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  KOMMUNISTISCHE STREITPUNKTE - Zirkularblätter - Nr. 5 - 10.02.2000 - Onlineversion

Daniel Dockerill

Antikritisches (I)


Zu Ansgars Thesen-Kritik

(in Kommunistische Streitpunkte Nr. 1, S. 36ff)



Dies ist keine zusammenhängende Replik auf Ansgars (AKG) „Fragen und kritische Anmerkungen zu Daniels Thesen“. Es handelt sich vielmehr um aneinander gereihte antikritische Kommentare zu einzelnen Stellen daraus, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Die Kommentare sind außerdem nicht mehr ganz „frisch“, sie datieren vom Herbst vergangenen Jahres und wurden hier nun – etwas verspätet – in eine zirkulierbare Form gebracht. Die Stellen aus Ansgars Text, worauf ich mich jeweils beziehe, sind den Kommentaren in serifenlosem Schriftsatz voran gestellt.

Zu These III. :

Zu schnell geschossen. Klassenkampf gibt es immer; der kann nicht nach Belieben von der Tagesordnung gestrichen oder wieder draufgesetzt werden. Zu sehr auf Faschismus zugespitzt; zu sehr der nur deutsche Blick

Zu flüchtig gelesen. Das Wort Klassenkampf kommt in der These gar nicht vor. Die Rede ist allerdings vom „vorläufigen Resultat“ jener „wirklichen Geschichte“ des „Kampfes“ des Proletariats „mit der Bourgeoisie“, von der in der vorhergehenden These die Rede war und nun behauptet wird, daß sie „zu einem erheblichen Teil sich in Deutschland“ – vorläufig, wäre hier vielleicht noch einmal zu ergänzen – „entschied“. Vom Faschismus ist wiederum nicht die Rede, sondern von den Nazis als „der losgelassenen Herrschaft der kleinen Bürger“. Die Nazis sind spezifisch deutsch, der Faschismus nicht. Der Blick ist hier beründetermaßen (für diesen bestimmten historischen Zeitpunkt) auf Deutschland konzentriert, was man kritisieren kann, indem man die Begründung in Frage stellt, aber wieso ist das „der deutsche“ Blick? Und was ist das überhaupt? Schon rein physikalisch gewissermaßen kann man auf Deutschland jedenfalls schlecht blicken, wenn man auf Deutschland steht.

Zurück, aber, zum Klassenkampf. Nirgendwo in der These ist davon die Rede, daß er – gar „nach Belieben“ – „von der Tagesordnung gestrichen oder wieder draufgesetzt werden“ könne oder worden sei. Ganz im Gegenteil. Die These ist der Versuch zu zeigen, in welcher bestimmten Weise es, trotz allem anderslautenden Anschein, Klassenkampf, selbst in seiner zugespitztesten Form, der des Krieges und Bürgerkrieges, tatsächlich „immer“, mit A. zu sprechen: „gegeben hat“. Die schein­bare Einebnung des Klassengegensatzes in der nazistischen und schließlich sozialpartnerschaftlichen Volksgemeinschaft, so die These (dies bes., wenn man sie im Kontext der folgenden Thesen liest, die den Gedanken erst konkretisieren), hatte die „im Osten heraufgezogene“ und „auch im Westen … unausweichlich geworden[e]“ kommunistische Revolution zur Voraussetzung, nämlich darin, daß diese weder sich vollenden, noch etwa ungeschehen gemacht werden konnte.

Zu These I, Parenthese, S. 11, 1.Spalte:

„Es zeigt sich hier der Irrtum diverser postmoderner und wertkritischer Entsorger des Klassenkampfs, die glauben, die Teilung der bürgerlichen Gesellschaft in bestimmte Klassen und deren Kampf miteinander aus einem ominösen Dasein des Kapitals, des sich selbst verwertenden Werts als eines bösen ‚automa­tischen Subjekts‘, einfach ableiten und so als dem Kapitalismus ‚bloß immanent‘ abtun zu können.“ – bleibt mir unverständlich und ominös; natürlich hat die Teilung der bürgerlichen Gesellschaft – die ursprüngliche Akkumulation vorausgesetzt – ihren Grund im keineswegs ominösen Dasein des Kapitals als sich selbst verwertender Wert, auch die Bezeichnung „automatisches Subjekt“ ist in diesem Zusammenhang nachvollziehbar.

