Mao Werke


Mao Tse-tung:

GESPRÄCH MIT DEM ENGLISCHEN JOURNALISTEN JAMES BERTRAM

 (25. Oktober 1937)


Diese Version aus: Mao Tse-tung, Ausgewählte Werke Band II, Verlag für fremdsprachige Literatur, Peking 1968, S.45-61


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DIE KOMMUNISTISCHE PARTEI CHINAS UND DER WIDERSTANDSKRIEG GEGEN DIE JAPANISCHE AGGRESSION

Frage James Bertrams: Welchen konkreten Standpunkt hat die Kommunistische Partei Chinas vor und nach dem Ausbruch des chinesisch-japanischen Krieges zum Ausdruck gebracht?
Antwort Mao Tse-tungs: Vor Ausbruch dieses Krieges hat die Kommunistische Partei Chinas die ganze Nation wiederholt gewarnt, daß der Krieg gegen Japan unvermeidlich sei, daß alle Phrasen der japanischen Imperialisten über eine "friedliche Regelung", alle schönen Floskeln der japanischen Diplomaten nur ein Nebelschleier seien, der ihre Vorbereitungen zum Krieg tarnen soll. Wir haben mehrmals darauf hingewiesen, daß man den nationalen Befreiungskrieg nur dann siegreich führen kann, wenn man die Einheitsfront verstärkt und eine revolutionäre Politik durchführt. Es ist ein besonders wichtiger Teil der revolutionären Politik, daß die chinesische Regierung demokratische Umgestaltungen durchführen muß, um die Volksmassen des ganzen Landes zur Teilnahme an der antijapanischen Front zu mobilisieren. Wir haben immer wieder hingewiesen sowohl auf den Irrtum jener, die die japanischen "Friedensgarantien" für bare Münze nahmen und den Krieg zu vermeiden für möglich hielten, wie auch auf den Fehler jener, die glaubten, man könne den japanischen Eindringlingen auch ohne die Mobilisierung der Volksmassen Widerstand leisten. Der Ausbruch des Krieges und sein Verlauf haben die Richtigkeit dieser unserer Ansichten bewiesen. Gleich am ersten Tag
  |046|nach den Ereignissen bei Lugoutjiao veröffentlichte die Kommunistische Partei eine Deklaration an die ganze Nation, in der sie alle politischen Parteien, alle politischen Gruppen und alle Bevölkerungsschichten aufrief, der japanischen Aggression einmütig Widerstand zu leisten und die nationale Einheitsfront zu verstärken. Kurz danach veröffentlichten wir das "Zehn-Punkte-Programm für den Widerstand gegen Japan zur Rettung des Vaterlands"; darin haben wir die Politik formuliert, die die chinesische Regierung während des Widerstandskriegs durchführen muß. In dem Augenblick, als die Zusammenarbeit zwischen der Kuomintang und der Kommunistischen Partei aufgenommen wurde, haben wir eine andere wichtige Deklaration veröffentlicht. Das alles zeugt davon, daß wir beharrlich und unentwegt den Kurs auf Führung des Widerstandskriegs gegen die japanische Aggression durch Verstärkung der Einheitsfront und durch Verwirklichung der revolutionären Politik verfolgen. In der gegenwärtigen Periode lautet unsere Hauptlosung: "Allgemeiner, gesamtnationaler Widerstandskrieg!"

