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  KOMMUNISTISCHE STREITPUNKTE - Zirkularblätter - Nr. 1 - 16.09.1998 - Onlineversion

Revolutionäre Organisierung –
oder doch nur linker Debattierklub?

Stellungnahme der Gruppe "Arbeitermacht" zu
"150 Jahre Kommunistische Partei – Thesen"

Im Vorwort des Übergänge-Zirkulars "Zurück in die Zukunft" wird der Anspruch erhoben, daß die "Thesen" eine Arbeitsgrundlage für die Führung einer Debatte um die Erneuerung des kommunistischen Programms sind (zumindest werden sie als solche vorgeschlagen). Der Versuch an sich, eine organisatorische Neuformierung mit der Erarbeitung einer revolutionären Programmatik zu beginnen, die sich mit den strategischen Fragen des Übergangs zum Kommunismus wie mit der geschichtlich-theoretischen Aufarbeitung der bisherigen Versuche hierzu ernsthaft auseinandersetzt, statt das übliche oberflächliche Vernetzungsgeschäft aller "unverständlicherweise" so zersplitterten "revolutionären" Elemente zu betreiben, ist an sich ein richtiger Ansatzpunkt. Die Frage ist, ob die im Zirkular vorgelegten Texte diesem Anspruch tatsächlich gerecht werden.

(1.)

Zunächst eine Bemerkung, die zunächst eher "formal" erscheinen mag: Der Stil, in dem die Thesen formuliert sind, ist wie immer bei den Übergängen "literarisch wertvoll" – oft jedoch stellt man sich die Frage, ob nun bestimmte Dinge wegen der schönen Formulierung oder wegen des Inhalts geschrieben wurden. Dies insbesondere, wo in der einen These Dinge behauptet werden, während in einer anderen These dann eigentlich das Gegenteil dargelegt wird, ohne daß der Widerspruch irgendwo aufgelöst oder zumindest behandelt wird. So heißt es an einer Stelle, daß der "Klassengegensatz ... nur im Versuch seiner revolutionären Aufhebung in Erscheinung tritt oder gar nicht"(These 2). Später lesen wir: "Der Kampf der proletarisierten Individuen um ihre elementaren Interessen ist in diesem Sinne immer schon Klassenkampf, daß er nur als solcher Kampf der ganzen Klasse überhaupt funktioniert" (These 11). Wie der Kampf um "elementare Interessen" und "revolutionäres Handeln" zusammenhängen, bleibt in den "Thesen" äußerst vage (im Hintergrundpapier "Im Westen nichts Neues" ist dies weitaus genauer dargestellt – siehe die Kritik daran später).

Ein anderes Beispiel: In These 10 wird dargestellt daß der "praktische, proletarische Kommunismus ... sich nahezu hoffnungslos marginalisiert" sieht, in "mikrobischen Zirkeln" oder vereinzelten Individuen mehr als "Stimmung" fortexistiert (im Hintergrundpapier wird einmal sogar die Formulierung gebraucht "... die revolutionäre Linke, so es sie denn gäbe..."). Andererseits werden Formulierungen gebraucht, die doch wieder auf eine "revolutionäre Kontinuität" hindeuten, nicht zuletzt die Überschrift der Thesen selbst ("150 Jahre Kommunistische Partei"), aber auch die Rede von den "revolutionären Sozialisten und Kommunisten – unbeschadet ihrer verschiedenen theoretischen, politischen oder organisatorischen Traditionen", die jetzt das "verschliffene Programm" gemeinsam auszuarbeiten hätten. Irgendein mystisches Band muß diese verschiedenen "Revolutionäre" also doch verbinden, wodurch aus ihren verschiedenen so-und-so Traditionen, doch eine "revolutionäre Linke" erwächst.

Dies sind nur zwei Beispiele, die einen bestimmten Verdacht erzeugen: Daß durch das Verbergen hinter geschliffenen und ausholenden Formulierungen vermieden wird, sich zu zentralen Widersprüchen revolutionärer Organisierung und deren Lösung klar und offen zu positionieren, um letztlich doch wieder soviel "Offenheit" und Unklarheit übrigzulassen, daß eigentlich unter dem Deckmantel der "programmatischen Klärung" doch wieder nur ein "offenes Vernetzungsprojekt" betrieben wird.

(2.)

In These 3 wird die Geschichte des Kampfes des "revolutionären Proletariats" mit der Bourgeoisie skizziert. Hier wird besonders deutlich wie mit impressionistischer Formulierungsmalerei ein eigentlich recht dünner Inhalt überdeckt wird: Das revolutionäre Proletariat tritt mit der Oktoberrevolution auf die Bühne der These 3, scheitert dann in der deutschen Revolution, um später als "fortwesende Realität des kommunistischen Umsturzes" im Osten zu verenden. Getreu der in These 2 gebrauchten Formulierung vom Klassengegensatz, der nur in der revolutionären Aufhebung in Erscheinung tritt, wird Geschichte in These 3 rein durch den "äußeren" Widerspruch von revolutionär erscheinendem Proletariat und konterrevolutionärer Bourgeoisie entwickelt. Durch das "Fortwesen"(!?) des revolutionären Umsturzes soll die konterrevolutionäre Bourgeoisie im Westen nach dem gescheiterten Vesuch des Faschismus dazu gezwungen worden sein, der "nazistischen Volksgemeinschaft" ein "materielles Unterfutter" im Gewand des "Sozialstaates" etc. zu geben, und so den Proletarier zum Sozialpartner zu transformieren. Mit dem Übergang des revolutionären Umsturzes vom Fort- zum Verwesen werde daher dann auch der Sozialstaat kassiert.

Abgesehen davon, daß in einigen Formulierungen der These bestimmte konsensuale Mythen der deutschen "Linken" bedient werden, wie Kollektivschuldthese und Totalverbürgerlichung der Arbeiterklasse, wird aus dieser "Geschichte" die Entwicklung der inneren Widersprüche des Kapitalismus ausgeblendet (man verzeihe mir die "schematische" Ausdrucksweise). Dabei erwähnt D.D. selbst in These 1 des Hintergrundpapiers, wie der Klassenkampf sich aus den inneren Widersprüchen der Bestimmung des Werts der Ware Arbeitskraft ergibt, also etwa aus der Auseinandersetzung um die Länge des Arbeitstages, und schlußfolgert daraus: "Der Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat erweist sich hier vielmehr als die durchaus unabhängige Variable, der die wirkliche Bewegung jenes ‚Subjekts‘ (i.e. des selbstverwertenden Werts, der Autor) – allerdings nicht durch irgendeine ihm willkürlich angetane, äußere Gewalt, sondern aufgrund eines ihm eigenen, inneren Zwangs – unterworfen ist" (S.11).

Der Klassengegensatz bestimmt also nicht nur in der Form der Erscheinung in seiner revolutionären Zugespitztheit die Entwicklung der Kapitalbewegung und ihrer Formen, sondern muß diese Bewegung immer bestimmen, in welchen "unterentwickelten" Formen dieser Gegensatz auch immer auftritt. Von daher ist es auch nicht die Tatsache eines mystischen Fortwesens des revolutionären Umsturzes in den stalinistisch degenerierten Arbeiterstaaten, die die Bewegungsformen der Kapitalverwertung in den letzten 50 Jahren bestimmt hat, sondern die Tatsache, daß die Existenz dieser (wie auch immer degenerierten) Arbeiterstaaten ein Element in einem globalen Kräfteverhältnis der Klassen war, das sich andererseits in den kapitalistischen Staaten auch unabhängig von der Tatsache der Existenz der Arbeiterstaaten eigenständig entwickelte. So ist die "Entwicklung des Proletariers zum Sozialpartner" nicht erst mit der Niederlage des Faschismus gegeben. Vielmehr haben die Entwicklung von Sozialstaat und Integration der Arbeiterklasse in den kapitalistischen Staat eine weitaus längere und fundamentalere Geschichte, die ihre eigentliche materielle Grundlage in der Entwicklung von dominanten monopol- und finanzkapitalistischen Strukturen findet, und damit in bestimmten Formen von Kapitalakkumulation, die dem Kapital erlauben den Klassengegensatz in bestimmten Sektoren zeitweise abzumildern und zu regulieren (natürlich ergeben sich Ansätze zum Sozialstaat schon vorher, gerade mit dem Erstarken gewerkschaftlicher Organisierung schon im 19.Jh.; siehe z.B. Engels "Die Trade-Unions", MEW19, S.254f.). Die Fragestellung der besonderen Epoche des Kapitalismus, die Lenin mit dem Begriff "Imperialismus" aufwarf, wird in den Thesen nicht berührt. Und dies ist ein wesentlicher programmatischer Punkt: Daß nämlich der Kampf der zur Lohnabhängigkeit Gezwungenen um ihre elementaren Interessen noch weniger als vorher länger dauernde "Teilerfolge" erbringen kann, ohne daß dieser unmittelbar nur als Kampf der ganzen (also auch international gesamten) Klasse geführt wird. Zeitweise (und dies können, wie wir gesehen haben, ganz schön lange Zeiten sein) kann der Imperialismus bestimmten (nationalen oder auch nur sektoralen) Teilen der Lohnabhängigen beträchtliche Zugeständnisse gewähren, um sein System insgesamt zu stabilisieren. Daß die bürgerliche Epoche eine Epoche der Revolutionen ist, beinhaltet bekanntlich auch, daß die Bourgeoisie selbst als revolutionäre Klasse lange abgetreten ist. Seit mehr als hundert Jahren ist sie zu allerhand konterrevolutionären Kompromissen mit allen möglichen Klassen gezwungen, die auch spezielle ökonomische Formen annehmen (z.B. Grundrente). Der Imperialismus ist einerseits ein solcher konterrevolutionärer Klassenkompromiß (angesichts der Bedrohung durch den revolutionären Klassenkampf wird ein Teil der Lohnabhängigen "ruhiggestellt"), andererseits eine ökonomische Form, durch die die revolutionierende Wirkung beschleunigter Kapitalakkumulation für bestimmte Kapitalgruppen zeitweise abgeschwächt wird (Monopolprofit).

