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Heute ist der 30.12.1999

Arbeit und Produktivität

Der Fleiß der andern


Inhalt:

Arbeit und Nicht-Arbeit, Tätigkeit und Erwerbstätigkeit

Arbeit und Lebenstätigkeit

Wert und Nützlichkeit, Tauschwert und Gebrauchswert

Der notwendig ungenügende Lohn: Der Wirtschaft wird ihr Volk zu teuer.

Reichtum und Armut, überfluss und Mangel

Stoffliche Produktivität und Kapitalproduktivität

Produktiver und unproduktiver Erwerb

ANMERKUNGEN


Arbeit und Nicht-Arbeit, Tätigkeit und Erwerbstätigkeit

Umgangssprachlich bezeichnet man eine Tätigkeit als Arbeit, wenn sie keine Freude, sondern Mühe bereitet. Daher ist nach einer süddeutschen Redensart „das Schaffen eine Arbeit“, obwohl bekanntlich nicht jeder, der sich abmüht, arbeitet, und andererseits auch längst nicht jeder, der arbeitet, sich damit abmüht.[1] Auch ist keineswegs „jede planmäßige, zielgerichtete Tätigkeit zur Befriedigung eines Bedürfnisses, bei der geistige oder körperliche Kräfte eingesetzt werden“ (nach „Meyers Grosses Universallexikon“) Arbeit.

Es ist also menschliche Tätigkeit überhaupt zu trennen von der Sorte Tätigkeit, die der Arbeitslose los ist.[2] Es gibt Menschen, die nicht arbeiten; untätige Menschen gibt es nicht – nur wer tot ist, tut nichts.

Die spezifisch menschliche Lebenstätigkeit unterscheidet sich von der aller anderen Tiere dadurch, daß – und in dem Maße, wie – der Mensch in der Lage ist, seine Lebensbedingungen selbst herzustellen, „sein Leben selbst zu produzieren“: Ein Tier geht ein, wenn es seine Lebensbedingungen nicht mehr in der Natur vorfindet, der Mensch kann Feuer machen, Tiere und Pflanzen züchten oder Nahrungsmittel konservieren. Nur aufgrund dieser Fähigkeit konnte er alle Klimazonen der Erde besetzen, obwohl er von seiner sonstigen körperlichen Beschaffenheit her eigentlich nur in wenigen tropischen Gebieten leben könnte. Alles, was den Menschen sonst noch vom Tier unterscheidet, ist eine Konsequenz der Fähigkeit, sich seine Lebensbedingungen selbst schaffen zu können. Diese Fähigkeit ist auch Voraussetzung dafür, daß Arbeit überhaupt stattfinden kann, doch war und ist andererseits die Produktion des eigenen Lebens nicht immer Arbeit.

Arbeit ist Tätigkeit für Geld, deren Resultat zum Verkauf bestimmt, eine Ware ist. Wo die Ware nicht in einem („materiellen“) Gegenstand besteht, sondern etwa in Ordnung, Sicherheit, Sauberkeit oder dem ästhetischen oder sonstigen Genuß eines zahlenden Kunden, spricht man üblicherweise von Dienstleistungen.[3]

Alle Tätigkeiten, die nicht für Geld stattfinden, also keine Ware produzieren, sind keine Arbeit. Eine Prostituierte arbeitet, eine Hausfrau arbeitet nicht, denn sie verkauft weder ihre Dienste noch ihre Arbeitskraft, obwohl alle ihre Dienste für sich genommen auch Gegenstand von Erwerbstätigkeit sein könnten. Damit ist nicht gesagt, daß ihre Tätigkeit keine Bedeutung und schon gar nicht, daß sie keine wirtschaftliche Bedeutung hat.

Nicht-Arbeit, also Tätigkeit außerhalb der Erwerbstätigkeit, unterscheidet sich von dieser nicht notwendigerweise dadurch, daß sie unwichtiger, angenehmer oder weniger mühsam ist; sie kann ebenso wie Arbeit ein Produkt hervorbringen, das „irgendein menschliches Bedürfnis, sei es des Magens oder der Phantasie“ (nicht notwendigerweise des Produzenten selbst) befriedigt, doch ist ihr Produkt nichts anderes als eben ein zu irgend etwas nützliches Ding. Fertigt jemand zu seinem Spaß oder aus Notwendigkeit für sich und die Seinen einen Tisch an, ist Zweck und Resultat seines Tuns nichts als ein Tisch; wenn das gute Stück fertig ist, wird es aufgestellt und benutzt. Wenn jemand dagegen Tische herstellt, um sie zu verkaufen, führt er zwar die gleichen Arbeitsgänge durch und benutzt das gleiche Material, doch ist der Zweck seines Tuns kein Tisch, sondern der Erwerb (mindestens) seines Lebensunterhalts oder die Mehrung seines Vermögens; die Tische sind nur ein Mittel dazu: genausogut hätten es Schokoladenpudding, Mineraldünger oder Autoreifen sein können.

Allerdings kann Arbeit nur ein Dienst werden, den ein anderer mir erweisen oder eine Tätigkeit, die ein anderer für mich verrichten kann.[4] Deshalb können sexuelle Betätigungen Arbeit sein, das Essen jedoch nicht, selbst wenn der Esser ins Schwitzen kommen sollte.

Das häusliche Geschirrspülen ist für die meisten weder Arbeit noch Hobby. Wir „müssen“, sofern es niemand für uns tut, ebenso kochen oder abspülen, wie wir arbeiten „müssen“. Es sind dies aber zweierlei Notwendigkeiten: Die erstere ergibt sich aus der Sache selbst, die Spülerei mag so lästig sein wie sie will, ihr Zweck und Resultat ist eben das saubere Geschirr, nichts anderes. Die Notwendigkeit der Arbeit hingegen – beispielsweise als Küchenhilfe in einem Restaurant Teller zu spülen – ergibt sich nicht aus der Sache selbst, sondern aus einer bestimmten sozialen Lage: das Ziel des Geschirrspülens ist hier nicht das saubere Geschirr, sondern der Lebensunterhalt der Spülerin.

Das Produkt der Arbeit ist niemals für den Produzenten selbst bestimmt, sondern muß verkauft, „veräußert“ werden. Wenn dem Arbeitenden „die Erhaltung seiner individuellen Existenz als Zweck seiner Tätigkeit erscheint und sein wirkliches Tun ihm nur als Mittel gilt“, er also „sein Leben be-tätigt, um Lebensmittel zu erwerben“ (Karl Marx, Historisch-ökonomische Studien [“Pariser Hefte“], Exzerpte aus James Mill, Élémens d’économie politique, in: MEGA IV, 2, S.455), ist die Erwerbstätigkeit (also nicht nur die Lohnarbeit) nicht seine Selbsttätigkeit, sondern „Verlust seiner selbst, Aufopferung seines Lebens“. „Der Arbeiter fühlt sich (...) erst außer der Arbeit bei sich und in der Arbeit außer sich. Zu Hause ist er, wenn er nicht arbeitet, und wenn er arbeitet, ist er nicht zu Haus. Seine Arbeit ist daher nicht freiwillig, sondern gezwungen, Zwangsarbeit. Sie ist nicht die Befriedigung eines Bedürfnisses, sondern ein Mittel, um Bedürfnisse außer ihr zu befriedigen. Ihre Fremdheit tritt darin rein hervor, daß, sobald kein physischer oder sonstiger Zwang existiert, die Arbeit als eine Pest geflohen wird.“ (Karl Marx, ökonomisch-philosophische Manuskripte, 1844, MEGA I, 2, S. 367/ Hervorhebung von mir.)[5]

Arbeit ist Tätigkeit der Entfremdung. Entfremdung ist keineswegs nur „Bestimmung der Lohnarbeit im Kapitalismus“, sondern der Arbeit (Erwerbstätigkeit) überhaupt,[6] unabhängig davon, ob jemand gerne oder ungerne seine Arbeit macht, ob er viel oder wenig verdient, auch unabhängig von der Stellung in der Produktion.

Die allermeisten verdienen mit Arbeit ihren Lebensunterhalt, aber nicht alle. Manche verdienen mehr. Natürlich ist auch deren Arbeit Tätigkeit der Entfremdung ebenso wie jede beliebige Massenarbeit. Auch diese Leute arbeiten nur fürs Geld, und zwar für ihr eigenes; ihre Arbeit besteht aber (und zwar auch in dem Maße, wie sie mehr verdienen), im Disponieren über die Arbeit anderer, d.h. in der Arbeit anderer. Sie können aus der Entfremdung ihren geldwerten Vorteil und ihre soziale Stellung beziehen.

Die Ware der massenhaften „Arbeitnehmer“ ist, gleichgültig welchem „Beruf“ sie nachgehen, immer dieselbe: ihre Arbeitskraft. Ein Lohnarbeiter ist eigentlich nicht Produzent, sondern Mittel der Produktion, Bestandteil des Kapitals, „Humankapital“ eben.[7] Die einzige Ware, die der „unmittelbare Produzent“ unmittelbar produziert, ist er selbst.

Jeder Produzent, gleich ob es sich dabei um eine natürliche oder juristische Person handelt, produziert eine Ware, die er einem Konsumenten (Verbraucher) verkauft.[8] (Wo Produzent und Konsument einander nicht direkt gegenüberstehen, vermittelt zwischen ihnen der Handel, der gegenüber dem Produzenten den Konsumenten und gegenüber dem Konsumenten den Produzenten vertritt.)
Für den Produzenten allgemein hat das Produkt mit dem gelungenen Verkauf seinen Zweck erfüllt, die Qualität seines Produkts interessiert ihn nur insofern, als sie hinreichen muß, möglichst vielen Käufern das Geld aus der Tasche zu locken; der Käufer (Konsument) auf der anderen Seite interessiert sich seinerseits zwar sehr für den Gebrauchswert der Ware, aber nicht für die Umstände ihrer Produktion.
Für den Verkauf der Arbeitskraft gilt dasselbe wie für jede andere Ware. Als Produzent von Arbeitskraft ist der Lohnabhängige wie jeder andere Produzent nur am Tauschwert seiner Ware interessiert, das heißt an seinem Lohn, und nicht an deren Gebrauchswert, das heißt seiner Arbeit. Er wird also bemüht sein, mit dem geringstmöglichen Aufwand an Zeit und Mühe den größtmöglichen Ertrag zu erzielen, das heißt für ihn so wenig als möglich zu arbeiten. Am Gebrauchswert der dem Unternehmer produzierten Ware, „an dem Scheißdreck, den er machen muß, (...) ist der (..) Arbeiter grade ebenso interessiert (...) wie der Kapitalist selber, der ihn (sc. den Arbeiter) anwendet, und der auch den Teufel nach dem Plunder fragt.“ (Marx, Grundrisse der Kritik der politischen ökonomie, S. 184) Im Gegensatz zum Lohnarbeiter hat der Unternehmer aber ein unmittelbares Interesse am Gebrauchswert der gekauften Arbeitskraft, der eben darin besteht Profit zu produzieren.

Wenn die Lohnarbeitenden nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten Aufwand und Ertrag beurteilen würden, müßten die meisten die Lohnarbeit einstellen. Im Unterschied zu den Produzenten anderer Waren und zum Glück für die Volkswirtschaft können sie sich eine solche Kalkulation aber nicht leisten: Sie sind nicht nur Lohnarbeitende, sondern auch Lohnabhängige.

Die modische „Arbeitskritik“, die Arbeit als Tätigkeit und nicht als Entfremdung und Veräußerung dieser Tätigkeit versteht, muß die Negation der Arbeit für Nichtstun, Faulenzen oder, was dasselbe ist, zweckfreies und sinnloses Tun („Muße“ oder „Müßiggang“) halten. Sie phantasiert über „Arbeit und Freizeit“ oder „Faulheit und Fleiß“, ohne deren Identität wahrzunehmen. Sie fällt damit hinter Marx oder Moses Hess zurück, für die Arbeit und Freizeit, Fleiß und Faulheit bereits zwei Seiten derselben Entfremdung darstellten. Auch die immer wieder nachgedruckte Satire des Mitbegründers der französischen Sozialdemokratie Paul Lafargue, „Le droit à la paresse“ („Das Recht auf Faulheit oder Widerlegung des 'Rechts auf Arbeit' von 1848“[9] (1883) fordert gerade nicht die Abschaffung der Arbeit, das heißt die Aufhebung der Entfremdung, sondern nur eine radikale Arbeitszeitverkürzung. Aber auch wenn niemand „mehr als drei Stunden pro Tag“ arbeiten müßte, bliebe die Spaltung des Lebens bestehen.
Freilich erspart die Gleichsetzung von Arbeit (Entfremdung der Tätigkeit) mit Tätigkeit nicht nur geistige Anstrengungen, sondern dem „allgemeinen Interesse“ aller an der produktiven Arbeit anderer Interessierten auch bares Geld. Denn Nützliches gibt es unbestreitbar immer genug zu tun, und in Wirtschaftskrisen sogar besonders viel – also kann es auch keine Arbeitslosigkeit geben. Jedenfalls keine, die öffentlich zu finanzieren wäre.

Arbeit und Lebenstätigkeit

Marx bezeichnet den Menschen als „Resultat seiner eigenen Arbeit“, wobei er unter Arbeit jedoch nicht nur die Erwerbstätigkeit, sondern die gesamte „Lebenstätigkeit“ oder „Betätigung der Lebenskräfte“ des Menschen versteht. Erwerbstätigkeit, „Arbeit im nationalökonomischen Zustand“, ist nur eine historisch entstandene Abspaltung von jener Lebenstätigkeit.

(Erwerbs-)ARBEIT ARBEIT als Lebensbetätigung
abstrakt konkret
Mittel, um Bedürfnisse außer ihr zu befriedigen Befriedigung eines Bedürfnisses
Veräußerung des Lebens Lebensäußerung
Zwang freie Tätigkeit
Aufopferung des Lebens Selbsttätigkeit
Entfremdung Selbstverwirklichung
„äußerlich zufällige Not“ „Innere notwendige Not“

Die Arbeit ist „Tätigkeit der Entfremdung“ wie das Eigentum „Zustand der Entfremdung“ ist. Die Abstraktheit ist ihr nicht äußerlich („die Form der Lohnarbeit“), keine „Hülle“, die „gesprengt“ werden könnte, wie die kritisch-theoretischen Gewalttäter sich gerne ausdrücken, sondern ihr Wesen.

Marx spricht von „Abschaffung der Arbeit“, davon, daß „die kommunistische Revolution sich gegen die bisherige Art der Tätigkeit richtet, die Arbeit beseitigt“ (Deutsche Ideologie, MEW Bd. 3, S. 70) und „die Proletarier ihre eigene bisherige Existenzbedingung, die zugleich die der ganzen bisherigen Gesellschaft ist, die Arbeit, aufheben müssen.“ (ebd., S. 77) Mit Arbeit ist hier Erwerbsarbeit, speziell Lohnarbeit gemeint, denn nur diese läßt sich beseitigen oder aufheben.