Ominös ist das Dasein des Kapital, solange nicht sein Grund in der eigentümlichen Klassenteilung der Gesellschaft bestimmt ist. Im wirklichen „Zusammenhang“ der Marxschen Darstellung ist der sich selbst verwertende Wert als das „automatische Subjekt“ (MEW 23, S. 169) das zu erklärende Phänomen („G-W-G' die allgemeine Formel des Kapitals, wie es unmittelbar in der Zirkulationssphäre erscheint“; ebd. 170), das seine Erklärung (Begründung) in der Teilung der Gesellschaft in zwei verschiedene Klassen von „Warenbesitzern“ findet (vgl. dazu auch übergänge Nr. 1, S. 22f). Der sich selbst verwertende Wert erweist sich als die bestimmte Form dieses historisch spezifischen Klassenverhältnisses, das sich darin, einmal hergestellt, propagandistisch reproduziert. Welchen „Zu­sammenhang“ dagegen A. hier „nach­vollzogen“ haben will, ist mir unerfindlich.

These I, letzter Absatz und These II, erster Absatz (S. 12):

Die Darstellung der Geschichte ist mir zu einfach und zu deutschlandzentriert.

Um eine „Darstellung der Geschichte“ (welcher denn?) handelt es sich in den beiden Absätzen ganz sicher nicht. Es handelt sich zunächst nur um die Konstatierung des Aufstiegs und jähen Falls der „ersten und bislang einzigen Arbeiterbewegung in Europa“. Daß die „deutschlandzentriert“ ist, findet sich dort wiederum mit zwei Daten begründet: dem Scheitern der Revolution in Deutschland 1923 und der Liquidierung der „größten und wichtigsten Sektion“ der KI außer der KPdSU 1933. Das alles ist nur Beschreibung, nicht Erklärung oder gar Begründung. (Es ist überhaupt der Anspruch der Thesen weniger, irgendwelchen verborgenen Gründen nachzuspüren, warum „die Geschichte“ sich so entwickelt hat oder womöglich haben „muß“, wie sie sich uns heute darstellt, als vielmehr dieses vorläufige Resultat als geschichtlich gewordenes möglichst präzise zur Kenntnis zu nehmen.) Der zweite Absatz handelt von der elementaren Hinfälligkeit der bürgerlichen Herrschaft (ihrer Abhängigkeit von den Beherrschten) und fragt zunächst nur nach den allgemeinen (in ihrer charakteristischen Form selbst liegenden) Bedingungen, die sie ihrer Beseitigung dennoch widerstehen läßt, um zu der folgenden näheren Bestimmung dieser Form hinzuführen. Irgendwelche „Ursachen“ des „Versagen[s] der revolutionären Arbeiterbewegung im Westen“, wie A. sie im folgenden diskutiert (vom „Versagen“ ist freilich bei mir nirgendwo die Rede) sind jedenfalls nicht das Thema.

Im übrigen: Eine Sache mag wohl „zentriert“ sein um einen bestimmten Punkt, aber „zu“ zentriert – wie hat man sich das vorzustellen?

[…]

zu S.13 (Langfassung These II):

Kann man von einem verborgenen sachlichen Grund für „alle früheren, vorkapitalistischen Formen gesellschaftlichen Lebens durchziehenden Klassengegensätze“ sprechen?

Ich meine: Nein! und sehe darin eine Tendenz zu idealistischem Geschichtsdeterminismus.

Zwar ist „idealistisch“ unter uns ohne Frage eine handfeste Beleidigung, die ich natürlich in aller Form zurückweise. Aber „Ge­schichtsdeterminismus“: Ist das denn auch was Schlimmes? Heißt das nicht vielmehr, die Geschichte als bestimmte zu fassen, sie zur menschlichen zu bestimmen, als die Geschichte der menschlichen Emanzipation? Und was andererseits wäre das gute Gegenteil zum bösen „Geschichtsdeterminis­mus“?