Insofern ist der Imperialismus nicht bloß materielle Grundlage für die Entstehung einer breiten lohnabhängigen (!) Mittelschicht (etwas das Marx bereits bei seiner Analyse des relativen Mehrwerts und der Entwicklung des Fabriksystems als Möglichkeit erkannte), und damit einer breiten Schicht von Kleinbürgern und Lohnabhängigen, die "ihr" imperialistisches Kapital und dessen Staat aus materiellem Eigeninteresse verteidigen. Er ist auch materielle Grundlage dafür, daß bürgerliche Politik systematisch Wurzeln in bestimmten Teilen der Arbeiterklasse schlagen kann. Daß das Kapital diesen Teilen der Arbeiterklasse "Mitbestimmung" über geregelte Bedingungen des Verkaufs und der Erhaltung des Werts ihrer Arbeitskraft zugesteht, also die absolute Mehrwertrate zeitweise unverändert läßt, und sich für die Verbesserung ihrer Verwertungsbedingungen auf die Steigerung des relativen Mehrwerts konzentriert, ist reale Grundlage für langanhaltende Illusionen in diese Regelungs- und "Mitbestimmungs"-Mechanismen. Der tatsächliche Irrglaube ist, daß diese Zugeständnisse etwas mit "Tauschgerechtigkeit" oder dem Lohn einer entsprechend "besseren" Arbeit zu tun haben, und nicht aus dem Klassengegensatz entspringt, bzw. einer bestimmten Form, diesen zu beherrschen. Damit ist auch klar, daß das Fallenlassen dieser Mechanismen durch das Kapital eine zweischneidige Sache ist: Einerseits wird ein reaktionäres Instrument der Regelung von Klassengegensätzen weggeräumt, und dieser tritt direkter (was die Bourgeoisie betrifft) wieder hervor – andererseits wird der absolute Mehrwert vergrößert, d.h. es findet eine Verschiebung der Klassenkräfte zugunsten der Bourgeoisie statt. Wenn in dieser Situation große Teile der Klasse Illusionen in die Rückkehr zum alten Sozialpartnerschaftssystem haben, so ist dies im Fall der deutschen Arbeiterklasse nicht eine besondere Anfälligkeit für eine faschistoide Standortideologie. Es ist vielmehr ein Reflex der materiellen Grundlage für ein "Sozialpartnerschaftssystem" in imperialistischen Ländern: Warum sollte eine neue Welle "gemütlicher" Kapitalakkumulation, wie sie vor 50 Jahren begann, für bestimmte Länder prinzipiell nicht wieder möglich sein? Diese Hoffnung ist zwar reaktionär (und heute auch, was den gemütlichen Teil betrifft, illusionär), entspricht jedoch dem Wesen des imperialistischen Klassenkompromisses. Es ist heute schließlich nicht einmal ausgeschlossen, daß die "Sozialpartnerschaft" für eine nicht zu kurze Zeit sogar für bestimmte, noch eingegrenztere Schichten der Arbeiterklasse fortgeführt werden kann. Zu sagen, daß dies nach 1989 unmöglich sei, heißt, dem Imperialismus mehr oder weniger seinen Zusammenbruch prognostizieren (was die Linke auch schon ziemlich lange tut).

So war es auch nicht die "faschistische Volksgemeinschaft", die die Voraussetzung für den Sozialstaat in seiner Nachkriegsform schuf. Dies wird um so absurder je mehr man vergleichbare internationale Beispiele heranzieht. So war die Entstehung des spezifischen Sozialsystems der USA und des berüchtigten "fordistischen" Produktions- und Konsumentenmodells schon viel früher geschehen aus den Entwicklungen der Weltwirtschaftskrise Anfang der 30er-Jahre, den damit einhergehenden scharfen Klassenauseinandersetzungen und dem schließlichen Klassenkompromiß im "New Deal". Mit Ende des 2.Weltkriegs war es andererseits gar nicht ausgemacht, daß angesichts der Diskreditierung des Imperialismus durch den Faschismus, ähnliche Formen des Klassenkompromisses wie in den USA auf die anderen imperialistischen Staaten ausgedehnt werden könnten. In einigen Ländern, wie Italien, Frankreich, Griechenland gab es im Grunde revolutionäre Situationen, die mit freundlicher Unterstützung des Fortwesers und des US-Imperialismus mehr oder weniger gewaltsam beseitigt wurden. Diese Stabilisierung der Nachkriegssituation (und damit das Versagen des revolutionären Proletariats, dieses absolute Moment der Diskreditierung seines Gegners zu einem neuen weltrevolutionären Ansatz zu nutzen) zusammen mit der ökonomischen Schwächung der anderen imperialistischen Mächte erlaubte es dem US-Imperialismus, praktisch seinen New-Deal zu globalisieren: Von Marschall-Plan, Bretton-Woods, IWF-Gründung bis zum Export des fordistischen Produktions- und Massenkonsummodells war die Formierung des Sozialpartnerschaftssystems in den imperialistischen Ländern ein Element des neuen US-dominierten Systems des Imperialismus. Auch die stalinistischen Staaten spielten in diesem System eine bestimmte, dem Hegemon untergeordnete Rolle. Nicht: der Sozialstaat war Reaktion auf das Weiterbestehen stalinistischer Staaten – sondern: Sozialstaat und "Koexistenz" mit degenerierten Arbeiterstaaten war die Form, in der der Kapitalismus das Kräfteverhältnis der Klassen nach dem Krieg stabilisierte, um zu einer neuen Phase beschleunigter Akkumulation anzusetzen. (Insofern formuliert D.D. in These 11 teilweise richtig: "Sozialstaat und Realsozialismus waren das späte und ziemlich vergängliche, doppelgesichtige und doch zusammengehörige Resultat..." von Oktoberrevolution und gescheiterter deutscher Revolution.) Die konterrevolutionäre Rolle des Stalinismus im Weltmaßstab trug entscheidend zur Stabilisierung des Imperialismus nach dem Krieg bei und die Sowjetunion wurde zu einem Pfeiler der "geordneten" Verhältnisse im Weltmaßstab, vergleichbar mit dem "Ordnungsfaktor" Gewerkschafts- und Betriebsratsbürokratie im nationalen Maßstab. Die "kommunistische Gefahr" war ja nicht nur Element des Sozialstaats-Kompromisses, in den meisten Ländern dieser Welt war sie Vorwand für die Errichtung blutiger Diktaturen zur Stabilisierung der nicht mehr offen kolonial auftretenden, nunmehr halb-kolonialen imperialistischen Ausbeutung. Andererseits kanalisierte stalinistische Volksfrontpolitik hundertfach zugespitzte Auseinandersetzungen mit dem Imperialismus und seinen Agenturen in Wege, die in sichere Niederlagen führten. Die bedeutsamen Dienste des Stalinismus werden nunmehr nach Zusammenbruch der "bipolaren" Weltordnung um so sichtbarer, wo einerseits regionale Konflikte durch den US-Imperialismus als verbleibende militärische "Weltmacht" immer schwieriger beherrschbar werden, andererseits die zwischen-imperialistischen Konflikte wieder deutlicher zu Tage treten.