Im Widerspruch dazu steht, wenn Marx in seinem späteren Werk die Arbeit als ewige Naturbeziehung und „Stoffwechsel mit der Natur“ bezeichnet und Friedrich Engels in der Schrift „Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen“ die besagte Menschwerdung gleich mit der Arbeit beginnen läßt, ohne daß von Eigentum oder Tausch die Rede wäre. „(Die Arbeit ist) die erste Grundbedingung alles menschlichen Lebens, und zwar in einem solchen Grad, daß wir in gewissem Sinn sagen müssen: sie hat den Menschen selbst geschaffen.“ (Engels, Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen, S. 9) Erwerbs- bzw. Lohnarbeit ist hier nicht mehr Entfremdung der (dem Menschen natürlichen) Tätigkeit, sondern diese Tätigkeit selbst. Dies ist die Grundlage des „Doppelcharakters der Ware und der Arbeit“. Im „Kapital“ spricht Marx von der „zwieschlächtigen Natur der in der Ware enthaltenen Arbeit“: „Alle Arbeit ist einerseits Verausgabung menschlicher Arbeitskraft im physiologischen Sinn, und in dieser Eigenschaft gleicher menschlicher oder abstrakt menschlicher Arbeit bildet sie den Warenwert. Alle Arbeit ist andererseits Verausgabung menschlicher Arbeitskraft in besonderer, zweckbestimmter Form, und in dieser Eigenschaft konkreter, nützlicher Arbeit produziert sie Gebrauchswerte.“ (Kapital, Bd. I, S. 28) Die Ware ist nicht Wert, sondern einerseits Wertgegenstand, andererseits Gebrauchswert; die Arbeit ist nicht abstrakt, sondern einerseits abstrakt–menschlich, andererseits konkret–nützlich. Abstrakte Arbeit, „Verausgabung menschlicher Arbeitskraft im physiologischen Sinn“ ist nicht Gegensatz, sondern Oberbegriff von „Verausgabung menschlicher Arbeitskraft in besonderer, zweckgebundener Form” (konkrete Arbeit), so wie ein Baum einerseits „Baum” ist, andererseits aber Buche, Fagus silvatica pendula, Eiche, Quercus pedunculata fastigiata oder Weide, Salix caprea. Abstrakte Arbeit ist in dieser Darstellung nicht Entfremdung der menschlichen Tätigkeit, sondern Abstraktion der konkret–nützlichen Arbeit.[10]

Durch die Automatisierung und Rationalisierung, die „Verwissenschaftlichung der Produktion“ werde, so Marx, beständig die Mehrarbeit erhöht und in immer kürzerer Zeit immer mehr Nützliches und Notwendiges (Gebrauchswerte) produziert. Es entstehe ein „ungeheures Mißverhältnis zwischen der angewandten Arbeitszeit und ihrem Produkt.“ (Grundrisse, S. 592) Dadurch arbeite das Kapital „beständig an seiner eigenen Auflösung“, die Arbeit nehme beständig ab, die „Freizeit“ (Nicht-Arbeit) beständig zu. Der Mensch werde in Zukunft nur noch Maschinen „bewachen und regulieren“, statt selbst die „Maschine“ zu sein. „Es ist nicht mehr der Arbeiter, der den modifizierten Naturgegenstand zwischen das Objekt und sich einschiebt, sondern den Naturprozeß, den er in einen industriellen umwandelt, schiebt er als Mittel zwischen sich und die unorganische Natur, deren er sich bemeistert. Er tritt neben den Produktionsprozess, statt sein Hauptagent zu sein.“[11] (Grundrisse, S. 592) Damit höre die Arbeit „in unmittelbarer Form“ auf, die „Quelle des Reichtums“ zu sein. „Die freie Zeit (disposable time) wird Maßstab des Reichtums einer Gesellschaft.“ (ebd., S. 599) „Die freie Entwicklung der Individualitäten, und daher nicht das Reduzieren der notwendigen Arbeitszeit um Surplus zu setzen, sondern überhaupt die Reduktion der notwendigen Arbeit der Gesellschaft zu einem Minimum, der dann die künstlerische, wissenschaftliche etc. Ausbildung der Individuen durch die für sie alle freigewordene Zeit und geschaffnen Mittel entspricht.“ (ebd., S. 592) Wovon aber ist die „freie Zeit“ frei? Von Arbeit. Gleich wie groß der Anteil der „freien Zeit“ sein mag, solange die Arbeitszeit nicht gleich Null ist (was Marx ohnehin ausschließt), bleibt die Spaltung des Lebens bestehen; die „freie Entwicklung der Individualitäten“ steht damit aber immer noch im Gegensatz zur Produktion.

„Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt wird, aufhört; es liegt also der Natur der Sache nach jenseits der Sphäre der Produktion. (...) Die Verkürzung des Arbeitstags ist die Grundbedingung.“ (Kapital, Bd. III, S. 765 f) Obwohl Marx die Gegensätzlichkeit der Produktion überwinden möchte, beharrt er auf dem Gegensatz zwischen notwendiger Arbeit und nicht von der Notwendigkeit bestimmten vorzugsweise „höheren Tätigkeiten“, Wissenschaft und Kunst. Der Notwendigkeit stellt Marx die Freiheit entgegen, dem Müssen das Wollen. Die Trennung zwischen Notwendigkeit und Freiheit, Müssen und Wollen, „Arbeit und Genuß“ (Moses Hess)[12] wird somit nicht überwunden.

Bleibt diese Spaltung des Lebens jedoch aufrechterhalten, ist nicht zu verstehen, wieso „die unmittelbare Arbeitszeit selbst nicht mehr in dem abstrakten Gegensatz zu der freien Zeit“ (ebd., S.599) stehen, warum der „Fortschritt der Produktivkräfte“ oder die Verwissenschaftlichung der Produktion (Rationalisierung und Automatisierung) plötzlich nicht mehr dem Erwirtschaften von Profiten, sondern dem Gewinn von freier Zeit dienen sollte. Statt „die Menschen zu nehmen wie sie sind und die Verhältnisse wie sie sein sollten“ muß Marx daher im Widerspruch zu seinen eigenen Voraussetzungen einen „besseren Menschen“ einführen. „Die freie Zeit – die sowohl Mußezeit als auch Zeit für höhere Tätigkeit ist – hat ihren Besitzer natürlich in ein anderes Subjekt verwandelt und als dieses andere Subjekt tritt er dann auch in den unmittelbaren Produktionsprozess.“ (ebd., S. 599) Wenn sich die Verhältnisse nicht ändern lassen, muß sich „der Mensch“ ändern.

Die beständig stattfindende Verwissenschaftlichung der Produktion (Rationalisierung und Automatisierung) führt auf längere Sicht nicht notwendigerweise zu einer Verminderung der kapitalproduktiven Arbeit. Auch nicht unbedingt zu einer allgemeinen Senkung der Arbeitszeit. Seit den Zeiten von Marx ist die Anzahl der lohnabhängigen kapitalproduktiven Arbeiter gerade in den hochindustrialisierten Ländern gestiegen, nicht im selben Maße wie die Bevölkerung im allgemeinen, sondern über diesem Maße, beispielsweise durch die Einbeziehung von Frauen und bisher nicht verwertbaren Menschen, auch wenn die Arbeitszeiten der Einzelnen in den Industriestaaten kürzer geworden sind.[13] Millionen Arbeitslose weisen eben gerade nicht darauf hin, „daß der Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausgeht“, sondern nur darauf, daß sie lohnabhängig sind.

Der Marxismus beseitigte diese Widersprüchlichkeit seiner „Klassiker“, indem er wie die „bürgerliche“ Volkswirtschaftslehre [14] unfreie und entfremdete Tätigkeit mit menschlicher Tätigkeit überhaupt gleichsetzte. Wenn Arbeit „Tätigkeit zur Befriedigung von Bedürfnissen“ ist, Herstellung von Gebrauchswerten, dann ist sie in der Tat eine Naturnotwendigkeit.

„Mit der Herstellung von Werkzeugen beginnt die Arbeit.“ (Akademie der Wissenschaften der UdSSR, Lehrbuch Politische ökonomie, dt. Düsseldorf 1955, S. 19) Und nicht mit dem Eigentum, wie ja von Marx und Engels ursprünglich auch behauptet wurde. Durch die Arbeit verwandelten sich die vorderen Gliedmaßen des menschenähnlichen Affen in die Hände des Menschen.“ (ebd., S.19) Durch die Arbeit sonderten sich die Menschen aus der Tierwelt ab und es entstand die menschliche Gesellschaft.“ (S. 31) Man muß zugeben: Da kann sich einer, der nicht arbeiten will, kaum beschweren, daß man ihn nicht als Menschen behandelt.

„Um zu leben, müssen die Menschen Nahrung, Kleidung und andere materielle Güter haben. Um diese Güter zu haben, müssen die Menschen produzieren, müssen sie arbeiten. Arbeit ist die zweckmäßige Tätigkeit des Menschen, in deren Prozess er Naturstoffe zur Befriedigung seiner Bedürfnisse verändert und diesen anpasst. Die Arbeit ist eine Naturnotwendigkeit, ist die unerlässliche Existenzbedingung des Menschen. Ohne Arbeit wäre das menschliche Leben selbst unmöglich.“ (ebd., S. 7) Wäre die Arbeit tatsächlich eine Naturnotwendigkeit und unerlässliche Existenzbedingung des Menschen, dann wäre der Mensch tatsächlich eine einzigartige Fehlkonstruktion der Natur, nämlich das einzige Lebewesen, das seine eigene Existenz als Unfreiheit und Mühe empfindet.

Wert und Nützlichkeit, Tauschwert und Gebrauchswert

„Es ist zu beachten, daß das Wort Wert zwei verschiedene Bedeutungen besitzt. Es drückt manchmal die Nützlichkeit eines bestimmten Gegenstandes aus und manchmal die durch den Besitz des Gegenstandes verliehene Fähigkeit, andere Waren zu kaufen. Das eine kann man Gebrauchswert, das andere Tauschwert nennen.“ (Adam Smith, Der Wohlstand der Nationen, S. 27)

Der Gebrauchswert einer Sache ist kein Wert, sondern ihre konkrete Nützlichkeit. Also nicht der wahre, richtige, natürliche etc. Wert eines Dings im Gegensatz zum falschen, überhöhten, fiktiven etc. Tauschwert, sondern überhaupt kein Wert, das heißt nichts, das sich in Mark oder Dollar ausdrücken ließe. Eine Sache ist Gebrauchswert, wenn ein Mensch sie gebrauchen kann. Sie kann auch Gebrauchswert sein, ohne Wert zu haben.

„Die Gegenstände, die den größten Gebrauchswert haben, besitzen häufig einen geringen oder gar keinen Tauschwert, während andererseits diejenigen, die den größten Tauschwert haben, oft einen geringen oder keinen Gebrauchswert besitzen. Nichts ist nützlicher als Wasser, aber man kann damit kaum etwas kaufen oder eintauschen. Ein Diamant hingegen hat kaum irgendeinen Gebrauchswert, aber eine große Menge anderer Waren ist häufig dafür im Austausch erhältlich.“ (Adam Smith, Der Wohlstand der Nationen, S. 27)

Gebrauchswerte verschiedener Dinge sind nicht vergleichbar - eben weil sie keine Werte sind. Sonnenlicht, Luft und Wasser sind zwar für jedes Leben auf der Erde unabdingbar, schmücken aber nur die wenigsten unter uns. Wenn also Adam Smith feststellt, der Gebrauchswert des Wassers sei „höher“ als der des Diamanten, während es sich mit dem Tauschwert umgekehrt verhalte, vermischt er Gebrauchswert und Tauschwert, setzt den Gebrauchswert als zweiten, eigentlichen, verborgenen Wert. Es kann keinen „Widerspruch von Gebrauchs- und Tauschwert“ geben, denn damit zwei Dinge zueinander im Widerspruch stehen können, müssen sie erst einmal etwas Drittes gemeinsam haben, und das könnte im vorliegenden Fall nur der Wert sein. Da der Gebrauchswert aber kein Wert, sondern nichts anderes als die konkrete Nützlichkeit eines Dings ist, kann er nicht zum Tauschwert im Widerspruch stehen. Eine „Kollision von Stoff und Wert“ kann nicht stattfinden, ausser wenn man den Gebrauchswert als den heimlichen, richtigen, gerechten etc. Wert im Gegensatz zum falschen, fiktiven, überhöhten etc. Tauschwert ansieht. Wenn der Kapitalismus „an seinen eigenen Widersprüchen zusammenbricht“, kann er nicht am „Widerspruch von Gebrauchswert und Tauschwert“ zusammenbrechen.[15]

Aus einer ähnlichen Verwechslung resultiert auch die klassische Vorstellung, daß der Wert durch die Arbeit (die Aufwendung von Mühe usw.) in den Gegenstand („das Rohmaterial“) einfließe, gewissermaßen als eine zwar sinnlich nicht wahrnehmbare, dem Gebrauchswert jedoch Austauschbarkeit verleihende Substanz. Wie John Locke 1696 zum Schutz und Ruhm des bürgerlichen Eigentums schrieb „Was immer er (sc. der Mensch) (...) jenem Zustand entrückt, den die Natur vorgesehen und in dem sie es belassen hat, hat er mit seiner eigenen Arbeit gemischt und hat ihm etwas hinzugefügt, was sein eigen ist.“ (über die Regierung, § 27), schreibt Ernest Mandel zur „Einführung in den Marxismus“ „Vom Beginn ihres Arbeitstages (oder ihrer Arbeitswoche) in der Fabrik fügen die Arbeiter dem Rohmaterial, das sie bearbeiten, einen neuen Wert zu.“ (Ernest Mandel, Einführung in den Marxismus, Köln, 5. Aufl. 1994, S. 48)[16]

In Wirklichkeit fügen die Lohnarbeiter den Wert nicht dem Rohmaterial zu, sondern dem Kapital. Dem Rohmaterial kann man alles mögliche hinzufügen, Farben, Schrauben, Löcher, Chemikalien, Hitze, Kälte oder was auch immer — aber eben keinen Wert.
Wenn man den Wert als etwas betrachtet, das der Sache durch Arbeit zugefügt wird, kann man ihn gerade nicht als soziales Verhältnis verstehen.

Der warenbesitzende Produzent, der am Tauschwert seines Produkts interessiert ist, weist auf die verausgabte Arbeit und seinen Aufwand hin; der geldbesitzende Konsument interessiert sich jedoch nur für den Nutzen, den Gebrauchswert, den das Produkt ihm bringt.

Dementsprechend gibt es im Kern auch zwei „Wert“(eigentlich Preis-)theorien: Die Arbeitswertlehre oder „objektive Wertlehre“ der klassischen ökonomie des 18. und 19. Jahrhunderts und der Marxisten des 20. Jahrhunderts betrachtet den Tauschvorgang aus der Perspektive des warenbesitzenden Produzenten. Umgekehrt nimmt die „subjektive Wertlehre“ aktuellen Datums den Standpunkt des geldbesitzenden Konsumenten ein: „Unter dem wirtschaftlichen Wert verstehen wir gewöhnlich die Bedeutung, die ein Gut für seinen Benutzer hat“ (Häuser, Volkswirtschaftslehre, S. 78), also den Gebrauchswert.

Der „Reichtum“ an Gebrauchswerten ist immer durch die individuelle Konsumtionsfähigkeit begrenzt. Man kann zwar zuwenig, aber nicht zuviel zum Leben haben. Wenn jemand von etwas genug hat, wie viel das auch immer sein mag, dann kann er auch nur ein Stück, Gramm oder Liter mehr davon nicht mehr gebrauchen, ist dieser „überfluß“ also für ihn kein Gebrauchswert mehr. Er kann ihn wegwerfen, verschenken — oder verkaufen. Im letzteren Falle sind die betreffenden Dinge für ihn aber kein Gebrauchswert, sondern Tauschwert in Warengestalt. Einen „stofflichen Reichtum“ als Reichtum an Gebrauchswerten kann es nicht geben; reich kann man nur sein an Wert, sei es in Geld oder Ware. Wer alles hat, was er braucht, kann nicht reich sein; Reichtum beginnt erst da, wo einer mehr hat als er braucht. Wer beispielsweise hundert oder tausend paar Schuhe mehr besitzt als er benötigt (den Fall des Schuhsammlers oder -fetischisten, dem seine Schuhe ja nicht als Fußbekleidung, sondern zu einem andern Genuß dienen, einmal ausgenommen), ist, was den Gebrauchswert anlangt, keineswegs reicher als einer, der gerade über die Menge an Schuhen verfügt, die er benötigt. Reicher ist er nicht an Schuhen, sondern an Tauschwert in Schuhgestalt.

