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  KOMMUNISTISCHE STREITPUNKTE - Zirkularblätter - Nr. 1 - 16.09.1998 - Onlineversion

Die Polemik organisieren!

Unautorisierte Vorbemerkung zum Einstand

   

Die Zerstrittenheit des Kommunismus, d.h. derjenigen, die ihrem erklärten Anspruch nach eine Veränderung der Welt zum Kommunismus anstreben, ist weiß Gott weder überhaupt eine Neuigkeit, noch wäre sie schon für sich ein Grund, auf den sich ein neues besonderes Diskussionsprojekt bauen ließe, das auf eine noch so bescheidene Öffentlichkeit Anspruch erheben müßte.

An gut gemeinten Versuchen, wenigstens einige der zahllosen verfeindeten Haupt- und Nebenlinien der mittlerweile arg dezimierten, einstmals so stattlichen kommunistischen Großfamilie miteinander ins sachliche Gespräch zu bringen, hat es zumindest in jüngerer Zeit kaum gefehlt. Und andererseits findet, wer danach Ausschau hält, auch den einen oder anderen mehr oder weniger hoffnungsvollen Ansatz zur gepflegten Polemik, die die Misere nicht zu Unrecht vielmehr in der scharfen Konturierung einer bestimmten Richtung, deren entschiedener Abgrenzung gegen den Rest, also in der rücksichtslosen Kritik des gegebenen Kommunismus aufzulösen versucht. Eine echte Neuerung wäre dagegen ein gemeinsames Forum für den beharrlichen, offenen Streit unter den zerstrittenen Richtungen des marginalisierten Kommunismus.

Der Vorsatz, endlich einmal gemeinsam ganz entspannt und sachlich zu bilanzieren, was denn die diversen kommunistischen (revolutionär sozialistischen, anarchokommunistischen) Strömungen, Parteien, Vereine und Grüppchen etc. voneinander trennt und was sie bei allem Trennenden verbindet, ist bislang noch jedesmal gescheitert an der darüber regelmäßig aufkommenden Polemik, die gerade hatte vermieden werden sollen. Andererseits stößt die gezielte polemische Rede, wo sie nicht systematisch der ebenso streitbaren Widerrede ausgesetzt ist, auf die Dauer ins Leere und verkommt zur belanglosen Fingerübung. Was liegt also eigentlich näher, als vielmehr die wechselseitige Polemik selbst zu organisieren und so erst aus sich selbst heraus dann auch zu versachlichen?

Was die verschiedenen Richtungen wirklich verbindet, ist zunächst einmal ihre gemeinsame Geschichte und damit etwas Negatives: Denn eine gemeinsame ist diese Geschichte vor allem als die vorläufig allumfassende Niederlage des Kommunismus, von der keine einzige seiner diversen Tendenzen ausgenommen ist, insofern keine imstande gewesen ist, sie abzuwenden oder wenigstens selber mit heiler Haut davonzukommen, wie selektiv auch immer sie sich in dieser Geschichte jeweils verorten und wie ungleich auch immer die konkrete Verantwortung für deren negatives Ende unter ihnen tatsächlich verteilt sein mag. Die Negation wird aber bekanntlich ihrerseits nur aufgehoben zur Position durch ihre Negation. Insofern also jede heutige kommunistische Tendenz, ob sie will oder nicht, ein Stück jener ersten historischen Negation des Kommunismus repräsentiert, ist sie ein Stück dessen, was negiert, kritisiert, aufgehoben werden muß, damit der Kommunismus eine zweite positive Geschichte, einen zweiten historischen Anlauf zum Umsturz aller bisherigen Verhältnisse beginnen kann.

Es gibt demnach vorerst buchstäblich nichts, woran wir uns für die Neubegründung des Kommunismus, für eine Neuformulierung seines revolutionären Programms ohne alle Bedenken positiv halten könnten. Der ganze Kommunismus in seiner heutigen, historisch gewordenen, zerfledderten Gestalt steht mit allen seinen Gliedern ausnahmslos zur Disposition. Das Positivste, das wir augenblicklich tun können, ist daher, rückhaltlos ätzende Kritik aneinander zu üben und uns ihr ohne Netz und doppelten Boden untereinander auszusetzen. Wer also immer glaubt, ein Stück positives Programm des Kommunismus wieder neu formulieren zu können – und natürlich glauben wir alle das ganz notwendiger- und legitimerweise immerzu –, soll es doch bitte schön darin beweisen, daß er sich ohne alle Gesinnungsrücksichten, ohne irgendwelche Rede- bzw. Denkverbote der Prüfung seiner Aussagen durch den entschiedenen Widerspruch gegen sie ebenso stellt, wie es umgekehrt diese Kritik sich gefallen lassen muß, in seiner Antikritik bis ins Innerste durchleuchtet zu werden.

Einen solchen Prozeß der wechselseitigen Kritik der divergierenden Reste der kommunistischen Bewegung, der den strittigen Fragen auf den Grund geht, sollen die hiermit in Zirkulation gesetzten KOMMUNISTISCHEN STREITPUNKTE von nun an mithelfen zu organisieren. Sie sind folglich weder auf Ewigkeit, noch auf Exklusivität eingerichtet. Vielmehr könnte uns nichts besseres passieren, als daß diese Zirkularblätter demnächst wieder überflüssig würden, weil der Kreis derjenigen, die den Prozeß einer gründlichen Selbstkritik des Kommunismus organisieren, sich in einem Maße erweitert hat, das andere, weniger improvisierte, nicht mehr gar so sehr von seinen zufälligen, daher eigentlich permanent überforderten personellen Trägern abhängige Ausdrucksformen zu entwickeln erlaubt.