Gleichzeitig begann der Angriff auf den Sozialstaat weitaus früher als 1989: Immerhin kam das Nachkriegs-Akkumulationsmodell schon in den frühen 70er Jahren in die Krise, ohne schlagartig in Frage gestellt zu sein. Schließlich waren wesentliche Angriffe in den USA und Britannien durch Reagan und Thatcher auf den jeweiligen "Sozialkompromiß" in ihren Ländern dem Zusammenbruch der degenerierten Arbeiterstaaten vorgelagert. Letztlich ist dieser Zusammenbruch selbst eine Folge der Überakkumulationskrise in den imperialistischen Ländern: Das intensive Produktivitätswachstum, das mit den entgegenwirkenden Ursachen zum Profitratenfall einherging, konnte von den behäbigen, bürokratisch verwalteten Produktionsapparaten, die höchstens auf extensive Wachstumssteigerung ausgerichtet waren, nicht mitgehalten werden. Damit gerieten die Staaten des Comecon in den Strudel von Verschuldungskrise, Zurückbleiben in der Weltmarktkonkurrenz, Verteuerung der Technologie-Importe, realer Entwertung der eigenen Währung, etc.. Also allem möglichen, das das Staatsmonopol der industriellen Produktion und des Außenhandels in Frage stellte. Die Existenz von stagnierenden Arbeiterstaaten in einem in die Krise geratenen Weltkapitalismus wurde zu einem unhaltbaren Widerspruch. Andererseits stellt der Zusammenbruch dieser Staaten noch keine grundlegende Verschiebung im Verhältnis der Klassenkräfte zugunsten der Bourgeoisie dar, solange diese nicht die wesentlichen Elemente der Krise der Akkumulation ihres Kapitals lösen kann. Im Gegenteil, dieser Zusammenbruch bringt der Weltbourgeoisie neue Probleme durch den Wegfall eines wesentlichen Stabilitätsfaktors, so wie auch die Angriffe auf den Sozialkompromiß neue Klassenkampfgefahren für sie heraufbeschwören – alles keine günstigen Bedingungen für den ruhigen Gang der Akkumulation. Paradoxerweise hat der Zusammenbruch des Stalinismus den in Gang befindlichen Angriff auf den Sozialkompromiß in den imperialistischen Ländern sogar eine Zeitlang abgebremst (z.B. durch die Sonderkonjunktur nach der Vereinigung in der BRD), um erst später wieder mit voller Vehemenz fortgeführt zu werden (z.B. Frankreich 1995).

Fazit: Die Geschichte dieses Jahrhunderts kann nicht nur aus einem revolutionären Ereignis gelesen werden, so zentral dies auch immer war. Es muß der Zusammenhang von Klassenkampf, sowohl in seinen revolutionären wie auch vor-revolutionären Formen mit der jeweiligen Periode von Akkumulationszyklen des Kapitals dargestellt werden und dies unter den Bedingungen des Kapitalismus in seiner imperialistischen Epoche. Einerseits ist in dieser Epoche der Klassengegensatz an sich und seine auch vor-revolutionären Äußerungen Grundlage für zeitweise Befriedung von Sektoren der Arbeiterklasse in Sozialkompromissen, und damit Grundlage für eine Phase von Akkumulation, die hauptsächlich auf der Steigerung des relativen Mehrwerts beruht. Andererseits muß ein solcher Akkumulationszyklus in einer weltweiten Überakkumulationskrise enden, die damit den Klassenfrieden in Frage stellt, revolutionäre Krisen heraufbeschwört, etc.. Gelingt es dem revolutionären Proletariat nicht, diese Krise in revolutionärer Weise zu lösen, wird der Imperialismus jeweils in der Lage sein (nach welchen Aktionen zur Vernichtung von Überschußkapital auch immer) einen neuen Klassenkompromiß zu finden, um seine Kapitalakkumulation wieder in ruhigere Bahnen zu lenken. Insofern kann der Kapitalismus das Proletariat zwar wie die Thesen sagen nicht endgültig besiegen, sehr wohl ihm aber strategische Niederlagen beibringen, die die Revolution als die entscheidende objektive Antwort auf die Probleme der Klasse wieder auf Jahre zu verschieben zwingen.

Ein kommunistisches Programm hat unter anderem die konkreten Perspektiven für die proletarische Revolution anhand der konkreten Entwicklung des Verhältnisses von Kapitalakkumulation und Klassenkampf aufzuweisen. Insofern sind die Thesen unzureichend, als sie nicht einmal von den Besonderheiten der imperialistischen Epoche ausgehen, sondern nur von einem abstrakten Bezug auf die Oktoberrevolution. Dies führt zu der falschen Perspektive, daß mit dem Untergang des Stalinismus und dem angeblich bereits geschehenem Kassieren des Sozialstaats eine Epoche von Kämpfen bereits vorbei sei, statt zu sehen, daß der Zusammenbruch und der Angriff auf den imperialistischen Sozialkompromiß Elemente einer neuen Periode von Kämpfen sind, deren Höhepunkt erst vor uns, nicht hinter uns liegt. Asienkrise (inklusive der Probleme in Japan und China), Rußlandkrise, ihre Ausläufer in Lateinamerika und Osteuropa, etc. sind deutliche Zeichen einer weiteren Verschärfung der Probleme des Imperialismus und seines Sozialkompromisses, die in einer Situation weit schlimmer als der Weltwirtschaftskrise 1929/ 30 münden können. Für diese Situation brauchen wir tatsächlich ein Programm, das eine internationale Alternative zu Weltmarkt, Weltgeld, internationaler industrieller Reservearmee und zur ökonomischen Regulierung der weltweiten Arbeitszeitresourcen durch den sich selbst verwertenden Werts bietet. Leider fehlt den Thesen sowohl der konkrete Bezugspunkt auf diese aktuellen Bedrohungen durch den Kapitalismus, wie auch der notwendige internationale Charakter, den ein Programm zu ihrer Bekämpfung haben muß (letzteres fehlt insbesondere bei den 4 Eckpunkten in These 12).

(3.)

Die Kritik des "Realsozialismus" (Thesen 5-8) zählt im Großen und Ganzen zu den Stärken der Thesen, insbesondere was die Darstellung des Zusammenhangs von einzelnen Arbeiterstaaten und der weiterzutreibenden Weltrevolution betrifft ("nationale Form", "internationaler Inhalt"). Es bleibt jedoch auch hier wieder eine Undeutlichkeit, die die Charakterisierung des Arbeiterstaats oder der Diktatur des Proletariats selbst betrifft (insbesondere in These 7): Es wird nicht deutlich, ob die Errichtung des Staatsmonopols an der industriellen Produktion und des Außenhandels die einzigen qualitativen Änderungen darstellen sollen, solange nicht die "kapitalistische Umgebung" zum Verschwinden gebracht wurde.

Nach den Thesen vollendet der Arbeiterstaat nur eine dem Kapitalismus bereits innewohnende Tendenz zur Monopolisierung, die "Expropriation der Expropriateure" ist (so wird Marx zitiert) das dem Prozeß der kapitalistischen Akkumulation selbst übergreifende und so allgemein charakterisierende Moment. D.D. bezieht sich gerne auf diese Darstellung in der "Geschichtlichen Tendenz der kapitalistischen Akkumulation" (Kapital I, S. 789f.), da sie seine These vom vergesellschaftendem Charakter der kapitalistischen Produktionsweise, die damit von Anfang an im Übergang zum Kommunismus befindlich ist, untermauern soll. Tatsächlich stellt Marx in diesem Kapitel die kapitalistische Produktion als Negation des auf unmittelbare Privatarbeit gegründeten Eigentums dar, die selbst auf die Negation der Negation zutreibt: "Diese stellt nicht das Privateigentum wieder her, wohl aber das individuelle Eigentum auf der Grundlage der Errungenschaft der kapitalistischen Ära: der Kooperation und des Gemeinbesitzes der Erde und der durch Arbeit selbst produzierten Produktionsmittel" (S.791). Die kapitalistische Form der Vergesellschaftung von Arbeit wird also aufgehoben in einer völlig neuen Form, die vergesellschafteten Produktionsprozeß mit den individuellen Bedürfnissen, Zwecksetzungen, Fähigkeiten der unmittelbaren Produzenten verbindet. Wie Marx im Kapital insbesondere im Abschnitt über die "Produktion des relativen Mehrwerts" ausführt, geschieht die Vergesellschaftung im kapitalistischen Arbeitsprozeß in einer reaktionären Form. So erwächst die besondere Form der Leitung und Kontrolle des Arbeitsprozesses nicht bloß aus dessen kooperativer Form, seine Doppelnatur als Verwertungsprozeß erfordert, daß der Einzelarbeiter als willenloses, seine Zwecke nicht bestimmendes Rädchen im Gesamtprozeß der Kapitalverwertung zu funktionieren hat, und daher einem strikten "Despotismus", einer bestimmten Form von Arbeitsdisziplin unterworfen wird, die von einem Heer von Aufsehern, Unteroffizieren, etc. überwacht wird (siehe MEW 23, S. 350f.). Genauso wie die Kooperationsformen entfremdet organisiert werden, so das Produktionswissen: Nach dem Prinzip teurere qualifizierte Arbeit auf wenige zu konzentrieren und von der Masse der dann unqualifizierteren, billigen Arbeit zu trennen, werden die "geistigen Potenzen" des Produktionsprozesses von den "Detailarbeitern" immer mehr entfernt, auf der Seite des Kapitals konzentriert, der einzelne Arbeiter zum spezialisierten Eigner von Detailgeschick verstümmelt (siehe MEW 23, S. 382). In "Maschinerie und großer Industrie" schließlich treten dem Arbeiter seine Arbeitsbedingungen endgültig als entfremdeter, übermächtiger, toter Mechanismus gegenüber (siehe MEW 23, S. 444f).

