systems [der Gewerkschaften]) ein Organ gewählt, das die Macht des Proletariats verwirklicht, gegen die kapitalistische Ordnung kämpft und die Kontrolle über die Produktion durchführt, wobei es die gesamte Arbeitermasse in den revolutionären Kampf für die Errichtung eines Arbeiterstaates hineinzieht. Der Betriebsrat muß auf dem Grundsatz des Industrialismus [im Gegensatz zu dem des Syndikalismus] aufgebaut sein; er muß für die Arbeiterklasse ein Prototyp der kommunistischen Gesellschaft sein, zu der sie durch die Diktatur des Proletariats gelangen wird; in dieser Gesellschaft wird es keine Einteilung in Klassen geben, sämtliche sozialen Beziehungen werden nur von den Bedürfnissen der Produktionstechnik und der hiermit verbundenen Organisation geregelt werden, nicht aber einer organisierten Staatsmacht sich unterordnen. Die Arbeiterschaft muß einsehen, wie hehr und schön das Ideal ist, für das sie kämpft und sich selbst opfert; sie muß einsehen, daß gewisse Etappen zur Erreichung dieses Ideals notwendig sind; sie muß die Notwendigkeit der revolutionären Disziplin und Diktatur anerkennen."

Die Propaganda für diese Art Betriebsräte stieß auf große Resonanz, und nach einigen Monaten hatten sie die alten Arbeiterausschüsse verdrängt. Die konkrete Organisationsform der Betriebsräte sah so aus:

"Jeder Betrieb ist in Zünfte eingeteilt; jede Zunft führt einen bestimmten Teil der Arbeit aus; die Arbeiter jeder Zunft wählen einen Delegierten mit imperativem und bedingtem Mandat. Die Versammlung der Delegierten des ganzen Betriebs bildet einen Rat, der aus seinem Bestande einen Vollzugsausschuß wählt. Die Versammlung der politischen Sekretäre der Vollzugsausschüsse bildet den Zentralbetriebsrat, der aus seinem Bestande ein Stadtkomitee wählt."

Die konkreten Aufgaben der Betriebsräte waren vielfältig, von der Organisation der disziplinarischen Kontrolle im Betrieb über die Propaganda bis hin zur Bildung militärischer Kräfte.

"Die Betriebsräte faßten rasch festen Fuß ... Obgleich weder die Industriellen noch auch die Gewerkschaftsbürokratie die Ausschüsse und Räte anerkennen wollten, erzielten sie doch bedeutende Erfolge; sie vertrieben die Geheimagenten und Spione der Kapitalisten aus den Fabriken; sie knüpften mit den Angestellten und dem technischen Personal Beziehungen an, um Auskünfte finanziellen und industriellen Charakters über die Angelegenheiten des Betriebes zu erlangen; sie konzentrierten die Disziplinargewalt in dem Betrieb tatsächlich in ihren Händen und zeigten den verstreuten, uneinigen Arbeitermassen, was die Selbstverwaltung der Arbeiter in der Produktion bedeutet... Die technische Organisation der Räte und Ausschüsse, ihre Aktionsfähigkeit vervollkommnete sich dermaßen, daß es möglich wurde, eine 16tausendköpfige, über 42 Unternehmen der 'Fiat'-Zentralwerke verstreute Arbeitermasse in fünf Minuten zum Niederlegen der Arbeit zu veranlassen. Am 3. Dez. 1919 ... mobilisierten die Betriebe ohne jede vorherige Vorbereitung im Laufe einer einzigen Stunde 120.000 Arbeiter..."

Während die Sozialistische Partei über die Rolle der "Räte als solcher" nach Eroberung der politischen Macht theoretisierte, demonstrierte die Turiner Bewegung die praktische Vereinigung der Arbeiter zur organisierten Klasse "für sich", die ihre ökonomische und politische Befreiung gleichzeitig vorzubereiten begann. Es war eine Bewegung, die die traditionelle Teilung der Klasse in Partei, ("Transmissionsriemen") Gewerkschaften und unorganisierte Masse überwunden hatte, in der die Kommunisten als Motor oder Ferment wirkten, aber nicht als selbständige Repräsentanten (bzw. Aspiranten) der politischen Macht. Die traditionelle Trennung von Politik und Ökonomie, die Existenz der Politik als einer von der (kapitalistischen) Ökonomie abgehobenen Sphäre (repräsentiert durch Parlament und/oder Bürokratie) war in ihr ebenso aufgehoben wie das zeitliche Nacheinander von erst politischer Machteroberung, dann ökonomischer Umwälzung. Die politische Machtfrage konnte nicht die Frage der ökonomischen Befreiung der Arbeit verdrängen, verdunkeln oder ersetzen, weil umgekehrt die politische Organisation der Arbeiter auf der Organisation der Produktion selbst fußte und ihr Zweck, die Kontrolle über die Produktion als Vorstufe kommunistischer Produktion, unmittelbar praktisch gegenwärtig war. Darin liegt m.E. die bleibende historische Bedeutung dieser Bewegung, auch wenn uns das revolutionäre Pathos von damals fremd geworden ist und wir die "Bedürfnisse der Produktionstechnik" heute sehr viel anders beurteilen als Gramsci vor 80 Jahren.

Das weitere Schicksal der kommunistischen Bewegung in Turin ist schnell erzählt. Bei der Gewerkschaftsbürokratie und der Sozialistischen Partei stieß sie auf "erbitterten Widerstand", der die Industriellen zum Gegenangriff mit Hilfe der Staatsmacht ermutigte. 20.000 bewaffnete Polizisten wurden um Turin in Stellung gebracht, die die Bewegung zum isolierten Kampf in einem Generalstreik provozierten, der das ganze Gebiet Piemont ergriff, "d.h. etwa eine halbe Million Arbeiter und Bauern", und zehn Tage dauerte ("die Metallarbeiter streikten einen Monat lang").

