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Nr.19 onlineversion

Sauberkeit als "Standortfaktor"

Berlins Kampf gegen die Armen der Stadt (Teil II)

»Je starrer ein Ordnungssystem, desto groessere Mengen von Schmutz erzeuge es; je entwickelter, desto mehr Sorten. In manchen Systemen werde der Mensch selber zum Schmutz Er halte das gegenwaertige fuer ein solches. Eine Zweideutigkeit trete dann auf: Sauberkeit werde zum Schmutz, und vielleicht sogar umgekehrt. Darauf sei zurueckzukommen.« (Aus Christian Enzensberger: Groesserer Versuch ueber den Schmutz.)

»Wir haben das Augenmass dafuer verloren, was fuer die Stadt wirklich wichtig ist«, so der CDU-Fraktionsvorsitzende Klaus-Ruediger Landowsky am 4. Oktober vergangenen Jahres: »Wir beobachten einen Verfall in der parlamentarischen Gespraechskultur. Es hat eine banale bis hin zu einer kriminalisierenden Gossensprache Eingang gefunden. (...) Das wird eine Herausforderung sein, in der Qualitaet der demokratischen Auseinandersetzung zu wetteifern.«

Landowsky ist der Mann, dem solche Herausforderungen Spass machen und auf den Verlass ist. Knapp ein halbes Jahr spaeter, am 27. Februar 1997, ist es soweit. Er macht deutlich, was »fuer die Stadt wirklich wichtig« ist: Der Abschaum, das Gesindel, die Ratten, der Dreck muss weg. Konnte zunaechst mit einiger Gutwilligkeit noch angenommen werden, es handele sich bei einigen Aeusserungen um eher randstaendige Entgleisungen, wenn in Zusammenhang mit Armut und Krankheit von »Dreck« die Rede ist, gilt mittlerweile eher das Gegenteil. Der Fraktionsvorsitzende der Buendnisgruenen Wolfgang Wieland bloedelt, angesprochen auf das Gebaren des Berliner Innensenators Joerg Schoenbohm, seine »Meister Proper«-Attitueden. SPD-Chef Boeger weiss (auch) im Rundfunkinterview nicht so recht, worum es eigentlich geht. "Sauberkeit" ist zur Chefsache erklaert worden, ein Aktionsplan ,Sauberes Berlin" steht seit Wochen im Zentrum der politischen Auseinandersetzungen und wird zum ,Standortfaktor" stilisiert. Mit Jugendlichen, Auslaendern und Obdachlosen kommt auch die PDS mit in den grossen Topf aus Bierbuechsen, gebrauchten Spritzen, Graffiti und Zigarettenkippen.

»Nach der Oeffnung der Grenzen kamen nicht nur gute Leute nach Berlin«, so CDU-Stratege und Bankenchef Landowsky. »Es kam auch viel Abschaum, Kriminalitaet in die Stadt - von China ueber Russland, Rumaenien und so weiter.« Was tun? »Wo Muell ist, sind Ratten, und wo Verwahrlosung herrscht, ist Gesindel, und«, wieder Landowsky, »dagegen muss vorgegangen werden.« In Hamburg hatte sich der Regierende Buergermeister Henning Voscherau (SPD) fuer ein von ihm zu verantwortendes und inhaltlich vergleichbares Pamphlet noch entschuldigen muessen und letztlich die Gleichsetzung von Muell und Armen im Hamburger Innensenats-Papier ,Massnahmen gegen die drohende Unwirtlichkeit der Stadt" als »unglueckliche Wortwahl« bezeichnet. Landowsky sieht dazu keine Veranlassung. Schoenbohm - kuerzlich mit dem Titel »personifizierte pump-gun« an seine Verantwortung im Zusammenhang mit dem JN-Aufmarsch in Hellersdorf erinnert - assistiert seinem Parteikollegen bei der harten Linie. Die Raeumungen besetzter Haeuser und Wagenburgen seien als »weiterer Schritt auf dem Weg zur Normalitaet und zur Staerkung der Hauptstadtfaehigkeit« zu verstehen. Doch General a.D. Schoenbohm, auf dessen Konto zwei Schwerverletzte und ein erschossener Polizeibeamter gehen, so jedenfalls der Rechtsanwalt Christian Stroebele auf einer Gedenkveranstaltung fuer die Opfer des Neonazi-Schuetzen Kay Diesner, sekundiert seinem Parteifreund Landowsky nicht allein. Der als farblos bezeichnete Polizeipraesident Hagen Saberschinsky, vom ,Tagesspiegel" schon fast abgeschrieben, von der ,tageszeitung" kuerzlich immerhin mit einem halbseitigen Interview gewuerdigt, hat in »verslumten Stadtteilen, Schmutz und Dreck« den »Humus fuer die organisierte Kriminalitaet« ausgemacht. »Die Verschmutzung (...) sowie das damit verbundene Erodieren des Rechtsbewusstseins sind«, so Saberschinsky »sehr ernst zu nehmende Faktoren fuer die innere Sicherheit in einer Grossstadt. « Sprach's und installierte Polizeieinheiten, die nach ethnischen Kriterien arbeiten.