Diese Vergesellschaftungsform von Arbeit im einzelnen Produktionsprozeß geht einher mit der Herstellung der gesamtgesellschaftlichen Arbeitsteilung über den Austauschprozeß, so daß der Verkümmerung des Arbeitsprozesses zu Detailprozessen eine immer willkürlichere, naturwüchsige Teilung der Produktionsprozesse in Produktion bestimmter Detailprodukte entspricht, die sich erst über den Austausch vermittelt zu einem Gesamtprodukt zusammensetzen mögen, das realen gesellschaftlichen Gebrauchswert hat. Wie dem Arbeiter in seiner Detailarbeit, so geht auch den Arbeitern als Gesamtheit der einzelnen Fabrik oder sogar Branche der Bezug zum Ganzen der Produktion und ihres Zweckes verloren.

Schließlich ist diese Vergesellschaftungsform auch die Quelle von sozialen Differenzierungen im Arbeitsprozeß: Sie schafft nicht nur verschiedene Schichten unterschiedlich qualifizierter und entlohnter Arbeitskräfte, sondern auch mit Notwendigkeit ein Heer von Aufsichts-, Verwaltungs- und besser gestelltem Spezialistenpersonal, das den Charakter des Arbeitsprozesses als Verwertungsprozeß zu gewährleisten hat. Diese Produktions-Bürokratie nimmt daher wesentlich Kapitalfunktionen war, auch wenn sie selbst hauptsächlich durch lohnabhängig Beschäftigte besetzt sein sollte. Diese lohnabhängigen Mittelschichten nehmen also eine widersprüchliche Klassenposition ein, die sie jedoch in normalen Umständen durch Privilegierung und Position in der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit in zentralen Konflikten auf die Seite des Kapitals stellt.

Es ist klar, daß eine Aufhebung des kapitalistischen Eigentums an den Produktionsmitteln auch eine Aufhebung der von ihm bedingten gesellschaftlichen Teilung der Arbeit beinhalten muß. So sieht es auch Engels im Anti-Dühring: "Indem sich die Gesellschaft zur Herrin der sämtlichen Produktionsmittel macht, um sie gesellschaftlich planmäßig zu verwenden, vernichtet sie die bisherige Knechtung der Menschen unter ihre eigenen Produktionsmittel. Die Gesellschaft kann sich selbstredend nicht befreien, ohne daß jeder einzelne befreit wird. Die alte Produktionsweise muß also von Grund aus umgewälzt werden, und namentlich muß die alte Teilung der Arbeit verschwinden. An ihre Stelle muß eine Organisation der Produktion treten, in der einerseits kein einzelner seinen Anteil an der produktiven Arbeit, dieser Naturbedingung der Existenz, auf andere abwälzen kann; in der andererseits die produktive Arbeit, statt Mittel der Knechtung, Mittel der Befreiung der Menschen wird, indem sie jedem einzelnen die Gelegenheit bietet, seine sämtlichen Fähigkeiten, körperliche wie geistige, nach allen Richtungen hin auszubilden und zu betätigen ..." (MEW 20, S. 273f.). Insbesondere wendet er sich dabei auch gegen den "preußischen Staatssozialismus", indem die bestehende Produktionsweise einfach vom "sozialistischen Staat" übernommen wird, und nur jeder gemäß seinen Fähigkeiten auf die bestehenden Produktionszweige optimal zugeordnet werden soll: "wobei dann nach wie vor ganze Massen von Existenzen unter die Erzeugung eines Artikels geknechtet, ganze Bevölkerungen von einem einzelnen Produktionszweig in Anspruch genommen werden, und die Menschheit sich nach wie vor in eine Anzahl verschiedener verkrüppelter ‚ökonomischer Spielarten‘ teilt, als da sind ‚Karrenschieber‘ und ‚Architekten‘. Die Gesellschaft soll Herrin der Produktionsmittel im ganzen werden, damit jeder einzelne Sklave seines Produktionsmittels bleibt und nur die Wahl hat welches Produktionsmittels." (ebd., S. 277).

In Bezug auf diese grundlegende qualitative Umwälzung der Vergesellschaftungsform der Arbeit bleiben die Forderungen in den Thesen von D.D. vage und mehrdeutig: "Selbstorganisation der Arbeit auf der Höhe ihres jetzigen Vergesellschaftungsgrades, für die es vorderhand nichts weiter braucht als die völlige Abschüttelung jenes Verwertungszwangs, d.h. der jetzigen privaten Verfügung über sie, die angesichts des hochgradig gesellschaftlichen Charakters heutiger Arbeit nur noch ein schreiender und äußerst kostspieliger Anachronismus ist" (S. 9). Hier, wie auch bei der späteren Forderung nach einer "gesellschaftlich planmäßigen Verteilung der Arbeitszeit", bleibt unklar, ob dies nicht auch in einer Form des besagten "Staatssozialismus" verstanden werden könnte. Es wird insbesondere nicht klar gemacht, daß die Zerschlagung des kapitalistischen Fabrikdespotismus und das Ende der Privilegierung irgendwelcher Spezialisten ein notwendiges Element bereits der Diktatur des Proletariats ist, das nur auf diese Weise wirklich den Kampf um die "Selbstorganisation der Arbeit" überhaupt beginnen kann. Die Beibehaltung der vom Kapitalismus übernommenen Form der Teilung der Arbeit führt notwendig zum Ausschluß der Masse der unmittelbaren Produzenten von den konkreten Entscheidungen über die "planmäßige Verteilung der Arbeitszeit", ihre Entfremdungen von Koordinierungs- und technischen Kompetenzen führt zwangsweise zum Überleben der Produktions-Bürokratie in neuer, wiederum privilegierter und despotischer Form. Natürlich ist die Durchsetzung einer neuen Form von Vergesellschaftung des Arbeitsprozesses nicht möglich ohne die Beseitigung der kapitalistischen Umgebung des Arbeiterstaats – und damit auch der kapitalistischen Umgebung des einzelnen Produktionsprozesses, der sich in eben dieser Umgebung ökonomisch reproduzieren muß. Daher ist klar, daß ein Arbeiterstaat in Auseinandersetzung mit dieser kapitalistischen Umgebung gezwungen sein kann in bestimmten Bereichen der Produktion die alte Form der Arbeitsdisziplin und Privilegierung von Spezialisten aufrechtzuerhalten oder gar wiedereinzuführen. Dies kann jedoch nur als taktischer Rückzug verstanden werden, der dem strategischen Ziel der letztlichen Ausweitung der Selbstorganisation der Arbeit untergeordnet sein muß. Längerfristig ist die Zerschlagung von Fabriksdespotie und Spezialistentum sowieso ökonomischer, da sie vollkommen unproduktive Nebenkosten der Produktion eliminiert und die niedergehaltene Kreativität der Masse der Arbeitenden freisetzt.

