November 1996

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Nr.18 onlineversion

"Sicherheitsdienste"

Sauberkeit als "Standortfaktor"
Berlins Kampf gegen die Armen der Stadt

Sie heissen Wache, Wacht, Security-Team oder schlicht B.O.S.S., ihre Geschichte in Berlin reicht auf das Jahr 1901 zurueck, und sie sind, seit sich eine Allianz aus Senat, Berliner Einzelhandel, international engagierten Konzernen, der Polizei und den privaten Sicherheitsdiensten gebildet hat, immanenter Bestandteil von Berlins Sicherheitspolitik. In drei boom-Phasen gewachsen - im sog. Kalten Krieg der 50er Jahre, waehrend der Hatz auf sogenannte Terroristen, in den 70er Jahren und heute, sechs Jahre nach dem Anschluss der DDR und Westberlins an die BRD, am Ende der 90er Jahre.

Bundesweit sind ca. 1.300 Firmen mit einem Umsatz von 3,9 Milliarden Mark beteiligt, in Berlin gut 280 Betriebe (Brandenburg: ca. 50), wobei sich im wesentlich zehn Grossanbieter den "Markt" mit der Polizei teilen. Dieser Beitrag greift einige Berliner Firmen exemplarisch heraus und versucht, den Krieg gegen die Armen der Stadt anschaulich zu machen.

Der letzte Wachstumsschub der Branche ist von der Globalisierung der Weltwirtschaft, dem Versuch der Berliner Eliten, zu den Metropolen der Welt wie New York, London oder Los Angeles aufschliessen zu wollen, nicht zu trennen. Einen Wechsel von der verlaengerten Werkbank, von der Subventionsmetropole zur Ost-West-Drehscheibe, kurz: zum »Unternehmen Berlin« (Diepgen) erhoffen sich die politischen und wirtschaftlichen Eliten der Stadt. Und das nicht allein: Internationale Marketingfirmen und Bauentwickler, Grosskonzerne oder wenigstens ihre Niederlassungen, Banken, PR-Strategen, nicht zuletzt die Bundesregierung wollen Berlin den richtigen Zuschnitt verpassen oder gar in guter deutscher Tradition da weitermachen, »wo wir 1945 aufgehoert haben«, wie es der Chef der Berliner Bank AG, inzwischen die achtgroesste Bank der Bundesrepublik, Hubertus Moser, in erfrischender Offenheit formulierte. Der stoerungsfreie Ablauf in der Logistik-Zentrale Berlin ist dabei gemeinsames Interesse aller um die Profitmaximierung zentrierten Eliten, Sicherheit der dazugehoerige "Standortfaktor". Der entsprechende Sicherheitsapparat, den Bundesregierung, Senat und Privatwirtschaft kurz vor der Jahrtausendwende in Berlin zusammengezimmert haben, kann sich - im Gegensatz zu den Armen der Stadt - sehen lassen. Diese sollen verschwinden.

