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Nr.16 onlineversion

Standortdroge - Nein Danke

Seit geraumer Zeit wird uns von den Standortpriestern der Bundesregierung, den Unternehmerverbaenden und mittlerweile auch von Gewerkschaftsvertretern gepredigt, fuer die Heilige Kirche Deutschland auf Lohn zu verzichten, schneller zu arbeiten und dabei noch vor Gesundheit zu strotzen. Wer nicht mit 25 Jahren schon arbeitslos ist, soll gefaelligst bis 70 dem Altar der Gewinnmaximierung dienen. Untersucht man allerdings die konkreten Zahlen, stellt man fest, dass man die Standortdebatte in der selben Opiumpfeife rauchen sollte, wie den Glauben an die unbefleckte Empfaengnis.

Neben einigen anderen Argumenten ist das vermeintlich hohe Lohnniveau und die hohe steuerliche Belastung in der BRD eine schwere Buerde fuer die Wettbewerbsfaehigkeit. In der Tat kaschiert das Standortgerede ein immenses Umverteilungsprojekt zu Gunsten von Industrie und Banken. Drei Punkte wollen wir naeher beleuchten: Lohnniveau, steuerliche Belastung und die Verteilung gesellschaftlichen Reichtums.

Die Arbeitsproduktivitaet

Das absolute Lohnniveau gibt keine Auskunft ueber die tatsaechlichen Kosten, es sagt nichts ueber die Produktivitaet aus. Fuer eine wirtschaftliche Berechnung sind die Lohnstueckkosten massgeblich. Lohnstueckkosten druecken den Anteil des Lohnes (incl. aller Lohnnebenkosten) an den produzierten Werten (in Verkaufspreisen) einer Arbeitsstunde aus. Die Lohnstueckkosten lagen seit dem Wiederaufbau der westdeutschen Industrie in den 60er Jahren ueber dem europaeischen Durchschnitt. Wir dokumentieren hauptsaechlich Zahlen fuer Westdeutschland. Zum einen hat Ostdeutschland durch die Vereinigung eine spezielle Entwicklung genommen und zum anderen sind vielfach Zahlen nicht differenziert erhaeltlich. Das Statistische Bundesamt und die Landesaemter stellen mit der Begruendung von Personalmangel immer weniger Zahlen zu Verfuegung. Vergleicht man die BRD mit den weltweit wichtigsten Konkurrenten, stiegen die Lohnstueckkosten hier im Zeitraum von 1973 bis 1994 um 94%, bei den Konkurrenten um 270%. Dieses liegt hauptsaechlich an der massiv gestiegenen Produktivitaet in Deutschland, d.h. bei nur maessig steigenden Loehnen werden immer mehr Werte je Arbeitsstunde geschaffen. Trotzdessen wird behauptet, das absolute Niveau sei immer noch zu hoch. Demnach muessten die deutschen Kapitalisten gegenueber den suedostasiatischen und den osteuropaeischen ins Hintertreffen geraten. Dies ist nicht der Fall. Der Aussenhandel mit diesen Regionen ist einerseits ausgeglichen und stieg andererseits im Vergleich zur restlichen Welt ueberproportional. Die Wirtschaftsabteilung der IG Metall belegt, dass es gesamtwirtschaftlich keinen nennenswerten "Arbeitsplatzexport" in sogenannte "Billiglohnlaender" gibt. Die IG Metall untersucht dies anhand von Direktinvestitionen deutscher Unternehmer im Ausland. Mit Direktinvestitionen sind die Gruendung oder Erweiterung von Unternehmen oder der Aufkauf von Betrieben oder massgeblichen Kapitalanteilen (mehr als 10%) im Ausland gemeint. Dieses im Unterschied zum Kauf von Wertpapieren. Der groesste Anteil dieser Investitionen entfallen auf hochentwickelte Industrielaender (EU und USA). 1994 waren es 76%, fuer die metallverarbeitende Industrie sogar 83%. Im 1. Halbjahr 1995 stieg der Anteil fuer die gesamte Wirtschaft sogar auf 91%. Die Industrielaender in denen investiert wird verzeichnen selber wiederum einen groesseren Abfluss als Zufluss an Direktinvestitionen. Spanien und Portugal bilden hier eine Ausnahme, deren Saldo aber nicht von entscheidender Bedeutung ist. Trotz aller Standortprobleme sanken von 1990 bis 1994 deutsche Direktinvestitionen im Ausland sogar von 33,69 Mrd. auf 23,81 Mrd. DM. Insgesamt wurden 1994 in Westdeutschland 564,1 Mrd. DM investiert. Also nur etwa 4% flossen ins Ausland. Fuer die Metallindustrie waren es etwas mehr, etwa 16% aller Investitionen (Hier fallen allerdings einzelne Projekte wie das BMW-Werk in den USA besonders ins Gewicht). Nun ein paar Worte zur Arbeitsproduktivitaet. Nur die USA und die Schweiz erzeugen ein hoeheres Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Einwohner als Westdeutschland (Index:BRD=100, USA=113, Japan=98). Diese Zahl ist sehr interessant. Bei einer niedrigeren Arbeitslosenquote in Japan (2,2%) und laengerer Jahresarbeitszeit (BRD= 1563h, Japan = 1876 h) ist klar, welcher Arbeitshetze und Verdichtung der Arbeit wir ausgesetzt sind. Es ist also klar, dass Arbeitsproduktivitaet die absoluten Loehne einer Volkswirtschaft relativiert, sich also auf die Lohnstueckkosten auswirkt. Das bedeutet, dass jedes Land die Gueter exportiert, die es im internationalen Vergleich billig, oder am billigsten, produzieren kann, unabhaengig vom absoluten Lohnniveau. Fuer uns heisst das aber, dass es weder in unserem, noch im Interesse suedkoreanischer TextilarbeiterInnen sein kann, gegeneinander um die niedrigsten Loehne zu konkurrieren.