Die gesellschaftliche Arbeitsteilung

Szenenwechsel: Im Sozialismus-Brett des CL-Netzes (ein Mailboxsystem) läuft 1996/97 eine monatelange Diskussion über den Wert von Waren und Dienstleistungen, ausgelöst durch die Frage nach dem Wert beliebig kopierbarer Software. Die Diskussion spielt sich vor allem zwischen zwei konträren "Wert"-Auffassungen ab. Die eine versteht den Wert als im Tauschakt entstehende bloße Gedankenform (Kategorie) ohne reale Existenz; real seien allein die Preise. Die andere sieht im Wert eine "soziale Eigenschaft" von Produkten, die in der Produktion durch die aufgewandte (gesellschaftlich notwendige) Arbeitszeit konstituiert wird. Eine Verständigung kommt nicht zustande, weil beide Auffassungen am Problem der Wertgröße kleben, ohne zum "Geheimnis" der Wertform selbst vorzudringen. Zur Tatsache nämlich, daß die Privatproduzenten im Austausch von x Ware A gegen y Ware B usw. ihre verschiedenen besonderen Arbeiten auf gleiche, allgemein menschliche Arbeit reduzieren und reduzieren müssen, um sie überhaupt quantitativ vergleichbar zu machen. Es ist die Form dieser Gleich(setz)ung, die ihnen verbirgt, was sie tun. Und diese Form wird noch mysteriöser, sobald eine besondere Ware als Geldware fungiert, die durch bloße Zeichen ersetzbar wird, denen nicht mehr anzusehen ist, daß sie bestimmte Mengen gesellschaftlicher Arbeitszeit repräsentieren.

Das Verständnis dieser Form ist aber zugleich das Verständnis ihrer "Negation", der Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln durch eine kommunistische Produktion. Indem die verschiedenen Privatproduzenten ihre verschiedenen Arbeiten als abstrakt-menschliche Arbeit gleichsetzen, betätigen und bestätigen sie sich als Glieder einer gesellschaftlichen Arbeitsteilung oder – was nur ein anderer Ausdruck dafür ist – als Glieder einer gesellschaftlichen Kombination von Teilarbeiten, einer gesellschaftlichen Gesamtarbeit. Sie tun das aus reinem Privatinteresse, weil ihr Arbeitsvolumen begrenzt ist und sie bestrebt sind, für ihren Arbeitsaufwand mindestens ein Äquivalent zu erhalten. Aber sie entwickeln damit einen gesellschaftlichen Zusammenhang untereinander, der ihre Abhängigkeit voneinander in dem Maße verstärkt, wie sich die Arbeitsteilung und mit ihr die Warenproduktion, vulgo: die "Marktwirtschaft", entwickelt. Mit der kapitalistischen Produktionsweise wird diese Entwicklung auf eine neue Stufe gehoben, wird die Warenproduktion verallgemeinert und die Teilung resp. Kombination der gesellschaftliche Arbeit unaufhörlich vorangetrieben, vertieft und erweitert, so daß sie das Privateigentum nicht nur überflüssig, sondern zum "Ballast" der gesellschaftlichen Reproduktion macht. Die gesellschaftliche Arbeitsteilung, die unter der Herrschaft des Privateigentums den Produkten ihre Wert- oder Warenform verleiht und das Geld hervorbringt, wird zum entscheidenden Hebel, das Privateigentum aufzuheben und mit ihm auch die Wertform der Produkte und das Geld.

An der Oberfläche des "Marktgeschehens" scheint der Zusammenhang der Betriebe untereinander durch Geld vermittelt und ohne Geld unmöglich. Ebenso gilt der Preis, der Geldausdruck des "Werts", unverzichtbar für eine rationelle "Allokation und Distribution der Ressourcen", für die Steuerung der Produktion durch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage. Tatsächlich ist es umgekehrt. Es ist gerade das Geld, das das Zusammenwirken der Betriebe immer wieder stört und unterbricht, weil sich in ihm die Wert- bzw. Kapitalform realisieren muß, die der Austausch den Produkten der betrieblichen Teilarbeiten aufzwingt. Die Kapitalform der Produkte aber bedingt die Teilung der in ihnen verkörperten lebendigen Arbeit (und damit auch der gesellschaftlichen Gesamtarbeit) in bezahlte und unbezahlte, in notwendige Arbeit zur Reproduktion der Belegschaften und in Mehrarbeit zur Vermehrung des Privateigentums. Und diese im Preis verborgene Form bewirkt gerade das Gegenteil einer rationellen Steuerung der gesellschaftlichen Arbeit im Dienste der Nachfrage. Sie ist Ursache einer gigantischen irrationalen Fehlsteuerung und Verschwendung gesellschaftlicher Arbeit, weil sie Millionen Arbeitsfähige an nützlicher Produktion hindert, nur weil ihre Arbeit nicht genug Gratisarbeit abwirft; weil sie weitere Millionen nur damit beschäftigt, die diversen Form- und Eigentümerwechsel der Arbeit zu bewerkstelligen; weil sie den gesellschaftlichen Bedarf an die zahlungsfähige Nachfrage fesselt und diese selbst beschränkt.