Ein wesentliches Instrument dazu sind die privaten Sicherheitsdienste, die im Auftrag der Berliner Verkehrbetriebe (BVG) und der Deutschen Bahn AG taetig sind. Waehrend die Frankfurter Industrie- und Handelsschutz AG (IHS), bundesweit 2.500 Mann stark, mit Hunden in den U-Bahnen patrouilliert, aber auch die Baustelle Potsdamer Platz schuetzt, ist der bahneigene Sicherheitsdienst BSG (Bahnschutzgesellschaft mbH) fuer die Fernbahnhoefe zustaendig. Die BSG ist dabei der einzige Wachstumsbereich im Bahn-Konzern; lediglich dort wird Personal eingestellt, waehrend ansonsten mehrere tausend Beschaeftigte aus dem Konzern entlassen werden. Unterstuetzt wird die BSG vom B.O.S.S. Sicherheitsdienst, einer Unternehmensgruppe der Berliner Immobilienhaie Penz und Garski. Zusammen mit dem Bundesgrenzschutz (BGS) und der im Bahnumfeld zustaendigen Polizei hat damit die Deutsche Bahn AG eine halbe Armee gegen die Armen der Stadt an den derzeit drei grossen Bahnhoefen der Stadt zusammengezogen. Ob Hauptbahnhof, Bahnhof Zoo oder Bahnhof Lichtenberg, ueberall werden Obdachlose vertrieben, beschimpft und bedroht, werden zusammen mit AuslaenderInnen, DrogenkonsumentInnen und Jugendlichen auch gepruegelt und an den Stadtrand deportiert; letzteres von BGS und Polizei. Diese Praxis trifft auch offensichtlich Hilflose, wie stark alkoholisierte Personen, Drogenkonsumenten mit Entzugserscheinungen und Alte. "Verbracht", so die amtsdeutsche Formulierung, wurde auch nachts. Die kirchlichen Obdachloseninitiativen der Stadt brauchten ueber ein halbes Jahr, um sich wenigstens Gehoer bei den zustaendigen Senatsstellen zu verschaffen, die entsprechende Ausschusssitzung kam nur auf permanenten Druck der Oppositionsparteien zustande. An der Praxis aenderte das - bislang nichts. Und obwohl die Bahnhoefe inzwischen zu shopping malls umgebaut werden, damit den Charakter reiner Reise-Zwischenstationen verlieren, wird auf das Hausrecht, auf Privatgelaende gepocht und auch im Bahnumfeld vertrieben. Der B.O.S.S. Sicherheitsdienst fuellt seinen beiden Geschaeftsfuehrern dabei auf zweierlei Art die Taschen: Waehrend er naemlich bei der Bahn AG einerseits fuer das "Reinigen" der Bahnhoefe von "Herumlungernden" kassiert, die Loehne fuer die 100 Beschaeftigten der B.O.S.S. GmbH zudem unter Tarif liegen, fuellt der Berliner Senat den Spekulanten Helmuth Penz und Dietrich Garski die Taschen erneut, indem er bis zu 1.800,- Mark pro Bett und Monat in den insgesamt 40 Fluechtlings-, Obdachlosen- und Aussiedlerheimen an die sog. Geschaeftsleute zahlt. Mit anderen Worten, es entsteht das Bild, die Beschaeftigten von Penz/Garski pruegeln die Obdachlosen in die betriebseigenen Heime, halten sie dort unter Gewahrsam und kontrollieren zudem die Ausgabe von Essensmarken. Man mag das als Kreislaufwirtschaft des Berliner Sumpfs bezeichnen, in dem sich FDP-Mann Garski bestens auskennt.

In den Auslaender-Wohnheimen der bis vor kurzem in Landesbesitz befindlichen Arwobau GmbH wird das Kommen und Gehen der vietnamesischen BewohnerInnen durch Wachschutzkraefte mit Hausausweis kontrolliert, sind Besuche nicht gestattet und verdient die Wachschutzfirma Kruppa.Wenig anders ist auch die Praxis bei der BVG, die die IHS nicht nur beauftragt hat, ihre U-Bahnen mit den dazugehoerigen Hoefen von Obdachlosen zu "reinigen", sondern auch die Kontrollen nach Fahrscheinen von ihnen durchfuehren laesst. Inzwischen werden bei Bahn und BVG Hausverbote von bis zu einem Jahr ausgesprochen, die sich gegen Obdachlose richten. Nicht nur in vermeintlich privaten Raeumen, auch im oeffentlichen Strassenland, im oeffentlichen Raum sind private Sicherheitsdienste, inzwischen Hand in Hand mit der Polizei, aktiv. Die Berliner Wache GmbH etwa bewacht die reichen Stadtviertel im Grunewald, in Zehlendorf und Mitte mit dem Ziel, »vermeintliche Straftaeter« aus diesen Stadtviertel zu verdraengen, so der Geschaeftsfuehrer und ehemalige SEK-Beamte, Mike Juerges. Wenn ueberhaupt, so wird damit das Problem Armut raeumlich nur aus den reichen, westlichen Stadtteilen in die armen, suedoestlich gelegenen verdraengt. Konsequenterweise bedient die Berliner Wache daher seit 1994 Lebensmittelketten und Warenhaeuser u.a. in Neukoelln und Kreuzberg, weil die beteiligten Unternehmensgruppen »Probleme hatten, die wir beseitigen sollten«, so Juerges. Bettler und Obdachlose werden aus und vor den Geschaeften vertrieben und als "kriminell" qualifiziert. »Kriminalitaet kann man nur verdraengen, nicht vernichten«, so Juerges weiter, und sein Geschaeftskollege, Ralf Sieberling, fuegt hinzu: »Irgendwo faellt immer Dreck an. Durch unsere Arbeit eben nur woanders.«