*****

Wie alles auf Erden hat natürlich auch die Herausgabe der KOMMUNISTISCHEN STREITPUNKTE eine Vorgeschichte, die hier kurz referiert werden muß.

Vor etwas mehr als einem Jahr unternahmen es die Herausgeber der ÜBERGÄNGE zum Kommunismus 1, zu einer Debatte über den "Übergang zum Kommunismus und sein revolutionäres Programm" einzuladen. Die Resonanz war so bescheiden, wie es bei dem höchst exklusiven Leserkreis der ÜBERGÄNGE zu erwarten war: Die ca. 20 Teilnehmer an den drei bisherigen, in halbjährlichem Abstand abgehaltenen Treffen dazu kamen ausschließlich aufgrund persönlicher Bekanntschaft mit der einen oder dem anderen der Initiatoren zusammen. Und selbst in diesem ausgesuchten Rahmen überwiegt bis heute die Skepsis gegenüber der von den Übergängern formulierten Zielstellung einer Debatte mit vor allem programmatischen Charakter. Für die Einzelheiten der Auseinandersetzung auf den ersten beiden Treffen und in deren Vorfeld sei an dieser Stelle nur verwiesen auf die Dokumentation, die dazu gerade fertiggestellt wird und als ÜBERGÄNGE Nr. 6, 7 und 8 unter derselben Adresse bestellt werden kann wie diese Zirkularblätter.

Schon der Umfang dieser Dokumentation läßt vielleicht erahnen, wie durchaus inhaltsreich, aber auch kontrovers und zugleich noch wenig kohärent die Debatte sich bisher gestaltete. Daran wird sich bis auf weiteres sicherlich nichts ändern. Es wäre sogar zu wünschen, daß die Kontroversen an Umfang und Tiefe noch kräftig zunehmen.

Einen ersten Beitrag dazu haben die Übergänger in der unmittelbaren Vorbereitung des gerade stattgehabten dritten Treffens mit den ersten drei der hier nun im Folgenden dokumentierten Texte geliefert, die sogleich heftigsten Widerspruch geerntet haben. Sie machen erstmals in etwas konzentrierterer Form explizit, in welche Richtung zumindest einige der Überlegungen unter den Initiatoren der Debatte zur Neuformulierung des kommunistischen Programm des Näheren gehen. Was daher bis dahin an den keineswegs vereinheitlichten Äußerungen verschiedener Übergänger vielleicht als vor allem reichlich unausgegoren und unbestimmt beurteilt wurde, läßt sich nun als ziemlich elementarer Dissens in einer Reihe von Fragen immerhin so genau bestimmen, daß für manche zunächst in Frage stand, ob es für eine kontinuierliche Debatte untereinander überhaupt eine Basis gibt.

Wie groß die Meinungsverschiedenheiten tatsächlich sind, mag die Leserschaft dieser Blätter unter anderem an den drei kritischen Stellungnahmen ablesen, die den zweiten Teil dieser ersten Ausgabe der KOMMUNISTISCHEN STREITPUNKTE bilden. Es ist daraus auch zu ersehen, daß die Divergenzen keineswegs artig halt machen an den Grenzen, die die Teilnehmer der Debatte nach ihren hergebrachten, je besonderen Organisations- und Diskussionszusammenhängen voneinander scheiden, sondern insbesondere durch die Herausgeberschaft der ÜBERGÄNGE selbst auch mitten hindurch gehen.

Klar war damit jedenfalls, daß die unsicher und skeptisch angefangene Debatte um eine auch programmatische Neubegründung des Kommunismus nun endgültig nicht länger der Initiative der Übergänger überantwortet bleiben kann, wenn sie sich nicht allzu bald wieder auf deren engeren Diskussionszusammenhang zusammenziehen soll. Die ÜBERGÄNGE und ihr Herausgeberkreis sollten auch der äußeren Form nach kenntlich sein als nur ein besonderes Element unter anderen, die gemeinsam jenen kritischen Dialog untereinander organisieren, der nötig ist, damit wieder "ein emanzipatorischer Kommunismus als theoretische Richtung, als politische Bewegung und … als gesellschaftliche Praxis … denkbar" 2 wird. Darum sind wir übereingekommen, die schriftlichen Beiträge zu dieser Debatte künftig nicht mehr, wie bislang die Absicht, als ÜBERGÄNGE-Rundbriefe, sondern unter dem Namen KOMMUNISTISCHE STREITPUNKTE als von allen an der Debatte Beteiligten gemeinsam verantwortetes Zirkular zu dokumentieren.

Wer auch immer sich mit Fragen, Anmerkungen, Polemik, Vorschlägen oder was auch immer an der hiermit eröffneten Debatte beteiligen möchte, der oder dem stehen diese Blätter von nun an ohne jede Einschränkung zur Verfügung. Inhaltliche Redaktion oder gar Zensur finden nicht. Die Beiträge müssen nur eingereicht werden. Entsprechend den eingereichten Beiträgen werden dann weitere Ausgaben der Zirkularblätter in größeren oder geringeren Abständen aufeinander erscheinen.

DD (übergänge)

 

Anmerkungen:

1 Von dem Zirkular ÜBERGÄNGE zum Kommunismus sind seit 1994 bislang vier Ausgaben erschienen, die - zunächst vor allem in der Auseinandersetzung mit der "Fundamentalen Wertkritik" der Gruppe um Robert Kurz und die Zeitschrift KRISIS sowie deren "Kritik der Arbeit" - gegen bewegungslinken Praktizismus und theoretischen Revisionismus sich um eine erneute Rezeption der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie zur Fundierung revolutionärer Praxis bemühen.

2 Werner Imhof: Antithesen zu den Thesen der "Übergänge zum Kommunismus" vom August 1998.

 

 

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