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Nr.16 onlineversion

Standort - der neue Standpunkt der Gewerkschaften?

Unter dem Eindruck anhaltender Arbeitsplatzvernichtung wird auch innerhalb der Gewerkschaften viel um "Standortkonkurrenz" debattiert. Die erheblich verbesserten Transport- und Kommunikationstechnologien haben zu einer Internationalisierung der Unternehmen gefuehrt. Jeder Staat versucht, einen Teil dieses global agierenden Kapitals auf den nationalen Maerkten zu binden. Dazu muessen Bedingungen geschaffen werden, die den Unternehmen die groesstmoeglichen Profite sichern.

In den Betrieben werden die Belegschaften dazu erpresst, Zugestaendnisse zu machen. Unter dem Druck von "Standort- und Beschaeftigungssicherung" schliessen Betriebsraete Vereinbarungen ab, die oft langjaehrig erkaempfte Arbeitsbedingungen zuruecknehmen. Bei Ford z.B. wurde vereinbart: Keine Erhoehung der Auszubildendenverguetung, Kuerzung der Akkordvorgabezeiten durch Kuerzung der Akkordvorgabezeiten, Streichung der Wochenendpauschale fuer Mehrarbeit an Samstagen und Sonntagen. Bei Opel wurde das betriebliche Weihnachtsgeld an die Senkung der Krankheitsquote gekoppelt. In vielen anderen Betrieben geht es um Flexibilisierung der Arbeitszeiten, Wiedereinfuehrung des Sonnabends als Regelarbeitstag, Einrichtung von Arbeitszeitkonten, um die durchschnittliche Arbeitszeit ueber das ganze Jahr zu verteilen. Mit der dauernden Drohung von Fremdvergabe, Abteilungs- und Betriebsschliessungen werden die jeweiligen Belegschaften in Konkurrenz gegeneinander getrieben, Stammbelegschaften, gegen Werkvertrags- und Leiharbeitnehmer und alle gemeinsam gegen Erwerbslose.

Interessenvertretung durch "Co-Management"?

Im Mittelpunkt der Strategie vieler Betriebsraete steht nicht mehr der Kampf gegen die Vorgaben der Unternehmer, nicht mehr der Kampf fuer die Verbesserung der Arbeits- und Lohnbedingungen, sondern UEberlegungen, wie man gemeinsam mit den Unternehmern die Wirtschaftlichkeit des Betriebs verbessern koennte, wie ein Wettbewerbsvorteil gegenueber einem anderen Betrieb ausgebaut werden koennte. Es geht vielen Betriebsraeten um "Co-Management" mit der Betriebsleitung, auch gegen Beschaeftigte eines anderen Betriebes, den Konkurrenten auf dem Markt. Von einem Teil der Gewerkschaftsfuehrungen wird diese Politik des "Co-Managements" nicht nur toleriert, sondern mehr und mehr zur eigenen Strategie gemacht. Dabei folgen sie der Wettbewerbslogik der Unternehmen. So wird z.B. die Bundesregierung aufgefordert den nationalen Markt besser abzuschotten: "Tatenlos sieht die Regierung zu, wie andere Laender (...) ihre Maerkte brutal dichtmachen (...) Und jetzt draengen auch noch die Koreaner auf den Weltmarkt..." (metall 5/95). In "standpunkt 1/95", Zeitung fuer die FunktionaerInnen der IG Metall, wird gefragt: "Wollen wir tatenlos warten, bis das erste amerikanische oder japanische Drei-Liter-Auto in Bremerhaven angelandet wird?".

Die Standortdebatte ist nationalistisch

Ideologisch geht es in der Standortdebatte darum, Unternehmer und Beschaeftigte zu einer "Interessengemeinschaft" zusammenzuschliessen. Wer in solcher Weise in die Falle der "Standortlogik" tappt, findet sich ganz schnell in gedanklicher Naehe z.B. zu einem Wolfgang Reitzle, Mitglied des Vorstandes der BMW AG Muenchen, der fordert, die Beschaeftigten und Unternehmer sollten "zu einer Wertschoepfungsgemeinschaft" werden. "Wertschoepfungsgemeinschaft" klingt wie "Volksgemeinschaft", wir sitzen alle in einem Boot, und das muss das Wettrennen gegen das "Boot" z.B. der Koreaner gewinnen. Es bleibt Hilmar Kopper, dem Sprecher des Vorstandes der Deutschen Bank, vorbehalten auf den Punkt zu bringen was die Menschen seiner Meinung nach denken sollten: "Das Klassendenken von damals ist ueberwunden, weil es die Klassen nicht mehr gibt. (...) Neue Werte zu schaffen ist wichtiger, als alte Besitzstaende zu retten." Die Frage ist doch, fuer wen sollen "neue Werte" geschaffen werden, und wessen Besitzstaende sollen preisgegeben werden? Um seine Besitzstaende scheint es dabei nicht zu gehen. Heute wie frueher sollen die Interessengegensaetze in der sozialen Frage in der oeffentlichen Diskussion ausgeklammert werden. Frueher im Namen der 'Nation', heute im Namen des 'Standortes', sollen Menschen dazu gebracht werden Opfer zu bringen. Egal ob Nation oder Standort, die Begriffe werden instrumentalisiert.

"Buendnis fuer Arbeit"

Begleiterscheinung des "Wettlaufs der Besessenen" um immer hoehere Produktivitaet und Wirtschaftlichkeit, des Wettlaufs aller Unternehmen, jede Produktionsstaette immer profitabler zu machen, ist Massenarbeitslosigkeit und Sozialabbau.
Die Antwort eines Teils der Gewerkschaften auf diese Situation faellt gaenzlich anders aus als beispielsweise die Reaktion der franzoesischen Gewerkschaften, die eine breitgetragene Gegenwehr gegen Lohn- und Sozialabbau organisiert haben. Hier in Deutschland soll ein "Buendnis fuer Arbeit" geschmiedet werden. Im Krisenmanagement mit Staat und Unternehmern sollen Arbeitsplaetze, Einkommen und soziale Sicherung gemeinsam verhandelt werden. Einige Gewerkschaften bieten an, auf Lohnerhoehungen, und damit auf einen Anteil an den gestiegenen Unternehmensgewinnen, zu verzichten, wenn dafuer die Schaffung von Arbeitsplaetzen und der Erhalt sozialer Sicherungen garantiert werde. Das ist das genaue Gegenteil zur bisherigen Position "Lohnverzicht sichert keinen Arbeitsplatz". Im Vorschlag zu diesem Buendnis wird zum ersten Mal von Seiten eines Teils der Gewerkschaftsfuehrungen ein direkter Bezug zwischen Lohnhoehe und Anzahl der Arbeitsplaetze unterstellt. Wenn man allerdings aus einer Position der Schwaeche verhandelt, auf "Gegenmacht" verzichtet und sich nur noch als modernisierte "Gestaltungsmacht" versteht, werden die Verlierer die abhaengig Beschaeftigten und Erwerbslosen sein. Der Verzicht auf gewerkschaftliche Umverteilungsforderungen koennte dann zum gesellschaftlichen Konsens werden.
Die Diskussion um den "Standort" ist eine ideologische Offensive der Arbeitgeber, und es scheint, als gaebe es wenig Substanz innerhalb der Gewerkschaften, ihr etwas entgegenzusetzen. Vielleicht auch deshalb, weil manche vergessen haben, dass der Standort von Gewerkschaften sich nur nach den Interessen der abhaengig Beschaeftigten und sozial Schwachen bestimmen kann, und nicht nach den Konkurrenzbedingungen der Unternehmen.

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