Der inkriminierte Satz lautet genauer: „In allen früheren, vorkapitalistischen Formen gesellschaftlichen Lebens hatten die sie durchziehenden Klassengegensätze mehr oder weniger offen zutage gelegen und gerade dadurch ihren sachlichen Grund verborgen: …“

Was diesen angeht, befinde ich mich immerhin in der angenehmen Gesellschaft des „idealistischen Geschichtsdeterministen“ Friedrich Engels, der im Antidühring schreibt:

„ … Es ist klar: solange die menschliche Arbeit noch so wenig produktiv war, daß sie nur wenig Überschuß über die notwendigen Lebensmittel hinaus lieferte, war Steigerung der Produktivkräfte, Ausdehnung des Verkehrs, Entwicklung von Staat und Recht, Begründung von Kunst und Wissenschaft nur möglich vermittelst einer gesteigerten Arbeitsteilung, die zu ihrer Grundlage haben mußte die große Arbeitsteilung zwischen den die einfache Handarbeit besorgenden Massen und den die Leitung der Arbeit, den Handel, die Staatsgeschäfte, und späterhin die Beschäftigung mit Kunst und Wissenschaft betreibenden wenigen Bevorrechteten. Die einfachste, naturwüchsigste Form dieser Arbeitsteilung war eben die Sklaverei. …

Solange die wirklich arbeitende Bevölkerung von ihrer notwendigen Arbeit so sehr in Anspruch genommen wird, daß ihr keine Zeit zur Besorgung der gemeinsamen Geschäfte der Gesellschaft – Arbeitsleitung, Staatsgeschäfte, Rechtsangelegenheiten, Kunst, Wissenschaft etc. – übrigbleibt, solange mußte stets eine besondre Klasse bestehn, die, von der wirklichen Arbeit befreit, diese Angelegenheiten besorgte; wobei sie denn nie verfehlte, den arbeitenden Massen zu ihrem eignen Vorteil mehr und mehr Arbeitslast aufzubürden Erst die durch die große Industrie erreichte ungeheure Steigerung der Produktivkräfte erlaubt, die Arbeit auf alle Gesellschaftsglieder ohne Ausnahme zu verteilen und dadurch die Arbeitszeit eines jeden so zu beschränken, daß für alle hinreichend freie Zeit bleibt, um sich an den allgemeinen Angelegenheiten der Gesellschaft – theoretischen wie praktischen zu beteiligen. Erst jetzt also ist jede herrschende und ausbeutende Klasse überflüssig, ja ein Hindernis der gesellschaftlichen Entwicklung geworden, und erst jetzt auch wird sie unerbittlich beseitigt werden, mag sie auch noch sosehr im Besitz der unmittelbaren Gewalt sein.“ (MEW 20, S. 168f)

Man lese dagegen zum Verhältnis Arbeit, Arbeitsteilung, Eigentum, Besitz in vorkapitalistischen Produktionsweisen: Grundrisse S.375-413

Marx untersucht hier das Eigentum als gesellschaftliches Verhalten des Menschen zu den Produktionsbedingungen als eigenen, als seinem verlängerten unorganischen Leib, als zu seiner Individualität gehöriger Voraussetzungen, wie es sich in bestimmten historischen Produktionsweisen zeigt und entwickelt (asiatischer, antiker, germanischer, dann als Negation oder historische Auflösung: Sklaverei, Leibeigenschaft, Kastenwesen usw.); also als bestimmtes Verhältnis zwischen Einzelnem und Gemeinwesen.

(MEW 42, S.  383-421). „dagegen“, nämlich gegen meine Behauptung eines unter persönlichen Herr-Knecht-Verhältnissen verborgenen sachlichen Grundes dieser Klassenverhältnisse stehen die von Marx dort angestellten Überlegungen am aller wenigsten. Nur eine kleine Stelle aus dem langen (in der Tat sehr lesenswerten) Abschnitt genügt, das zu demonstrieren:

„Eine bestimmte Stufe der Entwicklung der Produktivkräfte der arbeitenden Subjekte, der bestimmte Verhältnisse derselben zueinander und zur Natur entsprechen – darin löst sich in letzter Instanz sowohl ihr Gemeinwesen auf wie das auf demselben begründete Eigentum. Bis zu einem gewissen Punkt Reproduktion. Schlägt dann in Auflösung um.“ (S. 403)

[…]

Der zweite nähere Blick zeigt keineswegs, daß nach wie vor die Mehrarbeit des einen Teils der Individuen dazu dient, einen anderen Teil von solcher Arbeit freizustellen. Ginge es tatsächlich nur darum,

