zurück
 
 

KOMMUNISTISCHE STREITPUNKTE - Zirkularblätter - Nr. 2 - 12.01.1999 - Onlineversion

Werner Imhof
 

Nachtrag zu den "Antithesen ...
vom 11.09.98

Die "Antithesen" waren ursprünglich bestimmt für die TeilnehmerInnen eines von den "Übergängen" organisierten Treffens Mitte September. Bedingt durch Zeitknappheit ist der Text Fragment geblieben. Die leichfertig versprochene "Nachlieferung" der fehlenden Teile (über den Stalinismus und den sog. "Realsozialismus" sowie über die weitere Entwicklung der Weimarer KPD) kann ich jedoch nicht einlösen. Nicht nur weil sich vor allem das Schicksal der Oktoberrevolution einer einfachen und knappen Beurteilung entzieht, wie ich sie anmaßenderweise vorgehabt hatte. Sondern mehr noch, weil die Anlage des ganzen Textes an grundsätzlichen Mängeln krankt, die eine komplette Überarbeitung erfordern würden. Das aber erscheint mir nicht besonders sinnvoll, weil das einen Anspruch ausdrücken oder vorgaukeln könnte, den ich gar nicht erheben kann - den eines "fertigen" Urteils. Der Text soll bleiben, was er ist, ein Orientierungsversuch, dem weitere folgen werden, ein Annäherungsversuch an eine historische Standortbestimmung, die - und dabei bleibe ich - Voraussetzung ist für eine zukunftsfähige Perspektive und Praxis sozialer Emanzipation. Und trotz - oder auch gerade wegen - seiner Mängel eignet sich der Text als Beitrag für eine Diskussion über die materiellen (nicht "die objektiven") Voraussetzungen kommunistischer Produktion, über das Scheitern der bisherigen marxistischen Strömungen in der ArbeiterInnenbewegung und über die Perspektiven eines emanzipatorischen Kommunismus. Dazu möchte ich selbst einige korrigierende Anmerkungen machen. 

Ausgangspunkt des Textes ist die konstatierte "Kluft zwischen den objektiven und den subjektiven Voraussetzungen" des Kommunismus. Diese Formulierung ist in mehrerer Hinsicht verunglückt und ungeeignet, die heutige historische Situation zu erfassen, mit der Folge, daß auch die daran anknüpfenden Fragen und Wertungen schief sind. 

Zunächst eine begriffliche Korrektur: Nicht "die objektiven" Voraussetzungen des Kommunismus sind weiter gediehen als je zuvor, sondern die vom Kapitalismus selbst erzeugten materiellen Bedingungen und Verhältnisse (wie sie denn ja auch genannt werden), ohne die er ein idealistischer Wunschtraum bleiben müßte. Zu den objektiven Voraussetzungen einer klassenlosen Gesellschaft auf Basis kommunistischer Produktionsweise gehört selbstverständlich noch "etwas" mehr, nämlich die - selbst wieder an bestimmte objektive Bedingungen gebundene - Umwälzung der Herrschafts- und Eigentumsverhältnisse, die sich über eine mehr oder weniger ausgedehnte Übergangsperiode erstrecken müßte. Doch abgesehen von dieser begrifflichen Nachlässigkeit ist die Formulierung vor allem deshalb verunglückt, weil sie einen Widerspruch konstruiert, der gar keine reale Existenz hat. 