Was den Zusammenhang der formal selbständigen Betriebe und Unternehmen wirklich vermittelt, ist der stofflich-technische Zusammenhang ihrer Teilarbeiten, die gesellschaftliche Arbeitsteilung, die sie zu einem weitgehend festgelegten und in sich vielfach rückgekoppelten System oder Geflecht von Produktions- und Konsumtionsbeziehungen verbindet, das zugleich flexibel auf Veränderungen der individuellen und produktiven Konsumtion reagieren kann. In der Produktionsmittel erzeugenden "Abteilung I", die in Deutschland mehr als 60 Prozent der jährlichen Gesamtarbeit absorbiert, wird praktisch nur noch auf Bestellung für bekannte, oft langjährige Kunden produziert. Auch in der Konsumtionsmittel erzeugenden "Abteilung II" wird für einen weitgehend bekannten Bedarf produziert, dessen Entwicklungstrends zudem laufend "erforscht" (bzw. angeheizt) werden und dessen aktueller Stand dank moderner Informations- und Kommunikationstechnik (Barcodes, Computervernetzung usw.) von der Ladentheke bis zum Produktionsbetrieb jederzeit präsent ist. Eine dem gesellschaftlichen (privaten wie öffentlichen) Konsumtionsbedarf dienende Produktion wäre in technischer Hinsicht, d.h. vom Stand der Arbeitsproduktivität und der Kommunikationsmittel, ohne weiteres möglich. Was sie verhindert, ist die dem Privateigentum entspringende Kapitalform der Produktions- und Konsumtionsmittel.

Paradoxerweise könnte die kapitalistische Produktionsweise selbst ohne Vertrauen in den gesellschaftlichen Zusammenhang der Arbeit gar nicht funktionieren. Jeder Betrieb ist Schnittpunkt zahlreicher Ströme von Gütern und Dienstleistungen, denen ebenso viele Käufe und Verkäufe entsprechen. Geliefert und bezogen wird aber auf Kredit, mit bestimmten Zahlungsfristen. Bei "normalem" Geschäftsverlauf reduzieren sich die Forderungen und Verbindlichkeiten zum größten Teil auf Buchungsvorgänge oder Wechsel, die sich gegenseitig saldieren oder "liquidieren". Das heißt, das Geld spielt als Zahlungsmittel im Austausch der Betriebe untereinander nur eine untergeordnete Rolle – obwohl es als Versilberung unbezahlter Arbeit Zweck der Produktion ist. Würde jeder Betrieb immer sofort auf barer Zahlung bestehen, wäre der ganze Reproduktionsprozeß längst zusammengebrochen. Das ist eine der Absurditäten der kapitalistischen Produktionsweise, daß sie mit dem kommerziellen Kredit die Vergesellschaftung der Arbeit voraussetzt, die sie als System des Privateigentums negiert. Und werden die wechselseitigen Kreditbeziehungen mal irgendwo gestört oder unterbrochen, dann kann das aufgrund der Abhängigkeit aller von allen eine Lawine auslösen, die -zig, ja Hunderte Betriebe in Zahlungsschwierigkeiten bringt, wie im Fall Holzmann. Ursache ist dann natürlich nur "schlechte Zahlungsmoral" oder "Mißmanagement", nicht etwa die Herrschaft des Privateigentums, die Wert- bzw. Kapitalform der Produkte.

Hierzu noch ein Beispiel. Eine häufige Ursache für die Pleite mittelständischer Unternehmen ist nicht etwa Auftragsmangel, sondern – Auftragssteigerung, Wieso, beschreibt eine "Risikomanagerin" in der FAZ vom 26.7.99:

"Dem mittelständischen Werkzeugbauunternehmen im Süden Deutschlands geht es nicht gut. Damit es wieder zu Kräften kommt, startet der Außendienst eine groß angelegte Verkaufsoffensive und steigert den Umsatz kurzfristig tatsächlich um 10 Prozent. Das bedeutet das Aus für die Firma. Denn für eine derart hohe und überraschende Umsatzsteigerung fehlt die Liquidität, um die Aufträge vorfinanzieren zu können. Die Banken geben keinen Kredit mehr. Sie verhalten sich schon seit geraumer Zeit zurückhaltend. Der Umsatz, der das Unternehmen retten sollte, reißt es mangels vernünftiger Planung in den Ruin.

Diese Gefahr droht vielen mittelständischen Unternehmen... Sie erleben eine paradoxe Entwicklung. Je höher der Umsatz steigt, desto schlechter geht es dem Unternehmen. Dieses Paradoxon tritt immer dann auf, wenn Ziele kurzsichtig geplant und die Folgen ihrer Realisierung nicht bis zur letzten Konsequenz durchgerechnet werden: Wenn tatsächlich 10 Prozent mehr Aufträge aquiriert werden – was heißt das dann für den Cash-flow, die Kreditlinie, den Personaleinsatz in Einkauf, Fertigung, Auslieferung und Kundenbetreuung oder für die Ausschußquote?"

Für die "Risikomanagerin" ist es allein der Mangel an "vernünftiger Planung", der die Existenz des Unternehmens, die Fortführung der Produktion gefährdet. Was sie nicht sieht (und wahrscheinlich auch gar nicht begreifen könnte), ist, daß es die Warenform der zusätzlichen Produktionsmittel und Arbeitskräfte ist, die zum Hindernis für die Ausdehnung der Produktion wird, weil sie zusätzlichen Vorschuß von Geldkapital erfordert, das aber nicht vorhanden ist bzw. von seinen Besitzern, den Banken, nicht oder nur zu ruinösen Bedingungen zur Verfügung gestellt wird. Für die "Risikomanagerin" liegt der Ausweg daher allein in verbesserter Planung durch "Simulationsprogramme", die jederzeit die Folgen von Auftragsschwankungen für den Verwertungs- und den Fertigungsprozeß berechnen. Und der Form nach sind das tatsächlich Instrumente, Betriebsabläufe unmittelbar an Verbrauchsschwankungen anzupassen, die also – bereinigt um die Warenform von Produktionsmitteln und Arbeitskraft – auch einer kommunistischen Produktionsweise dienen könnten.