Arm ist man immer an Gebrauchswert, reich an Tauschwert; insofern stimmt es einfach nicht, wenn Marx in den „Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei“ („Kritik des Gothaer Programms“) die Lesebuchphrase: „Die Arbeit ist die Quelle alles Reichtums und aller Kultur“ so kritisiert:

„Die Arbeit ist nicht die Quelle alles Reichtums. Die Natur ist ebensosehr die Quelle der Gebrauchswerte (und aus solchen besteht doch wohl der sachliche Reichtum!) als die Arbeit, die selbst nur die äußerung einer Naturkraft ist, der menschlichen Arbeitskraft.“(ebd., MEW Bd. 19, S. 17)

Freilich ist die Natur ebenso Quelle der Gebrauchswerte wie die menschliche Tätigkeit; Quelle des Tauschwerts und damit alles Reichtums ist einzig die kapitalproduzierende Arbeit.

Der notwendig ungenügende Lohn: Der Wirtschaft wird ihr Volk zu teuer.

Alle sprechen vom Arbeitsmarkt. Wir auch. Auf diesem Markt verkauft der Lohnarbeiter seine Arbeitskraft. Er muß sie verkaufen, denn er ist nicht nur Lohnarbeiter, sondern vor allem Lohnabhängiger. Selbstverständlich verkauft er nur seine Arbeitskraft, nicht sich selbst; leider kann er nicht als Mensch mit seinen unveräußerlichen Rechten zuhause bleiben und seine Arbeitskraft alleine zur Arbeit schicken.

Die Arbeitskraft hat wie jede andere Ware einen (Tausch-)Wert und einen Gebrauchswert. Wie jede andere Ware wird sie um ihres Gebrauchswerts willen gekauft (konsumiert) und um ihres Tauschwerts willen verkauft. Produzent und zugleich Verkäufer dieser Ware ist der Lohnarbeiter, Konsument ist das Unternehmen, die „Firma“, das Geschäft.

Die Konsumtion der Arbeitskraft ist die Produktion. Durch die Konsumtion aller andern Waren entsteht Müll, durch die Konsumtion von Arbeitskraft entsteht Kapital. (Natürlich kann Arbeitskraft auch konsumiert werden, ohne daß Kapital entsteht, aber Konsumtion von Arbeitskraft ist die Voraussetzung für die Entstehung von Kapital.)

Der Tauschwert der Arbeitskraft, das, was der gewöhnliche, massenhafte Lohnarbeiter monatlich, wöchentlich, täglich oder sonstwie erhält, ist sein Lebensunterhalt, den man für gewöhnlich als Lohn oder Gehalt bezeichnet und wie andere Einkommensarten in Geld auszahlt. Der Gebrauchswert des Lohnarbeiters, also das, was der Unternehmer kauft und konsumiert, ist seine Fähigkeit, mehr Wert zu produzieren, als er seinen Käufer gekostet hat.

Der mittels Lohnarbeit dem Unternehmer produzierte Wert muß enthalten: a) den Wert des eingesetzten variablen und konstanten Kapitals, der verbrauchten lebendigen und sachlichen Produktionsmittel, b) einen Zuwachs (Profit). Wenn das Unternehmen den Teil a) nicht einbringt, ist das Geld fort. Wenn es den Teil b) nicht einbringt, hat der Unternehmer zwar seinen Einsatz behalten, aber nichts gewonnen und alle Mühen und Umstände der Produktion waren umsonst.

Lohnarbeit kann zwar wie jede andere Ware teuer oder billig sein, doch ist die mögliche Lohnhöhe nach oben wie nach unten begrenzt.

Der Preis der Lohnarbeit kann auch beim größten Arbeitskräftemangel nicht annähernd den Wert des Produzierten erreichen, denn wenn die Lohnarbeit ihrem Konsumenten keinen oder unzureichenden Mehrwert produziert, hat sie eben keinen Gebrauchswert mehr, ist also unverkäuflich und kann nicht mehr stattfinden. Daher kann „von seiner eigenen (womit normalerweise gemeint ist: eigenhändigen) Arbeit“ — das ist in der Regel gewöhnliche Lohnarbeit — keiner reich werden.

- Die untere Grenze des Lohns wird von den Lebenshaltungskosten bestimmt.[17] Ob und inwieweit der Unternehmer diesen Preis auch bezahlt, ist eine andere Frage; aber in dem Maße, wie durch Lohnarbeit diese Lebenshaltungskosten nicht mehr gedeckt werden können, besteht kein Grund mehr zu arbeiten; unter einem bestimmten Level werden die Betreffenden ihre Existenz anderweitig (durch Kleinhandel, Diebstahl und sogenannte „Kriminalität“, Nebenverdienste) zu sichern versuchen.

Wenn ein Unternehmer der Arbeitskraft nur einen Bruchteil ihres Preises zahlen möchte, stellt er (wo so etwas möglich ist natürlich) zu geringeren Kosten mehrere Teilzeitarbeiter statt eines Vollzeitarbeiters ein und überlässt es der Privatinitiative seiner „lieben Mitarbeiter“, wie sie zu ihrem Lebensunterhalt kommen. Das hat noch dazu den Vorteil, daß diese sich nicht betrogen fühlen.

Insgesamt führt das Streben, die Löhne der Massenarbeiter unter die Lebenshaltungskosten zu senken, nicht zu einer Steigerung der Produktivität. Allerdings ist die Steigerung der Produktivität nicht die einzige Art sich zu bereichern.

Mit dem Preis des „Faktors Arbeit“, des Gesamtarbeiters, den Lohnkosten des Unternehmers, ist noch nichts gesagt über die „Lohnfindung“, das heißt dessen Verteilung auf die lohnarbeitenden Individuen. Die erfolgt nämlich keineswegs einfach nach dem Anteil am Gesamtarbeiter, sondern nach einer feinen und einträglichen Gerechtigkeit.

Diejenigen, die „über die Arbeit anderer disponieren“ (Max Weber), sind nicht Gegenstand dieser Lohnfindung. Ihr Gehalt stammt nicht (bzw. nur zu einem Bruchteil) aus ihrer eigenen Arbeitsleistung, das heißt ihrem Anteil am Gesamtarbeiter, sondern aus der Arbeit ihrer lohnarbeitenden „Mitarbeiter“. Die Arbeit muß also billiger werden, damit sich die Leistung der „Besserverdienenden“ wieder lohnen kann.

Lohnarbeiter existieren nicht als abstrakte Individuen, werden aber als solche bezahlt. Um drei, vier oder mehr Personen „ernähren“ zu können, müßte ein Lohnarbeiter aber nicht zehn, zwanzig oder dreißig Prozent mehr, sondern das doppelte, drei- oder x-fache verdienen. Doch soweit geht die allgemeine Liebe zur Familie auch wieder nicht. Ein Mann arbeitet, ein Mann wird bezahlt. Ob der Massenarbeiter nun „viel“ oder „wenig“ verdient, er verdient also immer zu wenig. Unter solchen Verhältnissen müssen daher tendenziell alle Arbeitsfähigen, und dabei in erster Linie die Frauen, denen ja nichts fehlt, was ihrer Verwertung entgegenstünde, in die Lohnarbeit mit einbezogen werden. Damit müssen aber auch bislang „häusliche“ Dienste und Produktionen in wirtschaftliche Dienstleistungen umgewandelt werden; Wohnen, Kindererziehung und Krankenpflege werden zur Geldfrage. Das liegt zwar, wie beschrieben, im Wesen der Lohnarbeit seit es sie überhaupt gibt. Im Unterschied zu früheren Zeiten ist aber Lohnarbeit heutzutage kein Problem von Außenseitern und auch keine vorübergehende Phase im Leben von Einzelnen mehr, sondern die Lebensweise der breiten Masse. Die Reproduktion der Arbeitskraft, „das Leben“, wird dadurch in den hochindustrialisierten Staaten insgesamt teurer. (Als Dienstleistung bewertet kostet die Aufzucht eines einzigen Kindes [nach Presseberichten] bis zum vierzehnten Lebensjahr ungefähr 300.000 DM, eine Summe, vor der selbst wohlhabende Bürger normalerweise zurückschrecken würden, zumal der Unterhaltungs- und Gefühlswert der kleinen Affen mit der Zeit schwindet, da sie ihren Erzeugern immer ähnlicher werden.) In den hochindustrialisierten Ländern ist daher eine ständige „Sozialpolitik“ notwendig.[18] „Vater Staat“ ist gewissermaßen wirklich Vater geworden; dafür läßt er sich auch als „Wohlfahrtsstaat“ feiern. Auf „intakte Sozialstrukturen“, die Familie als Ort der „kostenlosen“ Wiederherstellung der Arbeitskraft und Aufzucht neuer Arbeitskräfte, ist das Kapital ebenso angewiesen wie der Betrüger auf Einfaltspinsel, muß sie jedoch andererseits ständig zerstören.

Reichtum und Armut, überfluss und Mangel

Was das Wirtschaftssubjekt auch immer produzieren mag, es produziert immer dasselbe, nämlich Eigentum, und zwar seines. Auch wer durch Lohnarbeit seinen Lebensunterhalt verdient, produziert sein Eigentum, und sogar das eigentümlichste Eigentum überhaupt, nämlich seine Arbeitskraft.

Rechtlich gesehen ist Eigentum die Beziehung der Menschen zu „Sachen“, natürlich nicht zu philosophischen Sachen an sich und allgemein, sondern zu ganz bestimmten, nämlich zu ihren Lebensmitteln, das Recht „mit der Sache nach Belieben [zu] verfahren und andere von jeder Einwirkung aus[zu]schließen.“ (§ 903 BGB) („Ius utendi et abutendi re sua quatenus iuris ratio patitur.“)

Umgekehrt wird durch dasselbe Recht der Eigner vom Gebrauch aller Sachen ausgeschlossen mit Ausnahme derer, die ihm selbst gehören; das Eigentum trennt daher auch im günstigsten Falle, nämlich wo es reichlich vorhanden ist, die Menschen „von ihrer Gegenständlichkeit“ und damit von ihrer Verwirklichung. „Mein Lebensmittel (ist) eines andern, das, was mein Wunsch, ist der unzugängliche Besitz eines andern.“ (Marx, ökonomisch-philosophische Manuskripte, MEGA2 I. 2, S. 426) Soviel sich jemand auch aneignet, er kann nie genug haben, weil er nie alles haben kann; solange die Dinge, die Mittel sein Eigentum sind, ist er von mindestens ebenso vielen anderen Dingen ausgeschlossen. Er hätte erst alles, wenn die Dinge kein Eigentum mehr wären – dann wäre er aber auch kein Eigner mehr.

Ein Mensch ist überhaupt nur in dem Maße Mensch, wie er über die sachlichen Mittel zu seiner Verwirklichung verfügt. Armut ist die “Trennung des Menschen von seiner Gegenständlichkeit“, seine Entwirklichung, das heißt Entmenschlichung.

Ebenso wie eine Tätigkeit nicht deshalb Arbeit ist, weil sie Mühe macht, ist eine Sache nicht deshalb Eigentum, weil ein Mensch sie schätzt, ausschließlich benutzt, gegen andere Interessenten verteidigt usw., wie gewöhnlich behauptet wird. Was eine Sache eigentumsfähig macht, ist ihre prinzipielle Veräußerbarkeit, unabhängig davon, ob der Eigner auch tatsächlich daran denkt, die betreffende eigene Sache auch zu verkaufen. Nur was käuflich ist, kann Eigentum sein. Arbeit und Eigentum sind zwei Seiten derselben Sache: Arbeit ist die Tätigkeit, Eigentum der Zustand der Entfremdung. „Das subjektive Wesen des Privateigentums, das Privateigentum als für sich seiende Tätigkeit, als Subjekt, als Person, ist die Arbeit.“ (ökonomisch-philosophische Manuskripte, MEGA2, I, 2, S. 383) „Die 'Arbeit' ist die lebendige Grundlage des Privateigentums, das Privateigentum als schöpferische Quelle seiner selbst. Das Privateigentum ist nichts als die vergegenständlichte Arbeit. Nicht allein das Privateigentum als sachlichen Zustand, das Privateigentum als Tätigkeit, als Arbeit muß man angreifen (...) Es ist eines der größten Mißverständnisse, von freier, menschlicher, gesellschaftlicher Arbeit, von Arbeit ohne Privateigentum zu sprechen. Die 'Arbeit' ist ihrem Wesen nach die unfreie, unmenschliche, vom Privateigentum bedingte und das Privateigentum schaffende Tätigkeit. Die Aufhebung des Privateigentums wird also erst zu einer Wirklichkeit, wenn sie als Aufhebung der 'Arbeit' gefasst wird. (...)“ (Marx, über Friedrich Lists Buch 'Das nationale System der politischen ökonomie' (1845); zuerst veröffentlicht in der Zeitschrift ‘Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung’, Berlin 1972, S. 436)

Jedes Eigentum ist von der Gesamtheit, der Gesellschaft, der öffentlichkeit getrennt, sonst könnte es niemand zu eigen sein; insofern hat die Bezeichnung Privateigentum keinen Sinn. „öffentliches“ Eigentum ist nicht weniger privat als jedes andere.[19]

Gerade weil das Eigentum Zustand der Entfremdung ist und nicht einfach ein Willensakt, eine Frage der „Verfügungsgewalt“, kann es durch Verfügungen wie Verstaatlichung oder, verschleiernd ausgedrückt, „Vergesellschaftung“ nicht aufgehoben werden. Ebenso wie es unter den Bedingungen der Kapitalproduktion Gesellschaft nur in Form staatlicher Gewalt gibt, kann auch gesellschaftliches Eigentum nichts anderes sein als Staatseigentum; dies unterliegt aber den selben Gesetzen wie jedes andere Eigentum. Insofern mit „Vergesellschaftung des Eigentums“ mehr gemeint ist als dessen Verstaatlichung (das kommt aber kaum vor), ist es nur eine paradoxe Formulierung für „Abschaffung des Eigentums“. Auch in einer selbstverwalteten Produktivgenossenschaft („Genossen, schafft!“), wie demokratisch oder sozialistisch auch immer, sind die Produktionsmittel Kapital, ist die Produktion Kapitalproduktion, also (Lohn-)Arbeit.

Das Eigentum ist wie der Warentausch, dessen „statische“ Seite es ist, nicht innerhalb der ursprünglichen, naturwüchsigen Sippenverbände, sondern im Kontakt verschiedener, einander fremder Verbände entstanden, „an den Grenzen der ursprünglichen Gemeinwesen“ (so Marx in den Grundrissen), nicht innerhalb dieser selbst. Auch die „Besitzindividualität“ (der Umstand, daß ein Individuum für sich allein Eigentum erwerben und verkaufen kann, die Figur des „Kaufmanns“), ist historisch entstanden. Die ersten Handeltreibenden (und zugleich die Gründer des ersten „Weltreichs“ der Geschichte, des Reichs des „Herrschers der vier Weltteile“ Sargon von Akkad) waren, im Widerspruch zu der bekannten wirtschaftstheoretischen Fiktion, in der ein individueller Urmensch mit dem andern Ur-Individuum Angelhaken und Bärenfelle tauscht, keine individuellen Kaufleute, sondern nomadisierende Sippen, die (etwa zu Schiff im Persischen Golf) ausgedehnte Raub- und Handelszüge unternahmen. Die Sippe verhandelte, tauschte oder raubte, nicht ihre Individuen. (Jean Bottéro, Die altorientalischen Reiche, Fischer Weltgeschichte, Bd. 2) Das Stammes-, Sippen- oder Gemein(de)eigentum, das es rudimentär auch in Deutschland als „Allmende“ noch bis in die Neuzeit gab, ist nicht Rest eines „Urkommunismus“, eines eigentumslosen Zustands, sondern einer älteren Eigentumsform.