Eine "Kluft" zwischen den vorhandenen materiellen Voraussetzungen des Kommunismus und seinen nichtvorhandenen subjektiven Voraussetzungen läßt sich wohl konstatieren, aber sie bezeichnet keinen faßbaren Widerspruch, der sich erklären und lösen ließe. Ein realer Widerspruch kann nur existieren als Wechselwirkung oder Kampf gegensätzlicher Kräfte. Aber zum einen haben die materiellen Voraussetzungen des Kommunismus nicht an sich schon die bewegende Kraft, sich in subjektive zu verwandeln, also ins Bewußtsein zu treten. Um eine Bemerkung von Marx (aus der Einleitung zur "Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie") abzuwandeln: Es genügt nicht, daß die Wirklichkeit zum Gedanken drängt, der Gedanke muß selbst zur Verwirklichung drängen. D.h. zur bewegenden Kraft können die materiellen Voraussetzungen erst werden, wenn sie zum Gedanken gefunden haben bzw. von ihm gefunden wurden und die Form einer zielbewußten Praxis angenommen haben, also selbst schon zur Keimform der subjektiven Voraussetzungen des Kommunismus geworden sind. Zum andern aber ist ihr Gegensatz nicht das Nichtvorhandensein der subjektiven Voraussetzungen (das ist eine leere Negation), sondern das Vorhandensein der entgegenwirkenden objektiven und subjektiven "Voraussetzungen" für das Fortbestehen des Kapitalismus. D.h. die Entstehung der subjektiven Voraussetzungen des Kommunismus, das Zusammenfinden von Wirklichkeit und Gedanke ist weder als einmaliger Akt der Erleuchtung noch als geradliniger, reibungsloser Bewußtwerdungs- bzw. Aufklärungsprozeß möglich, sondern nur in der Auseinandersetzung mit der konkurrierenden herrschenden Wirklichkeit und den dadurch bestimmten konkurrierenden herrschenden Gedanken(formen). Das gilt schon für die embryonale Entwicklung, in der wir uns derzeit (hoffentlich) befinden, und erst recht für die Entwicklung einer möglichen kommunistischen Bewegung der Zukunft, deren Wachstum selbst wieder von bestimmten objektiven Bedingungen abhängen dürfte. 

Der reale Widerspruch, in dem wir stecken, ist der zwischen unseren eigenen unbeholfenen Bemühungen, aus der vorhandenen materiellen Basis für eine kommunistische Produktionsweise (wieder) eine Perspektive emanzipatorischer Praxis zu gewinnen, und der scheinbar übermächtigen Totalität der bürgerlichen Gesellschaft, die (von Ausnahmesituationen abgesehen) alle bisherigen Emanzipationsbestrebungen in die Sackgasse des Staatssozialismus abgelenkt hat und auch unsere eigenen Bemühungen so erschwert. Die Diskrepanz im Gewicht beider Seiten dieses Widerspruchs kann mensch sich allerdings gar nicht deutlich genug vor Augen halten, wenn nicht Voluntarismus und Sektierertum einen neuen Anlauf zum Kommunismus von vornherein zum Scheitern verurteilen sollen. Insofern hat das Bild von der "Kluft" durchaus seine Berechtigung. Nur besteht diese Kluft eben nicht zwischen den materiellen Voraussetzungen des Kommunismus und der "desolaten" subjektiven Verfassung der lohnarbeitenden Klassen einschließlich ihrer linken "Interessenvertreter" und "Vorkämpfer", sondern zwischen der Schwäche und Unterentwicklung der eigenen kommunistischen Perspektive einerseits und der Stärke und Hegemonie des Kapitalismus andererseits. 

