September 1995

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Nr.14 onlineversion

Buchbesprechung

Klaus Kordon: Die roten Matrosen - Mit dem Rücken zur Wand - Der erste Frühling

Klaus Kordons Bücher findet man in Bibliotheken immer unter der Rubrik "Jugendbuch". Die Romantrilogie "Die roten Matrosen" - "Mit dem Rücken zur Wand" - "Der erste Frühling" hat inzwischen auch eine ganze Menge begeisterter erwachsener LeserInnen gefunden.

Die drei Bände erzählen das Leben einer Arbeiterfamilie, ihrer Freunde und Nachbarn in der Ackerstraße in Berlin-Wedding. Der erste Band schildert die Jahre 1918/19. Den Handlungsrahmen bilden die letzten Kriegsmonate, der Matrosenaufstand von Kiel und der Verlauf der, letztendlich niedergeschlagenen, Revolution in Berlin. Lebendig wird eine Berliner Mietskaserne, die Ackerstraße Nr. 37, mit ihren BewohnerInnen. Ihr Alltag, ihre Lebensbedingungen und Gewohnheiten sind genauso Thema wie ihr Anteil an den Ereignissen von 1918/19. Hauptpersonen sind natürlich zwei Jugendliche, die beiden Jungen Fritz und Helle.

Der zweite Band, "Mit dem Rücken zur Wand", spielt in den Jahren 1932/33 vor dem Hintergrund der Machtübergabe an die Nazis und endet mit dem Reichstagsbrand und dem Ermächtigungsgesetz. Hans, der jüngere Bruder von Helle, findet bei AEG in der Brunnenstraße eine Arbeit und lernt dort Mieze, seine Freundin, kennen. Beide erleben, wie die Nazis zunehmend Einfluß auch unter ArbeiterInnen gewinnen und wie die Auseinandersetzungen zwischen KPD und SPD ein gemeinsames Vorgehen der beiden Arbeiterparteien gegen die Nazis verhindern.

Das Frühjahr 1945, die letzen Tage der Naziherrschaft, der Einmarsch der Roten Armee und die Hoffnung auf einen Neuanfang beschreibt der dritte Band. Hauptperson ist die zwölfjährige Änne, die Tochter von Helle. Leben und Überleben während der Nazizeit - Mitmachen, Anpassen oder Widerstand - sind Thema dieses Buches.

Die einzelnen Bände können auch jeweils für sich gelesen werden, bauen aber nicht nur von der zeitlichen Abfolge aufeinander auf. Zusammengenommen beschreiben sie einen der wichtigsten Abschnitte deutscher Geschichte aus der Perspektive der "kleinen Leute". Vor den Augen der LeserInnen wird die Ackerstraße 37 mit ihren BewohnerInnen lebendig. Nicht der uns eh bekannte Ablauf der Geschichte bestimmt die Bücher, sondern das Denken und Handeln ihrer Personen. Dabei verzichtet Klaus Kordon weitgehend auf Idealisierungen. Das Schwanken zwischen Mut und Angst, Anpassung und Widerstand, machen Fritz, Helle, Hans und Änne und all die anderen Personen glaubwürdig und beinahe real. Die sorgfältige und liebevolle Beschreibung der Lebensumstände versetzen die LeserInnen in den Wedding der Jahre 1918/19 oder in das Lager der AEG-Brunnenstraße Anfang der 30er Jahre. Vor allem aber sind die Bücher spannend geschrieben und dabei gut zu lesen.

Heute stehen die Mietskasernen der Ackerstraße im Westteil Berlins nicht mehr. Was nicht im Krieg zerstört wurde, mußte Neubauten weichen. Von der AEG Brunnenstraße stehen noch einige Hallen und das Tor 1, AEG hat vor ca. 15 Jahren die Produktion eingestellt. Daß die Geschichte der Menschen, die dort gelebt und gearbeitet haben, nicht vergessen wird, daß ihre Schwächen und Stärken und ihr Kampf für ein anderes Leben lebendig bleiben, dafür sorgen diese Bücher.

Die roten Matrosen

1984 Beltz Verlag, Weinheim

ISBN 3-407-80133-5; 29,80 DM

Mit dem Rücken zur Wand

1990 Beltz Verlag, Weinheim

ISBN 3-407-80061-4; 29,80 DM

Der erste Frühling

1993 Beltz Verlag

ISBN 3-407-79615-3; 29,80 DM

Diese drei Bände sind auch in der Büchergilde Gutenberg erschienen (PF 160165, 60064 Frankfurt/Main).

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