Steuern

Der Blick auf die Steuern, auf Gewinne und die Entwicklung der Lohn- und Gehaltssteuern laesst die Dimension der Umverteilung erahnen. 1980 lag die durchschnittliche Steuerbelastung von Unternehmensgewinnen bei 33,6%. Im Jahr 1994 waren es nur noch 18,3%. Im selben Zeitraum stieg die Lohnsteuer von 15,8 auf 18,8% (Im 1. Halbjahr 1995 19,9%). In Ostdeutschland lag die Lohnsteuer 1990 bei durchschnittlich 4,5%, im 1. Halbjahr 1995 waren es 13,2%. Der Anteil der Steuern auf Gewinne (Einkommens-, Koerperschafts- und Gewerbesteuern) am Gesamtsteueraufkommen der BRD ist von ca. 35% im Jahre 1960 auf ca. 17% 1992 gefallen. Der Anteil, den die abhaengig Beschaeftigten gesellschaftlich aufbringen, stieg von ca. 12% auf inzwischen etwa 36%. Rechnet man dann noch die Mehrwertsteuern, Sondersteuern auf Benzin, Tabak, Alkohol usw. dazu, wird diese Republik zum groessten Teil von uns bezahlt. Wofuer eigentlich? Professor Rainer Roth (Frankfurt/Main) rechnet es vor: "Wenn der Anteil der Kapitalsteuer am Gesamtsteueraufkommen von 1980 bis 1994 nicht von 23,6% auf 11,3% gefallen waere, haette sich der Bund 65% der Neuverschuldungen sparen koennen" (Huster).

Arme und Reiche

Die konservative Wende 1982 brachte in der Folge Reallohnsenkungen, hoehere Steuern und Sozialabgaben bei gleichzeitigem Sozialabbau. In dieser Zeit haben Unternehmer und Selbstaendige enorm zugelegt. Von 1980 bis 1992 hat sich die Anzahl der Haushalte mit einem verfuegbaren monatlichen Haushaltseinkommen von 10000 DM und mehr fast verfuenffacht (1980=100, 1992=471). Gleichzeitig hat sich die Anzahl der Sozialhilfeempfaenger mehr als verdoppelt (Index 1980=100, 1992=238). Das obere Drittel der privaten Haushalte verfuegt ueber 58,2% des gesamten verfuegbaren Haushaltseinkommens, das untere Drittel dagegen nur ueber 15,7% (1992). 1993 hatten alle privaten Haushalte in Westdeutschland ein durchschnittliches monatliches Einkommen von 4917 DM. Setzt man diesen Durchschnitt gleich 100, verfuegten Arbeiterhaushalte ueber 79,8% des durchschnittlichen gesellschaftlichen monatlichen Haushaltseinkommens, Sozialhilfeempfaenger 46,2% und Selbstaendige 242%! Sozialhilfeempfaenger verfuegen also nur ueber etwa 57% des Einkommens von Arbeiterhaushalten. Soweit zum Lohnabstandsgebot und den armen Zahnaerzten. Folglich gibt es auch beim Privatbesitz an Grund und Boden und dem Geldvermoegen enorme Unterschiede. Die reichsten 20% der Grundbesitzer besitzen ueber 40% des Eigentums an Grund und Boden und Immobilienwerten. Inzwischen besitzen auch viele Arbeiterhaushalte ein eigenes Haus. Allerdings sind die durchschnittlichen Immobilienwerte von Selbstaendigen fast doppelt so hoch (598.000 DM gegenueber 306.000 DM). Beim Geldvermoegen geht die Schere noch weiter auseinander. Die letzten Zahlen hierzu sind allerdings nur von 1988 erhaeltlich. Hiernach besitzen 10% der privaten Haushalte 51,2% des gesamten privaten Geldvermoegens waehrend die Haelfte der Bevoelkerung (50%!) ueber nur 1,3% verfuegten. In absoluten Zahlen ausgedrueckt hiesse das, jeder Bundesbuerger besitzt durchschnittlich ein Geldvermoegen von 125.000 DM. Soweit die Statistik, dem Artikelschreiber duerften daran zumindest etwa 120.000 fehlen. Im Krisenjahr 1993 machten die Unternehmen in Westdeutschland einen Gewinn von 180 Mrd. DM (nach Abzug von Steuern). Dieses war eine Zunahme von 5% gegenueber dem Vorjahr. Von 1980 bis eben 1993 stiegen die Nettounternehmensgewinne in Westdeutschland von 51,32 Mrd. auf genannte 180 Mrd. DM. Die Gewinne liegen heute also etwa 3= mal so hoch wie 1980, waehrend die Einkommen von Arbeiterinnen und Arbeitern nur knapp 1= mal mehr geworden sind. Diese Nettounternehmensgewinne stammen allerdings nur aus produktiver Taetigkeit. Nimmt man die Gewinne aus Vermoegen (hier sind aber auch die aus Arbeiterhaushalten mit drin) hinzu wurden 1993 in Westdeutschland 639,45 Mrd. DM erwirtschaftet, in Gesamtdeutschland waren es 744,77 Mrd. Interessant ist, dass die unversteuerten Gewinne im Vergleich zum Vorjahr um 10,8% zunahmen, aber eine Nettozunahme um 15,1% stattfand (von wegen hohe Steuern). Es gibt also noch jede Menge umzuverteilen. Und zwar nicht nur Arbeit sondern Reichtum.