Wer hätte denn behauptet, daß „nur“ darum „es“ gehe? In meiner These leitet der Satz einen bestimmten Gedankengang ein, den die Kritik einesteils erst gar nicht zur Kenntnis nimmt, andernteils im folgenden als ihren eigenen meinen Ausführungen entgegenhalten zu müssen glaubt: den nämlich, daß Mehrarbeit in ihren früheren Formen und Mehrarbeit in der Form des Mehrwerts zu unterscheiden sind. Sodann „geht es darum“, diesen Unterschied näher zu entwickeln. Wenn es aber richtig ist, daß die frühere Mehrarbeit nicht „nur“ identisch ist mit kapitalistischer Mehrarbeit, folgt daraus etwa, daß kapitalistische Mehrarbeit „keineswegs“ nach wie vor Mehrarbeit sei?

wäre die ganze Angelegenheit einfach zu regeln – man bräuchte den Kapitalisten nur lebenslange arbeitsfreie Existenz zu garantieren – meinetwegen auch erblich – was ein Klacks wäre, problemlos zu realisieren, und hätte damit die einzig möglichen Gründe ihres Widerstandes gegen die Vergesellschaftung der Produktionsmittel ausgehebelt. So einfach ist das leider nicht.

Doch, „so einfach“ wäre es tatsächlich, wenn es nur um den Widerstand der Kapitalisten ginge (in Wahrheit „geht es“ AKG vermutlich „darum“ überhaupt nicht), weshalb denn auch Marx für das England seiner Zeit das „Auskaufen“ der dortigen Bourgeoisie durch das Proletariat ins Auge gefaßt hat. Schwierig wird die Sache u.a. deshalb, weil wir es in aller Regel halt nicht nur mit der wirklich in komfortabler Arbeitslosigkeit lebenden Bourgeoisie zu tun haben, sondern mit einer riesigen Schar freischaffender Kleinbürger, die sich („Arbeit ist Scheiße!“) ihre Seeligkeit nach eigener Fasson nicht nehmen lassen, sich keinerlei noch so gemeinschaftlichem Plan unterwerfen mögen. Aus solchem ganz eigenen Widerstreben der weitverzweigten Kleinbürgerei speist sich dann auch ein Großteil des Widerstands der Bourgeoisie gegen ihre Abdankung, den sie aus eigener Kraft wohl kaum mehr aufbrächte. Abgesehen davon macht namentlich diese Kleinbürgerei auch die revolutionäre Assoziation, die allein der Bourgeoisie ihren friedlichen Auskauf garantieren könnte zu einem ziemlich schwierigen Unternehmen, dessen Erfolg nur praktisch, niemals theoretisch beweisbar ist. Die revolutionäre Vereinigung der besitzlosen Klasse muß sich in der Niederringung der Kleinbürgerei erst herausbilden, die die Organisation der gesellschaftlichen Arbeit, statt sie dem Kommando der Privaten zu entreißen, d.h. in ihre Selbstorganisation zu überführen, lieber überhaupt auflösen will. Dies zum ersten.

Des weiteren habe ich es mir aber „so einfach“ ja gar nicht gemacht, sondern herausgearbeitet, wie gerade darin, daß die Mehrarbeit des Proleten bzw. der Proletin mit der Arbeitslosigkeit des Bourgeois unmittelbar identisch, daher, indem an ihr selbst Zweck und Mittel ununterscheidbar zusammenfallen, die Ausbeutung reiner Selbstzweck wird, der wirkliche Klassengegensatz in der Anonymität verschwindet, wie er also gerade in seiner Reduktion auf sich selbst vollkommen unscheinbar wird. Der arbeitslose Bürger hat an sich so wenig irgendeinen bestimmten Genuß von seiner Arbeitslosigkeit wie ein arbeitsloser Prolet. Vom Proleten unterscheidet ihn nur, daß es seine Bestimmung ist, arbeitslos zu sein, er also in diesem Zustand mit sich selbst im Reinen, bei sich selber ist, während der Prolet in der Arbeitslosigkeit sich selbst zu verlieren, zugrunde zu gehen droht. Sobald der Bürger sich jedoch etwa gestattet, seine Arbeitslosigkeit fremden, außer ihr selber liegenden Zwecken, einem genußvollen, süßen Leben zuzuführen, befindet er sich im Konflikt mit seiner Bestimmung und droht, sofern solches gar zur Regel wird, auch ihm der Untergang als Bürger.