Schließlich ist das zentrale Element für die geschichtliche Tendenz der kapitalistischen Akkumulation zur "Expropriation der Expropriateure" nicht bloß die immer umfassender werdende Konzentration der Kapitale: "Der Fortschritt der Industrie, dessen willenloser und widerstandsloser Träger die Bourgeoisie ist, setzt an die Stelle der Isolierung der Arbeiter durch die Konkurrenz ihre revolutionäre Vereinigung durch die Assoziation" (ME, Kommunistisches Manifest). Gerade die wachsende Vergesellschaftung des Arbeiters, vom Verschwinden der "Privatarbeit" bis zur Degradierung zum Handlanger eines ihm völlig fremden Produktionsmechanismus, dessen individuelle Fähigkeiten zu etwas ihm äußerlichen werden, sich den Bewegungen des Produktionsmechanismus anzupassen haben, statt umgekehrt, erzeugen eine gesellschaftliche Klasse, der die Frage der Selbstorganisation der Arbeit mit Notwendigkeit aufgezwungen wird. Nicht nur der Kampf um die unmittelbaren Bedingungen zum Erhalt des Tauschwerts der Ware Arbeitskraft in Beziehung zur Konsumtion seines Gebrauchswerts (Auseinandersetzungen um Arbeitszeit und -intensität), sondern die notwendigen Konflikte mit Fabriksdespotismus und Veränderungen der Arbeitsteilung, Qualifikation, etc. formen diese Klasse zu einer Assoziation, die zur Übernahme der Leitung des Produktionsprozesses befähigt wird. Insofern ist die Bewegung der kapitalistischen Akkumulation gleichzeitig etwas, das die Bewegung zum Kommunismus enthält, als es die Selbstorganisation der Arbeiterklasse hin zum revolutionären Proletariat vorantreibt. Eine der höchsten Formen dieser Selbstorganisation wurde im Rätesystem sichtbar: Hier verbindet sich noch im Rahmen des Kapitalismus der Kampf gegen Fabrikdespotismus und um Arbeiterkontrolle über die Produktion mit gesammtgesellschaftlicher Kooperation zum Ziel der Organisierung der Gesamtgesellschaft (d.h. die Selbstorganisation der Arbeitenden wächst über den unmittelbaren Produktionsprozeß hinaus zur Totalität von gesellschaftlichem Produktions- und Reproduktionsprozeß). Hierin hat sich also die materielle Basis für die Selbstorganisierung der Arbeit unter Beibehaltung des im Kapitalismus erreichten Vergesellschaftungsgrades herausgebildet. Wenn daher im Hintergrundpapier von D.D. formuliert wird, daß das Staatsmonopol über die industrielle Produktion auch durch die besten "rätedemokratischen Sicherungen" (S. 22) vor Degeneration angesichts des Fortbestehens einer kapitalistischen Umgebung nicht gesichert werden kann, so ist dies im besten Fall mißverständlich (da dies der einzige Bezug auf Rätedemokratie ist): Eine massenhafte, räteähnliche Selbstorganisation der Arbeiterklasse ist im Allgemeinen notwendige Bedingung für die Möglichkeit der Errichtung eines Staatsmonopols über die industrielle Produktion (daß planwirtschaftliche Strukturen in Osteuropa und der DDR unter der Bedingung der sowjetischen Militärdominanz ohne eine solche Basis zustande kommen konnten widerspricht nicht dieser Allgemeinheit, sondern zeigt nur die von Anfang an bestehende Degeneriertheit dieser Arbeiterstaaten). Daß die Diktatur des Proletariats nicht nur den Kampf gegen die kapitalistische Umgebung (im Äußeren und Inneren) bedeutet, sondern von Anfang an auch Umorganisierung der Arbeit, war auch Lenin klar: "Die Diktatur des Proletariats ist ... nicht bloß Gewalt gegenüber den Ausbeutern und sogar nicht einmal hauptsächlich Gewalt. Die ökonomische Grundlage dieser revolutionären Gewalt, die Gewähr für ihre Lebensfähigkeit und ihren Erfolg besteht darin, daß das Proletariat einen im Vergleich zum Kapitalismus höheren Typus der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit repräsentiert ... Die Organisation der gesellschaftlichen Arbeit in der Zeit der Leibeigenschaft beruhte auf der Disziplin des Stocks, bei äußerster Unwissenheit und Verschüchterung der Werktätigen, die von einer Handvoll Gutsbesitzern ausgeplündert und verhöhnt wurden. Die kapitalistische Organisation der gesellschaftlichen Arbeit beruhte auf der Disziplin des Hungers, und die übergroße Masse der Werktätigen blieb trotz allem Fortschritt der bürgerlichen Kultur und der bürgerlichen Demokratie selbst in den fortgeschrittensten, zivilisiertesten und demokratischten Republiken eine Masse von unwissenden und verschüchterten Lohnsklaven oder niedergedrückten Bauern, die von einer Handvoll Kapitalisten ausgeplündert und verhöhnt wurden. Die kommunistische Organisation der gesellschaftlichen Arbeit, zu der der Sozialismus der erste Schritt ist, beruht und wird beruhen auf der freien und bewußten Disziplin der Werktätigen selbst, die das Joch sowohl der Gutsbesitzer wie der Kapitalisten abgeschüttelt haben. Diese neue Disziplin fällt nicht vom Himmel und entsteht nicht aus frommen Wünschen, sie erwächst aus den materiellen Bedingungen der kapitalistischen Großproduktion und nur aus ihnen. Ohne diese Bedingungen ist sie unmöglich. Der Träger dieser materiellen Bedingungen aber, oder ihr Schrittmacher, ist eine bestimmte geschichtliche Klasse, die vom Großkapitalismus hervorgebracht, organisiert, zusammengeschlossen, geschult, aufgeklärt und gestählt worden ist. Diese Klasse ist das Proletariat" (LW 29, S. 408f.).

Es ist ein entscheidender methodischer Mangel der Thesen, daß die (räteähnliche) Selbstorganisation der Arbeiterklasse im Produktionsprozeß nicht als zentrale Bedingung für den Übergang zum Sozialismus benannt wird und als solche in die Eckpunkte des Programms aufgenommen wird. Es handelt sich dabei nicht um die Suche nach dem "revolutionären Subjekt", sondern gerade um die reale, objektive Bewegung zum Übergang, wie sie aus der tatsächlichen Bewegung der kapitalistischen Akkumulation hervorgeht. Nur diese Selbstorganisation der unmittelbaren Produzenten in dieser qualitativ neuen Form von universeller gesellschaftlicher Kooperation kann die kapitalistische Form der Vegesellschaftung von Arbeit so aufheben, daß eine gesellschaftlich planmäßige Verteilung der Arbeitszeit erreicht wird, die "die richtigen Proportionen der verschiedenen Arbeitsfunktionen zu den verschiedenen Bedürfnissen" regelt.

(4.)

Sind die meisten Punkte in den Thesen bzw. "Eckpunkten" eigentlich Beiträge zu Theorie und Geschichte des Übergangs zum Sozialismus, so gibt es wenigsten einen strategische Eckpunkt, d.h. Antwort auf die Frage der Zielsetzung konkreter revolutionärer Aktivität: "Ausnutzung der Demokratie zur Errichtung der revolutionären Diktatur einer Assoziation aller vom Produkt ihrer gemeinsamen Arbeit enteigneten, von ihrer Arbeit entfremdeten Individuen zum Zwecke despotischer Eingriffe in jene Ordnung des Eigentums ..." (S. 9).

Auch wenn hier offensichtlich die Diktatur des Proletariats als Zielsetzung revolutionärer Aktivität festgeschrieben wird, bleibt diese Zielsetzung letztlich vage und mehrdeutig. Nimmt man obige Formulierung zusammen mit den Bemerkungen über das Staatsmonopol, bei dem Räteorgane bloß als Schutzfunktionen vor übertriebener Bürokratisierung erwähnt werden, so ist dies auch offen für Kautskys Interpretation der "Diktatur des Proletariats": Immerhin meinte ja Kautsky (z.B. in "Die neue Taktik", NZ 30, 1912), daß der "moderne Kapitalismus" zu komplex vergesellschaftet sei als daß er noch von einem "Komune"-artigen Staat und einer entsprechenden Selbstorganisation der Arbeiterklasse vergesellschaftet werden könne. Statt dessen müsse der bestehende Staatsapparat von der Arbeiterpartei und ihren Funktionären übernommen werden und auf dieser Grundlage die Verstaatlichung der Produktionsmittel durchgeführt werden. Massenaktion und -gewalt sah er als notwendig, um die "reaktionären Kräfte" aus dem Staatsapparat zu entfernen. "Ausnutzung der Demokratie zur Errichtung der Diktatur des Proletariats" könnte fast ein wörtliches Zitat von Kautsky sein – auch wenn Kautskys Formulierungen meist nicht so rechts waren (er erwähnte immerhin die Notwendigkeit gewaltsamen Massenkampfes für die Erringung der Macht).

Ein kommunistisches Programm, das die Zielsetzung der Diktatur des Proletariats, bzw. der Errichtung eines Arbeiterstaats aufstellt, muß angesichts der strategischen Spaltungen der Arbeiterbewegung nach 1914 präziser fassen, was für eine Art Staat der "Arbeiterstaat" ist. In These 7 wird zwar richtig die von Anfang an gegebene Notwendigkeit des Absterbens dieses Staates abgeleitet; im Hintergrundpapier: "Jeder Staat, auch ein solcher, der von ‚der ungeheuren Mehrzahl im Interesse der ungeheuren Mehrzahl‘ regiert wird, setzt der Emanzipation Schranken, die diese früher oder später niederreißen und überschreiten muß, will sie sich selbst treu bleiben" (S. 22). In Folge wird jedoch nur dargelegt, wieso die Arbeiterklasse immer noch einen Staat braucht: "Staat und Klasse ist das seine eigene Arbeit organisierende Proletariat nur, insofern es noch in einer kapitalistischen Umgebung agieren muß; sei es, weil nennenswerte Zweige der inländischen Produktion... noch privat betrieben werden, daher die von dort an die staatliche Industrie sowie von dieser dorthin gelieferten Produkte noch die Warenform annehmen; sei es, weil es nicht autark wirtschaften kann ..." (S. 23). Diese richtige Darstellung des Zwangs zur staatlichen Form von Vergesellschaftung muß jedoch ergänzt werden um die Darstellung der spezifischen Form des Arbeiterstaats, der nicht mehr "Staat im eigentlichen Sinn" ist, bzw. von Anfang an im Prozeß des Absterbens ist. Hier verteidigte Lenin das Marx’sche Verständnis des "Komune"-artigen Staates gegen Kautsky: "(Marx Brief an Kugelmann von 1871:) ‚Wenn Du das letzte Kapitel meines ›Achtzehnten Brumaire‹ nachsiehst, wirst Du finden, daß ich als nächsten Versuch der französischen Revolution ausspreche, nicht mehr wie bisher die bürokratisch-militärische Maschinerie aus einer Hand in die andere zu übertragen, sondern sie zu zerbrechen (hervorgehoben von Marx) und dies ist die Vorbedingung jeder wirklichen Volksrevolution auf dem Kontinent. Dies ist auch der Versuch unserer heroischen Pariser Parteigenossen‘. In diesen Worten: ‚die bürokratisch-militärische Maschinerie zu zerbrechen‘ ist kurz ausgedrückt, die Hauptlehre des Marxismus von den Aufgaben des Proletariats in der Revolution gegenüber dem Staat enthalten. Und gerade diese Lehre ist nicht nur völlig vergessen, sondern durch die herrschende, kautskyanische ‚Auslegung‘ des Marxismus geradezu entstellt worden!" (LW 25, S. 427f.).