Wie hinter der Fassade der "Marktwirtschaft" die Vergesellschaftung der Arbeit sich entwickelt und gleichzeitig behindert wird, zeigen die Beziehungen der Betriebe untereinander, die längst weit über die Ebene des bloßen Kaufs und Verkaufs hinausgehen, besonders in der Autoindustrie. Das Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung hat in 1329 Unternehmen der Investitionsgüter- und der Autoindustrie das Verhältnis von Herstellern und Zulieferern untersucht. Das Ergebnis in der Autoindustrie (Vergleichszahlen für die Investitionsgüterindustrie in Klammern):

· Austausch von CAD-Daten bei 61 (47) Prozent,

· Einbindung der Zulieferer in die Produktionssteuerung der Hersteller bei 54 (19) Prozent,

· Qualitätsaudit durch die Kunden bei 83 (46) Prozent,

· parallele Produktentwicklung ("Simultaneous Engineering") bei 54 (43) Prozent und

· Just-in-time-Anlieferung bei 76 (31) Prozent der Unternehmen (FAZ vom 12.11.99).

Kommunistische Produktion wäre nichts anderes als der Ausbau und die Verallgemeinerung solcher Beziehungen und ihre Befreiung vom Privatinteresse des Einzelkapitals. Denn tatsächlich sind die Beziehungen heute ja nicht rein kooperativ, sondern immer auch Beziehungen der Herrschaft des größeren Kapitals über das kleinere mit entsprechender Aufteilung des Mehrwerts. Trotz überdurchschnittlicher Produktivität liegt die "Umsatzrendite" bei den Autozulieferern um 20 Prozent unter der der Investitionsgüterindustrie. Und das Machtverhältnis prägt auch den Informationsfluß:

"Die Zulieferunternehmen der Automobilindustrie sind zu sehr auf die Pläne für die Produktions- und Verkaufszahlen, die sie von ihren Kunden bekommen, fixiert. Doch die Daten der Autohersteller stimmen kaum mit der Realität überein. Planzahlen für die Produktion sind nicht selten aus Imagegründen nach oben geschönt. Darüber hinaus lassen sich die Hersteller mit der Revision der 'politischen Zahlen' oft Zeit. Das kostet die Zulieferer Geld. Sie haben falsche Kapazitäten geplant und waren mit zu niedrigen Preisen, die aufgrund zu großer Mengenplanung zustande gekommen sind, in die Verhandlungen mit ihren Abnehmern gegangen. Die Erfahrung zeigt, daß die Hersteller später zwar die Produktionszahlen, nicht aber ihre Preise revidieren." (FAZ vom 16.8.99)

Auch dies ein Beispiel dafür, wie "der Markt", also das Privateigentum, technische Informationen und Entscheidungen gerade nicht optimiert, sondern ihre Optimierung verhindert. Und das ist ja überhaupt eine der schreiendsten Absurditäten der kapitalistischen Produktionsweise, daß sie in den Beziehungen der Marktsubjekte (auch der arbeitenden) untereinander die kleinlichste Krämerhaftigkeit hervorbringt, während sie gleichzeitig eine ungeheure Verschwendung an gesellschaftlicher Arbeitskraft veranstaltet.

Die "genossenschaftliche Regelung der Gesamtarbeit"

Die Blindheit für die gesellschaftliche Teilung und Kombination der Arbeit ist eine der hartnäckigsten Denkschranken der Linken. Bei Robert Kurz führt sie dazu, daß er mit dem "Wert" gleich auch die "abstrakte Arbeit" (wie er sie grundsätzlich nur bezeichnet) abschaffen, sozusagen das Kind mit dem Bade ausschütten möchte. Er begreift nicht, daß alle Arbeit immer doppelt bestimmt ist als qualitativ besondere Arbeit, die auf einen bestimmten Nutzeffekt gerichtet ist, und zugleich als quantitativ allgemeine Arbeit, weil sie Teil eines bestimmten, begrenzten Arbeitsvolumens ist. Daher begreift er auch nicht, daß gerade die im "Wert" verborgene Reduktion der verschiedenen besonderen Arbeiten auf "abstrakte" oder gleiche menschliche Arbeit den gesellschaftlichen Zusammenhang der arbeitsteiligen Privatproduzenten als Glieder einer übergreifenden Gesamtarbeit ausdrückt. Folgerichtig ist er mit seinem Feldzug gegen die "abstrakte Arbeit" schließlich auch bei der Ablehnung jeder Form gesellschaftlicher Arbeit gelandet, beim "Manifest gegen die Arbeit". Immerhin hat Kurz das Verdienst, die Wertform der Arbeitsprodukte gegen die sogenannte und angeblich von Marx stammende "Arbeitswerttheorie" und gegen die Verewigung der "alle Werte schaffenden Arbeiterklasse" überhaupt erst wieder zum Gegenstand der Kritik gemacht zu haben.

Zu ganz anderen Schlußfolgerungen als bei Kurz führt das Unverständnis für die gesellschaftliche Arbeitsteilung bei Daniel Dockerill und Karl-Heinz Landwehr von der Zeitschrift "Übergänge zum Kommunismus": zur Vorstellung einer Vorausplanung der gesellschaftlichen Gesamtarbeit mit Hilfe einer "kommunistischen Arbeitszeitrechnung", die mit "gesellschaftlich notwendigen" (d.h. durchschnittlichen) Arbeitsmengen für die Herstellung der verschiedenen Gebrauchswerte operiert und aus einem (wie immer auch) "bestimmten Konsumtionsbedarf" den Umfang der Gesamtarbeit und ihre "Verteilung auf die einzelnen Wirtschaftszweige" ermittelt. Diese Vorstellung läuft hinaus auf die Installation einer monströsen, über der Gesellschaft thronenden, "allwissenden" und "allmächtigen" Planungsinstanz. Mit den Ideen der holländischen Rätekommunisten, an die die "Übergänger" anzuknüpfen meinen, hat das nichts mehr zu tun; denn die verstanden die "kommunistische Arbeitszeitrechnung" nur als Instrument einer "leistungsgerechten" Verteilung, nicht aber einer zentralen und damit zwangsläufig bürokratischen Produktionsplanung.