Die „Eigentumsfeindschaft“ als solche ist ebenso alt wie das Eigentum. Bewegungen für eine gleiche oder gerechtere Verteilung oder sogar eine völlige Abschaffung des Eigentums hat es schon immer und in allen Kulturkreisen gegeben (cf. Arnold Künzli, Mein und Dein. Zur Geschichte der Eigentumsfeindschaft. Köln 1986.)[20] Die tatsächliche historische Neuheit bei Marx besteht nicht darin, sondern im Verständnis des Eigentums als Zustand der Entfremdung und andere Seite der Tätigkeit der Entfremdung, der Arbeit. Marx entwickelt den Eigentumsbegriff in Auseinandersetzung mit Pierre-Joseph Proudhons Abhandlung „Qu’est-ce que la propriété?“. Proudhon fordert keineswegs die Abschaffung des Eigentums überhaupt, sondern nur des nicht durch eigenhändige Arbeit erworbenen Eigentums (nur dieses bezeichnet er als Diebstahl) und seine Ersetzung durch den „sozial gebundenen“ (wie man heute sagen würde) und auf eigenhändiger Arbeit beruhenden Besitz. „Man unterscheidet im Eigentum 1. das reine und einfache Eigentum, das Herrschafts- und Herrenrecht über die Sache, oder, wie man sagt: das nackte Eigentum; 2. das Besitzrecht.“ (Thilo Ramm, P. J. Proudhon - Ausgewählte Texte. Stuttgart 1963) „Keiner hat mehr Recht als auf das, was ihm genügt, muß man nach Cicero sagen. (...) Worauf haben wir nun ein Besitzrecht? Auf das, was uns für unsere Arbeit und unseren Verbrauch ausreicht.“ (ebd., S. 36 f)[21]

Marx bemerkt in diesem Eigentumsbegriff eine bestimmte Inkonsequenz. „Daß Proudhon das Nichthaben und die alte Weise des Habens aufheben will, ist ganz identisch damit, daß er das praktisch entfremdete Verhältnis des Menschen zu seinem gegenständlichen Wesen, daß er den nationalökonomischen Ausdruck der menschlichen Selbstentfremdung aufheben will. Weil aber seine Kritik der Nationalökonomie noch in den Voraussetzungen der Nationalökonomie befangen ist, so wird die Wiederaneignung der gegenständlichen Welt selbst noch unter der nationalökonomischen Form des Besitzes gefasst. Proudhon stellt nämlich nicht (...) dem Nichthaben das Haben, sondern der alten Weise des Habens, dem Privateigentum, den Besitz gegenüber. Den Besitz erklärt er für eine 'gesellschaftliche Funktion'. In einer Funktion aber ist es nicht das 'Interessante', den andern 'auszuschließen', sondern meine eigenen Wesenskräfte zu betätigen und zu verwirklichen. Es ist Proudhon nicht gelungen, diesem Gedanken eine entsprechende Ausführung zu geben. Die Vorstellung des 'gleichen Besitzes' ist der nationalökonomische, also selbst noch entfremdete Ausdruck dafür, daß der Gegenstand als Sein für den Menschen, als gegenständliches Sein des Menschen, zugleich das Dasein des Menschen für den anderen Menschen, seine menschliche Beziehung zum anderen Menschen, das gesellschaftliche Verhalten des Menschen zum Menschen ist. Proudhon hebt die nationalökonomische Entfremdung innerhalb der nationalökonomischen Entfremdung auf.“ (Marx/ Engels, Die heilige Familie oder Kritik der kritischen Kritik, MEW Bd. 2, S. 43 f) Auch eine Ersetzung des Eigentumsrechts durch ein sozial gebundenes Besitzrecht schaffe das Eigentum nicht wirklich ab. Der Besitz und auch der gleiche Besitz ist immer noch eine nationalökonomische Form, das heißt eine Form des Habens, und beruht als solche ebenfalls noch darauf, daß die Menschen einander nicht als Menschen, sondern als Besitzer von Dingen einander gegenübertreten, mit anderen Worten: Proudhons Eigentumskritik überwindet das Eigentum nicht. Marx und Engels stellen sich also hier nicht gegen eine bestimmte Form des „Habens“, das heißt des Eigentums, sondern gegen das Eigentum selbst, verlassen damit also den Boden der „Bereicherungswissenschaft“ (Aristoteles). Auch der „gleiche Lohn“ wäre - einmal davon abgesehen, daß gleicher (leistungsunabhängiger) Lohn im Widerspruch stünde zur Lohnarbeit - immer noch Lohn, und die Produktion damit immer noch Produktion von Kapital (ök.-phil. Manuskripte 1844, l.c., S. 373). Dieses Verhältnis ändert sich nicht dadurch, daß nun der Staat oder die Gesellschaft „abstrakter Kapitalist“ ist. Das Eigentum wäre also nicht bloß als Problem einer falschen, ungerechten etc. Verteilung zu kritisieren, sondern als Problem der Produktionsweise, als Zustand der Entfremdung, als Resultat und andere Seite der tätigen Entfremdung, das heißt der Arbeit.

Im Widerspruch dazu spricht Marx in den Manuskripten auch von einem „wahrhaft menschlichen und socialen Eigentum“ das durch die Abschaffung des Privateigentums verwirklicht würde. „Der Sinn des Privateigentums - losgelöst von seiner Entfremdung - ist das Dasein der wesentlichen Gegenstände für den Menschen, sowohl als Gegenstand des Genusses wie der Tätigkeit.“ (ök.-phil. Manuskripte 1844, MEGA I.2, S. 434 f) Als Zustand der Entfremdung kann das Eigentum nicht „losgelöst von seiner Entfremdung“ existieren. Der Sinn des Eigentums ist die Trennung des Menschen von seinen Lebensmitteln, nicht deren Dasein für ihn. Marx denkt sich das Ende des Eigentums nur als eine besondere Form des Eigentums. Deshalb wird aus der Abschaffung des Eigentums die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln. „Was den Kommunismus auszeichnet, ist nicht die Abschaffung des Eigentums überhaupt, sondern die Abschaffung des bürgerlichen Eigentums. In diesem Sinne können die Kommunisten ihre Theorien in dem einen Ausdruck: Aufhebung des Privateigentums! zusammenfassen.“ (Kommunistisches Manifest, MEW Bd. 4, S. 475) – „Der Kommunismus nimmt keinem die Macht, sich gesellschaftliche Produkte anzueignen, er nimmt nur die Macht, sich durch diese Aneignung fremde Arbeit zu unterjochen.“ (ebd., S. 477) – „Die kapitalistische Produktions- und Aneignungsweise, daher das kapitalistische Privateigentum, ist die erste Negation des individuellen, auf eigene Arbeit gegründeten Privateigentums. Aber die kapitalistische Produktion erzeugt mit der Notwendigkeit eines Naturprozesses ihre eigene Negation. Es ist Negation der Negation. Diese stellt nicht das Privateigentum wieder her, wohl aber das individuelle Eigentum auf Grundlage der Errungenschaften der kapitalistischen ära, der Kooperation freier Arbeiter und ihrem Gemeingut an der Erde und den durch die Arbeit selbst produzierten Produktionsmitteln.“ (Kapital Bd.I, Frankfurt 1969, S. 705)

Wie Proudhon zwischen „Eigentum“ und „Besitz“ unterscheidet Marx zwischen „Privateigentum“ (bürgerliches Eigentum) und „individuellem Eigentum“. Marx spricht ebenso wie Proudhon dem auf eigener Arbeit beruhenden Eigentum eine andere Qualität zu als dem auf Ausbeutung fremder Arbeit beruhenden.[22] Individuelles Eigentum hält Marx für naturgegeben, nicht für gesellschaftlich entstanden: „Jede Produktion ist Aneignung der Natur innerhalb und vermittels einer bestimmten Gesellschaftsform (...) Die Geschichte zeigt (...) Gemeineigentum (z. B. bei den Indern, Slawen, alten Celten etc.) als die ursprünglichere Form, eine Form, die unter der Gestalt des Gemeindeeigentums noch lange eine bedeutende Rolle spielt. Von der Frage, ob der Reichtum sich besser unter dieser oder jener Form des Eigentums entwickle, ist hier noch gar nicht die Rede. Daß aber von keiner Produktion, also auch von keiner Gesellschaft die Rede sein kann, wo keine Form des Eigentums existiert, ist eine Tautologie. Eine Aneignung, die sich nichts zu eigen macht, ist eine contradictio in subiecto.“ (Grundrisse der Kritik der politischen ökonomie, Berlin 1974, S. 9) Wenn ein Mensch ein Werkzeug herstellt oder eine Behausung baut, hat dies zwar unbestritten eine andere Qualität als wenn ein Vogel oder Affe sein Nest baut; damit ist aber nicht automatisch gesagt, daß er Eigentum herstellt. Hierzu sind noch ganz bestimmte andere Voraussetzungen notwendig. Marx behauptet hier, daß die menschliche Tätigkeit das Eigentum hervorbringe und nicht die Entäußerung dieser Tätigkeit. Die Produktion von Lebensmitteln für den Gebrauch schafft jedoch kein Eigentum.

Andererseits bestreitet Marx explizit, daß die Produktion des menschlichen Lebens schon immer ( „von Natur aus“) auf dem Warenaustausch beruht habe. „Wie eine Manchester Familie von Fabrikarbeitern, worin die Kinder im Austauschverhältnis zu ihren Eltern stehen und ihnen Kost und Logis bezahlen, nicht die herkömmliche ökonomische Organisation der Familie darstellt, sowenig ist das System des modernen Privataustausches überhaupt die naturwüchsige ökonomie der Gesellschaft. Der Austausch beginnt nicht zwischen den Individuen innerhalb eines Gemeinwesens, sondern da, wo diese Gemeinwesen aufhören, an ihrer Grenze, an dem Punkt des Kontaktes verschiedener Gemeinwesen.“ (Grundrisse..., S. 763)

Nicht weniger widersprüchlich äußert sich Engels im „Anti-Dühring“: „Das Privateigentum tritt überhaupt in der Geschichte keineswegs auf als Ergebnis des Raubes und der Gewalt. Es besteht schon, wenn auch unter der Beschränkung auf gewisse Gegenstände, in der uralten, naturwüchsigen Gemeinde aller Kulturvölker. Es entwickelt sich bereits innerhalb dieser Gemeinde, zunächst im Austausch mit Fremden, zur Form der Ware.“ (Anti-Dühring, S. 212)
Innerhalb der Gemeinde oder im Austausch mit Fremden?
Der Bruch mit dem Eigentum ist bei Marx und Engels ebenso unvollständig wie bei Proudhon: die „nationalökonomische Form“ überwindet auch Marx nicht. Die Kritik, die Marx und Engels an Proudhon üben, trifft sie auch selbst. Marx ist in Bezug auf das Eigentum ebenso widersprüchlich wie in Bezug auf die Arbeit.

Auch diese Widersprüchlichkeit nehmen die Marxisten nicht wahr. Unter „Abschaffung des (Privat-)Eigentums“ verstehen sie (ebenso wie die von ihnen abhängigen Antikommunisten) nichts anderes als dessen Verstaatlichung. Es geht ihnen auch nur um die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln, wobei dieses noch differenziert wird in „Arbeitseigentum“ und „Ausbeutereigentum“.[23]
Doch ist diese „Differenzierung zwischen Gebrauchs- und Verbrauchseigentum einerseits und dem Macht über fremde Arbeit verleihenden Eigentum andererseits“ (MEGA2, I.2., Einleitung, S. 48) keineswegs ein Erkenntnisfortschritt von Marx auf dem Weg zum „wissenschaftlichen Sozialismus“, wie immer behauptet wird, sondern ein von Früheren übernommenes Element, das wir auch bei Proudhon und genau jenen „frühen Kommunisten“ finden, von denen Marx sich in dem Manuskript von 1844 ausdrücklich distanziert. So heißt es etwa bei Morelly: „Nichts in der Gesellschaft wird als Eigentum jemandem ausschließlich gehören als die Sachen, wovon er einen gegenwärtigen, wirklichen Gebrauch machen wird, sei es für seine Bedürfnisse, seine Vergnügungen oder seine Tagesarbeit.“ (Code de la nature, zitiert bei A. Künzli, Mein und Dein. Zur Ideengeschichte der Eigentumsfeindschaft. Köln 1986, S. 221 f) Gerade das, was die marxistische und sozialwissenschaftliche Literatur bei Marx als Utopie oder theoretische Unreife bezeichnet, ist jedoch die eigentliche historische Neuheit. Ebenso wie keine Macht der Welt das Geld daran hindern kann, sich vom nützlichen und wohltätigen Tauschmittel in ausbeuterisches Kapital zu „verwandeln“, ebensowenig kann das persönliche oder „Arbeitseigentum“ vom „Ausbeutereigentum“, dem „Kommando über fremde Arbeit“ getrennt werden.

Herbert Marcuse schreibt 1932 in seinem Aufsatz „Neue Quellen zur Grundlegung des historischen Materialismus“ (der ersten wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den kurz zuvor veröffentlichten Manuskripten von 1844) über den Eigentumsbegriff: „Dies ist die allgemeinste positive Bestimmung des wahren Eigentums: das Vorhanden- und Verfügbarsein all der Gegenstände, deren der Mensch zur freien Verwirklichung seines Wesens bedarf. Dies Vorhanden- und Verfügbarsein realisiert sich als Eigentum, was durchaus nicht selbstverständlich ist, sondern darin gründet, daß der Mensch nie einfach und unmittelbar hat, wessen er bedarf, sondern die Gegenstände erst dann wirklich besitzt, wenn er sie sich angeeignet hat. So ist es der Sinn der Arbeit, die Gegenstände als bearbeitete dem Menschen zu eigen zu geben, sie zur Welt seiner freien Selbstverwirklichung und Selbstbetätigung zu machen.“ (Werke, Bd. I, S. 538) Wenn der Mensch über all seine Lebensmittel verfügt, besitzt er nichts mehr. Eigentum besteht ja gerade in der Negation des „Vorhanden- und Verfügbarseins.“ Wenn Marcuse diese Negation „positiv bestimmen“ will, bringt er damit zum Ausdruck, daß er sich auch die Negation des Eigentums nur als eine besondere (bessere, vernünftigere, wie auch immer) Form des Eigentums vorstellen kann, nicht als Eigentumslosigkeit. Die Aneignung der Produkte resultiert aus der (naturnotwendigen) Produktion der Lebensmittel selbst, nicht aus der Entfremdung dieser Produktion. Eigentumslosigkeit kann man sich daher bestenfalls als negative Utopie, als Zustand der Regellosigkeit und des Verfalls vorstellen. Man glaubt, daß der Mensch, wenn er sich seine Lebensmittel nicht mehr aneignet, jeden Bezug zu ihnen, schließlich zu seiner Umwelt überhaupt verliert. Eher hält man es für möglich, daß er sich zum Jäger und Sammler oder gar zum Affen zurückentwickelt, als daß er seine Reproduktion bewußt regelt.

Die Radikalität der Arbeitskritiker besteht darin, dies als Positivum hinzustellen: „Die einzig akzeptable Wirtschaftsform in dieser Gesellschaft ist Sperrmüllabfuhr. Jeder schmeißt das, was er nicht unmittelbar verwenden noch Vergnügen daran finden kann, auf die Straße, für jeden, der vorbeikommt, frei zum eigenen Gebrauch. Man sollte dieses Verfahren auf die gesamte ökonomie ausdehnen, die ohnehin nur noch Müll produziert, um durch den Beginn des freien Gebrauchs aller Dinge dem Wert den Todesstoß zu versetzen. Alle Produktionsvorgänge, die zur Herstellung von Menschen gewünschter Dinge als Vorbereitung gewünschter Genüsse nötig sind, müssen, soweit wie möglich vollautomatisiert, umgestaltet werden.“ (Lucifer Dionysios, Sonne und Faulheit, in: Paul Lafargue, Das Recht auf Faulheit, S. 10, o. O., o. J. [ziemlich spätes 20.Jahrhundert]) Eine solche „Sperrmüllwirtschaft“ wäre jedoch gerade keine bewußte Reproduktion der Gesellschaft. In ihr ist die Reproduktion immer noch eine Angelegenheit des Zufalls, der individuellen Geschicklichkeit, Stärke usw., das heißt aber zwangsläufig des von der Gesellschaft getrennten Individuums. Gerade der „freie Gebrauch aller Dinge“ wäre auf einer solchen Grundlage unmöglich.