Nebelmaschinenpolitik

Wir haben versucht aufzuzeigen, dass die Standortdebatte, in der Form wie sie gefuehrt wird, eine ideologische Nebelmaschine ist. Die angeblich hohen Loehne sind eine Maer, Verlagerung von Produktionsstaetten ein Druckmittel und der "Freizeitpark Deutschland" wird zwar von uns finanziert, aber der Eintritt bleibt verwehrt. Der Standort Deutschland hat keine besonderen Nachteile. Der wirkliche Nachteil ist die private Aneignung von Gewinn und die Konkurrenz der Unternehmer. Das Streben nach immer mehr Profit stoesst an nahezu allen Standorten an Grenzen. Dieselben Argumente, mit denen wir hier konfrontiert werden, begegnen auch unseren Kolleginnen und Kollegen in Lissabon oder Seoul. Die Produktion von Waren wirft nicht mehr genuegend Profit ab. Die Unternehmen investieren ihre Gewinne vielfach nicht mehr in neue Produktion, sondern verschieben sie auf die internationalen Finanzmaerkte. So hat Siemens 1995 an den Finanzmaerkten 3 Mrd. Gewinn erspekuliert (bei einem Vermoegen von 24 Mrd. DM). Das ist mehr, als sie in der gesamten Produktion erwirtschafteten. An dieser Stelle erklaert sich der Druck, dem wir in den Betrieben ausgesetzt sind. Mitte der 60er Jahre betrug die Umsatzrendite (Anteil des Gewinns am gesamten Umsatz) der deutschen Industrie noch 3,5%, jetzt sind es nur noch 1,5%. Diesen Fall der Umsatzrendite, oder auch Profitrate, versuchen die Unternehmer nun an uns weiterzugeben. So lautet die Devise der Standortpaepste denn: Wir quetschen Euch noch mehr aus, um das Kapital dann an die Finanzmaerkte zu tragen. Wir sagen: Umverteilen ja, aber in die andere Richtung! Ausserdem empfehlen wir einigen unserer Gewerkschaftskollegen, die Zahlen, die ihre eigenen wirtschaftswissenschaftlichen Institute ermitteln, noch mal zusammen zu zaehlen.

Quellen:
Mitteilungen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Boeckler-Stiftung 10/1995: Soziale Polarisierung bei Einkommen und Vermoegen; Studie der IG Metall, dokumentiert in Frankfurter Rundschau 19. 1. 1996; Wochenbericht des Deutschen Instituts fuer Wirtschaftsforschung 38/95: Hat Westdeutschland ein Standortproblem?; Blaetter fuer deutsche und internationale Politik 1/96, Ernst-Ulrich Huster: Reich, Schoen, Gut; Aus Politik und Zeitgeschichte 12. 1. 96, Juergen Espenhorst: Zeit der Wohlstandswende?; WochenZeitung Schweiz 51/51 1995: Finanzprobleme? Geld ist doch genug da!; junge Welt 14. 2. 1996 und 24./25. 2. 1996; taz 22. 2. 1996; Hannoversche Allgemeine Zeitung 28. 2. 1996

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