In der Tat wäre es „ein Klacks“, allen Bourgeois, die sich im Angesicht der Revolution um die Annehmlichkeiten ihres arbeitsfreien Lebens Sorgen machten, diese bis ins vierte oder fünfte Glied zu garantieren. Denn als Quelle für solche Annehmlichkeiten dient der bürgerlich angehäufte Überfluß fremder Arbeit sowie allenfalls nebenher, sie sind schon heute nur „ein Klacks“, der bei der Verfolgung des Hauptzwecks der Aufhäufung fremder Arbeit abfällt: weitere fremde Arbeit aufzuhäufen. Genau das ist in meiner These entwickelt.

Selbst wenn man immanent in Daniels Argumentation bleibt, erweist sie sich als falsch. Er schreibt:

„Aber diese Freistellung bindet ihre Nutznießer nicht mehr an einen bestimmten besonderen Zweck.“ Abgesehen davon, daß hier Formen der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, die nur als Freistellung von einer bestimmten Arbeit – und zwar beidseitig – zu verstehen sind (der Bauer wird von der Arbeit des Kriegshandwerks freigestellt, der Krieger von der Nahrungsmittelproduktion), verwechselt wird mit einseitiger Freistellung von jeder Arbeit

Witzbold! Den Unterschied der beiden Dinge, deren angebliche Verwechslung der Kritiker moniert, arbeite ich dort ja gerade heraus. Und aus diesem Unterschied erst ergibt sich, warum und inwiefern es nicht „nur“ um die Freistellung von Arbeit geht.

und ohne weiteres gleichgesetzt wird mit Herrschaftsverhältnissen, die zwar möglicherweise im Gefolge einer solchen Arbeitsteilung entstehen konnten, aber keinesfalls mit ihr gleichzusetzen sind, läßt sich – wenn man will – natürlich ein bestimmter besonderer Zweck auch für die Existenz des Kapitalisten finden:

„wenn man will“. Ich „will“ aber nicht! Und was „will“ A.? Scherz beiseite: Während der „idealistische Geschichtsdeterminist“ Herrschaftsverhältnisse verbotenerweise „gleichsetzt“ mit (bestimmter) Arbeitsteilung, will sein Kritiker sie offenbar – wie etwa weiland Herr Dühring – identifizieren als nicht determinierte Gewaltverhältnisse.

Sein Zweck ist nicht seine eigene arbeitslose Existenz, sondern sein Zweck ist die Akkumulation des Mehrwerts, seine Verwandlung in Kapital, und zwar als Produktionsbedingung; das beinhaltet Reproduktion der Trennung von Arbeitsvermögen und sachlichen Arbeitsbedingungen, von Lohnarbeit und Kapital, Konzentration des Reichtums in seiner sachlichen Form als vergegenständlichte Arbeit in seiner Hand zum Zwecke weiterer Produktion und Konzentration von Reichtum.

„nicht“ sei der Zweck des Daseins des Kapitalisten als Kapitalist: „seine eigene arbeitslose Existenz“, also seine Existenz durch Aneignung fremder Arbeit; „son­dern“ sei dieser Zweck die Akkumulation von Mehrwert, was wiederum „beinhaltet“: „Reproduktion der Trennung von Arbeitsvermögen und sachlichen Arbeitsbedingungen“. Die sachlichen Arbeitsbedingungen sind aber (abgesehen vom jungfräulichen Grund und Boden) ihrerseits Produkte von Arbeit (letzterer ihre sachliche Bedingung schlechthin). Ihre Trennung vom subjektiven Arbeitsvermögen bedeutet ihre Trennung von denen, deren Arbeit sie produziert hat, d.h. deren Enteignung von ihrem Arbeitsprodukt. Der Zweck des Daseins des nichtarbeitenden Kapitalisten, die Akkumulation des Mehrwerts, „beinhaltet“ demnach die Enteignung der arbeitenden Proleten, d.h. aber die Aneignung der Arbeit der Proleten durch den Kapitalisten, d.h. dessen Existenz aufgrund fremder Arbeit, d.h. arbeitslose Existenz. Quod erat demonstrandum.

Vorschlag zur Güte: „ … im Unterschied zu antiken Sklavenhaltern oder feudalen Herren enteignet der Kapitalist seinen Arbeiter nicht, um das Enteignete sich anzueignen, sondern eignet sich dessen Arbeit an, um ihn zu enteignen.“ (Aus DD: „Aufstehen“ für die Volksfront? – Nein Danke! Absage an die „andere Politik“. Übergänge-Flugblatt zur Erfurter Erklärung, Juni 1998)

[…]

Diese ganze Argumentation mit einem Zweck – sowohl bezüglich vorkapitalistischer Herrscher, als auch bezüglich der Kapitalisten selbst – ist bedenklich und schief.