Stoffliche Produktivität und Kapitalproduktivität

Unter Produktivität versteht man allgemein das Verhältnis Ausbringung zu Einsatz, Input zu Output, der aufgewandten Arbeitskraft und der sachlichen Produktionsmittel zur erzeugten Menge, entweder a) der Gebrauchswerte (“stoffliche Produktivität“) oder b) des Kapitals (Kapitalproduktivität). Die stoffliche Produktivität kann gleichbleiben oder sogar steigen, obwohl die Kapitalproduktivität fällt.

Die Unklarheit des Produktivitätsbegriffs entsteht aus der Vermischung oder Verwechslung von Gebrauchswertproduktivität und Kapitalproduktivität.

a) „Die jährliche Arbeit eines Volkes ist die Quelle, aus der es ursprünglich mit allen notwendigen und angenehmen Dingen des Lebens versorgt wird, die es im Jahr über verbraucht. Sie bestehen entweder aus dem Ertrag dieser Arbeit oder aus dem, was damit von andern Ländern gekauft wird. (...) Ein Volk ist (..) um so schlechter oder besser mit allen Gütern, die es braucht, versorgt, je mehr oder weniger Menschen sich in den Ertrag der Arbeit oder in das, was sie im Austausch dafür erhalten, teilen müssen. Zwei Faktoren bestimmen nun in jedem Land diese pro Kopf-Versorgung: Erstens die Produktivität der Arbeit als Ergebnis von Geschicklichkeit, Sachkenntnis und Erfahrung, und zweitens das Verhältnis der produktiv Erwerbstätigen zur übrigen Bevölkerung. Von beiden Umständen muß es jeweils abhängen, ob in einem Land das Warenangebot im Jahr über reichlich oder knapp ausfällt, gleichgültig, wie groß ein Land ist oder welches Klima es hat.überfluß oder Mangel an Gütern dürfte vorwiegend von der Produktivität der Arbeit abhängen.“ (Adam Smith, Der Wohlstand der Nationen, Einführung und Plan des Werkes, S. 3)

Also ist produktive Arbeit ist diejenige, die die „nützlichen und angenehmen Dinge unseres Lebens“ erzeugt. „Ertrag der Arbeit“ ist nicht Wert, sondern Gebrauchswert. Smith spricht auch nicht von Individuen oder Kaufleuten, die wie im wirklichen Leben Waren kaufen oder verkaufen, sondern von „Ländern und Völkern“, die wie in einer kommunistischen Utopie einander mit Gebrauchsgütern versorgen. Auch wo Smith schreibt: „Die Arbeitsteilung dürfte die produktiven Kräfte der Arbeit mehr als alles andere fördern und verbessern“ (Smith, ebd., S. 9), ist von der Erzeugung von Gebrauchswerten, der „technischen Produktivität“ die Rede. „Unproduktive Arbeiter leben ebenso vom Einkommen anderer wie jene, die überhaupt nichts tun.“ (Smith, ebd., S. 274) Besteht jedoch die Produktivität einer Arbeit im Hervorbringen eines Gebrauchswerts, ist der Unternehmer, sobald er nicht mehr oder nur noch geringfügig an der Produktion beteiligt ist, nicht mehr produktiv und „lebt damit von der Leistung anderer“, denn es sind nun mal unbestreitbar die Lohnarbeiter, die die Gebrauchswerte, das heißt die Gegenstände unseres täglichen Lebens erzeugen. Daher versucht man im Zeitalter der multinationalen Kapitalgesellschaften nicht mehr wie im 19. Jahrhundert Produktivität zu definieren, sondern begnügt sich mit einer Weisheit des 17. Jahrhunderts: „Wenn die Reichen nicht viel ausgeben, werden die Armen Hungers sterben.“ (Montesquieu, Esprit des lois, zitiert bei Marx, Theorien über den Mehrwert, MEW Bd. 26.1, S. 274)

b) Bei der Erörterung der Kapitalbildung gibt Adam Smith dagegen eine andere Definition von Produktivität.
„Es gibt eine Art von Arbeit, die den Wert eines Gegenstandes, auf den sie verwendet wird, erhöht; es gibt eine andere, die keine solche Wirkung besitzt. Jene kann als produktiv bezeichnet werden, da sie einen Wert hervorbringt, diese als unproduktiv. So vermehrt ein Fabrikarbeiter den Wert des Rohmaterials, das er bearbeitet, im allgemeinen um den Wert des eigenen Lebensunterhaltes und um den Gewinn seines Unternehmers. Die Arbeit eines Dienstboten dagegen erzeugt nirgendwo einen solchen Wert. (...) Wohlhabend wird also, wer viele Arbeiter beschäftigt, arm hingegen, wer sich viele Dienstboten hält. (...)“ (ebd., S. 272/ II, S.48)
Die Produktivität einer Arbeit besteht also nicht in der (“gesellschaftlichen“ oder sonstigen) Nützlichkeit und Menge des Produkts, sondern in dessen Wert, und zwar in demjenigen Wert, dessen Produktion den Produzenten „bereichert“, mit anderen Worten: in der Produktion von Kapital. Diese produktive Arbeit kann sich Smith allerdings (im Unterschied zu Marx) nur als Herstellung von Sachgütern vorstellen, da nur in diesen die Arbeit, das heißt der Wert, „gespeichert“ werden könne. Dienstleistungen seien generell unproduktiv, nicht, weil sie keinen Wert hätten, sondern weil sie „im Augenblick ihrer Leistung vergehen“ würden. Adam Smith sucht den Wert im Produkt, statt im Kapital des Produzenten. (Auch die Vermischung von Gebrauchs- und Tauschwert wird hier deutlich: Wenn auch der Dienst als Gebrauchswert im Augenblick seiner Leistung vergeht, so ist doch damit produziertes Kapital nicht weniger haltbar als jedes andere.) Allerdings kennt Adam Smith Dienstleistungen, soweit sie abhängige Arbeit sind, nur entweder als Arbeit von persönlichen Bediensteten reicher Bürger (menial servants) oder als Staatstätigkeit (Verwaltung, Militär, Polizei und Justiz). Kapitalproduktion durch Dienstleistungen kommt bei Smith nicht vor. Im Gegensatz zu den Lehrmeinungen seiner Zeit [24] stellt Smith auch Gelehrte, Militärs und die hohe Geistlichkeit sowie den König, alle „altehrwürdigen und transzendenten Beschäftigungen“ und „die ideologischen Stände, die sie erzeugen“ als unproduktive Arbeiter ökonomisch in eine Reihe nicht nur mit allerhand fragwürdigen Gewerben, sondern auch mit ihrer eigenen Dienerschaft. Die ersteren „sind bloße servants des public, wie die andren ihre servants sind.“ (Marx, Theorien über den Mehrwert, MEW 26.1, S. 273)

„Auch die Arbeit einiger angesehener Berufsstände in einer Gesellschaft ist, wie die der Dienstboten, unproduktiv. (...) Als unproduktiv können, zum Beispiel, die Tätigkeit des Herrschers samt seiner Justizbeamten und Offiziere, ferner das Heer und die Flotte angesehen werden. Sie alle dienen dem Staat und leben von einem Teil des Ertrags, den andere Leute übers Jahr hin durch ihren Erwerbsfleiß geschaffen haben. So ehrenwert, nützlich oder notwendig ihr Dienst auch sein mag, er liefert nichts, wofür später wiederum ein gleicher Dienst zu erhalten ist. (...) In die gleiche Gruppe muß man auch einige Berufe einreihen, die äußerst wichtig und bedeutend oder sehr anrüchig sind: Zum einen Geistliche, Rechtsanwälte, ärzte und Schriftsteller aller Art, zum andern Schauspieler, Clowns, Musiker, Opernsänger und Operntänzer.“(Der Wohlstand der Nationen, S. 273)

Produktiver und unproduktiver Erwerb

Im Unterschied zu Adam Smith kann für Marx auch die Produktion von Diensten produktive Arbeit sein. „Nur der Arbeiter ist produktiv, der Mehrwert für den Kapitalisten produziert oder zur Selbstverwertung des Kapitals dient.“ (Kapital Bd. I, S. 459) -- „Produktive Arbeit ist bloß die, die Kapital produziert. (...) 'Productive labourer he that directly augments his master's wealth' sagt Malthus (..) sehr richtig, wenigstens nach einer Seite hin richtig. Der Ausdruck ist zu abstrakt, da er in dieser Fassung ebenso vom Sklaven gilt. (...) Productive labourer he that directly augments capital.“ (Grundrisse, S. 212 f) Arbeit (i. e. abstrakte Arbeit) allgemein produziert Wert, produktive Arbeit produziert Kapital. Kapital kann auch mit Diensten produziert werden. Marx demonstriert explizit am Beispiel eines Lehrers (im „Kapital“), einer Sängerin oder eines Schauspielers (in den „Theorien über den Mehrwert“), daß Produktivität nichts mit der Sicht- und Tastbarkeit des Produkts zu tun hat.

„Steht es frei, ein Beispiel außerhalb der Sphäre der materiellen Produktion zu wählen, so ist ein Schulmeister produktiver Arbeiter, wenn er nicht nur Kinderköpfe bearbeitet, sondern sich selbst abarbeitet zur Bereicherung des Unternehmers. Daß letzterer sein Kapital in einer Lehrfabrik angelegt hat statt in einer Wurstfabrik, ändert nichts an dem Verhältnis.“ (Kapital Bd. I, S. 459)
(Eine Sängerin), „von einem entrepreneur engagiert, der sie singen lässt, um Geld zu machen, ist ein produktiver Arbeiter; denn sie produziert Kapital.“(Theorien über den Mehrwert, MEW 26. 1, S. 377)
„Ein Schauspieler, selbst ein Clown, ist (..) ein produktiver Arbeiter, wenn er im Dienste eines Kapitalisten arbeitet (des entrepreneur), dem er mehr Arbeit zurückgibt, als er in Form des Salairs von ihm erhält (...)“ (ebd., S. 127)

Entscheidend ist, ob die betreffende Arbeit dem Produzenten (Kapitalist) Kapital produziert, also nicht einfach Wert (wie jede Arbeit), sondern „sich verwertenden Wert“, mit dem „aus einem Taler zwei gemacht“, das heißt neuer Wert geschaffen wird.

Ein Verfahren ist nicht produktiv, weil es „viel“ (viel Gebrauchswert) produziert, sondern weil es „viel Geld“, das heißt Kapital produziert.

Für die Produktivität ist es unwichtig, ob das Geld des Konsumenten aus Revenue (Lohn, Gehalt, Rente) oder Kapital stammt, ebenso ob der Konsument die Ware selbst verzehren oder als Produktionsmittel einsetzen möchte. Jede Ware wird gleichermaßen als Tauschwert produziert und als Gebrauchswert konsumiert. Wichtig ist nur,
- daß das Produkt als Ware (zum Verkauf) produziert wird,
- und daß damit „der Reichtum des Produzenten vermehrt werden“, m. a. W. Kapital produziert werden soll.
„Produktive (Lohn-)Arbeit“ müßte sich selbst Kapital produzieren; der Gebrauchswert der Ware Arbeitskraft besteht jedoch gerade darin, daß sie einem andern, ihrem employer (Anwender) Kapital produziert. Ob und wieviel Kapital ein Lohnarbeiter produziert - sich selbst produziert er keines. Die Ware Arbeitskraft ist daher als einzige ihrem Wesen nach nicht kapitalisierbar. Es gibt keine produktive (Lohn)Arbeit, gerade weil die Lohnarbeit die Quelle des Kapitals ist.

Wenn Marx die Produktivität der Lohnarbeit im Mehrwert, also im Gebrauchswert dieser speziellen Ware sucht, beurteilt er sie „vom Standpunkt des Geldbesitzers, des Kapitalisten aus“ (Theorien über den Mehrwert, MEW Bd. 26.1, S. 128), vom Standpunkt des Konsumenten der Arbeitskraft, während die Produktivität jeder anderen Warenproduktion vom Standpunkt des Produzenten betrachtet wird, in der Produktion von Kapital besteht.

Entsprechend der inneren Widersprüchlichkeit der Marxschen Position selbst gibt es zwei marxistische Produktivitätsbegriffe:

a) „Die Begriffe 'produktive und unproduktive Arbeit' unter dem Gesichtspunkt der Schaffung neuer Werte darf man nicht mit den Begriffen 'produktive und unproduktive Arbeit' unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen gesellschaftlichen Interesses verwechseln. Wenn die Arbeiter Dumdumgeschosse, Opium oder pornographische Romane herstellen, dann schaffen sie neue Werte, weil diese Waren, die Käufer auf dem Markt finden, einen Gebrauchswert besitzen, der es ihnen ermöglicht, ihren Tauschwert zu realisieren. Aber vom Standpunkt der allgemeinen Interessen der menschlichen Gesellschaft haben diese Arbeiter eine absolut unnütze, ja sogar schädliche Arbeit geleistet. (Hervorh. von mir.) Wenn die Angestellten den Wareneingang und -absatz eines Warenhauses registrieren, wenn sie den Konsumenten die Möglichkeit geben, zwischen verschiedenen Mustern der gleichen Ware zu wählen, dann leisten sie vom Standpunkte der allgemeinen Interessen der Gesellschaft aus eine nützliche und produktive Arbeit, ohne allerdings neue Werte zu schaffen. Indes ist es schwer, die Trennungslinie zu ziehen zwischen Arbeit, die neuen Wert schafft und solcher, die dies nicht tut. Allgemein kann man sagen, daß jede Arbeit, die Gebrauchswerte schafft, verändert oder erhält oder für ihr Zustandekommen technisch unabdingbar ist, produktive Arbeit ist, daß sie also den Tauschwert erhöht. Zu dieser Kategorie rechnet nicht nur die Arbeit der industriellen Produktion, sondern auch die Lagerarbeit, die Transportarbeit, ohne die die Gebrauchswerte nicht konsumiert werden können“ (Ernest Mandel, Marxistische Wirtschaftstheorie, Bd.1, Frankfurt 1972, S. 222) Arbeit, die neue Werte schafft, ist für Mandel wie für Adam Smith diejenige, die einen sicht- und tastbaren Gegenstand hinterlässt. Die Arbeit der Verkäuferin im Warenhaus schafft nach seiner Meinung daher keinen neuen Wert, wäre also unproduktiv. Um Lager- und Transportarbeiter dennoch zu produktiven Arbeitern erklären zu können, wird als weiteres Kriterium die Nützlichkeit oder „technische Unabdingbarkeit“ eingeführt, und zwar nicht Nützlichkeit überhaupt, sondern Nützlichkeit vom „allgemein-gesellschaftlichen“ Standpunkt, damit die Produzenten von Wichsvorlagen und Kriegsgerät nicht zu der gutbürgerlich - proletarischen Ehre kommen, produktiv genannt zu werden.

Wirtschaftliche Produktivität ist immer Produktivität des Produzenten, des (“Einzel“-)-Unternehmers, des Kapitals. „Gesamtgesellschaftliche Produktivität“ ist ein ebensolcher Unbegriff wie „gesellschaftliches Eigentum“. Produktivität ist immer die Produktivität des „Einzel“kapitals. Ein Gesamtkapital als Totalität, das also mehr ist als die Summe seiner Einzelkapitale, gibt es nicht. Die Kapitalproduktion kann nicht gesellschaftlich sein, sondern ist der exakte Gegensatz zu gesellschaftlicher Produktion.