Die Gleichsetzung von kommunistischer oder sozialistischer Produktion mit zentraler Planwirtschaft hat allerdings eine lange Tradition, an der Engels nicht unschuldig war. Berühmt und folgenreich war seine Darstellung des "Grundwiderspruchs zwischen gesellschaftlicher Produktion und kapitalistischer Aneignung", der sich darstellt als "Gegensatz zwischen der Organisation der Produktion in der einzelnen Fabrik und der Anarchie der Produktion in der ganzen Gesellschaft". Als Hebel zur Überwindung dieser Anarchie galt ihm die zunehmende Konzentration und Zentralisation des Kapitals, die Entstehung von Trusts und Monopolen, eine Entwicklung, die für ihn gleichbedeutend war mit der Zunahme und dem Wachstum industrieller Groß- und Riesenbetriebe. Die Entwicklung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung würdigte er (anders als z.B. Lenin!) mit keinem Wort. Die Konzentration und Zentralisation des Kapitals aber ist die Form, in der das Privateigentum seine Herrschaft über die gesellschaftliche Arbeit organisiert, während deren eigene Organisation sich als fortschreitende Spezialisierung der Teilarbeiten entwickelt, die längst einhergeht mit der Schrumpfung und Zerlegung der traditionellen Riesenbetriebe.

Unmittelbar gesellschaftliche Produktion ist mit zentraler Planung der Gesamtarbeit ebenso unvereinbar wie mit der Aufrechterhaltung von Markt- und Geldbeziehungen. Sie kann nur bestehen in der Selbstorganisation der gesellschaftlichen Arbeit durch die "assoziierten Produzenten" (die immer zugleich auch produktive und/oder individuelle Konsumenten sind), indem sie die Produktionsmittel in gemeinsamen Besitz und ihre wechselseitigen, bisher geld- und konkurrenzvermittelten Beziehungen bewußt, plan- und verantwortungsvoll in die eigenen Hände nehmen und vollenden, was die kapitalistische Produktionsweise selbst schon begonnen bzw. vorbereitet hat – die Kooperation mit den "Zulieferern", den bisherigen Konkurrenten, den betrieblichen "Kunden" wie den privaten und öffentlichen "Verbrauchern".

Natürlich nicht, um die vom Kapitalismus überkommene Organisation der gesellschaftlichen Arbeit einfach nur fortzusetzen. Eine kommunistische Revolution würde – wenn sie denn einmal Realität werden sollte – sicher ein Aufstand nicht nur gegen die private Herrschaft über die gesellschaftliche Arbeit sein, sondern auch gegen die damit verbundene Verteilung, Zusammensetzung und Intensität der Arbeit. Und doch müßte sie vom gegebenen Zusammenhang der Arbeit ausgehen, um ihn überhaupt planvoll umgestalten zu können. Gegenstand der Planung wären dann aber "nur" Veränderungen des bisherigen Arbeitsvolumens, der Produktions- und Infrastruktur, der Produktionstechnik, der Energiebasis usw., nicht die Gesamtarbeit als solche. Und die Formen dieser Planung würden der Assoziationsform der Produzenten selbst entspringen (müssen), die verrückt wären, wenn sie ihre gerade gewonnene Freiheit wieder an eine zentrale Planungsbehörde abträten. Denn das wäre – ich zitiere aus der "Nachlese zur 48. Woche 1998" – "die 'Negation der Negation', die Auflösung des 'Vereins freier Menschen' in die Vereinzelung unfreier Menschen, ein Rückschritt noch hinter die Vergesellschaftungsform der Warenproduzenten, die immerhin aus eigenem Antrieb produzierende Individuen sind, aber keine bloß ausführenden Organe eines fremden Willens. Die Konzeption einer zentralen Planwirtschaft kann überhaupt nur aufkommen, wo und wenn die Menschen zu bewußter, plan- und verantwortungsvoller Kooperation nicht fähig oder nicht willens sind (oder für dazu unfähig und unwillens gehalten werden), unter Bedingungen also, die die Planwirtschaft entweder zum Scheitern verurteilen oder nur als despotisches Regime zulassen. Tatsächlich kann die gesellschaftliche Arbeit um so weniger zentral geplant werden, je entwickelter die Teilung oder Kombination der gesellschaftlichen Arbeit ist, je komplexer und intensiver die Beziehungen der Teilproduzenten untereinander sind, je höher die Qualifikation und Vielseitigkeit der gesellschaftlichen Individuen, je reicher und vielfältiger ihre Bedürfnisse usw. Andersrum gesagt: Wo die gesellschaftliche Gesamtarbeit zentral 'geplant' wird, muß ihre Entwicklung gehemmt werden und die zentrale 'Planung' ihr Gegenteil produzieren – dezentrale Planlosigkeit, Verantwortungslosigkeit, Passivität, Verschwendung, Ineffizienz und kompensatorische 'Schattenwirtschaft'..."