Zweck beinhaltet bewußte Setzung – aber wer setzt hier den Zweck?

Zu schnell gedacht, AKG! „sein“ (des Kapitalisten) „Zweck ist die Akkumulation des Mehrwerts“, hatte der Kritiker oben geschrieben und ist in dessen Ausführung schließlich, Marx zitierend, beim „historischen Beruf“ der kapitalistischen Produktionsweise geendet: „Entfal­tung der Produktivität der menschlichen Arbeit“. Diesem letzteren gegenüber ist es allerdings „bedenklich und schief“ von einem Zweck im Sinne „bewußter Setzung“ zu sprechen. Aber heißt denn das, daß auch AKGs eigener Ausgangspunkt „bedenklich und schief“ gewesen ist, der vom Kapitalisten verfolgte Zweck sei die Akkumulation von Mehrwert? Dann wäre freilich der Kapitalist bloß ein Hamster, der einem blinden Naturtrieb folgend unermüdlich sein Laufrad dreht. In etwa so hat es die fundamentale Wertkritik sehen wollen und dann zunächst den Begriff der Mehrarbeit und schließlich den der Arbeit, für welche beide, in solcher zwecklosen Welt halt kein Platz ist, aus ihrem Lexikon gestrichen.

[…]

Jedenfalls kann man nicht sagen der Bürger eigne sich die Mehrarbeit nicht als bestimmte Arbeit an.

DD: „Die Inkarnation einer solchen Arbeit ist das Geld“ – ebenfalls falsch.

Inkarnation der konkreten Arbeit: Gebrauchswert

Inkarnation der abstrakten Arbeit: Wert

Inkarnation der warenproduzierenden Arbeit als Einheit von konkreter u. abstrakter Arbeit: Ware

Äußere Ausdrucksform der Inkarnation der abstrakten Arbeit ist der Tauschwert, auch Wertform genannt, und als entwickeltste Wertform die Geldform.

Inkarnation der Mehrarbeit: Mehrprodukt

Inkarnation der Lohnarbeit: Kapital

Inkarnation (von lateinisch caro, carnis – das Fleisch) bedeutet: Fleischwerdung, Verkörperung. Der Wert ist an sich, nämlich seiner Substanz nach, körperlos, weshalb Marx dort, wo er ihn in seiner kritischen Darstellung des Kapitals einführt, von einer „gespensti­schen Gegenständlichkeit“ spricht. Einen Körper, eine spezifische gegenständliche Form erhält der Wert der einzelnen Ware nur in deren betätigter Beziehung auf die übrige Warenwelt, letztlich also, da im Wert das allen Waren Gemeinsame bestimmt ist, in der Zirkulation der Waren oder eben im Geld, als deren Inbegriff.

Worüber AKG hier stolpert, das hatte in ähnlicher Weise den guten Robert Kurz, als dieser noch auf der Suche war, gründlich in die Irre geführt. Der Versuch nämlich, den Wert an sich selbst, d.h. dort, wo er zunächst bloße, formlose Substanz ist, als „Form“ zu bestimmen, läßt dann die wirkliche Form des Werts zur „Form einer Form“, „Form in zweiter Potenz“ oder hier: zur „äu­ßere[n] Ausdrucksform der Inkarnation“ erneut sich verrätseln (vgl. dazu übergänge Nr. 2, S. 63ff).

[…]

Es geht darum, das Kapital als Produktionsverhältnis aufzuheben! – Auch zu These V und VI:

In diesem Zusammenhang ist erst noch konkret zu untersuchen, ob und inwieweit im „real existiert habenden Sozialismus“ die Lohnarbeit aufgehoben war und das Geld nur noch die Funktion einer Theatermarke hatte.