Andererseits ist Produktivität von Rentabilität zu unterscheiden. Rentabel ist alles, wodurch man sein eingesetztes Geld vermehrt; Produktivität ist diejenige Art von Rentabilität, die aus der Anwendung von Lohnarbeit entspringt.

Der Unternehmer hat freilich unmittelbar (= betriebswirtschaftlich) keinen Grund, diese Unterscheidung zu machen, deshalb kann man zugespitzt auch sagen: Rentabilität ist das, was der Unternehmer für Produktivität hält.

b) Der DDR-Wirtschaftswissenschaftler und Statistiker Fritz Behrens (gest. 1980) unterschied produktive und unproduktive Arbeit danach, ob Einkommen „verausgabt (wird), um konkrete Arbeit, in einem materiellen Produkt vergegenständlicht oder nicht, oder abstrakte, verwertbare Arbeit zu kaufen. (...) Wird Einkommen verausgabt, um konkrete Arbeit zu kaufen, so ist dies Konsumtion. Wird Einkommen verausgabt, um abstrakte Arbeit zu kaufen, so ist dies Produktion.“ (Fritz Behrens, Alte und neue Probleme der politischen ökonomie, Berlin 1948, S. 94) Behrens hat die Begriffe „konkrete und abstrakte Arbeit“ umdefiniert. Als konkrete Arbeit bezeichnet er diejenige, deren Produkt von ihrem Käufer als Gebrauchswert konsumiert wird, während abstrakte Arbeit diejenige ist, deren Produkt das Kapital ihres Käufers mehren soll. Konkrete Arbeit ist nur Wertproduktion, abstrakte Arbeit Kapitalproduktion. Abstrakte Arbeit bei Marx war dagegen die Erwerbstätigkeit, das heißt die Produktion von Wert.

Unproduktive Arbeit schreibt Behrens dem Mittelstand zu. Dabei unterscheidet er eine alte und eine neue Mittelklasse. Die alte Mittelklasse besteht aus „Produzenten, die ohne ihre eigene Arbeitskraft an das Kapital zu verkaufen, aber auch ohne Ausbeutung fremder Arbeitskraft von eigener Arbeit leben, indem sie diese gegen das Einkommen aus Lohn oder Profit austauschen. Diese von eigener Arbeit lebenden Warenproduzenten sind im Sinne des Kapitals ebenso unproduktiv wie die Bezieher eines von beiden ursprünglichen Einkommen abgeleiteten Einkommens, die Produzenten persönlicher oder allgemeiner Dienste.“ (Behrens l. c., S. 86)

Die einfache Warenproduktion ist in der Tat zum Untergang verurteilt, aber die mittelständische und Kleinproduktion von heute ist gerade keine einfache Warenproduktion, sondern produziert Kapital, nicht bloß die Bedürfnisse des Arbeitenden. Allgemein kann man gerade nicht sagen, daß „mittelständische“ bzw. kleine Produktion als solche zum Untergang verurteilt ist. Mittelständische und kleine Kapitalproduzenten gehen ebenso massenhaft ein, wie sie massenhaft neu entstehen. Dieselbe Konkurrenz, die in manchen Bereichen massenhaft „mittelständische Existenzen“, das heißt kleine und nicht konkurrenzfähige Kapitale vernichtet, kann in anderen Bereichen wieder kleines Kapital hervortreiben. Eine einheitliche Entwicklung hin zu immer größeren Wirtschaftseinheiten gibt es nicht.

Als neue Mittelklasse bezeichnet Behrens die nicht kapitalproduzierende Lohnarbeit der Lohnabhängigen der staatlichen allgemeinen Dienstleistungen: Gesundheitswesen, Bildungswesen, Straßenbauverwaltung usw., eine Erscheinung, die bei Marx nur am Rande vorkommt, weil es sie eben zu seiner Zeit noch nicht gab. Behrens bestimmt sie nach der mittleren sozialen Stellung, nach Schulbildung, Herkunft, Weltanschauung, also nicht nach wirtschaftlichen, sondern nach soziologischen Kriterien.

Mit allem, was als Ware produziert wird, lässt sich auch Kapital produzieren.

PRODUKTIV ist jede Anwendung von Lohnarbeit zum Zweck der Kapitalproduktion, also beispielsweise auch:

- zur Produktion persönlicher oder unpersönlicher Dienstleistungen: das Frisieren von Köpfen ebenso wie das Verkaufen von Waren, das Bedienen im Restaurant ebenso wie das Putzen von Fußböden.

Natürlich ist die Produktion von Dienstleistungen im allgemeinen für Betrügereien besser geeignet als die Herstellung handfester Waren, doch ist sie deswegen nicht als solche unproduktiv. Auch sagt der Umfang eines Wirtschaftszweigs nichts über die Produktivität aus.

- zur Produktion solcher Güter und Dienstleistungen, die vom Standpunkt der „Gesamtgesellschaft“, der Moral, der ökologie oder sonst einem nicht-wirtschaftlichen Standpunkt abzulehnen sind oder deren Produktion vom Staat aus mehr oder weniger gutem Grund verboten ist, wie etwa die Fabrikation von Kokain oder die Vermittlung von Kindern zur sexuellen Befriedigung einer zahlenden Nachfrage.

UNPRODUKTIV ist dagegen

- der Transfer von Geld von einer Tasche in die andere, beispielsweise

vom Staat zu den Wirtschaftssubjekten als Subventionen oder Sozialleistungen oder in umgekehrter Richtung als Steuern und Abgaben,

zwischen Personen durch Unterhaltszahlungen, Erbschaft, Spenden, Schenkungen,

die illegale Umverteilung durch Raub, Diebstahl, Betrug usw.

Einkommen aus Umverteilung oder Transferleistungen, ob freiwillig oder unfreiwillig, legal oder illegal ist ebenso Einkommen wie jedes andere, und auch die Liebhaber der produktiven Arbeit anderer fragen nicht danach, ob und in welchem Maße oder gar auf wessen Kosten sie ihr eigenes Einkommen auch tatsächlich „verdient“ haben. Denn schließlich ist Zweck der Unternehmung die Rentabilität und nicht die Produktivität als solche, und die Ausbeutung von Lohnarbeit nur eine Methode, sich zu bereichern.
Im Einzelfall muß das „allgemeine Interesse“ aller Geschäftemacher entscheiden, wo die gewöhnliche Kriminalität aufhört und die unternehmerische Leistung anfängt. Dabei kann schon mal der Eindruck entstehen, daß es nur der Erfolg ist, der einen „Topmanager“ oder „Wirtschaftsführer“, wie man heute wieder gerne sagt, von einem Kriminellen unterscheidet.

- Der Kauf- bzw. Verkaufsakt selbst: Herr A verkauft dem Herrn B eine Ware, ohne daß für das Zustandekommen des Verkaufs Lohnarbeit stattfindet (Prinzip Flohmarkt). Solche Geschäfte sind zwar möglicherweise rentabel, aber nicht produktiv. (Produktiv ist dagegen das Handelskapital, und zwar deshalb weil (und insofern als) Supermärkte und Banken ihren Profit nicht primär aus dem Betrügen ihrer Kunden, sondern aus der Anwendung ihrer Angestellten ziehen.

- Jede Produktion, die nicht Kapitalproduktion ist:

die Einstellung von Dienstboten („menial servants“ bei Adam Smith): Eine Privatperson kauft sich Arbeitskräfte, nicht um damit Geld zu verdienen, sondern damit sie ihr als Butler, Köchin, Hauslehrer, Leibwächter, Gärtner, Putzfrauen, Fahrer usw. „zu Diensten“ sind. Dieser Fall hat im Vergleich zu den vergangenen Jahrhunderten stark an Bedeutung verloren. Zwar üben vielleicht mehr Leute als je zuvor solche Arbeiten aus, aber nicht als Hausdiener, wie in den vergangenen Jahrhunderten, sondern als Staatsangestellte (z. B. Lehrer an allgemeinbildenden Schulen) oder aber als kapitalproduktive Arbeiter/ innen von Dienstleistungsunternehmen.

die „Tätigkeit des Souveräns und seiner Diener“ (Adam Smith), die Staatstätigkeit also. (Die professionellen Diener Gottes rechnen wir auch zu den Staatsdienern, solange sie nicht vom Allmächtigen bezahlt werden.) Adam Smith ebenso wie Karl Marx verstanden darunter noch hauptsächlich Militär, Polizei und die allgemeine Staatsverwaltung. In unserem Jahrhundert hat der Staat solche allgemeine Dienstleistungen übernommen, die zwar eine Voraussetzung der Erweiterung der Kapitalproduktion bildeten, mit denen selbst aber (noch) kein Kapital zu produzieren war (Eisenbahn, Fernmeldewesen, Post, allgemeinbildendes Schulwesen, Energiewirtschaft usw). Damit ist die Staatstätigkeit heutzutage die bedeutendste Form unproduktiver Anwendung von Lohnarbeit geworden. Sobald einzelne dieser Dienstleistungen beispielsweise aufgrund des technischen Fortschritts in der Lage sind, selbst Kapital zu produzieren, werden sie „privatisiert.“
(Davon ist der Fall zu unterscheiden, wo der Staat, um Geld zu verdienen, selbst als Unternehmer auftritt und Kapital produziert. In diesem Fall ist der Staat Unternehmer wie jeder andere, der Lohnarbeiter aber auch Lohnarbeiter wie jeder andere.)

Wer Lohnarbeit kauft, um das Arbeitsprodukt selbst zu konsumieren, ist nicht Unternehmer, sondern Dienstherr, der Geld für Arbeitskraft ausgibt, statt damit Geld zu verdienen, der konsumiert, statt zu produzieren. Solche unproduktive Anwendung von Lohnarbeit stellt ihrem Wesen nach eine übertragung feudaler Gepflogenheiten auf kapitalistische Verhältnisse dar; traditionell unproduktive Bereiche (insbesondere Armee, Justiz, Kirche und Universität) sind daher auch Reservate vorkapitalistischer Gebräuche und Vorstellungen.

c) Die „einfache Warenproduktion“, wo der Produzent sein Produkt nur gegen seine Lebens- und Produktionsmittel austauscht. Solche Produzenten – wie im 19. Jahrhundert vielleicht die Trapper in Nordamerika oder sibirische Kolonisten – produzieren kein Kapital. Der Begriff Produktivität setzt Lohnarbeit und Kapital voraus. „Einfache Warenproduktion“ bedeutet, daß die Produktionsmittel (noch) keinen Kapitalcharakter tragen und Produktion und Verkauf der Ware ausschließlich dem Lebensunterhalt (Konsum) des Produzenten und seiner Angehörigen dienen, ist also vorkapitalistische, unentwickelte Warenproduktion, Subsistenzproduktion, unvereinbar mit kapitalistischen Verhältnissen.

Ein selbständiger Produzent mit eigenen Produktionsmitteln, aber ohne Lohnarbeiter ist aber (im Unterschied zu kanadischen Trappern oder den sagenhaften „Urmenschen“ der Wirtschaftstheorie) gerade kein einfacher Warenproduzent. Um „sein eigener Herr“ sein zu können, müßte er nicht nur die eigene Arbeitskraft und die sachlichen Produktionsmittel reproduzieren, sondern sich selbst darüber hinaus einen Mehrwert erwirtschaften. „Als Besitzer der Produktionsmittel ist er Kapitalist, als Arbeiter ist er sein eigener Lohnarbeiter. Er zahlt sich also sein Salär als Kapitalist und zieht seinen Profit aus seinem Kapital, das heißt er exploitiert sich selbst als Lohnarbeiter.“ (Theorien über den Mehrwert, MEW Bd. 26. 1, S.383) So wie der Baron von Münchhausen sich am eigenen Zopf aus dem Sumpf zog. Ein solches Unternehmen kann nicht produktiv sein. Damit ist nichts über seine Rentabilität gesagt (rentabel könnte es beispielsweise werden durch öffentliche Förderung oder geschickten Betrug); unrentabel wird es aber dann sein, wenn es über keine andere Quelle der Rentabilität verfügt als den Fleiß seines Besitzers.