Die Errichtung des Arbeiterstaats setzt also die Zerschlagung des bestehenden bürgerlich-bürokratischen Staatsapparates voraus und seine Ersetzung durch eine völlig neue Form von Staat, dessen Hauptzweck die Umwälzung der Verhältnisse ist, aus denen er hervorgeht. Er kann daher nur von jener bereits besprochenen Selbstorganisation der Arbeiterklasse erkämpft und errichtet werden, die in der Großproduktion ihren Anfang nimmt und sich zu einem gesamtgesellschaftlichen Rätesystem ausweitet. In diesem System verschmelzen Ökonomie und Politik: Entscheidungen über die Organisation der Arbeit werden von denselben Gremien entschieden, wie Fragen des Rechts, der gesamtgesellschaftlichen Verwaltung, der äußeren Politik, etc.. In diesem Sinn wird zunächst die "Demokratie" entscheidend inhaltlich ausgeweitet: "Die zerschlagene Staatsmaschinerie wurde also von der Kommune scheinbar ‚nur‘ durch eine vollständigere Demokratie ersetzt: Beseitigung des stehenden Heeres, vollkommene Wählbarkeit und Absetzbarkeit aller Amtspersonen. In Wirklichkeit jedoch bedeutet dieses ‚nur‘, daß im riesigen Ausmaß die einen Institutionen durch Institutionen prinzipiell anderer Art ersetzt wurden. Hier ist gerade einer der Fälle des ‚Umschlagens von Quantität in Qualität‘ wahrzunehmen: Die mit dieser denkbar größten Vollständigkeit und Folgerichtigkeit durchgeführte Demokratie verwandelt sich aus der bürgerlichen Demokratie in die proletarische, aus dem Staat in etwas, das eigentlich kein Staat mehr ist" (LW 25, S. 432).

Das Programm der proletarischen Revolution beinhaltet also mindestens solche "Kleinigkeiten" wie Zerschlagung der bürgerlichen Armee- und Polizeiapparate, Abschafung von Berufbeamtentum, Abschaffung irgendwelcher Privilegien für "Amtsinhaber", deren jederzeitige Abwählbarkeit, ihre regelmäßige Ersetzbarkeit, etc.. Andererseits die allgemeine Bewaffnung der Arbeiterklasse unter Kommando der Räte, die damit sowohl Polizei- als auch Armeeführungsfunktionen übernehmen; die Rotation von Verwaltungsposten aus dem Kreis der Räte und unter seiner Kontrolle. etc.. Dies alles setzt offensichtlich bereits einen hohen Grad an revolutionärer Selbstorganisation des Proletariats voraus, wobei immer mehr Aktivisten in diese Organisierung integriert werden müssen, um diese "Demokratie" mehr und mehr auszuweiten. Je mehr die vom Kapitalismus übernommene Form der Vergesellschaftung von Arbeit, mit ihrer Konzentration von "Leitungs-", "Denk-" und "Gewalt"- Funktionen auf eine kleine Zahl abgesonderter Institutionen und Organe durch eine neue Form der gesellschaftlichen Arbeitsteilung ersetzt werden, desto mehr verlieren die Funktionen der Staatsmacht die Rolle der Regierung von Menschen und werden zu Funktionen der Verwaltung von Sachen.

Diese Entwicklung hin zum Absterben des Staates kann jedoch nicht erst mit der "Eliminierung der kapitalistischen Umgebung" beginnen, sie muß vielmehr mit der Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparates beginnen auch wenn dies zunächst nur in einem Land los geht. Dies mag "der Form nach" eine Revolution im nationalen Rahmen sein. Doch die Orientierung auf den internationalen Inhalt der proletarischen Revolution bedeutet nicht, daß die Form der Revolution im nationalen Rahmen zunächst nur ein Weitertreiben der Monopolisierungstendenzen des Kapitalismus im nationalen Rahmen sein kann. Die Aufhebung der vom Kapitalismus übernommenen Vergesellschaftungs- und Staatsformen muß bereits in der Revolution im nationalen Rahmen sichtbar werden, nur so kann es auch die Massen international erfassen und vorantreiben, genauso wie es den Übergang zum Sozialismus als Bewegung international auf eine höhere Stufe bringt. Schließlich kann sich diese gesellschaftliche Neuorganisierung im Land einer siegreichen Revolution nicht halten ohne zu degenerieren oder kassiert zu werden, wenn sich diese neue Stufe des Übergangs nicht zum internationalen Flächenbrand für die Kapitalbewegung ausweitet.

Die Notwendigkeit der Zerschlagung des bürgerlichen Staates, des Kampfes um die politische Macht im Staat, als Vorbedingung für die Erreichung dieser neuen Stufe des Übergangs zum Kommunismus, bedeutet, daß das Proletariat als revolutionäre Klasse nur siegreich sein kann, wenn es politische Partei (national wie international) wird. Die höchste Form der Selbstorganisation der Arbeiterklasse ist daher die politische Kampfpartei, die zwar auch aus der Organisation der Klasse im Produktionsprozeß erwächst (bzw. darin ihre Basis, Verankerung hat), aber die klare Vorstellung davon hat, daß der Klassenkampf des Proletariats als Kampf um die Diktatur des Proletariats und zur Eroberung der Staatsmacht geführt werden muß: "Die Kommunisten sind also praktisch der entschiedenste, immer weiter treibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder; sie haben theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus. Der nächste Zweck der Kommunisten ...: Bildung des Proletariats zur Klasse, Sturz der Bourgeoisieherrschaft, Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat." (MEW 4, S. 474). Es ist wichtig, daß für Marx hierbei die kommunistische Partei als TEIL der Arbeiterklasse und ihrer realen Bewegung zur Selbstorganisation verstanden wird, der entschiedenste, bewußsteste und internationalistischste Teil dieser Bewegung. Einerseits ist es für die Klasse unmöglich ohne diesen Teil ihre historische Bewegung zum Kommunismus auf die neue Stufe der Diktatur des Proletariats zu heben (Eroberung der politischen Macht), andererseits kann die Partei nur als Teil der realen Bewegung des sich selbst organisierenden Proletariats zu dessen Instrument für die Eroberung der Macht werden. Beides bedingt sich und ist letztlich die Einheit des revolutionären Proletariats, das seine historische Mission erfüllt.

Neben der Aufgabe der Zerschlagung des bürgerlichen Staates und seiner Ersetzung durch einen Rätestaat fehlt in den programatischen Eckpunkten daher auch die Notwendigkeit der Partei, und damit das zentrale Subjekt, der Akteur, der sich diese strategische Zielsetzung bewußt setzt und sie in der Klassenbeweung formuliert bzw. vorantreibt. Ohne diesen Akteur wird unklar, an wen sich eigentlich die programatischen Punkte richten, sie werden nicht mehr als eine Sammlung von Beiträgen zur Theorie des Übergangs zum Kommunismus. Dabei bleibt dann, wie die Formulierung von der "Ausnutzung der Demokratie zur Errichtung ..." zeigt, jede Menge Spielraum auch für opportunistische Auslegungen dessen, was "Revolutionäre" konkret an Politik betreiben, wenn sie sich an diesem "Programm" orientieren.

(5.)

Wenn man schon wenig strategische Antworten aus den Thesen bekommt, so sieht es mit der Frage, was heute zu tun ist, wie man sich heute zu was für Bewegungen in der Arbeiterklasse wie zu verhalten hätte, etc. noch magerer aus. In These 11 (Hintergrundpapier) lesen wir: "Es ist zwar wahr: Auch der Kampf um die Verkaufsbedingungen der Ware Arbeitskraft ist Klassenkampf. Das ist aber nicht so zu verstehen, als wenn jede Tarifauseinandersetzung, jeder Kampf einer Belegschaft gegen Entlassungen etc., unabhängig von allen sonstigen Umständen, bereits "Ausdruck" oder "Moment" der kämpfenden Klasse wäre. Umgekehrt. Wenn solche Kämpfe dies nicht sind bzw. sich nicht dahin entwickeln, bleiben sie zur Ohnmacht verdammt, die dann heute fast automatisch nach reaktionärer Kompensation verlangt: gegen ‚die Ausländer‘, die den deutschen Arbeiter Arbeit und Lohn kaputt machen" (S. 27).

