September 1995

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Nr.14 onlineversion

Politische Justiz in den USA - ein "Spiel" auf Leben und Tod

Am 12. Juli 1995 begann vor dem Court of Common pleas in Philadelphia die Anhörung zu dem Antrag Mumia Abu-Jamals, seine für den 17. August 1995 anberaumte Hinrichtung auszusetzen. Der wegen Mordes an dem weißen Polizeioffizier D. Faulkner 1982 zum Tode verurteilte schwarze Radiojournalist hatte am 5. Juni 1995 einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens auf der Grundlage des Post-Conviction Relief Acts - PCRA - eingereicht. Der PCRA garantiert jedem Verurteilten ein Verfahren, in dem der zu seiner Verurteilung führende Prozeß bei vorbringen glaubhaft gemachter Tatsachen überprüft wird.

Das Verfahren ist eine Mischung der bei uns bekannten Revisons- und Wiederaufnahmeverfahren. Die Verteidiger Abu-Jamals haben zur Begründung des Antrags auf über 600 Seiten Verfahrensmängel, Behinderungen der Verteidigung, Unterdrückung von Beweisen, neue Zeugen und Gutachten präsentiert und glaubhaft gemacht.

Mumia Abu-Jamal, 1954 geboren, war von 1968 bis 1972 Mitglied der Black Panther Party und zeitweilig deren "Informationsminister" und Redakteur ihrer Zeitung "The Black Panther". Nach einem kurzem Collegestudium arbeitete er als Radiojournalist und Kommentator für lokale Radiostationen in Philadelphia, lieferte Beiträge für überregionale Sender. Sein Themenschwerpunkt war der Rassismus gegen die schwarze Bevölkerung und die Berichterstattung über rassistische Polizeiübergriffe. 1980 wurde er zum Präsidenten der Vereinigung schwarzer Radiojournalisten gewählt, 1981 von der größten Tageszeitung Philadelphias als "voice of the voiceless" zum Aufsteiger der Stadt gekürt.

Am 10. Dezember 1981 wurde Mumia Abu-Jamal Zeuge, wie sein Bruder Billy Cook von einem Polizeibeamten mißhandelt wurde. Er intervenierte, wurde selbst lebensgefährlich verletzt, der Beamte wurde von einem unbekannt gebliebenen Täter erschossen. Abu-Jamal wurde als mutmaßlicher Täter verhaftet. Am 2. Juni 1982 begann sein Prozeß. Am 2. Juli 1982 wurde er des Mordes an dem Polizeibeamten schuldig gesprochen und am 3. Juli 1982 zum Tode verurteilt. Am 1. Juni 1995 unterzeichnete der seit Januar amtierende republikanische Gouverneur Thomas Ridge den Hinrichtungsbefehl.

Die Anhörungen

An den Anhörungen am 12. Juli 1995 und 14. Juli 1995 nahmen neben internationalen Beobachtern aus Japan und Großbritannien aus der Bundesrepublik Prof. Dr. Norman Paech, Professor für öffentliches Recht an der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg und Volker Ratzmann, Rechtsanwalt aus Berlin teil.

Ihnen wurde von der Verteidigung Abu-Jamals das auch dem Gericht vorliegende Material zur Verfügung gestellt, insbesondere der am 5. Juni 1995 eingereichte Wiederaufnahmeantrag nebst sämtlichen Anlagen.

Obwohl zuvor als internationale Beobachter dem Gericht angekündigt, erfolgte keinerlei Unterstützung von Seiten der Justizbehörden. Die Teilnahme an dem Hearing, das grosses öffentliches Interesse fand, war nur möglich, da die Angehörigen des Verurteilten dafür sorgten, daß Plätze im Zuschauerraum für uns freigehalten wurden. Die im Gerichtssaal anwesende Öffentlichkeit war auch räumlich in zwei Lager gespalten. Neben den Angehörigen und Unterstützern des Verurteilten bestimmte die FOP (Fraternal Order of Police Philadelphia), die örtliche Polizeigewerkschaft, die Diskussion und die öffentliche Wahrnehmung des Falles. Sie hatten dazu aufgerufen, im Andenken an den getöteten Polizeioffizier an der Verhandlung teilzunehmen. Dem Aufruf, der selbst im Gerichtsgebäude angebracht worden war, waren viele Polizisten gefolgt. Ihnen wurde schon vor der offiziellen Öffnungszeit des Gebäudes der Zutritt gewährt, um sich vor dem Gerichtssaal aufzustellen. Die Polizeigewerkschaft tritt offen und massiv für eine schnelle Hinrichtung des Verurteilten ein, ohne den mittlerweile öffentlich bekannten Verfahrensrügen und neuen Beweisen für die Unschuld des Verurteilten (New York Times vom 15.07.1995) Beachtung zu schenken.

In der Anhörung hatte die Verteidigung die Unzuständigkeit und Befangenheit des Vorsitzenden Richters gerügt. Die Staatsanwaltschaft wandte sich sowohl gegen die Aussetzung der Hinrichtung als auch die von der Verteidigung erhobene Rüge der Befangenheit des Richters Albert F. Sabo.

Mit Richter Sabo entscheidet erstinstanzlich derselbe Richter über die Aussetzung der Todesstrafe und Wiederaufnahme des Verfahrens, der seinerzeit Abu-Jamal zum Tode verurteilte und der den traurigen Rekord hält, mehr Angeklagte zum Tode verurteilt zu haben als jeder andere Richter in den USA - wobei von 31 Verurteilten 29 Afro-Amerikaner waren. Sabo, 71 Jahre alt und eigentlich schon im Ruhestand, gehörte vor seiner Ernennung zum Richter als "Undersheriff" derselben FOP an, der auch das Opfer angehörte und die jetzt so vehement für die Hinrichtung eintritt.