ANMERKUNGEN

[1]Würde man tatsächlich das Einkommen allein von der aufgewendeten Mühe des Einzelnen abhängig machen (die man ja durchaus messen kann), käme man zu einer sehr seltsamen Lohnskala.
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[2]Hannah Arendts „Vita activa oder Vom tätigen Leben“ („The Human Condition“, Chicago 1958, deutsch 1967) trennt die vita activa nicht in Arbeit und Nicht-Arbeit, sondern in Arbeiten, Herstellen und Handeln. Wobei mit Handeln natürlich nicht das Kaufen und Verkaufen, mit Arbeiten nicht die Erwerbstätigkeit und mit Herstellen nicht das Arbeiten gemeint ist. „Die Tätigkeit der Arbeit entspricht dem biologischen Prozess des menschlichen Körpers, der (...) sich von Naturdingen nährt, welche die Arbeit erzeugt und zubereitet (...) Im Herstellen manifestiert sich das Widernatürliche eines von der Natur abhängigen Wesens, das sich der immerwährenden Wiederkehr des Gattungslebens nicht fügen kann (...) Das Herstellen produziert eine künstliche Welt von Dingen (...) Das Handeln ist die einzige Tätigkeit der vita activa, die sich ohne die Vermittlung von Materie, Material und Dingen direkt zwischen Menschen abspielt.“ (Vita activa oder vom tätigen Leben, S. 16f) Arbeit ist diejenige Tätigkeit, die die Subsistenz des Einzelnen und der Gattung sichert, das Herstellen „errichtet eine künstliche Welt“, das Handeln „schafft die Bedingungen für eine Kontinuität der Generationen, für Erinnerung und damit für Geschichte.“ (ebd., S. 18) Eine solche Einteilung ist willkürlich. Die reale Spaltung der „vita activa“, der Lebenstätigkeit, kurz des Lebens durch die Erwerbstätigkeit kommt bei Hannah Arendt nicht vor; ihr Ansatz fällt daher hinter den Einsichten von Marx und Moses Hess zurück.
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[3]Im Gegensatz zu unserem Sprachgebrauch verstand man im 18. und 19. Jahrhundert (auch in den „Theorien über den Mehrwert“ von Marx) unter Dienstleistungen schlicht die Arbeit von Dienstboten.
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[4]Darin besteht die wirtschaftliche Relevanz einer Tätigkeit, sei sie nun Arbeit oder nicht. „Alle der Bedürfnisbefriedigung dienenden Leistungen, welche unter den herrschenden Sitten von anderen Personen ausgeführt werden können, (können wir) als Dienste im wirtschaftlichen Sinne bezeichnen, (gleichgültig), ob sie tatsächlich vom Subjekte selbst oder von anderen Personen ausgeführt werden. Das Haareschneiden ist nach dieser Definition als eine wirtschaftliche Tätigkeit zu betrachten, auch wenn jemand sein Haar selbst schneidet.“ (Gustav Cassel, Theoretische Sozialökonomie, Leipzig 1932, S. 10) Es ist wirtschaftlich immer von Bedeutung, wenn jemand für sich selbst macht, was er auch für andere tun könnte oder umsonst tut, wofür er Geld verlangen könnte.
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[5]Eine solche Darstellung des „wirtschaftlichen Tatbestandes der Lohnarbeit“ kritisieren auch die westdeutschen (Neo)Marxisten der sechziger und siebziger Jahre als „Unreife“ des (jungen) Karl Marx: „Die Arbeit als bloße Zwangsarbeit charakterisiert, erfasst nur die repressive Seite ihres Charakters; das attraktive Moment, das durchaus auch für die Arbeit unter dem Kapitalverhältnis Gültigkeit besitzt, ist darin völlig vernachlässigt.“ (Sozialistische Studiengruppen/ SOST, Entfremdung und Arbeit, Hamburg 1980, S. 63) Marx setze außerdem zu Unrecht Lohnarbeit gleich mit Arbeit überhaupt; seine Darstellung der Erwerbstätigkeit als „bloßen Zwang“ zeige, daß es ihm noch schwer falle, „die Gesellschaftlichkeit der Arbeit in der kapitalistischen Produktionsweise zu begreifen.“ Entfremdung ist kein psychischer Zustand, sondern ein wirtschaftlicher Tatbestand. Entfremdet sind dem Arbeiter (das heißt dem arbeitenden Menschen; wir reden hier noch nicht speziell von Lohnarbeitern) 1. seine Tätigkeit und deren Produkt, 2. die Konsumenten, für die er produziert, 3. die Produzenten seiner eigenen Bedürfnisse, in ihrer Gesamtheit häufig als „Gesellschaft“ bezeichnet. „Ich produziere ein fremdes Bedürfnis, Fremde produzieren meine Bedürfnisse.“
Eine umfangreiche sozialwissenschaftliche, philosophische und theologische Literatur beschäftigt sich im Westen mit den „Aspekten der Entfremdung“. Der Entfremdungsbegriff wird aber dabei als Problem des Intellekts (des „Verstehens komplexer Zusammenhänge“) und der Psyche („Gefühl von Isolierung und Sinnlosigkeit“), als Problem der ewigen menschlichen Natur verstanden, das die Sozialwissenschaften „beschreiben und beklagen“ (nach P. Ch. Ludz, in: Klaus Horn, Artikel „Entfremdung“ in Nohlen/ Schulze, Pipers Wörterbuch zur Politik), ein Problem des Individuums, das „Abläufe nicht mehr übersehen kann“ etc. Das Individuum ist nicht unterdrückt und isoliert, sondern es fühlt sich so.
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[6]Der Begriff „Arbeit“ wurde ursprünglich allgemein auf die Erwerbstätigkeit angewandt; „Arbeiter“ bedeutete bis ins 19. Jahrhundert und auch in den Marxschen frühen Manuskripten (im Gegensatz zum heutigen Sprachgebrauch) nicht nur Lohnarbeiter, sondern allgemein „erwerbstätiger Mensch“. „(...) mittelhochdeutsch arbeiter 'Tagelöhner, Handwerker'; seit dem 19. Jahrhundert Standesbezeichnung des Lohnarbeiters in Industrie und Landwirtschaft.“ (Drosdowski/ Grebe, Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache. Mannheim 1963) Denselben Bedeutungswandel erfuhr die französische Entsprechung ouvrier: „Jusqu'au XVIIe siècle, ouvrier est plus ou moins synonyme d'artisan et parfois d'artiste (qui changera de sens à la fin du XVIIe siècle) (...); artisan s'oppose dans des divers usages régionaux à paysan et à bourgeois. (...) C'est au cours du XIXe siècle que se fait la distinction économique entre le travailleur manuel qui exerce sa profession pour son propre compte (...) et le salarié d'une entreprise.“ (Robert, Dictionnaire historique de la langue française, s. v. ouvrier, artisan). Auch bei Proudhon bedeutet ouvrier „Erwerbstätiger“, eine Person, die im Gegensatz zur Aristokratie oder den capitalistes von ihrer Hände Arbeit lebt, gleich ob Lohnarbeiter oder selbständiger Gewerbetreibender. Erst in „Lohnarbeit und Kapital“ 1849 wendet Marx den Begriff Entfremdung speziell auf den Lohnarbeiter an: „Die Arbeitskraft ist also eine Ware, die ihr Besitzer, der Lohnarbeiter, an das Kapital verkauft. Warum verkauft er sie? Um zu leben. Die Betätigung der Arbeitskraft, die Arbeit, ist aber die eigene Lebenstätigkeit des Arbeiters, seine eigene Lebensäußerung. Und diese Lebenstätigkeit verkauft er an einen Dritten, um sich die nötigen Lebensmittel zu sichern. Seine Lebenstätigkeit ist für ihn also nur ein Mittel, um existieren zu können. Er arbeitet, um zu leben. Er rechnet die Arbeit nicht in sein Leben ein, sie ist vielmehr Opfer seines Lebens. Sie ist eine Ware, die er einem Dritten zugeschlagen hat. Das Produkt seiner Tätigkeit ist daher auch nicht der Zweck seiner Tätigkeit. (...) Was er für sich selbst produziert, ist der Arbeitslohn. (...)“ ( Marx, Lohnarbeit und Kapital, MEW, Bd. 6, S. 400)
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[7]Produzent des Tisches mag der Lohnarbeitende sein; Produzent der Ware Tisch (oder was auch immer), das heißt tats#228chlicher Produzent ist der Unternehmer, allgemein: das Kapital. Im 18. Jahrhundert wurde der Lohnarbeiter bildlich als ein zusätzlicher „gesellschaftlicher“ Arm (oder Bein oder Kopf) des Unternehmers bezeichnet. John Locke (1696) stellt den „Knecht“ mit dem Arbeitspferd und nicht lebendigen Produktionsmitteln auf eine Stufe: „Das Gras, das mein Pferd gefressen, der Torf, den mein Knecht gestochen, das Erz, das ich an irgendeinem Ort gegraben, (...) werden (...) mein Eigentum ohne irgendjemandes Zuweisung oder Zustimmung. Meine Arbeit, die sie dem gemeinen Zustand in dem sie sich befanden, enthoben hat, hat mein Eigentum an ihnen bestimmt.“ (über die Regierung, § 28, Hervorhebungen von mir.) „ökonomisch gesehen, ist die Arbeit des Lohnarbeiters gar nicht 'seine', sondern die des ihn 'Beschäftigenden'.“ (Iring Fetscher, Arbeit und Spiel. Essays zur Kulturkritik und Sozialphilosophie, S. 60)
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[8]Man kann zwar konsumieren, ohne zu produzieren, aber nicht produzieren, ohne zu konsumieren. Zwar sind alle Waren gleichermaßen zum Konsum bestimmt, doch unterscheidet man üblicherweise zwischen Konsumgütern in einem engeren Sinne (die dem menschlichen Genuß dienen) und Investitionsgütern, die der Produktion von Waren dienen, konsumiert werden „um aus Geld mehr Geld zu machen“, um Kapital zu produzieren.
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[9]Der Fleiß führt notwendigerweise zu überproduktion und damit zu Wirtschaftskrisen und Entlassungen. „Die Enthaltsamkeit, zu welcher sich die produktive Klasse hat verurteilen lassen, macht es der Bourgeoisie zur Pflicht, sich der überkonsumtion der von dieser in überzahl verfertigten Produkte zu weihen.“ (Das Recht auf Faulheit, S. 42) Natürlich malt Lafargue diese Pflicht satirisch aus: Der „Bourgeois“ muß sich mit „Trüffelkapaunen“ und Château Lafitte einen Bauch anmästen „um Geflügelzucht und Weinbau zu fördern“, es ist seine „heilige Pflicht“, die Prostitution zu fördern und die Syphilis zu verbreiten, „nur damit die todbringende Arbeit in den Quecksilbergruben doch einen Zweck habe“, oder, wenn er zu solchen Ausschweifungen nicht in der Lage ist, „dickbändige, schlafsuchterregende Bücher aus(zu)brüten, um Schriftsetzern und Buchdruckern Arbeit zu geben.“ Die Frauen müssen als „heilige Dulderinnen, eingeschnürt in ihre Korsetts, die Füße in enge Stiefeletten gezwängt, den Busen in einer Weise entblößt, daß ein Gardeleutnant darüber rot werden könnte, sich ganze Nächte hindurch auf ihren Wohltätigkeitsbällen herumdrehen, um einige Mark für die Armen zusammenzubringen.“ (ebd., S. 43) Weiterhin muß die Bourgeoisie, „um ihrem doppelten gesellschaftlichen Beruf als Nichtproduzent und überkonsument nachzukommen, (...) eine enorme Masse Menschen der produktiven Arbeit entziehen, um sich Mitesser zu verschaffen.“ Daher gebe es heute bereits mehr „unproduktive“ (worunter Lafargue versteht: Dienstboten und „Luxusberufe“ ausübende Menschen – „Diamantschleifer, Spitzenarbeiterinnen, Luxusstickerinnen, Galanteriearbeiter, Modeschneider“) als produktive Arbeiter. Für Lafargue ist die Konsumtionsfähigkeit der Bourgeoisie die Grenze der kapitalistischen Produktion. „Das Recht auf Faulheit“ könnte man insofern als eine vorweggenommene Satire auf den Keynesianismus lesen. Lafargue stellt (wie die Sozialdemokraten und später die Kommunisten überhaupt) den Kapitalismus dar als Herrschaft der konsumierenden über die produzierende Klasse. Originell ist nur, daß er, statt wie bei radikalen Sozialisten üblich den Kapitalisten harte Arbeit zu verordnen, die Arbeiter rhetorisch „zwingen“ möchte, ihre Produkte selbst zu verzehren.
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[10]Deutlich wird dies in der Popularisierung: „Alle physischen Eigenschaften der Ware, die ihren Gebrauchswert ausmachen, werden durch die spezifische Arbeit, mit der sie hergestellt werden, bestimmt: die Weberarbeit bestimmt die Größe, die Feinheit und das Gewicht der Leinwand, die Töpferarbeit die Haltbarkeit, die Form und die Farbe des Topfes. Aber wenn die Waren auch das Ergebnis einer bestimmten, spezifischen Arbeit sind, so sind sie außerdem noch das Ergebnis gesellschaftlich-menschlicher Arbeit, das heißt eines Teils der Gesamtarbeitszeit, über die eine bestimmte Gesellschaft verfügt und auf deren ökonomie (...) die Gesellschaft überhaupt beruht. Das allein macht die Waren vergleichbar; die allgemein menschlich Arbeit also – abstrakt ausgedrückt, weil man von ihren spezifischen Merkmalen absieht, wie man bei der Addition von drei äpfeln, vier Birnen und fünf Bananen von deren spezifischen Qualitäten abstrahieren muß, um einfach zwölf Früchte zu erhalten – ist die Grundlage des Tauschwerts.“ (Ernest Mandel, Marxistische Wirtschaftstheorie, Frankfurt/Main 1971, S. 73f) Abstrakte Arbeit, hier bezeichnenderweise „gesellschaftlich menschliche“ genannt, ist für Mandel also der Oberbegriff, die Abstraktion („Früchte“) der einzelnen konkreten Nützlichkeiten.
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[11]Die Gleichsetzung von „geistiger“, das heißt nicht-körperlicher Arbeit mit Leitungstätigkeit ist antiquiert. Ein Lohnarbeiter, der Maschinentätigkeit überwacht und reguliert, statt selbst „Maschinentätigkeit auszuüben“, steht damit nicht „neben dem Produktionsprozess“. Ob jemand für seinen Lebensunterhalt Kohlen schaufelt oder zum selben Zweck im Leitstand eines Kraftwerks vor einem Schaltpult sitzt, ist zwar in vieler Hinsicht ein Unterschied, aber nicht hinsichtlich des Produktionsverhältnisses. Beide produzieren ihren Wert und damit den Mehrwert. Auch wenn der eine rußig wird und der andere nicht, stehen beide unter dem selben Zwang, ist beider Arbeit gleichermaßen abstrakt, steht keiner von beiden „neben dem Produktionsprozeß.“ Wo „geistige Tätigkeit“ (künstlerische, wissenschaftliche, politische Tätigkeit) privilegiert ist, ist sie es nicht als solche, sondern als mit Leitungstätigkeit verbundene. Wo diese Verbindung nicht mehr existiert, wird sie gewöhnliche Lohnarbeit.
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[12] „Es ist aber genaugenommen eine der Hauptqualitäten des Kommunismus, daß in ihm der Gegensatz zwischen Genuß und Arbeit verschwindet. Der Genuß ist nur im Zustand des von der Gesellschaft getrennten Besitzes (des Eigentums, B. K.) von der Arbeit verschieden. Der Zustand der Gemeinschaft ist die praktische Verwirklichung der philosophischen Ethik, welche in der freien Tätigkeit den wahren und einzigen Genuß, das sogenannte höchste Gut erkennt. Umgekehrt ist der Zustand des getrennten Besitzes die praktische Verwirklichung des Egoismus und der Unsittlichkeit, die einerseits die freie Betätigung negiert und zu sklavischer Arbeit erniedrigt und andererseits an die Stelle des höchsten Gutes des Menschen (seiner Selbstbetätigung) den tierischen Genuß als das würdige Ziel einer ebenso tierischen Arbeit setzt.“ (Moses Hess, Socialismus und Communismus; in: A. Cornu/ W. Mönke, Moses Hess – Philosophische und sozialistische Schriften 1837 – 1850, S. 204) „Die Arbeit, die Gesellschaft überhaupt soll nicht organisiert werden, sondern sie organisiert sich von selbst, indem jeder tut, was er nicht lassen kann und unterlässt, was er nicht tun kann. (...) aus der Mannigfaltigkeit der freien menschlichen Neigungen oder Tätigkeiten besteht der freie, nicht tote, gemachte, sondern lebendige, ewig junge Organismus der der freien menschlichen Gesellschaft, der freien menschlichen Beschäftigungen, die hier aufhören, eine 'Arbeit' zu sein, die hier vielmehr mit dem Genuß durchaus identisch sind.“ (ebd., S. 206 f)
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[13]Ob die tatsächliche Arbeitszeit wirklich viel kürzer geworden ist, ist einigermaßen schwierig zu beurteilen. „Die Ausdifferenzierung der 'Wachzeit' in hermetisch getrennte Zeitbudgets (...) war in der vorindustriellen Gesellschaft unbekannt, sowohl was die Sache, als auch was die Begriffe angeht.“ (Otto, Arbeitszeiten in unterschiedlichen Epochen, in: LEVIATHAN Sonderheft 11, Sozialphilosophie der industriellen Arbeit, S.53) Daher gibt es vor dem 19. Jahrhundert auch kaum Quellen zur Arbeitszeit. „Arbeitszeitordnungen“ kannte man höchstens aus dem Bergbau. „Ein jeglicher Bergmann und Arbeiter, niemand ausgeschieden, soll seine rechte Schicht treulich arbeiten, nämlich 7 Stunden, als 6 Stunden zu arbeiten und die siebente aus- und einzufahren.“ (Bergordnung für den Rammelsberg im Harz, 1544, zitiert nach Otto, l. c.)