So wenig "assoziierte Produktion" (Marx) mit zentraler Planwirtschaft zu tun haben kann, so wenig auch mit "sozialistischer Marktwirtschaft". Denn wenn das Privateigentum an Produktionsmitteln aufgehoben ist, kann es auch keinen "Markt" mehr geben, auf dem die Produkte durch Kauf und Verkauf ihre Eigentümer wechseln, also auch kein Geld und keine in Preisen ausgedrückten "Kosten". Der Aufwand an Arbeit, Material und Energie könnte in ihren natürlichen, physischen Einheiten gemessen und verbucht werden statt in der, wie Engels ausdrückte, "schielenden" Abstraktion des "Werts". Die Produkte könnten nicht getauscht, sondern nur geliefert und bezogen, d.h. an den Ort ihrer Konsumtion transportiert werden. Jedes Produkt wäre von vornherein Verkörperung eines Bruchteils der gesellschaftlichen Gesamtarbeit. Gleichartige Produkte von Teilproduzenten mit unterschiedlicher Arbeitsproduktivität könnten daher auch nicht als Verkörperung ungleicher Arbeitsmengen in Erscheinung treten und miteinander konkurrieren. Die An- oder Ausgleichung von Produktivitätsunterschieden wäre, wie die Entwicklung der Produktivkräfte überhaupt, nicht auf das Wirken eines verselbständigten "Wertgesetzes" angewiesen, sondern durch Kooperation und öffentlichen Austausch von Informationen und Know-how zu regeln. Denn wenn es kein Privateigentum an Produktionsmitteln mehr gibt, werden auch Betriebsgeheimnisse, Patentrechte, Konkurrenzängste und sonstige private Vorbehalte gegenstandslos. Auch das gesellschaftliche "Mehrprodukt" zur Erweiterung und Rationalisierung der Produktion wäre unmittelbar Teil des Gesamtprodukts, ohne die Form eines monetären Betriebsgewinns annehmen zu können.

Auch die Mittel der individuellen Konsumtion müßten nicht getauscht werden, auch nicht gegen "Stundenzettel", die die geleistete Arbeitszeit bescheinigen. Eine derartige "Verteilung nach der Leistung" wäre ein Rückfall hinter die bürgerliche Sozialpolitik; schließlich wären auch die nicht arbeitsfähigen Gesellschaftsmitglieder zu berücksichtigen. Die Konsumtionsmittel könnten durchaus "unentgeltlich" zur individuellen Aneignung zur Verfügung stehen. Bei den Mitteln des öffentlichen Konsums, wie dem Bildungswesen und anderen "öffentlichen Diensten", liegt das auf der Hand. Aber auch der Zugang zu den Mitteln des privaten Verbrauchs könnte großenteils frei sein, weil es ökonomisch keinen Sinn macht, kurzlebige Produkte zu horten und langlebige Produkte täglich zu wechseln. Zugangsbeschränkungen oder Formen der Rationierung würden nur bei solchen Gütern und Dienstleistungen nötig sein, die tatsächlich (noch) knapp sind oder bewußt (z.B. aus ökologischen Gründen) knapp gehalten werden sollen. Welche Methoden dazu am zweckmäßigsten wären, muß uns heute aber nicht unbedingt Kopfzerbrechen bereiten. Wenn der Übergang zu einer kommunistischen Produktionsweise tatsächlich einmal zu einem Massenbedürfnis werden sollte, dann werden die "Massen" selbst auch die Art und Weise der Verteilung diskutieren und praktikable wie akzeptable Lösungen hervorbringen.

Die "Internet-Revolution"

Robert Schlosser hat die kommunistische Produktionsweise auch als "kommunikativen Prozeß der Selbstregulierung" umschrieben. Die technischen Mittel dazu werden derzeit perfektioniert durch die rasante Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnik, vor allem des Internet. Die Kommerzialisierung des Internet ist dabei, auch den "Kommerz" selbst, d.h. die kapitalistische Produktionsweise, zu verändern. In welchem Umfang und mit welchen Konsequenzen, das ist bisher noch kaum abzusehen. Der globale, dezentrale und öffentliche Charakter des Internet macht es aber auf jeden Fall zu einem Kommunikationsmedium, das auch für eine unmittelbar gesellschaftliche Produktionsweise als "kommunikativem Prozeß der Selbstregulierung" geeignet wäre. Schon die kommerzielle Nutzung des Internet läßt ahnen, welche Möglichkeiten es bieten könnte.

Ein Beispiel ist die Logistik, die Organisation und Kontrolle von Güterströmen. Auch bisher schon ermöglichten Bar- oder Strichcodes (die z.T. bereits durch zweidimensionale Codes oder durch Chips ersetzt werden) die Erfassung individuell identifizierbarer Güter von der Produktion bis zur Ladenkasse. Das Internet eröffnet hier neue Dimensionen.

"So richtig interessant werden die Strichcodes ... erst, wenn man sie in unternehmensweite Prozesse, globale Handelsstrukturen und Warenströme integriert. Mercedes-Benz verschafft sich den aktuellen Überblick seiner über die Weltmeere schippernden Warenwerte, der UPS-Kunde kann online übers Internet den aktuellen Standort seiner Paketsendung rund um den Kontinent nachvollziehen, und Airbus Industries sorgen mit Datenfunk- und Barcodegestützter Lagerhaltung dafür, daß die Airbusflieger möglichst lange in der Luft und nicht unnötig am Boden bleiben. Auch unter dem Blickwinkel der Produkthaftung kann sich die Investition in Barcode-Systeme lohnen. Die Wege von Gütern – man denke an die komplexe Nahrungsmittelkette – lassen sich besser nachvollziehen... Die Wirksamkeit der Rückrufaktionen etwa der Automobilhersteller ruht ganz wesentlich auf der Informationsquelle Barcode, die dort die Rückverfolgung fehlerhafter Chargen bis tief in die weltweiten Zuliefer- und Vertriebsnetze hinein ermöglicht." (FAZ vom 5.7.99)