Das heißt aber auch, daß diese Kluft oder Diskrepanz nur zu verringern ist durch die Weiterentwicklung, Konkretisierung und Überprüfung dieser Perspektive in der Auseinandersetzung mit allen Verhältnissen und Ideen, die die Existenz der gesellschaftlichen Arbeit in den gegensätzlichen Formen und Lohnarbeit und Kapital begründen und erhalten. Diese Arbeit kann nur Erfolg haben, wenn sie als dialektischer Prozeß verstanden wird. Nur eine kommunistische Perspektive, die materialistisch begründet, allein aus den vorhandenen gesellschaftlichen Bedingungen als konkrete Negation der gegebenen gesellschaftlichen Praxis entwickelt ist, ermöglicht die fortschreitende Erkenntnis und Kritik der objektiven und subjektiven Hindernisse, die ihr im Wege stehen, wie erst sie die Kriterien dafür liefert, die Momente und Tendenzen in der gesellschaftlichen Entwicklung zu erkennen und zu unterstützen, die sie näherbringen; was wiederum rückwirkend zur Klärung, Konkretisierung und Festigung der Perspektive beitragen kann. Das ist zwar recht abstrakt formuliert, aber diesen Mangel werde ich demnächst zu beheben suchen in einem Papier über die vom Kapital geschaffenen Bedingungen für die Verwirklichung einer kommunistischen Produktionsweise als Selbstorganisation der gesellschaftlichen Arbeit durch die assoziierten Produzenten jenseits "sozialistischer" Plan- oder/und Marktwirtschaft (es wird zugleich eine Antwort sein auf Daniel Dockerills E-mail vom 15.01.98). Im übrigen läßt sich zeigen, wie ich es in den "Antithesen" ansatzweise versucht habe, daß die bisherige kommunistische Bewegung mit der Preisgabe oder Verfehlung eines so verstandenen Kommunismus ebensoviele untaugliche Ersatzrezepte für die Mobilisierung und "Gewinnung" der Massen entwerfen mußte, wie sie Ersatzerklärungen für die fortdauernde Hegemonie der Bourgeoisie bzw. der Sozialdemokratie entwickelte. 

Der Hauptfehler der "Antithesen" liegt indessen gerade in dem Versuch, die heutige subjektive Verfassung der ArbeiterInnenbewegung und der diversen Linken "im wesentlichen" aus dem Bankrott des bisherigen Kommunismus und diesen Bankrott wiederum aus seinem theoretischen und damit auch politischen Versagen zu erklären. Tatsächlich aber muß dieses Versagen selbst wieder materialistisch, aus der Lage und Geschichte der ArbeiterInnenbewegung, erklärt werden, zumal sie (von Ausnahmesituationen und Minderheiten abgesehen - z.B. der kommunistischen Bewegung in Turin 1920!) andere als staatssozialistische Konzepte nicht hervorgebracht hat. D.h. der Bankrott des Kommunismus ist selbst nur als Bestandteil eines umfassenderen historischen Prozesses zu verstehen, in dem sich auch der radikale, revolutionäre Flügel der ArbeiterInnenbewegung der materiellen und ideologischen Macht des Kapitalismus unterlegen zeigte. (Das Schicksal der Oktoberrevolution ist dabei ein tragischer Sonderfall. Eine Bewertung, der ich weitgehend zustimme, ist die von Daniel Bensaid in Inprekorr 313.) Daraus ergibt sich schließlich noch eine Schlußfolgerung, die in den "Antithesen" (unter V. Offene Fragen) zwar angedeutet, aber nicht weiterverfolgt wird. 

Die gegenwärtige Situation wird dort beschrieben als Tiefpunkt einer historischen Entwicklung, in dem die "subjektiven Voraussetzungen" für eine klassenlose Gesellschaft, "also gesellschaftliches Bewußtsein und Emanzipationsstreben in der ArbeiterInnenbewegung noch nie so komplett ausgelöscht schienen" und "die große Masse der Lohnabhängigen jeden ernsthaften Gedanken an die Überwindbarkeit des Kapitalismus aufgegeben hat". Diese Beschreibung gleicht dem verbreiteten linken Topos vom "verschütteten Klassenbewußtsein". Die historische Betrachtung zeigt aber etwas anderes, daß nämlich kommunistisches Bewußtsein und Emanzipationsstreben selbst im revolutionären, "kommunistischen" Flügel gerade der deutschen ArbeiterInnenbewegung noch nie ausgeprägt waren. Was ausgelöscht scheint und aufgegeben ist, ist die Hoffnung auf einen Sozialismus als paternalistische Staatswirtschaft (jedenfalls im deutschen Westen, im Osten lebt sie noch als nostalgische Erinnerung). Das aber wäre (wenn die Einschätzung denn zutrifft) nicht zu bedauern, sondern zu begrüßen. Denn das könnte die Entwicklung eines emanzipatorischen Kommunismus wahrscheinlich nur erleichtern. 

12.12.98 

 
 
nach oben