Was bei der Deutschen Bahn AG leicht perfide als das sogenannte »SSS- Konzept« daherkommt - Sicherheit, Sauberkeit, Service - und von ehemaligen SEK-Beamten als das Wegschaffen von "Dreck" behandelt wird, hat seine Logik auch im staatlichen Polizeiapparat selbst: Im Sommer 1993 lief eine Polizeiaktion gegen Huetchenspieler und Obdachlose auf dem Kurfuerstendamm unter dem Motto »Operation Fruehjahrsputz«. Die kurz danach aufgebaute Operative Gruppe City-West (OG City-West), eine von Verwaltungsaufgaben entlastete 22koepfige Polizeieinheit, die fuer den gesamten Kudamm mit Seitenstrassen zustaendig ist, geht noch einen Schritt weiter. Nicht nur haengt im Empfangszimmer des Einsatzleiters, Juergen Gustavus, eine Bleistiftzeichnung, die ihn mit BSR-Besen Obdachlose, DrogenkonsumentInnen und Huetchenspieler vom Breitscheidplatz fegend zeigt, darueberhinaus faellt in Einsatzbesprechungen zur Vorbereitungen von Razzien gegen Schwarze das Wort von der »Zielgruppe Negroide«, weil man »auslaendische Mitbuerger ja nicht sagen« koenne.

Installiert wurde diese Spezialeinheit der Polizei - neben drei anderen, fuer bestimmte Quartiere zustaendigen Operativen Gruppen - auf Zuruf des Berliner Einzelhandels, namentlich der Arbeitsgemeinschaft City e.V. (AG City). Deren Vorsitzender und Spielbankbesitzer, Peter Hosemann, spricht von einem »Krieg am Kudamm«, den es zu gewinnen gelte. Beschwerden der Geschaeftsleute werden bis zum Umfang eines Aktenordners gesammelt, ausgewertet und dann in Razzien gegen Schwarze, Jugendliche oder Huetchenspieler umgesetzt. Dabei kann Gustavus mit seinen Leuten sofort auf Polizei-Hundertschaften zur Unterstuetzung zurueckgreifen. Die 140 dort organisierten Kudamm-Anlieger haben nicht nur die Polizei zum Aufbau dieser Spezialeinheit gezwungen, auch ein eigener Sicherheitsdienst wurde installiert. Dessen Mitarbeiter wurden zwar noch 1992 von der Polizei dem »Milieubereich Organisierte Kriminalitaet« zugeordnet, arbeiten inzwischen aber Hand in Hand mit der Polizei. Wesentlicher Grund fuer diese Mischung aus Faustrecht und polizeilich administrierter Sozialpolitik durch die AG City sind die Umsatzrueckgaenge des Einzelhandels, fuer die nicht wirtschaftliche Stagnation und in die Stadt stroemende, international orientierte Konkurrenz verantwortlich gemacht werden, sondern die Armen der Stadt.

Die oeffentlichen Raeume, hier der Kurfuerstendamm, dort die Potsdamer oder Friedrichstrasse, werden so zur no-go-area fuer diejenigen, die sich Konsum nicht leisten koennen oder wollen, und zur haeufig blutigen Lehrstunde fuer alle, die meinen, ein Recht auf Bewegungsfreiheit in ihrer Stadt zu haben. Tatsaechlich aber ist dieses Recht inzwischen eine Frage oekonomischer Potenz und unterliegt dem Diktat eines Kapitals, das die herzliche Bitte ausspricht, doch Kuchen zu essen, wenn kein Brot da sei - freilich nicht, ohne zu verabsaeumen, dieser Bitte mit privatem Schlagstock und staatlicher Deportation Nachdruck zu verleihen. Wenigstens hier kann das »neue Berlin« fuer sich beanspruchen, Anschluss an die globalisierte Weltwirtschaft mit ihren grossen Metropolen gefunden zu haben.

Ein detaillierterer Bericht zur Berliner Sicherheitspolitik liegt als Aufsatz vor, in: "Stadt der Zukunft. Zukunft der Stadt", STRAeTER, Frank (Hrsg.) 1995: Los Angeles. Berlin. context Verlag, Stuttgart, 160 S., DM 20,-

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