Richtig ist natürlich, daß ein Kampf um ein einzelnes Thema nur dann Klassenkampf im eigentlichen Sinn ist, wenn er als Kampf der Gesamtklasse gegen die Gesamt-Bourgeoisie, letztlich als Kampf um die Macht geführt wird. Doch wenn DD formuliert "Wenn solche Kämpfe ... sich nicht dahin entwickeln, ..." – bleibt zu fragen, wie sollen sie sich eigentlich dahin entwickeln. Im Rest der These liest sich dies eher wie ein Ultimatum: Entweder ihr führt euren Kampf als Kampf um die Diktatur des Proletariats oder euer Kampf ist eigentlich im Kern rassistisch und faschistisch und wird daher von uns ignoriert. Marx richtete sich bei der Bildung der ersten Internationale vehement gegen den Ultimatismus der Proudhonisten gerade weil es ihm darum ging, aus den Lohnkämpfen und sonstigen gewerkschaftlichen Kämpfen tatsächliche Klassenkämpfe zu machen. Der Kampf um elementare Interessen des Proletariats wird nicht "von sich aus", irgendwie "automatisch" zum bewußten Kampf gegen die Gesamtbourgeoisie, sondern weil in diesen Kämpfen reale Personen auftreten, die diese Erkenntnis z.B. aus vergangenen Erfahrungen oder sonst wie in eine konkrete Kampfperspektive für den aktuellen Kampf ummünzen können. Das bedeutet nicht nur, daß Revolutionäre bestimmte Einzelkämpfe nicht ignorieren sollten und sie mit "dem großen Ganzen" verbinden müssen. Es bedeutet auch, die Erfahrungen und Erkenntnisse der an dem Kampf beteiligten zu befördern. Dies kann auch heißen, sich an dem Kampf zu beteiligen, obwohl die anderen die Notwendigkeit der Gesamtperspektive nicht sehen, sondern an die Möglichkeit von "Teilerfolgen" glauben. Gerade in einer Situation, in der zentrale Teilerfolge von Dauer immer unwahrscheinlicher werden, eröffnet dies Revolutionären, die tatsächlich die notwendigen Gesamtperspektiven in die Einzelkämpfe einbringen und diese nicht verbergen, die Möglichkeit, daß aus den Kampferfahrungen bei weiteren Schichten der Klasse die Einsicht in diese weiteren Perspektiven wächst.

Dies heißt nicht, wie in These 12 beschrieben, daß der "‚Kampf um Reformen‘ mit formelhaft abstrakter Reklame für eine darüber hinausgehende ‚Revolution‘" verbunden wird. Dies meint tatsächlich oft nur kritiklose Beteiligung an reformistischen Teilkämpfen einerseits zu betreiben, andererseits (und im Grunde losgelöst davon) abstrakte Propaganda für ein eben nicht mit diesen Kämpfen verbundenes "Endziel" zu betreiben. Hier wird in These 12 durchaus richtig gesagt, daß vielmehr aufzuzeigen ist, "daß die darin als ‚Reformen‘ unbestimmt halbherzig formulierten Ziele, so bescheiden sie in ihren einzelnen Anliegen nach sein mögen nur noch revolutionär zu verwirklichen sind" (S. 29). Allerdings ist es nicht nur die Aufgabe zu zeigen, daß sie nur revolutionär zu verwirklichen sind, sondern wie der revolutionäre Kampf um sie zu führen ist. D.h. es ist notwendig diese Teilkämpfe, wie z.B. die Frage der Arbeitszeitverkürzung, mit einer Kette von Kampfvorschlägen letztlich mit dem Kampf um die Macht zu verbinden (z.B. Arbeiterkontrolle – Arbeiterregierung – Kampf um Rätemacht).

Dabei ist zu sehen, daß der Klassenkampf sich wenn auch sprunghaft, so doch auch nur in verschiedenen Phasen zum wirklich revolutionären Klassenkampf entwickelt. Es ist natürlich ein abstrakter Unsinn zu behaupten, heute könnten in keinem Einzelkampf, der nicht "aufs Ganze geht", mehr zeitweise Erfolge erzielt werden. Sogar heute noch kann man dem Kapital hin und wieder "Teewasser" abringen. Das "Lohngesetz" in Bezug auf die Ware Arbeitskraft muß auch heute noch mittels gewerkschaftlicher Organisierung durchgesetzt werden. Letzteres ist aber, wie Engels bemerkte "auch das Höchstmaß dessen, was für die Trade-Unions, wie sie gegenwärtig organisiert sind, überhaupt erreichbar ist, und auch das nur unter ständigen Kämpfen, mit ungeheurem Verschleiß an Kraft und Geld; und dann machen die Konjunkturschwankungen ... das Errungene im Handumdrehen wieder zunichte, und der Kampf muß von neuem durchgefochten werden. Das ist ein verhängnisvoller Kreislauf, aus dem es kein Entrinnen gibt. Die Arbeiterklasse bleibt, was sie war ... – eine Klasse von Lohnsklaven. Soll dies das Endergebnis von soviel Arbeit, Selbstaufopferung und Leiden sein? ... Oder soll die Arbeiterklasse hierzulande nicht endlich versuchen, diesen verhängnisvollen Kreislauf zu durchbrechen und einen Ausweg aus ihm finden in einer Bewegung für die Abschaffung des Lohnsystems überhaupt?" (MEW 19, S. 257).

Wenn auch in zugespitzerer Form, so gibt es diesen Kreislauf von Teilerfolgen und Zurückwerfen auf frühere Ausgangspunkte natürlich heute genauso wie zu Engels Zeiten. Genauso stellt sich die Frage nach dem Weg des "Durchbrechens" des Kreislaufes:

In jeder dieser Kreisläufe muß es zum Entscheidungskampf unter den beteiligten Arbeitern kommen um die Befriedung und den Verrat durch das sich Bescheiden auf eine reformistische "Teilniederlage" oder um das Weitertreiben des Kampfes um Forderungen, die mit reformistischen Mitteln nicht mehr durchsetzbar sind. In jeder dieser Stufen muß von Revolutionären einerseits die Gesamtperspektive des Kampfes gegen das Lohnsystem klar vertreten werden, andererseits die Dynamik des jeweiligen Konflikts vorangetrieben werden, um eine immer größere Zahl von Akteuren in diesen Kämpfen mit der Erfahrung und der Erkenntnis von der Notwendigkeit dieser Gesamtperspektive zu überzeugen. Auch wenn dieses Vorantreiben an irgendeinem Punkt einmal Rückschläge oder gar doch Teilerfolge erleiden sollte, so ist doch entscheidend daß dabei die revolutionäre Selbstorganisierung des Proletariats voranschreitet ("Von Zeit zu Zeit siegen die Arbeiter, aber nur vorübergehend. Das eigentliche Resultat ihrer Kämpfe ist nicht der unmittelbare Erfolg, sondern die immer weiter um sich greifende Vereinigung der Arbeiter", MEW 4, S. 471).

Das Problem ist, daß die Thesen eine konkrete Perspektive für die Umwandlung aktueller Kämpfe in revolutionäre Klassenkämpfe nicht aufzeigen. Vielmehr wird zu den gegenwärtigen Kämpfen um neoliberale Angriffe auf Sozialstaatseinrichtungen bloß festgestellt, daß es sich nicht lohnt "Gespenster aus der Vergangenheit" zu verteidigen, daß der Sozialstaat heute sowieso zu einer reaktionären Utopie geworden ist, dieser also nicht wieder in alter Form wiederzuhaben ist, etc.. Auch wenn es stimmt, daß der alten Form von Klassenkompromiß und -frieden als solchem keine Träne nachzuweinen ist, heißt dies nicht, daß die Verteidigung bestimmter Reproduktionsbedingungen der Arbeitskraft (auch wenn sie nur für bestimmte Teile der Arbeiterklasse gelten) nicht Ausgangspunkt für weiterreichende Kämpfe werden können. Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung, zum Erhalt bestimmter Sozialleistungen wie der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, oder nach dem Erhalt von Flächentarifen können heute letztlich nur durch ihre Internationalisierung und mit Formen von Arbeiterkontrolle über die Produktion wirklich durchgesetzt werden und erfordern entsprechende Massenmobilisierungen. Die darin enthaltenen Forderungen nach einer gesellschaftlich geregelten Form, die jedem eine den Fähigkeiten und Bedürfnissen entsprechende Arbeit, eine gesicherte Existenz, Erhalt der Gesundheit, etc. ermöglicht ist jedoch nur durch eine gesellschaftlich geregelte Verteilung der Arbeitszeit gemäß den verschiedenen Bedürfnissen möglich. Arbeiterkontrolle muß daher in Arbeitereigentum umgewandelt werden – was eben den Kampf um die Macht voraussetzt.