Ein anderes Beispiel ist die "kundenindividuelle Massenfertigung", die eine Entwicklung fortsetzt, welche gerade von der "Wertkritik" ignoriert wird, die nur die "Diktatur des Tauschwerts über den Gebrauchswert" (Kurz) sieht. Die kapitalistische Produktionsweise ist ja tatsächlich eine "Selbstzweckbewegung", Produktion um der Produktion willen, weil Produktion von Mehrwert. Doch während sie, wo immer möglich, die Bindung des Tauschwerts an den Gebrauchswert der Produkte zu überlisten oder zu vernachlässigen sucht (durch eingebauten Verschleiß, beschleunigte Produktinnovation, schlichten Schund oder einkalkulierte Gebrauchsrisiken), kann sie doch nicht verhindern, daß gleichzeitig die Bedeutung des Gebrauchswerts (Produktqualität, Service, Kundenberatung und -betreuung) für die Realisierung des Tauschwerts und damit auch des Mehrwerts zunimmt, bedingt durch die Entwicklung der Technik, des gesellschaftlichen Bewußtseins und – der Regreßrisiken. Durch das Internet wird dieser Trend noch verstärkt.

"Die Beziehungen zwischen Kunden und Anbietern werden sich ... im kommenden Jahrhundert grundlegend ändern... Was produziert wird, entscheidet in Zukunft unmittelbar der Kunde. Konsumenten bestimmen zahlreiche Merkmale ihrer Produkte selbst. Die Produkte werden entsprechend den Kundenwünschen hergestellt, wie es zuvor nur im Handwerk möglich war... Die Massenproduktion für anonyme Käufergruppen wird so zu einer für den einzelnen Kunden maßgeschneiderten Massenfertigung. Möglich wird dies durch den Einsatz moderner Informationstechnologien in Vertrieb, Entwicklung und Herstellung. Der Kunde ... gestaltet etwa per Internet sein zukünftiges Auto: Verschiedene Modellvarianten und individuelle Ausführungen kann er 'durchklicken', sich das selbstgestaltete Auto dreidimensional anschauen und per Internet bestellen... Individuell konfigurierte Waschmaschinen sowie maßgenaue Armlängen maschinell hergestellter Strickpullover sind weitere Beispiele..." (FAZ vom 26.5.98)

"BMW-Käufer können sich ihr Traumauto bereits im Internet zusammenstellen und dabei aus einer Million Gestaltungsoptionen aussuchen. Bestellen müssen die Käufer aber noch beim Händler – aus Rücksicht auf deren Gewinnmargen... Doch die Internet-Anwendung beschränkt sich nicht auf den Verkauf: In wenigen Jahren werden Autos erst nach einer Internet-Bestellung gebaut – ohne Lagerkosten, ohne Unsicherheit über den tatsächlichen Absatz und ohne teure Marktforschung. Diese kundenindividuelle Massenproduktion steckt noch in den Anfängen, aber alle Hersteller arbeiten in diese Richtung." (FAZ vom 12.11.99)

Man darf sich von der Euphorie über die "schöne neue Welt" des "E-Commerce" natürlich nicht blenden lassen. Was sich hier ändert, ist zunächst mal nur die Distributionsweise; die Distributionsverhältnisse bleiben weiterhin bestimmt durch die bornierten Produktionsverhältnisse. Und doch liegt in dieser Entwicklung ein subversives Potential, das sich gegen die Produktionsverhältnisse selbst richten (lassen) könnte. Die begriffliche Fassade des "Marktes", die eine grundsätzlich unbestimmte und unbestimmbare Nachfrage vorgaukelt, verliert hier ihren letzten Halt. Die "kundenindividuelle Massenproduktion" ohne "Absatzunsicherheit" und "Marktforschung" macht sichtbar, was technisch sowieso längst möglich und im Bereich der Produktionsmittelindustrien (und der Luxusgüterindustrien!) auch realisiert ist: daß die Produktion unmittelbar den qualitativen und quantitativen Anforderungen des gesellschaftlichen Bedarfs folgen könnte, auch im Bereich der Konsumtionsmittel. Was hier die Produktion hemmt, stört und krisenanfällig macht, ist nicht die "unberechenbare" und "launische" Natur des "Marktes", sondern einzig und allein die Fesselung der Nachfrage an die Zahlungsfähigkeit, also an die Warenform der Arbeitskraft und an die Kapitalform der Produktions- und Lebensmittel.

Das Beispiel der "kundenindividuellen Massenproduktion" zeigt auch, daß sich die Bedeutung des Internet nicht in seiner Rolle als technisches Medium kommunikativer und kommerzieller Beziehungen erschöpft. Es verändert auch die Beziehungen selbst, nicht nur die zwischen Produzenten und individuellen Konsumenten, sondern auch die zwischen den Teilarbeiten in der Produktionssphäre selbst. Die fortschreitende Integration der Teilarbeiten zwecks Optimierung des Verwertungsprozesses bereitet dessen eigene Aufhebung vor, weil sie das Privateigentum an den Produktionsmitteln immer absurder macht.

