November 1996

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Nr.18 onlineversion

Tuerkeireise: GewerkschafterInnen bei Gewerkschaftern

Ende Mai diesen Jahres fuhren 15 GewerkschafterInnen fuer zwei Wochen in die Westtuerkei, um etwas ueber Gewerkschaften, Arbeitssituation und politische Situation im Land zu erfahren.

In Istanbul waren die wichtigsten Stationen ein Informationsbesuch beim IHD (Menschenrechtsverein) und die Besichtigung der Mercedes-Benz-Werke. Der IHD berichtete uns hauptsaechlich ueber den Hungerstreik in tuerkischen Gefaengnissen (siehe RAG 17). Zweites Thema war die UN-Konferenz zum Thema Wohnstandards "Habitat", die im Juli in Istanbul stattgefunden hat. Sehr interessant und anstrengend war die Besichtigung zweier Mercedes-Benz-Werke. Das neue MB-Werk in Hosdere hat 1900 Beschaeftigte, die 45 Std. pro Woche sowie Samstags und zweiwoechentlich Sonntags arbeiten. Ein Montagearbeiter verdient dabei 400 DM pro Monat, sein Vorarbeiter 1100 DM (fuer die Tuerkei ueberdurchschnittlich). Mit seinen neuen Luftkissenhebebuehnen auf versiegelten, blitzsauberen Fussboeden, auf denen die Busse montiert werden, ist Hosdere ein wahrer Vorzeigebetrieb fuer Lean- Produktion. Es gibt nur flache Hierarchien, wobei auffaellig viel

Verantwortung bei allen Beschaeftigten liegt, insbesondere bei den Vorarbeitern. Meister gibt es nicht. Im Kontrast hierzu stand der Rohbau in Istanbul/Davutpasa. Links vom Eingang floss eine dunkle Sosse aus dem Nachbarwerk in die offentliche Kanalisation. In den alten Gebaeuden stehen Produktionsanlagen, die 1967 aus Mannheim uebernommen wurden. Zum Teil in handwerklicher Arbeit werden hier bei ohrenbetaeubendem Laerm die Chassis zusammengeklopft und geschweisst. Trotzdem herrschen auch im alten Werk fuer die Tuerkei noch ueberdurchschnittlich gute Arbeitsbedingungen.

In Bursa trafen wir uns mit GewerkschafterInnen der Tuemtis (Transportarbeitergewerkschaft) in ihrem Gewerkschaftshaus. Kurzfristig wurden zu diesem Treffen auch Mitglieder der Metallarbeitergewerkschaft und des Dachverbandes DISK eingeladen. Es gehoert zur Strategie dieser Gewerkschaft auf Bezirksebene mit allen anderen Gewerkschaften zusammenzuarbeiten, auch wenn sie anderen Dachverbaenden angehoeren. Damit versuchen sie, die Spaltung in der Arbeiterbewegung zu ueberwinden. So koennen auch gegen die Buerokratie in den Dachverbaenden arbeitsfaehige Strukturen von unten entwickelt werden. Der Besuch war eine eindrucksvolle Vorfuehrung von gemeinsamer Basisarbeit, ueber die wir mit ihnen diskutierten. Der Dachverband DISK war nach dem Putsch 1982 verboten worden, ist inzwischen aber wieder zugelassen worden. Allerdings haben sich mittlerweile sehr viele der fortschrittlichen GewerkschafterInnen im Dachverband Tuerk Is organisiert, der nach dem Putsch nicht verboten wurde.

Um als Gewerkschaft Tarifvertraege abschliessen zu koennen, muss eine bestimmten Anzahl von Mitgliedern beglaubigt werden. Zukuenftige Gewerkschaftsmitglieder muessen erstmal bei einer staatlicher Stelle eine Genehmigung beantragen, in einer Gewerkschaft Mitglied zu werden. Dieser Antrag muss erst anerkannt werden, bevor sie als Mitglieder gelten. Unter diesen Bedingungen ist es sehr aufwendig, eine Gewerkschaft zu organisieren. Die Tuemtis fuehrte zur Zeit unseres Besuches seit neun Monaten einen Streik in einem internationalen Transportunternehmen in Gebze nahe bei Istanbul durch, um die Anerkennung als tariffaehige Gewerkschaft durchzusetzen.

In Balikesir trafen wir uns mit anderen Gewerkschaften. Sehr freundlich wurde uns von verschiedenen Gewerkschaftsvorsitzenden der TUeRK IS in ihrem Gewerkschaftshaus ein Empfang bereitet. Der erste gemeinsame Ausflug fuehrte uns in ein Naherholungsgebiet von Balikesir, wo die ORMAN IS (Forstgewerkschaft) eine Anlaufstelle hat. In einem Gespraech mit den Vertretern der ORMAN IS, TES IS (Energiegewerkschaft) und HARB IS

(Militaergewerkschaft) ueber Kommunalpolitik erfuhren wir, dass der Vorsitzende der Energiegewerkschaft in Balikesir als Buergermeister von Balikesir kandidiert hat und dabei einen beachtlichen Stimmenanteil erreichte. Ziel der Kandidatur sei gewesen, als Gewerkschaft Praesenz zu zeigen und der Korruption etwas entgegenzusetzen. Anschliessend wurde gemeinsam zu Abend gegessen. Fuer die naechsten Tage wurden wir in die Tagungsstaette der ORMAN IS am Meer eingeladen. Die Anreise dorthin ging durch das riesige Gebiet des Verwaltungsbezirks Balikesir, in dem die ForstarbeiterInnen der ORMAN IS an der Aufforstung, Brandschneisen, aber auch an so ungewoehnlichen Dingen wie der Seidenraupenzucht beschaeftigt sind. Von hier aus wurden uns historische Staetten wie Assos und Museen in der Umgegend gezeigt. Auch der Informationsaustausch ueber die doch recht unterschiedlichen gewerkschaftlichen Situationen wurde weitergefuehrt. Ein Anfang fuer einen weiteren Austausch ist gelegt.

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