Vertreter kirchlicher Obdachloseninitiativen brauchten gut ein halbes Jahr, um mit ihrer Kritik, Obdachlose wuerden durch die Polizei regelmaessig an den Stadtrand deportiert und von privaten Sicherheitsdiensten wie Dreck behandelt, ueberhaupt gehoert zu werden. Als sie endlich politisch Verantwortliche und Praktiker sprechen konnten, gab's aus dem mittleren Dienst und der Privatwirtschaft Nachhilfeunterricht in Sachen Sauberkeit: Vom Leiter der rund 700 Fernbahnhoefe in Berlin und Brandenburg, Schmidt, wurden die Pfarrer zunaechst belehrt, dass die Deutsche Bahn AG am Begriff »Herumlungernde« fuer Obdachlose festhalte. Das habe sich so eingebuergert und stehe ueberdies in den Anordnungen. Der Leitende Polizeidirektor Kahnert aus dem Grenzschutzpraesidium Ost schob nach, dass er es »als geborener Ostpreusse mit etwas Schmerz empfinde«, wenn die Praktiken von Polizei und privaten Sicherheitsdiensten, wie Schlagstockeinsatz, Deportation an den Stadtrand und rassistische Uebergriffe als »Vertreibung bezeichnet« werden. Das, so der BGS-Mann, »laeuft bei uns unter Verbringungsgewahrsam.« Was in diesem Fruehjahr von SchuelerInnen erwartet wird, das Muellsammeln in der Stadt, lief unter dem gleichen Titel - als Einsammeln von AuslaenderInnen und Obdachlosen auf dem Breitscheidplatz durch die Polizei - bereits 1993 am Kudamm: die »Operation Fruehjahrsputz«. Wir sind also wieder (vgl. RAG Nr.18) beim Geschaeftsfuehrer der Berliner Wache GmbH, Ralf Sieberling, der Differenzierungsbemuehungen zwischen Mensch und Muell erst gar nicht probt: »Irgendwo faellt immer Dreck an. Durch unsere Arbeit eben nur woanders.« Und Berlins Kultursenator Peter Radunski, qua Amt praedestiniert fuer eine Stellungnahme zur ,Kultur des Schmutzes", spricht gleich von einer »parasitaeren Presse, die Minderheiten (...) erst zur Aufmerksamkeit verhilft«.

Mit der Installierung von gut 20 »gefaehrlichen Orten«, an denen durch die Polizei Grundrechte ausgehebelt werden duerfen, und der zur Chefsache erklaerten »Saeuberung« der Innenstadt von »geschaeftsschaedigenden Personen«, soll aus der City alles verschwinden, was nicht kaufwillig oder -faehig ist. Geschaeftsleute betrachten ihre Wirkungsstaetten und deren Umfeld, den ,oeffentlichen Raum", als Privatbesitz. Und so wird durch Kriminalisierung oder Polizeiknueppel, mit Hausrecht in dem einen (Private), mit dem Platzverweis im anderen Falle (Polizei), ,oeffentlicher Raum" privatisiert und zugerichtet auf Geschaeftsinteressen. Die Beseitigung der Armen - nicht der Armut - in den Innenstadtbereichen, Herrichtung der Aushaengeschilder, der »Visitenkarten« von Berlin fuer ein Image als saubere Metropole.

Heute, das hat der Innensenator auf hoechster Ebene in Bonn noch einmal im Sommer 1996 lernen duerfen, repraesentiert ganz Berlin »die Mitte Deutschlands in der Weltoeffentlichkeit«, da muesse anders durchgegriffen werden. Kanzleramtsminister Friedrich Bohl, der fuer Sicherheitsfragen im Kanzleramt zustaendige Staatsminister Bernd Schmidbauer und Staatssekretaer Kurt Schelter aus dem Bundesinneministerium forderten Ruhe an der Hauptstadtfront. Das gilt auch der politisch aktiven Linken, zunaechst aber den Armen der Stadt. Aber weil Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit und Armut mit einer elitenzentrierten Politik nicht beseitigt werden koennen, muss um so haerter auf die eingeschlagen werden, die Opfer dieser Politik sind.