Ein vielleicht naheliegendes und doch recht eigenartiges Mißverständnis dieser These gegenüber scheint darin zu bestehen, sie vor allem als Kompliment an den Realsozialismus aufzufassen. Trotzki hat 1936 in „Verratene Revolution“ wahrscheinlich zu Recht darauf bestanden, daß die Rückkehr zum Goldstandard für den Rubel, die Abschaffung der Lebensmittelkarten etc. kein Rückschritt, sondern ein Fortschritt auf dem Weg zum Sozialismus seien. Da er einen isolierten Aufbau des Sozialismus in einem Land für unmöglich hielt, war er von der Notwendigkeit überzeugt, daß die SU am internationalen Warenaustausch teilnahm. Dafür brauchte sie aber richtiges Geld, Theatermarken halfen ihr nicht weiter. Es gehörte also auch zu den Problemen, an denen das Experiment am Ende gescheitert ist, daß das realsozialistische „Geld“ auf dem Weltmarkt kaum wirkliche Anerkennung als Geld gefunden, vielmehr in der Tat wie eine Theaterkarte behandelt wurde, die außer für den Besuch des Theaters „realer Sozialismus“ keinerlei Wert besaß. (Vgl. dazu auch übergänge Nr. 3, S. 79, Fn. 20.)

Diese Untersuchung hätte konkret an dieser Frage auch das dialektische Verhältnis von Form und Inhalt zu reflektieren, das Umschlagen und Zurückwirken vom einen aufs andere. Daniels Gedanken hierzu greifen zu kurz. Arbeitskraft und Produkte der individuellen Konsumtion sind der Form nach Waren geblieben.

Was zu beweisen und nicht, wie hier geschehend, bloß zu behaupten wäre. AKG meint aber wahrscheinlich nur, daß sie dem Namen nach „Waren geblieben“ seien und ist sich nicht recht darüber im Klaren, daß die Warenform des Arbeitsprodukts ihrer ganzen Natur nach objektiven Charakter besitzt und sich um Namen wenig schert.

Nur tritt bei der Ware Arbeitskraft das Individuum als Verkäufer sich selbst als gemeinschaftlichem Käufer gegenüber, wobei diese Rolle an den Arbeiterstaat delegiert ist, während bei den Produkten der individuellen Konsumtion das Individuum als Käufer sich selbst als gemeinschaftlichem Verkäufer – wiederum in Gestalt des Staates – gegenübertritt. Dem Inhalt nach

Gemeint offenbar: der Sache nach.

haben wir es hier also auf den ersten Blick nicht mehr mit Waren zu tun, ein Austausch mit mir selbst ist kein Austausch; dies aber nur wegen der Identität von Käufer und Verkäufer. Wenn aber die unmittelbare Identität von Individuum und Gesellschaft eh nicht klar ins Auge gefaßt wird, schlägt die alte Form durch auf den Inhalt und stellt erst richtig die Differenz her zwischen Arbeiter und Arbeiterstaat.

Was für ein „dialektisches“ Gemuddel! Weil irgendein leichtfertiger Anonymus eine offenbar gegebene „un­mittelbare Identität von Individuum und Gesellschaft“ fatalerweise „eh nicht klar ins Auge“ fasse, schlägt eine „alte Form“ („alt“ wohl – da ja irgendeine neue „Form“ noch nicht in Sicht gekommen ist – gegenüber ihrem neuen „Inhalt“: Hermann Kirsch – vgl. übergänge Nr. 3, S. 70 – läßt herzlich grüßen) über die Stränge, nämlich „durch auf den Inhalt“, macht sich also anheischig, an seiner Statt selber ihr eigener Inhalt zu sein, worauf jene an sich, aber irgendwie noch nicht „richtig“, gegebene „unmittelbare Identität von Individuum“ (hier gespielt vom „Arbeiter“) „und Gesellschaft“ (hier gespielt vom „Arbeiterstaat“) nicht mehr nur von Selbstzweifeln geplagt „eh nicht“ nicht anständig funktioniert, sondern nun „erst richtig“ zum Teufel geht.

Was AKG hier vor allem nicht versteht, ist, daß nicht „nur wegen der Identität von Käufer und Verkäufer“ im jedesmaligen Kaufakt die Warenform unmöglich wird, daß also „die unmittelbare Identität von Individuum und Gesellschaft“ gar nicht „ins Auge gefaßt“ werden muß, damit die Arbeitsprodukte ihren Warencharakter einbüßen. Wie Marx in der Proudhon-Kritik seiner „Grund­risse“ darlegt, kann der universelle Käufer und Verkäufer, daher Produzent ebensogut eine „despotische Regierung der Produktion und Verwalterin der Distribution“ sein (vgl. dazu übergänge Nr. 3, S. 72ff).

 

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