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Nr.17 onlineversion

Konsequentes Handeln ohne konsequentes Handeln

Offener Brief aus der IG BAU an den Regierenden Bürgermeister Diepgen sorgt für Aufsehen

Ende März erhielten wir einen offenen Brief des damaligen Geschäftsführers der IG BAU, Bezirk Berlin-Süd-West, der an den Regierenden Bürgermeister Diepgen gerichtet war. Anlaß für das Schreiben, das auch als Flugblatt verteilt wurde, war die dramatisch an steigende Arbeitslosigkeit unter den Bauarbeitern. Der Unterzeichner, Klaus Schröder, veröffentlichte darin einen rassistischen Text, der in jedem Republikaner-Flugblatt seinen Platz finden könnte.

Er schrieb, daß "durch die Schwarzarbeit, die illegale Beschäftigung, die Kontingente für Auslandsarbeiter aus Osteuropa und die wirtschaftliche Öffnung für EG-Firmen und deren Arbeitnehmer (...) ein Sud gekocht wurde, der nicht mehr überblickt - geschweige denn in ordentliche Bahnen geführt werden kann". Schröder fordert, daß alle Behörden "gebündelt auf dieses `Krebsgeschwür' angesetzt" werden, sie sollten "helfen", daß die Baustellen "wieder sauber werden". Weiter sicherte er dabei die Hilfe der Bauarbeiter zu. Am Ende seines Anschreibens sorgt sich Klaus Schröder um die "mühsam aufgebaute Demokratie", die er u.a. durch die "Duldung der `Parasiten'" in Gefahr sieht. Er forderte nun Diepgen auf, endlich zuzupacken und einzugreifen.

Wir versuchten zunächst Kontakt mit dem Landesverbandsvorsitzenden der IG Bauen-Agrar-Umwelt Berlin-Brandenburg, Klaus Pankau, aufzunehmen. Von ihm wollten wir sowohl eine Stellungnahme zu dem offenen Brief als auch die Auskunft, wie der Landesbezirksvorst and damit umzugehen gedenkt. Leider konnten wir mit Pankau nicht reden, da er chronisch "verhindert" war und - obwohl wir unser Anliegen geschildert hatten - sich nicht zurückmeldete.

Etwa vier Wochen nach Erscheinen des offenen Briefes von Klaus Schröder schrieben auch wir als AG Antifa am 12. April einen offenen Brief an den Landesbezirksvorstand der IG BAU Berlin-Brandenburg: "Vor dem Hintergrund der krisenhaften Entwicklung im Bausektor sind zur Zeit immer häufiger gefährliche rassistische Töne zu hören. Wir erachten es als selbstverständlich, daß eine Gewerkschaft sich solchen Tendenzen entgegenstellt. Für einen Teil der IG Bau scheint dies jedoch nicht zu gelten, (...) wäre es dem Geschäftsführer Klaus Schröder darum gegangen, die Verantwortlichen für die Zustände am Bau zu benennen, hätte er das tun können. Das System der Subkontrakte, mit dem die Generalunternehmer ihre Profite auf Kosten aller Beschäftigten machen, ist ihm wahrscheinlich besser bekannt als uns".

Im weiteren kritisierten wir erneut die offizielle Forderung der IG Bau nach verschärftem staatlichen Vor- gehen gegen die Beschäftigten auf den Baustellen, da damit in erster Linie Menschen getroffen werden, die aufgrund miserabler wirtschaftlicher oder politischer Verhältnisse in ihren Herkunftsländern gezwungen sind, ihre Arbeitskraft hier billig zu verkaufen. Durch die ausländerrechtlichen Bestimmungen in der BRD werden sie hier zu `Illegalen' gemacht.

Dieser Brief ging an die IG BAU und an die Presse (übrigens war dies lediglich der taz und der jungen Welt eine Berichterstattung wert). Einen weiteren Protestbrief erhielt die IG Bau vom Polnischen Sozialrat e.V.

Eine Reaktion von dem Vorsitzenden der IG BAU Berlin-Brandenburg, Klaus Pankau, kam am 18.4.1996. Darin distanzierte er sich von Schröders Anschreiben und teilte uns mit, daß "die notwendigen personellen und organisatorischen Konsequenzen in der IG BAU bereits vor der Veröffentlichung am 16. April 1996 in der taz erfolgt sind".

Kurz darauf schrieb uns auch der Bundesvorstand der IG BAU, nachdem er sich mit dem ,berechtigten zur Empörung geführten Vorgang befaßt" hatte. Auch hier wurden entsprechende personelle Konsequenzen angekündigt. Darüber hinaus wurde uns mitgeteilt, daß der Bundesvorstand Verbindung zum Polnischen Sozialrat e.V. aufgenommen hat und ein Gespräch zu dieser gesamten Problematik geplant sei.