»Graffiti«, so der Chef-Wadenbeisser der CDU, Volker Liepelt, sei »optischer Terrorismus«. Und in einer beispiellosen Kampagne wurden mehrere tausend Jugendliche nebst einem »harten Kern« zur neuen RAF stilisiert, ED-Behandlungen durchgefuehrt und elterliche Wohnungen durchsucht.

Mit dem ,Aktionsplan Sauberes Berlin", einem Gemeinschaftsprojekt der Justizsenatorin Maria Peschel-Gutzeit und des Juso-Emporkoemmlings Peter Strieder, hat diese polizeilich administrierte Sozialpolitik nun - nach einem halben Jahr der Vorbereitung - auch offizielle Weihen erhalten. Die Solo-Stunde des Stadtentwicklungssenators Strieder kam, als er vorschlagen durfte, auch Schulkinder Bierdosen, gebrauchte Spritzen und anderen Muell sammeln zu lassen. Allerdings musste sich der Senator von der Leiterin der Schoeneberger Ruppin-Grundschule, Regina Tlapec, daran erinnern lassen, dass der Senat gerade erst die Mittel fuer die Bezirke und bei der Stadtreinigung gekuerzt habe. Ein Elternsprecher erinnerte daran, dass Schulpflicht nicht wegen des Muellsammelns bestehe.

Und so reinigen SozialhilfeempfaengerInnen, Arbeitslose und Schulkinder aus den Parks und Strassen den einen ,Muell", der von Geschaeftsleuten, Politikern und hohen Polizeibeamten mit den Armen der Stadt - Landowskys »Abschaum« - offensichtlich zu einem ,gesamtstaedtischen Muell der inneren Einheit" vermengt werden soll. Der soll dann durch private Sicherheitsdienste und Polizei an den Raendern der Stadt zwischen- oder, so es sich um AuslaenderInnen handelt, im ,sicheren" Dritt- oder im Herkunftsland endgelagert. Armut, Hundescheisse, Obdachlosigkeit und Graffiti werden so zu einem ununterscheidbarer Brei gepanscht, der wahlweise als »Schmuddel-Image« oder »Gefahr fuer die oeffentliche Ordnung« verkauft wird. Das »Unternehmen Berlin« (Diepgen) kann Schmutz nicht brauchen, staatliche und wirtschaftliche Macht definieren daher gemeinsam, was sozial erwuenscht bzw. unerwuenscht ist.

Bei 100.000 registrierten Hunden in der Stadt, das besprach Ende Januar 1997 allen Ernstes zum Thema ,Verfall des abendlaendischen Wertesystems" der ,Runde Tisch" der CDU, wird jetzt die Berliner Stadtreinigung (BSR) den Hundekot auf den Strassen beseitigen. »Wir strukturieren den ganzen Betrieb um«, verspricht BSR-Vorstand Juergen Chibiorz. Und der parlamentarische Geschaeftsfuehrer der CDU, Volker Liepelt, mutmasst zum abendlaendischen Zusammenhang: »Ich bekenne mich zur Sekundaertugend Sauberkeit.« Der Staatssekretaer der Verkehrsverwaltung, Ingo Schmidt, fordert fuer Berlin gar ein »Buendnis fuer Sauberkeit«. Ein wenig bringt das immerhin die Sache auf den Punkt: Aus einem sozialpolitischen Problem - Arbeitslosigkeit und Verarmung - wird ein aesthetisches, ein kulturelles Phaenomen.

Dem Vorstandsvorsitzenden der Berliner Hypotheken- und Pfandbriefbank, Klaus-Ruediger Landowsky, ist es nun eingefallen, daraus (wieder) ein biologisches Thema zu machen. In Hamburg musste der Harburger CDU- Bezirkschef, Andreas Kuehn, die Wortwahl »Asylparasit« immerhin bedauern, - wenn auch erst, nachdem die Fraktion ihm in der Sache Recht gegeben hatte. Der Planer Landowsky muss nicht warten, noch entschuldigen. Der ,Tagesspiegel" attestiert der Berliner CDU, sie habe rasch erkannt, dass die Strategie Landowskys erfolgversprechend sein koennte: »Die ,Ratten- Rede" war kein Ausrutscher, sondern Strategie«. Bereits im Januar hatte er »Sicherheit und Sauberkeit« zum »Schwerpunkt Nr. 1« erklaert und gefordert, es muesse eine »gruendliche Wertediskussion« gefuehrt werden. Nach dem Verstaendnis der Berliner CDU hat er damit begonnen.

Volker Eick

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