Dies ist sicher nur eine holprige Andeutung, wie der Übergang von aktuellen Kämpfen zu revolutionären Kämpfen entwickelt werden kann. In unseren Publikationen (z.B. AM 49) finden sich ausführlichere Beispiele für solche Ansätze. Wir glauben auf jeden Fall, daß es durchaus möglich ist in die aktuellen Kämpfe um neoliberale Angriffe so einzugreifen, daß dabei keine reformistischen Illusionen in die Wiederkehr von goldenen Ketten geschürt werden, sondern daß diese Kämpfe von einer genügend großen Menge revolutionärer Kämpfer in tatsächliche Klassenkämpfe umgewandelt werden könnten. Gerade das Zusammenbrechen der alten Arbeiterbürokratien – sowohl der stalinistischen wie der sozialdemokratischen – ermöglicht eine neue Dynamik dieser Kämpfe und nach Jahrzehnten wieder die Möglichkeit für Revolutionäre überhaupt eine Rolle zu spielen in diesen Kämpfen. Leider gilt für die meisten "Revolutionäre" einerseits, daß sie selbst kräftig reformistische Illusionen schüren, oder daß sie sektiererisch abseits stehen und sich über die faschistoid-bornierten Arbeiter belustigen, die sowieso für längst verlorene "Privilegien" kämpfen.

(6.)

Was ist nun der organisatorische Zweck der Programmdebatte? Die Thesen formulieren dies als Aufruf an "alle revolutionären Sozialisten" gemeinsam das kommunistische Programm "vielleicht diesmal noch rechtzeitig neu unter sich zu klären, auszuarbeiten, zu beschließen; es in der Aktion zu vertreten und zu überprüfen; d.h. eine Grundlage für ihre revolutionäre Kooperation zu schaffen" (These 12).

Einerseits müßte einmal geklärt werden, wer denn "alle revolutionäre Sozialisten" sind? Auszugehen ist doch davon, daß es jetzt schon Jahrzehnte keine revolutionäre Partei mit kommunistischem Programm und nennenswertem Masseneinfluß gibt, daß von einer revolutionären Kontinuität in diesem Sinn nicht gesprochen werden kann. Daß es sich bei dem jetzigen Ansatz nur um einen radikalen Neuanfang handeln kann, wenn auch einen der an die Geschichte der vergangenen kommunistischen Bewegung und ihres Scheiterns anknüpft. Dies kann doch nicht bedeuten – und dieser Eindruck entsteht vor allem in dem Totengräber-Artikel in der Übergängenummer –, daß durch ein "In-Diskussion-" oder "In-Kooperation-bringen" in besagter Programmdebatte aller möglicher sich revolutionär verstehender Zirkel, Strömungen, Einzelpersonen gerade diese imaginäre Kontinuität sozusagen aus der Zersplitterung wieder "zusammengesetzt" werden soll. Einerseits wird es sich erst in der Programmdiskussion selber und in der gemeinsamen Aktion erweisen, ob es sich hier um mehr als bloß dem Anspruch nach "Revolutionäre" handelt. Andererseits kann nicht auf alle nur möglichen, möglicherweise "revolutionären" Elemente gewartet werden, bzw. mit ihnen die Diskussion geführt werden, bis auch sie sich irgendwie "eingebracht" haben, etc..

Die Programmdebatte kann kein Selbstzweck sein, genausowenig wie sie für eine reale kommunistische Bewegung je abgeschlossen ist, vor dem tatsächlichen Übergang zum Kommunismus. Das Programm ist die für eine bestimmte Periode vom "bewußtesten Teil der Klasse" formulierte momentane Gesamtperspektive für den Kampf um die Macht und um proletarisches Eigentum. Es ist daher eine lebende Einheit von Perspektive, Theorie, Strategie und Taktik, die die aktuellen Kämpfe der Klasse mit der Bewegung hin zum Übergang zum Kommunismus in Zusammenhang setzt. D.h. es muß sich mit den tatsächlichen Kämpfen der Klasse entwickeln, so wie es umgekehrt nur durch diese Kämpfe "Fleisch" bekommt. So notwendig von Beginn an die Genauigkeit in Sachen des Programms ist, so illusorisch ist es daher ebenso zu glauben eine letztendlich "abgeschlossene" Programmdebatte könne der realen Bewegung vorausgehen. Richtigerweise muß mit Programmdebatte begonnen werden, da nur dies gewährleistet, daß in den Aktionen, Teilkämpfen, etc. tatsächlich die Gesamtperspektive vertreten werden kann, zu derenthalben diese Kämpfe zu führen sind. Aber diese Debatte muß so geführt werden, daß in absehbarer Zeit wirklich gemeinsame Kämpfe auf der Grundlage dieser Klärungen geführt werden.

D.h. es muß möglichst rasch geklärt werden, ob die Differenzen der verschiedenen Teilnehmer an der Debatte wirklich so gelöst werden können, daß eine gemeinsame kommunistische Organisation entstehen kann, die mit einem kommunistischen Programm in der Klasse Kämpfe führt. Ist dies mit gewissen "revolutionären Sozialisten" nicht möglich – oder zumindest nicht in Jahresfrist möglich – so sollte man nicht versuchen mit ihnen krampfhaft weiter in Kooperation zu bleiben – also akzeptieren, daß sie de facto eine andere Organisation sind. Geht man so nicht vor, so kann das Ganze kein ernsthafter Versuch sein eine revolutionäre Organisierung in der Klasse voranzutreiben, sondern ist notgedrungen ein Sammeln linker Debattierklubs. Daß es schon genug "kleine Organisationen" mit revolutionärem Anspruch gibt, heißt nicht, daß ein Neuanfang nicht auch wieder zunächst zu einer solchen kleinen Organisation führt. Das Problem ist nicht die Phase der "kleinen Organisation" (oder gar deren grundlegendes "Sektierertum"), sondern daß die meisten dieser bestehenden Organisationen eben den Anprüchen einer revolutionären Organisation nicht gerecht werden. Ab einem gewissen Grad an Festgefahrenheit in den methodischen Fehlern, die diese Gruppen in ihrer Ungenügendheit festfahren lassen, werden sie selbst zum Hindernis für den Aufbau einer revolutionären Organisation. Die Lebenden können die Toten ruhig ihre Toten selbst begraben lassen. Es ist nicht notwendig alle möglichen linken Gespenster beim kommunistischen Neuaufbau dabei haben zu wollen.


Wer wir sind

Die Gruppe Arbeitermacht ist eine revolutionäre Organisation, deren Ziel der Aufbau einer Kampfpartei der Arbeiterklasse ist. Sie ist die deutsche Sektion der Liga für eine revolutionäre kommunistische Internationale (LRKI), auf deren Programm sie steht.

Wir verstehen uns als Kommunisten in der Tradition von Marx, Engels, Lenin und Trotzki. Unserer internationalen Organisation gehören weiter an: Pouvoir Ouvrier (Frankreich), Workers Power (Britanien), Irish Workers Group (Irland), ArbeiterInnenStandpunkt (Österreich), Workers Power (Neuseeland Aotearoa), Arbeitermakt (Schweden) und Workers Power (Australien).

Unser grundlegendes Ziel ist der Aufbau einer klassenlosen Gesellschaft. Dies kann weder durch eine Reformierung des Kapitalismus noch durch eine bürokratische Diktatur erfolgen, sondern nur auf der Basis einer lebendigen Arbeiterdemokratie, die sich auf Räten gründet, erreicht werden. Nur so können Produktion und Entwicklung der Gesellschaft im Interesse der Produzenten und Konsumenten letztlich auch im internationalen Maßstab geplant werden. Um das erreichen zu können, ist der gewaltsame Sturz der Bourgeoisie und der bürokratischen Schmarotzer in den verbliebenen Ländern des "realen Sozialismus" notwendig: ist die Machtergreifung durch die Arbeiterklasse im Interesse aller Ausgebeuteten und Unterdrückten der Welt nötig. Wir unterstützen alle Kämpfe der Werktätigen, der Frauen und diskriminierten Minderheiten, der Immigranten für ihre Interessen und gegen jede Form von Unterdrückung: wir unterstützen jeden Widerstand in der halbkolonialen Welt gegen den Imperialismus.

Für einen erfolgreichen Kampf ist jedoch das Vorhandensein einer internationalen Führung von größter Bedeutung. Der Kampf für die Überwindung der historischen Führungskrise des Proletariats und den Neuaufbau einer revolutionären Internationale ist nach dem Debakel des Stalinismus und der tiefen Krise der Linken in eine neue Phase eingetreten. Unsere Liga wirkt auf der Basis ihres trotzkistischen Manifestes, dem neuerarbeiteten Übergangsprogramm für die internationale proletarische Revolution, bei der Lösung dieser Aufgabe mit. Diejenigen, die die Niederlage des Stalinismus nicht für das Fiasko des Marxismus halten; diejenigen, die nicht vor der scheinbaren Allmacht des Kapitalismus in die Knie gehen, rufen wir zur Mitarbeit auf. Diskutiert mit uns! Unterstützt uns! Tretet der Arbeitermacht bei!

Kontaktadresse
Gruppe Arbeitermacht
PF 146, 13091 Berlin
PLK 039964, 28195 Bremen

 

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