Über die eindeutige Positionierung der IG BAU und über das angekündigte konsequente Handeln waren wir erfreut und auch beeindruckt. Unserer Erfahrung nach, ist die Tendenz in vielen gewerkschaftlichen Apparaten, gewerkschaftsschädigendes Verhalten dieser Art unter den Tisch zu kehren.

Wir teilen allerdings noch immer nicht die Meinung der IG BAU, daß sich ihre Forderungen nach staatlicher Kontrolle auf den Baustellen nicht gegen die dort Beschäftigten richtet. Jede Razzia auf einer Baustelle trifft in erster Linie die dort Beschäftigten . Über diese Differenzen werden wir wenige Tage nach Redaktionsschluß dieses RAG mit Funktionären der IG BAU die Auseinandersetzung beginnen. Mit ihren Aufrufen zu dieser Form der Denunziation von `Schwarzarbeitern' beteiligt sich die IG BAU an der von den Regierenden vorangetriebenen Spaltung der Beschäftigten. Ein wenn auch ungewolltes schüren von Ausländerhaß kann nicht Anliegen einer DGB- Gewerkschaft sein.

Ein Panorama-Bericht über Rassismus am Bau vom 30.4.1996 vermittelte den Eindruck, als ob diese Spaltung auf den Baustellen schon bestünde. Viele der IG BAU KollegInnen, die die Schuld an der Krise am BAU eher bei den zu Billiglöhnen Beschäftigten, als bei denen zu sehen, die den Profit davon tragen.

KLAUS PANKAU DISTANZIERT SICH VOM OFFENEN BRIEF:

Offener Brief des Geschaftsführers des IG BAU Bezirksverbandes Berlin Süd-West entspricht nicht den Positionen und dem Vokabular der IG BAU

Der Landesvorsitzende des IG BAU Berlin-Brandenburg, Klaus Pankau, hat sich von einem durch den Geschäftsführer des Bezirksverbandes Berlin Sud-West veröffentlichten "Offenen Brief" an den Regierenden Burgermeister von Berlin erneut offentlich distanziert. Die Verteilung des Briefes wurde bereits am 15.3. anläßlich einer Protestaktion vor dem Roten Rathaus untersagt. Gegen die Inhalte und Formulierungen in diesem Brief sprechen folgende Tatbestande:

1. Die Inhalte und die Sprache des Briefes entsprechen nicht den Positionen der IG BAU.

2. Der Brief ist von seinem Unterzeichner ohne Kenntnis und ohne Abstimmung mit den verantwortlichen Gremien der IG BAU im Bezirksverband Berlin Sud-West und im Landesverband Berlin-Brandenburg verbreitet worden.

3. Die Positionen der IG BAU hinsichtlich der Problematik des Lohn- und Sozialdumpings auslandischer Werkvertragsfirmen vor allem aus den EU-Landern sind bekannt.

Die Bekampfung des Lohn- und Sozialdumpings in Europa findet in Kooperation mit den europaischen Baugewerkschaften mit dem Ziel, gleiche Lohne und Arbeitsbedingungen in Europa fur alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, ganz gleich welcher Rasse, Weltansc hauung oder Staatszugehorigkeit, zu schaffen, statt.

Alle Baugewerkschaften in Europa, ebenso wie die Europäische Föderation der Bau- und Holzarbeitergewerkschaft, verfolgen gemeinsam dieses Ziel und treten dem Lohn- und Sozialdumping - ganz gleich in welcher Form und wo immer es auftritt entgegen.

Die Initiativen der IG BAU fur eine Europäische Entsenderichtlinie, die Durchsetzung des Entsendegesetzes in der Bundesrepublik und die Tarifauseinandersetzung um den Mindestlohn in der Bundesrepublik sind Beleg fur diese gewerkschaftlichen Positionen.

4. Der tarifliche Mindestlohn in der Bundesrepublik, dem die Große Tarifkommission der IG BAU kurzlich ihre Zustimmung gegeben hat, kommt allen Beschäftigten auf den Baustellen zugute. Er schutzt die Werkvertragsarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer aus Oste uropa ebenso wie die Beschäftigten aus den EU-Landern und die einheimischen nicht tarifgebundenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Ausbeutung durch Lohn- und Sozialdumping.

In der IG BAU sind, so Pankau, sofort nach dem Vorfall alle nötigen Konsequenzen gezogen worden.

Rassistische oder ausländerfeindliche Positionen haben in der IG BAU keinen Platz.

ERKLÄRUNG des Bundesvorstandes der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt vom 23.04.1996

Seit Jahrzehnten arbeiten deutsche Bauarbeitnehmer mit ausländischen Berufskollegen auf Baustellen in Deutschland friedlich zusammen. Diese Kolleginnen und Kollegen sind zum integralen Bestandteil heimischer Unternehmungen geworden. Ihre Zahl belauft sich auf ca. 120.000 Menschen.

