September 1995

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Nr.14 onlineversion

Sagt Nein!
Zivilcourage gegen Abschiebungen

"Jede Beihilfe zu menschenrechtswidrigen Abschiebungen verweigern" fordert der Appell von Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen, unterzeichnet unter anderem von Pro Asyl, Medico International, Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs und der AG Kritischer Polizisten: Die Verweigerung von Asyl durch diverse staatliche Behörden wird immer systematischer.

Einreiseverhinderungen für Flüchtlinge durch die Bestimmung von "sicheren" Drittstaaten und Herkunftsländern, durch Visazwang und Grenzabschottung; Folter, Krieg und Bürgerkrieg gelten längst nicht als Asylgründe; zu kurze Rechtsmittelfristen erlauben keine Hilfe; menschenrechtswidrige Abschiebungen werden legalisiert durch Nichtanerkennung von Fluchtgründen und Zusammenarbeit mit Unrechtsregimen. Die Abschiebemaschinerie wird immer perfekter: Eine systematisch angelegte Einbahnstraße in Richtung Abschiebung. Menschen werden in Elend, Folter und Tod geschickt.

Deshalb erklären wir hiermit öffentlich: Die Abschiebepraxis der Bundesrepublik Deutschland widerspricht immer mehr den Grund- und Menschenrechten. Deshalb können wir es nicht länger mit unserem Gewissen vereinbaren, dieser Praxis tatenlos zuzustimmen. Wir werden uns künftig unter Berufung auf die Freiheit, gemäß unserem Gewissen zu handeln (Art. 4 GG), - nach unseren eigenen Möglichkeiten - der herrschenden Abschiebepraxis widersetzen: Durch Protest, durch öffentlichen Widerspruch, durch die Verweigerung unserer eigenen Beteiligung an Abschiebungen, die unserem Gewissen widersprechen.

Wir wenden uns mit diesem Appell an alle Menschen, insbesondere auch an die, die - freiwillig oder unfreiwillig - an der Abschiebung von Flüchtlingen beteiligt sind. Sie arbeiten z.B. auf deutschen Flughäfen und bei Fluggesellschaften wie etwa der Deutschen Lufthansa AG. Sie arbeiten bei der Polizei, beim Bundesgrenzschutz oder bei privaten Sicherheitsdiensten, in Abschiebehaftanstalten, bei der Deutschen Bahn AG, in einer Ausländerbehörde oder beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, bei politischen Behörden, Institutionen oder Ministerien, die sich mit Abschiebefragen befassen. Sie sollen als Richterin oder Richter in Asylverfahren entscheiden oder Abschiebehaft anordnen. Sie sollen als Ärztin oder Arzt eine Beruhigungsspritze vor der Abschiebung verabreichen. Sie arbeiten als Sozialarbeiterin oder Sozialarbeiter, als Lehrerin oder Lehrer mit Menschen zusammen, die schon morgen "nicht mehr da sind".

Sie alle bitten wir: Beteiligen Sie sich nicht an Grundgesetz- und menschenrechtswidrigen Abschiebungen! Verweigern Sie ihre Beihilfe! Die Abschiebemaschinerie funktioniert nur, solange alle "Rädchen" lautlos ineinander greifen. Sagen Sie NEIN! Berufen Sie sich auf Recht, gemäß Gewissen zu handeln (Art. 4 GG).

Wenn Sie mit einer drohenden Abschiebung konfrontiert sind, dann überprüfen Sie, ob das Vorgehen der staatlichen Behörden übereinstimmt

- mit der Unantastbarkeit der Würde des Menschen (Art. 1 GG),

- mit den Menschenrechten, zu denen das Recht auf Asyl gehört (Art. 1 GG),

- mit den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonventionen und der Genfer Flüchtlingskonvention,

- mit dem Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit und Freiheit der Person (Art. 2 GG),

- mit dem Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 3 GG),

- mit dem Anspruch, daß Ehe und Familie unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung stehen (Art. 6 GG).

Sollte die Abschiebepraxis nicht mit den Grund- und Menschenrechten zu vereinbaren sein, dann protestieren Sie dagegen und verweigern Sie jede Beihilfe zu solchen Abschiebungen.

Kontaktadressen zum Appell "SAGT NEIN!":

- Büro für notwendige Einmischungen, Nernstweg 32-34, 22765 Hamburg, 040/393 013

- Komitee für Grundrechte und Demokratie, Bismarckstr. 40, 50672 Köln, 0221/523 056

- Netzwerk Friedenskooperative, Römerstr. 88, 52111 Bonn, 0228/692 904

Niemand darf gezwungen werden, gegen sein eigenes Gewissen zu handeln. Wer sich also aus Gewissensgründen nicht mehr an menschenrechtswidrigen Abschiebungen beteiligen kann und will, sollte seinen Dienstgeber zunächst - möglichst öffentlich und zusammen mit anderen Kolleginnen und Kollegen - auffordern, dafür Sorge zu tragen, daß er oder sie nicht mehr im Zusammenhang mit Abschiebungen Dienst leisten muß.

Wenn der Dienstherr diesem Wunsch nicht entspricht, kann man die eigene Mitwirkung unter Berufung auf die eigene Gewissensfreiheit verweigern - zur Not muß dieses Recht vor Gerichten erstritten werden. Auch die ArbeiterInnen in Rüstungsbetrieben, die sich an bestimmter Produktherstellung nicht mehr beteiligen wollten, oder die Postboten, die sich weigerten, Werbematerialien der rechtsextremen DVU auszutragen, haben am Ende Recht bekommen. Beamtinnen und Beamte sollten zunächst von ihrem Remonstrationsrecht (beamtengesetzlich geregeltes Widerspruchsrecht gegen als unrechtmäßig empfundene dienstliche Anordnungen) Gebrauch machen. Bei erfolgloser Remonstration sollten aber auch sie eher ihrem Gewissen, als grundgesetzwidrigen dienstlichen Anordnungen Folge leisten, auch wenn dies ein Disziplinarverfahren zur Folge haben könnte.

Mut und Zivilcourage sind von uns allen verlangt!

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