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Nr.4 EXTRA onlineversion

Die Brandstifter sitzen auch in den Regierungsetagen

Die Welle der rassistischen Gewalt, die in Rostock-Lichtenhagen ihren vorläufigen Höhepunkt fand, hält an. Die Geschehnisse in Rostock sind unfaßbar, sie sind einmalig seit Existenz der BRD.

Daß ein menschenverachtender Mob tagelang, ohne von der Polizei ernsthaft daran gehindert zu werden, das Flüchtlingsheim angreifen konnte, ist in ähnlicher Weise vor einem Jahr in Hoyerswerda schon passiert.

Aber diesmal hat sich die Polizei ganz offen zurückgezogen und damit den Tod von 115 Menschen, die sich noch in dem Heim befanden, in Kauf genommen. Es grenzte an ein Wunder, daß es dann doch keine Toten gab.

Die verantwortlichen Politiker sind immer noch in Amt und Würden. Einer redete jetzt Klartext: Kurt Degner, Pressesprecher der SPD-Fraktion im Mecklenburger Landtag. Er erklärte, daß sowohl die CDU-Landesregierung, als auch der Rostocker SPD-Senat die Zustände in Lichtenhagen absichtlich herbeigeführt habe. Er bezeugte, daß der Rostocker Innensenator ihm gegenüber zugab die Unterbringungsprobleme der Flüchtlinge bewußt eskaliert zu haben - obwohl es andere Möglichkeiten gegeben hätte. Er wollte damit andere Flüchtlinge abschrecken. Das bedeutet: Dieses Pogrom in Rostock wurde durch hoffnungslose Überfüllung des Flüchtlingsheims, ungenügende sanitäre Einrichtungen etc. (und das alles mitten in einem Wohngebiet) eindeutig provoziert. Jeder weiß was für Zustände entstehen, wenn soviele Menschen auf engstem Raum und ohne entsprechende Einrichtungen zusammengepfercht werden.

Wir brauchen uns nur an die Bilder aus der Prager Botschaft erinnern, in die sich 1989 hunderte von "Wirtschaftsflüchtlingen" aus der ehemaligen DDR geflüchtet hatten.

Aber was tun diese famosen Politiker jetzt, nachdem ihnen die ganze Sache über den Kopf gewachsen ist? "Sie lügen, um ihre Haut, ihre Macht und ihre Sessel, ihre Versorgungsansprüche zu retten" (Kurt Degner, in d. TAZ v. 2. 9. 92).

Die Unterschiede, die Polizei und Politiker in der Behandlung von Rassisten und Neonazis auf der einen, und AntifaschistInnen auf der anderen Seite machen, war eine Woche nach den Pogromen offensichtlich: Die gleiche Polizei, die die Rechtsextremisten das Flüchtlingsheim anstecken ließ, war auf einmal mit Räumfahrzeugen, Wasserwerfern, Hubschraubern, Spezialeinsatzkommandos und über fünftausend Beamten im Einsatz. Nämlich als zwanzigtausend Menschen in Rostock-Lichtenhagen gegen die Pogrome und die Nazis demonstrierten.

"Nützliche Idioten"

Festzustellen bleibt, daß sich die rassistischen BürgerInnen von Lichtenhagen zu "nützlichen Idioten" der Politiker und der Neofaschisten (die vor Ort die Auseinandersetzungen eskalierten) gemacht haben. In ihrer Situation mit hoher Arbeitslosigkeit und verarscht von den Politikern, fiel ihnen nichts anderes ein, als auf die Schwächsten, die sich am wenigsten wehren können, auf die Flüchtlinge einzuprügeln.

Das ist die gleiche Sorte Menschen, die wenn es ihnen dreckig geht, auf ihre Frauen und Kinder einschlagen. Weil sie zu feige oder zu dumm sind, sich gegen die wirklich Verantwortlichen zu wehren.

"Nach der Vereinigung wird es niemandem schlechter gehen" verkündete Bundeskanzler Kohl damals, um die Wahlen zu gewinnen. Tatsache ist, daß in den neuen Bundesländern die Wirtschaft am Boden liegt, die Mieten und die Arbeitslosigkeit immer weiter steigen, und keine Besserung in Aussicht ist.

Wem nützt in dieser Situation die Welle von Haß und Gewalt gegen Flüchtlinge, außer den unfähigen Politikern und den Neonazi-Organisationen?

Ausländerfrei, und dann?

Vor einem Jahr haben verblendete und aufgehetzte Leute in Hoyerswerda dafür gesorgt, daß ihrer Stadt nahezu "ausländerfrei" wurde. Es hat ihnen absolut nicht genützt: Nicht eine Wohnung, nicht einen Arbeitsplatz mehr hat ihnen ihr Rassismus eingebracht. Ihre Situation ist genauso finster wie vorher und es ist auch weiterhin keine Besserung in Sicht.

Und die Funktion der Nazis kennen wir aus der Geschichte: Damals haben sie "die Juden" verantwortlich gemacht für die wirtschaftlich Misere, damit die Industriebosse, die Krupps und Flicks, weiter ihre Macht behalten konnten. Heute tun sie nichts anderes. Heute heißt das "die Asylanten".

Es ist höchste Zeit sie mit allen erforderlichen Mitteln in ihre Schranken zu verweisen.

Unsere Toleranz hat Grenzen.

Schaut nicht weg bei rassistischen Pöbeleien und Angriffen, greift ein, denn wer schweigt macht sich mitschuldig.

Als "sie" die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen;
ich war ja kein Kommunist.

Als "sie" die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen;
ich war ja kein Sozialdemokrat.

Als "sie" die Katholiken holten, habe ich nicht protestiert;
ich war ja kein Katholik.

Als "sie" mich holten, gab es keinen mehr,
der protestieren konnte.

Martin Niemöller(Pfarrer, nach 1945 Kirchenpräsident der ev. Kirche in Hessen-Nassau)

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