"In der Fabrik der Zukunft verschwinden die Grenzen zwischen Zulieferern und Unternehmen. Die Extremform ist das virtuelle Unternehmen, das sich abhängig vom einzelnen Auftrag aus mehreren Unternehmen bildet und nach der Auftragserfüllung wieder zerfällt. Die Lieferanten verfügen mittels Kommunikationstechnologien über alle notwendigen Informationen eines Auftrags. Sie liefern ihre Produkte zeitgenau an und werden so zu einem integrierten Teil der Produktionsprozesse..." (FAZ vom 26.5.98)

Schließlich noch ein erstaunliches Beispiel dafür, wie das Internet Initiativen freisetzen und beflügeln kann, die die Autorität des Privateigentums und seine angebliche Unverzichtbarkeit und Effizienz regelrecht blamieren:

"Es zählt zu den revolutionären Vorteilen des Internets, daß es die Bildung von weltweiten virtuellen Gemeinschaften ermöglicht. Jeder ist eingeladen, daran teilzunehmen und das Geschehen aktiv mitzugestalten. Ein Beispiel ist die Verbreitung sogenannter Open-Source-Software. Open Source bedeutet nicht nur freien Zugang zum Quellcode zusammen mit dem Recht, daß jeder diesen verändern kann, sondern auch die Pflicht, daß diese Veränderungen der Gemeinschaft wieder zur Verfügung gestellt werden. Linux, jenes erfolgreiche Open-Source-Betriebssystem, zeigt sehr deutlich, daß eine solche virtuelle Internet-Gemeinschaft mit viel Spaß an der Sache durchaus ernstzunehmennde Software entwickeln kann... Durch das Internet und das Open-Source-Konzept wurde es möglich, daß viele einzelne Entwickler im Rahmen einer virtuellen Gemeinschaft in rasantem Tempo Software weiterentwickeln – unabhängig voneinander und doch gemeinsam.

Das Open-Source-Konzept führt zunächst zum Chaos. Doch gerade dadurch können Assoziation, Intuition und Kreativität ihre volle Kraft entfalten. Wie aber kann aus diesem Sammelsurium von Ideen, Vorschlägen und Änderungen ein Produkt reifen? Der Schlüssel zur Beantwortung dieser Frage liegt im offenen Wettbewerb zwischen diesen Ideen. Die virtuelle Gemeinschaft entscheidet über die Akzeptanz und damit den Erfolg einer Idee. Die künstliche Protektion von Irrtümern ist ausgeschlossen, das Beste setzt sich auf evolutionäre Weise durch." (FAZ vom 24.8.99)

Selbst die FAZ mußte einräumen, daß Open-Source-Produkte "proprietärer Software" deutlich überlegen sind...

Die Veränderungen der Arbeitsorganisation auf gesellschaftlicher Ebene sind nicht zu trennen von den Veränderungen der betrieblichen Arbeitsorganisation, die seit einem Jahrzehnt als Lean Management und Lean Production auf dem Vormarsch sind. Auch Gruppenarbeit, KVP, Qualitätsmanagement, Kundenorientierung, Just-in-time-Anlieferung usw. enthalten progressive Momente, die über den bornierten Zweck der Produktion hinausweisen, dem sie dienen sollen, die die Abschottung der betrieblichen Arbeit von ihren gesellschaftlichen Zusammenhängen aufbrechen und die den Produzenten bisher unterdrückte Fähigkeiten und Kompetenzen abverlangen. Joachim Bischoff von den SOST ist so weit gegangen, von einer "neuen gesellschaftlichen Betriebsweise" zu sprechen. Ich halte das für eine beschönigende Übertreibung. Einer, der es wissen muß, sieht das ganz anders:

"Wenn heutzutage in Automobilunternehmen den inneren Marktkräften mehr freier Lauf gelassen wird und Entscheidungsbefugnisse an operative Einheiten abgegeben werden, dann geschieht das ... in erster Linie (zu) dem Zweck, Gemeinkosten zu sparen und Abläufe zu beschleunigen. Durch die Verschärfung des internen Konkurrenz- und Erfolgsdrucks, durch kurzfristige Ergebniserwartungen und die Politik der kurzen Berichtswege wird darüber hinaus versucht, die operativen Einheiten wieder besser unter zentrale Kontrolle zu bringen, den Zentralismus also wirkungsvoller zu gestalten. Diese provokanten Thesen stammen von Roland Springer, dem Leiter der Arbeitsorganisation und des Verbesserungsmanagements der Daimler-Chrysler AG... Der neue Zentralismus ist nach Springers Aussagen mit der Gewährung von größeren Handlungs- und Entscheidungsspielräumen in operativen Einheiten durchaus kompatibel, solange sich diese mit ihren Entscheidungen im Korridor zentraler Erwartungen, beispielsweise den vorgegebenen Kapitalrenditen, bewegen. Die heute in den Automobilunternehmen praktizierte Dezentralisierung sei keine Alternative zum Zentralismus, sondern eine Methode seiner Erneuerung, seiner Modernisierung. Unmittelbar sichtbar werde das am Instrument der Zielvereinbarung, das heute in allen Automobilunternehmen in Deutschland eingesetzt werde." (FAZ vom 19.4.99)

Denn natürlich stehen alle Zielvereinbarungen unter dem Diktat der Kapitalverwertung und des Konkurrenzkampfes. Aber die fortschreitende und (wenn man denn sehen will) sichtbare Vergesellschaftung der Arbeit bis hinein in die Betriebsabläufe macht eben dieses verselbständigte Ziel mehr und mehr angreifbar, weil widersinnig. Dazu reicht es allerdings nicht, das Kapital bloß als Kapital zu bezeichnen und den Profit bloß als Profit. Das ist ohnmächtiges Kapitulieren vor der Erscheinungsform. Dazu muß man endlich wieder das beim Namen nennen und in Frage stellen, was das Kapitalverhältnis erst konstituiert: das Privateigentum an Produktionsmitteln, und imstande sein, die Möglichkeit unmittelbar gesellschaftlicher oder kommunistischer Produktion konkret aufzuzeigen.

 

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