Nr.2/1998
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Umfallen mit Tradition
NRW-Gruene fuer Erhalt der Koalition

Die Delegierten des groessten gruenen Landesverbands in Deutschland haben
sich am 17.Januar auf einem Sonderparteitag entschieden, trotz des Streits
um den Braunkohletagebau Garzweiler II in der nordrhein-westfaelischen
Regierungskoalition mit der SPD zu bleiben.

Zur Jahreswende hatte das Bergamt Dueren, das dem nordrhein-westfaelischen
Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) untersteht, die Genehmigung
fuer den Rahmenbetriebsplan des Braukohletagebaus erteilt. Im Zuge des
Projekts sollen bis zum Jahr 2006 rund 7600 Menschen umgesiedelt werden.
Nach den Plaenen der Rheinbraun AG soll Garzweiler II pro Jahr bis zu 40
Millionen Tonnen Kohle liefern und umfasst eine Flaeche von 48
Quadratkilometern. Um an die Kohle zu kommen, die rund 210 Meter unter der
Erdoberflaeche liegt, muessen in den kommenden 30 Jahren insgesamt elf
Ortschaften vom Boden verschwinden.

Der Eklat war vorprogrammiert: Schon bei den Koalitionsverhandlungen 1995
hatten sich die Gruenen gegen Garzweiler II ausgesprochen. "Wir sind da im
Wort", betonte Daniel Kreutz, Mitglied des Landtags in Duesseldorf. Alle
fuehrenden Gruenen haetten immer wieder angekuendigt, die Koalition bei
der Genehmigung des Rahmenbetriebsplans zu verlassen.

Doch Barbara Hoehn, gruene Umweltministerin in Nordrhein-Westfalen, sieht
das anders. Sie setzte ihr ganzes Gewicht fuer einen Verbleib in der
Koalition ein und kuendigte an, den Braunkohletagebau mit
wasserschutzrechtlichen Bestimmungen, die in ihren Kompetenzbereich
fallen, zu verhindern. Die Aussichten auf einen Erfolg dieses Vorhabens
sind nach Ansicht des Naturschutzverbands BUND aeusserst gering. Auch enge
Mitarbeiter Hoehns aus dem Umweltministerium scheinen die Auffassung nicht
teilen zu wollen und versandten am Freitag vor dem Sonderparteitag in
Juechem Faxnachrichten an Mitglieder des gruenen Landesverbands mit der
Aufforderung, gegen die Koalition zu stimmen.

Die kritischen Stimmen aus den eigenen Reihen -- immerhin stimmten auch
etliche Ortsverbaende aus dem Ruhrgebiet gegen den Verbleib in der
Koalition -- konnten die Umweltministerin nicht von ihrem Vorhaben
abbringen. Mit prominenter Unterstuetzung aus Bonn --
Bundesvorstandssprecher Juergen Trittin war eigens angereist --, dem
wohlwollenden Schulterklopfen der Sozialdemokraten und der Hilfe eines
grossen Teils des gruenen Landesvorstands gelang es ihr, mit einer
Mehrheit von 60 Prozent den Verbleib in der Koalition durchzusetzen.

Von vorneherein sei klar gewesen, so Hoehn, dass der Landesverband gegen
Garzweiler II sei. Nur ueber die Strategie seien sich die Delegierten
nicht einig gewesen. Der linke Landtagsabgeordnete Daniel Kreutz warnte
vor dem Image einer "Umfallerpartei", sollte die Koalition nicht verlassen
werden. Doch ein solches Image wurde schon auf dem 96er Parteitag in Hamm
angemahnt. Damals waren die Gruenen beim Ausbau des Flughafens in
Dortmund, dem Bau der Autobahn A33 und dem Nachtflugverbot fuer den Koeln-
Bonner Flughafen umgekippt.

Auch in anderen "rot"-gruenen Landesregierungen sind die Gruenen bemueht,
die Koalitionen um jeden Preis aufrecht zu erhalten. In Schleswig-Holstein
scheiterten die Gruenen bei dem Versuch, die Landesregierung bei der
Atompolitik auf neuen Kurs zu bringen, woraufhin die prominenteste
Vertreterin der "Fundis", Antje Jansen, aus dem Vorstand ausscheiden
musste, um kuenftig unnoetige Querelen mit dem sozialdemokratischen
Koalitionspartner zu vermeiden. Die geplante Autobahn A20, die durch ein
Naturschutzgebiet fuehren soll, wurde urspruenglich ebenfalls abgelehnt
und wird nun voraussichtlich doch gebaut -- mit den Gruenen in der
Landesregierung.

Seit Oktober 1997 gibt es auch in Hamburg eine "rot"-gruene Koalition. Die
Gruen-Alternativen Liste (GAL) hat aus den Muehen der anderen
Landesverbaende gelernt und gleich zu Beginn der Koalitionsverhandlungen
alle Symbole gruenen Widerstands aufgegeben. Weder Hafenerweiterung,
Elbvertiefung noch Flughafenausbau konnten auch nur in Frage gestellt
werden. Immerhin -- ein bisschen Laermschutz am Flughafen wurde ihnen vom
Koalitionspartner in Aussicht gestellt.

Gerhard Klas