Im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft lehnte der Richter die Befangenheitsanträge ab. Er wolle darüber verhandeln, ob tatsächlich Gründe für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vorliegen und forderte die Verteidigung auf, ihre in der Antragsschrift benannten Zeugen zu präsentieren. Bis zur Hinrichtung seien vier Wochen Zeit, ausreichend, um die Verhandlung durchzuführen. Die vorliegenden eidesstattlichen Versicherungen reichten ihm nicht aus, die aufgelisteten Verfahrensfehler und neuen Beweistatsachen glaubhaft zu machen.

Verfahrensmängel

Sowohl in dem derzeitigen Verfahren aber insbesondere an dem damaligen Verfahren sind erhebliche Zweifel angebracht.

Wesentliche ballistische und pathologische Untersuchungen wurden nicht durchgeführt, Augenzeugen nicht gehört, Widersprüche in den Zeugenaussagen nicht aufgeklärt und der Angeklagte selbst ohne Grund von wesentlichen Teilen des Verfahrens - insbesondere während der Auswahl der Juroren - ausgeschlossen. Die vom Gericht für eigene entlastende Ermittlungen - einschließlich Gutachten - zur Verfügung gestellte Summe, betrug 150 $. Anders als in der BRD, muß der Angeklagte sowohl für die Beibringung aber auch Finanzierung des entlastenden Materials selbst aufkommen. Ihm wird, so er mittellos ist, hierfür vom Gericht ein gewisser Betrag zur Verfügung gestellt.

Die Todesstrafe in den USA

Die gegen Jamal verhängte Todesstrafe hat in einem rechtsstaatlichen Sanktionssystem eines aufgeklärten Staates keinen Platz. Die Todesstrafe ist international durch die UNO geächtet. Auch die USA haben den Pakt 1992 ratifiziert, sich jedoch die weitere Anwendung der Todesstrafe vorbehalten.

Der "Kampf" gegen wachsende Kriminalität mit immer schärferen Sanktionen bestimmt derzeit das politische Klima in den USA. Mit dem Wegfall des "Kalten Krieges" und der daraus resultierenden Rolle der USA verlagert sich das zunehmende öffentliche Interesse auf die Innenpolitik. Die politisch stärker werdenden Republikaner verlangen immer unnachgiebiger nach der Todesstrafe, vor allem nach deren Umsetzung. Es verwundert deshalb nicht, daß der Hinrichtungsbefehl Abu-Jamals kurz nach der Amtseinführung des republikanischen Gouverneurs Ridge unterzeichnet wurde. Nach 33 Jahren hat Pennsylvania im Juni 1995 die erste Exekution vollzogen, Jamal soll der Dritte sein. In den USA wurden 1995 bereits 31 Menschen hingerichtet, mit 38 Hinrichtungen wird gerechnet.

Derzeit sitzen in den USA 3.000 Gefangene in den Todestrakten, in Pennsylvania allein 190, wovon 168 Nichtweiße sind. Der Bevölkerungsanteil der Nichtweißen in Pennsylvania liegt deutlich unter 50%. Diejenigen, die die Todesstrafe zu erwarten haben, verfügen zumeist nicht über die Möglichkeiten, eine entsprechende Verteidigung zu finanzieren und unterliegen großen rassistischen Vorurteilen.

Unabhängig hiervon verdient Mumia Abu-Jamals Fall auch gegenüber diesen Todesstrafenverfahren besondere Bedeutung. Abu-Jamal war als kritischer Radiojournalist weit über die Grenzen Pennsylvanias hinaus für seine Kritik an den rassistischen Strukturen der USA bekannt. Da sich das Philadelphia Police Department unter dem Bürgermeister Rizzo in den siebziger und achtziger Jahren bekanntermaßen mit rassistischen Übergriffen hervortat, war Jamal im besonderen zur Zielscheibe der Polizei seiner Heimatstadt avanciert. Nachweislich hat das FBI in Zusammenarbeit mit Philadelphias Polizei versucht, den seit seiner Jugend in der Black Liberation Bewegung an führender Stelle engagierten Abu-Jamal mit konstruierten Verdächtigungen zu belasten, um eine strafrechtliche Verfolgung zu bewirken. Auch dies ist Teil der Begründung für den Wiederaufnahmeantrag. Der Bezug dieses Verfahrens zu Meinungs- und Pressefreiheit ist offensichtlich und der Vergleich mit dem Verfahren gegen Sacco und Vanzetti in den 20er Jahren wohl nicht zu weit hergeholt.

Mit der Entscheidung vom 9. August 1995 ist der Hinrichtungstermin bis nach Abschluss des Wiederaufnahmeverfahrens verschoben. Ob ein Bundesgericht letztendlich dem Wiederaufnahmeantrag stattgibt, ist derzeit nicht zu beantworten, die Instanzgerichte tun es sicher nicht. Nach Ansicht der Verteidiger wird sich auch die mittlerweile größer werdende internationale Solidaritätswelle für Mumia Abu-Jamal vor den Bundesgerichten eher positiv auswirken als vor den unteren Instanzen.

Die offiziellen Stellen in den USA registrieren die wachsende Sympathie sehr genau. Wahrgenommen werden insbesondere Verlautbarungen anerkannter Institutionen und Aktionen die sich direkt an die Vertretungen der USA im Ausland wenden oder von außen in den USA lanciert werden.

In Berlin wurde ein "Solidaritätsbüro Mumia Abu-Jamal" eingerichtet. Es ist Anlaufstelle für weitere Aktionen und Abrufstelle für weitere Informationen über den Verlauf des Verfahrens.

Das Büro ist zu erreichen in der

Yorckstraße 59,

10965 Berlin

Tel: 7857281,

Fax: 7869984.

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