Nebenbei bemerkt, unterschieden sich diese frühen Bergordnungen, was die Länge der Arbeitszeit angeht, nicht markant von heutigen Tarifarbeitszeiten.
Erst mit der Industrialisierung wurde die Trennung von „Arbeit und Genuß“ (Moses Hess), Freizeit und Arbeit und die Verkürzung des Arbeitstags zum Thema. „’Arbeitszeit’ im heutigen Verständnis ist ein Zeitbudget, das durch rechtliche Normierung oder organisatorische Regeln und Verpflichtungen auf die Leistungserbringung (...) begrenzt ist; eine Zeit also, in der 'wirklich gearbeitet’ wird“ (Otto, l. c.) Nun erst verlangte es „der gesunde Menschenverstand“, „den Arbeitstag so einzuteilen, daß während der Arbeit wirklich gearbeitet und während der Ruhepausen wirklich geruht wird; d. h. es soll eine scharfe Grenze gezogen werden und nicht beides gewissermaßen gleichzeitig geschehen.“ (Frederick W. Taylor, Die Grundsätze der wissenschaftlichen Betriebsführung, dt. München 1913, S. 91 f) Die geringere Intensität der Arbeit im 19. Jahrhundert läßt sich indirekt auch an den Vorstellungen des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins von 1867 ablesen, der einen Maximalarbeitstag von zwölf Stunden propagierte – allerdings inclusive zwei Stunden Pause für Mahlzeiten. (Im Sinne der Industrialisierung sehr viel realistischer empfahl Marx zur selben Zeit bereits den Achtstundentag.) In Deutschland wurde nach der Novemberrevolution 1918 der Achtstundentag und damit die 48-Stunden-Woche für kurze Zeit gesetzlich verankert. „Schon 1923 wurde der Grundsatz des Achtstundentags jedoch durch viele Ausnahmen durchlöchert; insbesondere wurde die Strafbarkeit der ‘Entgegennahme’ von Mehrarbeit aufgehoben.“ (Däubler, Ratgeber Arbeitsrecht, Reinbek 1991, S.243) 1938 führten die Nationalsozialisten die Arbeitszeitordnung (AZO) ein, eine sehr elastische Regelung, die bis 1994 Bestand hatte. „Die AZO schrieb im wesentlichen den Rechtszustand fort, der 1923 erreicht war.“ (Däubler, l. c.) Die AZO hielt im Prinzip am Achtstundentag und der 48-Stunden-Woche fest, ermöglichte es aber dem Unternehmer, im Einvernehmen mit den Aufsichtsbehörden die Arbeitszeit auf bis zu zehn Stunden täglich und sechzig Stunden pro Woche — das heißt faktisch nahezu beliebig — zu erhöhen. 1994 wurde die AZO durch das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) ersetzt.
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[14]„Arbeit als Produktionsfaktor ist der Teil körperlicher und geistiger Tätigkeiten des Menschen, der auf die Herstellung von Sachgütern und Dienstleistungen zur Bedürfnisbefriedigung zielt.“ (Streit/ Umbach/ Bartelsperger, Die Wirtschaft heute, 2. Aufl., Mannheim 1980) „Wir leben nicht im Schlaraffenland, in dem uns die gebratenen Tauben in den Mund fliegen. Selbst dort, wo uns die Natur die Früchte bereitstellt, ohne daß sie angebaut werden müssen, bedarf es einer gewissen Anstrengung, sie zu suchen, zu pflücken und zuzubereiten. Es sind geistige und körperliche Anstrengungen des Menschen, also Arbeit notwendig.“ (Hartmann, Theorie und Praxis der Volkswirtschaftspolitik [ein übliches Lehrbuch für Wirtschaftsgymnasien], S. 21) Natürlich wurde in keiner „Volks“wirtschaft jemals etwas anderes produziert als Kapital; bei den bekannten Auseinandersetzungen zwischen Freiheit und Sozialismus geht es um Fragen der Methode, um die öffnung von Märkten, die Senkung des Staatsanteils, das heißt die Beseitigung von Hindernissen für den freien Welthandel und um vieles andere, nicht jedoch um die Produktionsweise. Diese stand eigentlich noch nie zur Debatte.
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[15]Dies behaupten die marxistischen Krisentheorien. „Die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivität der Arbeit im Kapitalismus bedingt einerseits ein Sinken des Tauschwerts im Verhältnis zum Gebrauchswert der Waren, und andererseits eine mengenmäßige Vermehrung der Gebrauchswerte, die den sinkenden Tauschwert kompensiert.“ (Paul Mattick, Marx und Keynes. Die Grenzen des gemischten Wirtschaftssystems. Frankfurt 1971, S. 67, Unterstr. von mir) — „Die Gebrauchswertseite des Kapitals bleibt von der Krise weitgehend unbeeinflußt, außer, wenn materielle Produktionsmittel, wie in Krisenzeiten, tatsächlich zerstört werden. Aber während der Krise und der nachfolgenden Depression werden Kapitalwerte vernichtet. Die gleiche Quantität von Gebrauchswert stellt jetzt einen geringeren Tauschwert dar und der Mehrwert, der durch den unveränderten Gebrauchswert des Kapitals bestimmt ist, bezieht sich jetzt auf einen anderen Kapitalgesamtwert.“ (ebd., S. 79, Unterstr. von mir.) Zu bestreiten ist daran nicht der Sachverhalt der Entwertung, sondern seine Deutung als „Sinken des Tauschwerts im Verhältnis zum Gebrauchswert.“ Der Gebrauchswert bleibt in der Tat von jeder Krise unbeeinflußt, weil er eben auf Eigenschaften des Produkts (der Chemie, Physik, Biologie usw.) beruht. Doch gerade deshalb kann der Gebrauchswert nicht zum Tauschwert ins Verhältnis gesetzt werden. Was in einer Wirtschaftskrise in der Tat massenhaft und massiv kollidiert, ist die (mangelnde) Kaufkraft der Konsumenten und die Preise der Produzenten; dabei handelt es sich aber gerade nicht um eine Kollision von Gebrauchswert und Tauschwert.
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[16]Ich zitiere Mandel wie zuvor schon Paul Mattick als Beispiele. Ich nehme nicht an, daß es Marxisten gibt, die das anders sehen.
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[17]Der Lohn, auch wenn er ebenso in Geld besteht wie der Profit, hat dem Lebensunterhalt zu dienen, nicht dem Erwerb und ist insofern seinem Wesen nach keine Beteiligung am Betriebsergebnis. Er bewegt sich deshalb auch nicht mit dem Profit. „Wenn das Entgelt des Arbeiters immer dem entspräche, was er produziert, würden die auf eine Ware verwendete Menge Arbeit, und die Menge Ware, die mit dieser Ware gekauft werden kann, immer gleich sein. (...) Jedoch sie sind nicht gleich.” (David Ricardo, Prinzipien der politischen ökonomie, 1821, dt. Frankfurt 1972, S. 37 – Ricardo „vereinfacht” nur insofern, als er den Lebensunterhalt, die Reproduktion der Arbeitskraft mit dem physischen Existenzminimum gleichsetzt, gewissermaßen als Frage der Biologie behandelt.) Natürlich kann ein Lohnarbeiter im Prinzip mit seinem Einkommen dasselbe machen wie jeder andere Einkommensbezieher. Er ist keineswegs gezwungen, es sinnlos zu verprassen, sondern kann es auch sparen, spenden, Wertpapiere kaufen („ab 5000 DM!“), am besten von seinem eigenen Arbeitgeber. Wenn sein „Kapital“ tatsächlich Kapital wäre, und nicht nur aufgeschobener unproduktiver Konsum, könnte er damit auch Geld verdienen. Daß es nicht so ist, sieht man schon an der Höhe des Betrags.
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[18]Während bei Ricardo und Malthus Wohlstand zur Vermehrung und Armut zur Verminderung der lohnarbeitenden Bevölkerung führte, glaubt man heute allgemein, Wohlstand und Bildung hätten sinkende, Armut steigende Geburtenraten zur Folge. Obwohl in Neufünfland wie in den industrialisierten Staaten Osteuropas die Geburtenrate mit den Reallöhnen um die Wette sinkt.
Ein Soziologe stellte jüngst „stabile Matriarchate“ in den Unterschichten in Westdeutschland fest. Die bereits auf „Vater-Mutter-Kind“ reduzierte Kleinfamilie wird zur „Mutter-Kind“ Familie. (ZEIT-Dossier, 20.05.1998, „Macht Sozialhilfe süchtig?“) Der notwendig ungenügende Lohn des Massenarbeiters führt dazu, daß dieser real nur noch einen Bruchteil des Familieneinkommens (vielleicht mehr, vielleicht weniger als die Hälfte) „mit seiner Hände Arbeit“ verdienen kann. (Aus der Tatsache, daß die unteren Lohngruppen, die Löhne für Massenarbeit also, sich immer mehr der Sozialhilfe angleichen, schließt natürlich keiner, daß diese Löhne zu niedrig sind, sondern nur daß die Sozialhilfe zu hoch ist.) Arbeitslosigkeit und Kürzungen von Sozialleistungen verschieben innerhalb der Familie die Machtverhältnisse zugunsten der Frau. Bei längerer Arbeitslosigkeit des Mannes erzielt sowieso meistens die Frau das Haupteinkommen der Familie, wie gering auch immer; die Frau ist außerdem auch, gerade in der Unterschicht, traditionell für die Kinder zuständig; der „Ernährer“ früherer Zeiten wird de facto zu einer Belastung. Der Staat mag die Arbeitslosen von ihrer „entwürdigenden Abhängigkeit“ von öffentlichen Kassen befreien, doch schon aus Gründen der öffentlichen Ordnung muß er, wo kein zahlungsfähiger Erzeuger zu ermitteln ist, auch den Unterhalt einer arbeitslosen Mutter sicherstellen, und mehr als das könnte eine gering qualifizierte Arbeitskraft, ob weiblich oder männlich – und die Masse der Lohnabhängigen ist immer gering qualifiziert, selbst wenn sie gut ausgebildet wäre – sowieso von keiner möglichen Arbeit erwarten. Während in früheren Zeiten nach einem geflügelten Wort „das Elend der Witwen und Waisen zum Himmel schrie“, wird es unter heutigen Bedingungen für eine Frau relativ günstiger sein, unverheiratet ihr Kind aufzuziehen als einem Geringverdiener die Ehefrau zu machen. (In vielen Fällen wird es wohl auch für das Kind besser sein.) „Welfare Mother“ (der Ausdruck stammt aus den USA) wird zu einer Art Beruf, und zwar gerade da, wo es kaum andere Sozialleistungen und keine echte Arbeit gibt.
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[19]Versteht man unter Gesellschaft den Zustand, „worin die individuellen Arbeiten nicht mehr auf einem Umweg, sondern unmittelbar als Bestandteile der Gesamtarbeit existieren“ (Kritik des Gothaer Programms), „worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist“ (Kommunistisches Manifest), kann es gesellschaftliche Arbeit ebensowenig geben wie gesellschaftliches Eigentum. Einen solchen Gesellschaftsbegriff meinte auch Proudhon mit dem Satz „In der Gesellschaft sind alle Arbeitslöhne gleich.“ Der Begriff „gesellschaftliche Arbeit“ hat nur Sinn, wenn man unter Gesellschaft die Gesamtheit der auf dem Tausch beruhenden Beziehungen versteht. Als Mitglieder der Tauschgesellschaft haben wir „nur als Eigentümer füreinander Dasein“, beruhen unsere Beziehungen auf Leistung und Gegenleistung. Do ut des, do ut facias, facio ut facias. „Unsere Identität erhält Existenz durch das übergehen des Eigentums des Einen in das des Andern mit gemeinsamem Willen und Erhaltung ihres Rechts - im Vertrag.“ (Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 40) Doch ist ein solcher Gesellschaftsbegriff nicht mehr geeignet, das Allgemeine zu bezeichnen, weshalb man in neuerer Zeit den eigentlich unsinnigen Begriff „Gesamtgesellschaft“ gebildet hat. Jeder Mensch unterhält sowohl (tausch)gesellschaftliche Beziehungen als auch solche, die nicht über Ware und Geld, Arbeit und Lohn, Leistung und Gegenleistung vermittelt sind. (Niemand tauscht innerhalb der Familie oder mit Freund oder Freundin Dienstleistungen aus, obwohl die Beteiligten einander möglicherweise erhebliche Dienste leisten. Dienstleistungen innerhalb unseres Privatlebens sind nun mal „gratis“; nicht weil sie als solche nichts kosten würden, sondern weil ihre Kosten als Bestandteil der allgemeinen Lebenshaltung betrachtet werden.) „Vielfach erbringen Personen in einem ständigen Verhältnis Arbeitsleistungen, die nach den Umständen nur gegen eine Vergütung zu erwarten sind. (§ 612 Abs. 1 BGB) Dies gilt zum Beispiel in Verwandtschaftsverhältnissen, unter Verlobten usw. Solange diese Verhältnisse intakt sind, wird über eine Vergütung nicht gesprochen. Zum Streit über die Vergütung kommt es erst, wenn die wechselseitigen Beziehungen gestört sind und man sich trennen will.“ (Schaub, Meine Rechte und Pflichten als Arbeitnehmer, München 1982, S. 166) In diesem Fall bilden die Beteiligten keine Gemeinschaft zur Bewältigung ihres Lebens mehr, sondern stehen einander wieder als Fremde gegenüber, deren Beziehung wie die zu allen andern nur über Austausch von Leistungen, über Geld vermittelt ist. Bei Marx finden sich zwei Gesellschaftsbegriffe nebeneinander: Gesellschaft als Zustand, „worin die individuellen Arbeiten nicht mehr auf einem Umweg, sondern unmittelbar als Bestandteile der Gesamtarbeit existieren“ (Kritik des Gothaer Programms), „worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist.“ (Kommunistisches Manifest) und als Gesamtheit der Beziehungen zwischen Warenbesitzern (Tauschbeziehungen) oder allgemeiner gesprochen zwischen Eigentümern überhaupt, Verhältnis der Wirtschaftssubjekte zueinander. Daher bezeichnet Marx das Verhältnis des Kapitalisten zum Lohnarbeiter als ein „gesellschaftliches“, spricht von „gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit“ usw.
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[20]„In der Tradition der Verurteilung des Privateigentums markiert Karl Marx eine folgenreiche Zäsur“, konstatiert Künzli. Worin jedoch diese Zäsur besteht, erfahren wir nicht, obwohl das Kapitel über Marx das umfangreichste in seinem Buch ist. Künzli ist vielmehr bemüht, Marx in eine Reihe mit den anderm historischen „Eigentumsfeinde“ zu stellen. An allen Ecken und Enden der Geistesgeschichte, angefangen bei Plato, Aristoteles und den Kirchenvätern bis ins ferne China entdeckt er den Geist von Karl Marx. Außer bei Karl Marx, da entdeckt er den Aristoteles, Thomas von Aquin, Rousseau, Diderot usw.
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[21]„Besitz (§§ 854 BGB) bedeutet nur die tatsächliche Herrschaft einer Person über eine Sache, während Eigentum die Verfügungsbefugnis darstellt (also ein Rechtsverhältnis ist).” (W. J. Friedrich, Rechtskunde für jedermann, München 1996, S. 257) Proudhon unterscheidet dagegen den betätigten Besitz und das betätigte Eigentum vom unbetätigten Eigentum.
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[22]Lohnarbeit im Dienste eines Unternehmers ist Ausbeutung, unabhängig von den Arbeitsbedingungen, und so wurde „exploitation“ ursprünglich auch wertneutral verwendet. Den Straftatbestand der (z. B. wirtschaftlichen) Ausbeutung bezeichnen wir als überausbeutung. Diese ist stets die Ausnahme; unser Gegenstand ist aber nicht die Ausnahme, sondern der Normalfall.
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[23]„Ausbeutereigentum ist z. B. das kapitalistische Privateigentum, also dasjenige Privateigentum an den Produktionsmitteln, mit dessen Hilfe (...) im Produktionsprozess der Mehrwert (...) angeeignet wird. Privates Arbeitseigentum ist das Eigentum der kleinen Bauern und Handwerker, die mit Hilfe ihrer eigenen Arbeit und mit Produktionsmitteln, die ihr Eigentum sind, ihre Produkte herstellen.“(Peter Römer, Entstehung, Rechtsform und Funktion des kapitalistischen Privateigentums, Köln 1978, S. 39) Nur jenes „Ausbeutereigentum“ soll „vergesellschaftet“, das heißt verstaatlicht werden.
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[24]Der Statistiker Gregory King bestimmte 1688 die Produktivität so: „Increasing the wealth of the Kingdom” sind „lords, baronets, knights, esquires, gentlemen”, also der Adel, des weiteren Kirchenmänner, Staatsbeamte und Offiziere des Heeres und der Marine, Kaufleute und Rechtsanwälte, „persons in liberal arts and sciences” (Mediziner, Wissenschaftler) freie Bauern und Pächter sowie selbständige Handwerker. „Decreasing the wealth of the Kingdom” sind gemeine Matrosen und Soldaten, „labouring people, cottagers (Häusler), paupers” sowie Zigeuner, Diebe, Bettler und Vagabunden. (nach Marx, Theorien über den Mehrwert, MEW 26.1., S. 148) Die Physiokraten hielten nur die Agrikultur für produktiv, da nur diese etwas erzeuge, was zuvor nicht dagewesen sei, während alle anderen Gewerbe nur das von ihr Erzeugte umformten.
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