Nicht wenige davon sind Mitglieder unserer Gewerkschaft. Diese Kolleginnen und Kollegen arbeiten zu gleichen arbeits- und sozialrechtlichen Bedingungen wie ihre deutschen Berufskolleginnen und -kollegen. Sie zahlen Steuern, Arbeitslosen-, Rentenversicherun gs-, Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträge, so wie das in Deutschland üblich ist.

Es war immer ein Anliegen der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt alle in Deutschland tätigen Arbeitnehmer zu heimischen arbeits- und sozialrechtlichen Bedingungen zu beschäftigen. Durch dieses gewerkschaftspolitische Grundanliegen sichern wir nicht n ur die in Deutschland arbeitenden ausländischen Kollegen mit ihren Familien ab, sondern auch alle übrigen bei uns arbeitenden Menschen und ihre Familien.

Jede andere Beschäftigungsform fuhrt letztendlich - auch und nicht zuletzt im Schlepptau korrekter Beschäftigungsformen ausländischen Rechts - zu Illegalität. Die Verantwortung sehen wir bei den politisch Handelnden und vor allen Dingen bei den an den vers chiedenen Beschäftigungsformen verdienenden Haupt- und Subuntemehmern, und bei den auftragvergebenden Stellen, soweit sie Illegalität wissentlich dulden.

Gerade aus diesem Grund heraus wenden wir uns als Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt auch mit dem nationalen Arbeitnehmer-Entsendegesetze gegen die derzeit Forderung nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz nach staatlicher Kontrolle auf Baustellen wende t sich daher nicht gegen die dort Beschäftigten.

Dies ist auch nicht offizielle Politik der Industriegewerkschaft Bauen- Agrar-Umwelt. Wir haben nie im Zweifel gelassen, wo die Verantwortlichkeit liegt, wenn illegal beschäftigt wird.

Vor allem der Besteller, der Auftraggeber und die Unternehmen haben den größten Nutzen von dieser Form der Arbeitnehmerbeschäftigung. Ohne solche Geschäftemacherei gäbe es keine illegale Beschäftigung und keine den Bauwettbewerb und heimische Arbeitsplatze gefährdende Billigkonkurrenz.

Bereits auf der Europäischen Arbeitsmarktkonferenz im März 1995 hat die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt nachhaltig zum Ausdruck gebracht, daß ihr die Haftung des Hauptuntemehmers für Subuntemehmer-Leistungen sehr am Herzen liegt Das leider zum stu mpfen Schwert verkommene Schwarzarbeitergesetz sieht zumindest Juristisch in diesem Punkt eine Form der Verantwortlichkeit beim Hauptunternehmer und zwar durch die sogenannte ,Bösgläubigkeit" des Hauptunternehmers, vor. Leider hat dieses Gesetz de facto bi sher nichts Wirkliches bewegt.

Die Ursachen für die entstandene Lage haben in erster Linie diejenigen Unternehmen gesetzt, die mit Subunternehmern zu Billigpreisen gute Geschäfte wittern und auch tatsächlich machen. Hinzu kommt noch die völlig unzureichende Einstellung der Europäischen Union auf die sozialen Belange der Arbeitnehmer im Ergebnis des freien Dienstleistungsverkehrs. Wir als Gewerkschaften sind für eine stärkere Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit und nicht im Rahmen der Dienstlei stungsfreiheit. Auch dieses haben wir immer wieder unmißverständlich zum Ausdruck gebracht und gefordert Gegen all diese Erscheinungen und nicht gegen die ausländischen Baukollegen richten sich die Anstrengungen der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt . Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz wurde von uns auch zum Schutz der ausländischen Berufskollegen gefordert.

Jetzt fordern wir im solidarischen Miteinander dessen Umsetzung ein.

Soweit es örtlich Diskussionen gibt, die die Hauptleidtragenden an dieser mißlichen Situation, nämlich die unter brutalsten ausbeuterischen Bedingungen in Deutschland beschäftigten Menschen zu Sündenböcken stempelt, verurteilt die Industriegewerkschaft Bau en-Agrar-Umwelt solche Äußerungen aufs schärfste. Gerade auch die oft zu menschenunwurdigen Bedingungen in Deutschland untergebrachten Arbeitnehmer geben ein äußerst schlechtes Bild der Bauwirtschaft in der Welt ab.

Auch dieses haben wir immer wieder gegenüber den politisch Handelnden so zum Ausdruck gebracht und Veränderungen eingefordert. Für die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt gilt nach wie vor - wie über Jahre gerade am Bau praktiziert - ein solidarisches Miteinander.

Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt verurteilt jede Form der Diskriminierung und der Ausländerfeindlichkeit. Soweit Erklärungen unter dem Namen der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt abgegeben wurden, die sich nicht an diese Grundbedingungen unseres gewerkschaftlichen Handelns orientieren, werden diese Personen mit aller Harte bis hin zu personellen Konsequenzen zur Rechenschaft gezogen. Dies gilt für die Vergangenheit ebenso wie fur die Zukunft.

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