November 1995

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Nr.15 onlineversion

Trend und Gegentrend

Die GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft) Berlin verleiht jedes Jahr den Mete-Eksi-Preis an Jugendliche, die sich im Bereich Toleranz und Verständigung zwischen Bevölkerungsgruppen verschiedener Herkunft besonders verdient gemacht haben. Das ist eine gute Tradition und drückt die antirassistische Grundhaltung dieser Gewerkschaft aus.

Wohlgemerkt, der Mete-Eksi-Preis geht an Jugendliche, also sozusagen an die Objekte der beruflichen Bemühungen eben auch gerade der GEW-Mitglieder. Die Verleihung eines solchen Preises ist nicht selbstverständlich, welch andere Gewerkschaft tut es ihr gleich oder gar besser in unserer heutigen Bundesrepublik?

Gut, die GEW tut in diesem Bereich ihre Pflicht oder eben mehr. Dennoch macht es offenbar einen Unterschied, ob Lehrer-/ErzieherInnen sich den ihnen Anvertrauten zuwenden oder aber sich untereinander bzw. den Vorgesetzten gegenüber verhalten müssen. Ein Beispiel für diesen Unterschied lieferte kürzlich die GEW Kreuzberg.

Die GEW Kreuzberg gab in den letzten 10 Jahren eine eigene Bezirkszeitschrift heraus, den TREND, aus dem wir im RAG 12 zwei Artikel übernommen haben (TREND 1/95). Dies wird zukünftig nicht mehr möglich sein. Den TREND gibt es nicht mehr. Die GEW Kreuzberg hat den Rücktritt der TREND-Redakteure gefordert und dieses auch nach einer längeren Kampagne erreicht. Die Posten sind nicht neu besetzt. Und dies alles infolge einer Auseinandersetzung um den Schulrat in Kreuzberg, Peter Radusch (CDU), der sich gegenüber einigen seiner Untergebenen mit rassistischen Äußerungen hervortat (s. a. RAG 12).

Was war nun das "Vergehen" der TREND-Macher in diesem Zusammenhang, das ihnen das Aus bescherte? Sie druckten die "persönliche Erklärung" eines ihrer Redakteure ab, die dieser im Personalrat der Lehrer und Erzieher (PRLE) als Mitglied dieses Gremiums dort abgegeben hatte. Er gab mit dieser Erklärung bekannt, nicht länger an den sogenannten Monatsgesprächen teilnehmen zu wollen, solange Herr Radusch im Amt sei bzw. er sich nicht bei seinen Opfern für die diskriminierenden Äußerungen entschuldigt habe. Der Kollege begründete sein Vorgehen mit der besonderen Verantwortung, die er als Nachkriegsdeutscher gegenüber der spezifisch deutschen Geschichte mit ihren rassistischen Exzessen verspüre. Eine Person, die auch nur im Verdacht stünde, rassistischen Regungen nicht gänzlich abhold zu sein, dürfe weder in einem von ImmigranInnen stark bewohnten Bezirk wie Kreuzberg noch in irgendeinem anderen Bezirk an repräsentativer Stelle staatliche Bildungspolitik vertreten.

Nach Abdruck dieser Erklärung mitsamt einer Setzeranmerkung "lief die GEW Kreuzberg Amok" (so die taz am 30.6.95): Vertriebsverbot der Ausgabe. Begründet wurde diese Maßnahme mit der Behauptung, die Redakteure hätten die Herausgeberin, die Bezirksleitung der GEW Kreuzberg, bzw. deren Vorsitzende vorher über den geplanten Abdruck informieren müssen.

Wir haben dieses Argument überprüft und sind im Editorial der TREND-Nr. 1/94 fündig geworden, in dem das statutenmäßige Selbstverständnis der GEW Kreuzberg und der TREND-Macher abgedruckt war: "Konsens besteht darin, keine gewerkschaftlichen Strömungen auszugrenzen, d.h. auch kontroverse Texte vorzustellen. Der TREND wird weiterhin kein Verlautbarungsorgan sein, die Redaktion unabhängig vom Herausgeber bleiben. Eine enge Zusammenarbeit wird von beiden Seiten angestrebt. Wir glauben institutionell so am besten gewährleisten zu können, eventuelle Kritik an wem immer innerhalb der Organisation vor Nichtbehandlung schützen zu können".

Die TREND-Macher beugten sich dem Auslieferungsverbot bzw. der versuchten Zensur nicht. Für sie stand das Gut der innergewerkschaftlichen Pressefreiheit höher, als der Gehorsam gegenüber einer Bezirksleitung, die offensichtlich nicht mehr wahrhaben wollte, was sie erst ein Jahr vorher akzeptiert hatte. Darüberhinaus war das Erscheinen gerade dieser Nummer sehr wichtig im Rahmen einer Solidaritätskampagne für die Kreuzberger SchülerInnen, die bei einem Schulprojekt in Marzahn in strafrechtliche Schwierigkeiten geraten waren (vgl. RAG 12). Die Redaktion änderte das Impressum mit Aufklebern und gab sich selbst als Herausgeber an, um die Bezirksleitung von der Verantwortung zu entlasten. Die 2.000 bereits gedruckten Exemplare wurden in die Schulen geschickt.

Jetzt ging der "Amoklauf" erst richtig los, die Bezirksleitung forderte nun unter Verletzung des GEW-Statuts:

1. den Rücktritt der Redakteure,

2. die Bezahlung der Druckkosten durch die Redakteure und

3. den Rückritt der TREND-Macher von ihren jeweiligen Kandidaturen zu den gerade anstehenden Personalratswahlen.

Die Bezirksleitung beabsichtigte, diese Forderungen von einer nicht ordnungsgemäßen Mitgliederversammlung absegnen zu lassen, was jedoch nicht gelang.

Alles in allem ist dies wohl eine schwere Verletzung innergewerkschaftlicher Demokratie. Vermittlungsgesuche der Redaktion schlugen fehl. Die Frage, wie geht man mit rassistischen Vorgesetzten um, wird in der GEW Kreuzberg nicht mehr diskutiert. Der TREND ist tot und der kreuzberger Personalrat der Lehrer und Erzieher (zu 100% bestehend aus GEW-Mitgliedern) braucht keine Kritik mehr zu fürchten. Eine Gewerkschaft, die den Mete-Eksi-Preis vergibt, kann doch nicht gleichzeitig mit einem rassistischen Schulrat zusammenarbeiten und Kritiker einer eventuellen Zusammenarbeit mundtot machen wollen. Weshalb also diese Aufregung? Wir haben uns geirrt. Die GEW kann das, bzw. weil sie das nicht öffentlich zugeben will, wird Peter Radusch flugs zum Nichtrassisten umgedeutet und das geht so: Ein Rassist sei jemand, der ein geschlossen rassistisches Weltbild im Kopf habe und dieses Weltbild aktiv umsetzen wolle. Das träfe auf Herrn Radusch nicht zu und er sei somit nur jemand, der zwischendurch rassistische Ausrutscher habe. Mehr nicht.

Mit dieser Definition eines Rassisten könnten wir die meisten Täter von Mölln bis Solingen, von Hoyerswerda bis Rostock, ja sogar die meisten Täter während des Faschismus nicht mehr als solche bezeichnen.

Welcher dieser hirnlosen Schlägertypen hat schon ein "in sich geschlossenes Weltbild"? Wir könnten sie analog dazu auch nicht mehr als Nazis oder Neonazis bezeichnen. Eine bessere Entlastung könnten wir der deutschen Gesellschaft gar nicht geben. Deutschland wäre ab sofort nahezu 'rassistenfrei'.

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