DIE LAGE IM WIDERSTANDSKRIEG UND SEINE LEHREN

Frage: Was sind, wie Sie die Dinge betrachten, die bisherigen Ergebnisse des Krieges?
Antwort: Es sind zwei Hauptergebnisse zu verzeichnen. Einerseits haben die japanischen Imperialisten das chinesische Volk endgültig der Gefahr einer Unterjochung ausgesetzt, indem sie unsere Städte angreifen, unser Territorium überrennen, Vergewaltigungen, Plünderungen, Brandstiftungen und Massenmorde verüben. Anderseits ist das chinesische Volk dadurch in seiner überwältigenden Mehrheit zu der tiefen Einsicht gelangt, daß man ohne weiteren Zusammenschluß, ohne die Entfaltung eines Widerstandskriegs des ganzen Volkes nicht imstande ist, diese Krise abzuwenden. Gleichzeitig wurden sich dadurch alle friedliebenden Staaten der Welt der Notwendigkeit bewußt, gegen die Bedrohung durch Japan zu kämpfen. Das sind die bisherigen Ergebnisse des Krieges.
Frage: Was sind Ihrer Meinung nach die Ziele Japans? Inwieweit hat es diese Ziele bereits verwirklicht?
  |047|Antwort: Japan geht darauf aus, als erstes Nordchina und Schanghai und danach die übrigen Gebiete Chinas an sich zu reißen. Was die Verwirklichung der Pläne der japanischen Eindringlinge anbelangt, so haben diese in kurzer Zeit bereits die Provinzen Hopeh, Tschahar und Suiyüan besetzen können und bedrohen nun auch die Provinz Schansi; das kommt daher, weil am Widerstandskrieg bislang nur die Regierung und die Armee teilgenommen haben. Der einzige Ausweg aus dieser gefährlichen Lage ist ein Widerstandskrieg, der einmütig von den Volksmassen und der Regierung geführt wird.Frage: Sind Sie der Meinung, daß Chinas Widerstandskrieg dennoch irgendwelche Erfolge erzielt hat? Wenn man von den Lehren des Krieges spricht - worin bestehen sie?
Antwort: Diese Frage möchte ich Ihnen ausführlicher beantworten. Vor allem ist zu sagen, daß es Erfolge gibt, und zwar gewaltige Erfolge. Sie bestehen in folgendem:
1. Einen solchen Krieg wie den gegenwärtigen Widerstandskrieg gegen die japanische Aggression hat es seit dem Beginn der imperialistischen Aggression gegen China noch nicht gegeben. Geographisch gesehen ist er ein tatsächlich ganz China erfassender Krieg. Seinem Charakter nach ist er ein revolutionärer Krieg.
2. Dank dem Krieg ist China aus dem Zustand des Verfalls und der Zersplitterung zu einer relativen Einheit gelangt. Dieser Einheit liegt die Zusammenarbeit zwischen der Kuomintang und der Kommunistischen Partei zugrunde.
3. Der gegenwärtige Krieg hat dem chinesischen Volk die Sympathien der öffentlichen Weltmeinung eingebracht. Diejenigen im Ausland, die früher China geringschätzten, weil es den Aggressoren keinen Widerstand leistete, bringen ihm jetzt wegen seines Widerstands Achtung entgegen.
4. Den japanischen Eindringlingen kommt der Krieg teuer zu stehen. Sie geben dafür, wie mitgeteilt wird, täglich 20 Millionen Yen aus; ihre Verluste an Streitkräften müssen ebenfalls sehr hoch sein, wenn auch darüber vorläufig keine Zahlen vorliegen. Haben die japanischen Aggressoren in der Vergangenheit die vier nordöstlichen Provinzen fast ohne jede Anstrengung, sozusagen ohne die Finger zu rühren, einnehmen können, so gelingt es ihnen heute nicht mehr, chinesischen Boden ohne blutige Kämpfe zu besetzen. Die japanischen Eindringlinge rechneten ursprünglich damit, ihren gierigen Appetit in China zu stillen. Aber der langwierige Widerstand Chinas wird den japanischen Imperialismus selbst auf den Weg des Zusammenbruchs führen. In diesem Sinne kann man sagen, daß China den Widerstandskrieg nicht nur um der eigenen Rettung willen führt; es erfüllt gleichzeitig auch seine große Pflicht in
  |048|der antifaschistischen Weltfront. Auch darin offenbart sich der revolutionäre Charakter des Widerstandskriegs gegen die japanische Aggression.
5. Wir haben aus dem Krieg Lehren gezogen. Dafür haben wir mit unserem Boden und mit unserem Blut bezahlen müssen.
Was die Lehren anbelangt, so sind sie von großer Bedeutung. In den wenigen Kriegsmonaten traten auf chinesischer Seite viele schwache Stellen zutage. Das zeigte sich vor allem auf politischem Gebiet. Obwohl dieser Krieg in geographischer Hinsicht das ganze Land erfaßt, ist er dennoch dem Bestand der Kräfte nach, die ihn führen, kein gesamtchinesischer Krieg. Die breiten Volksmassen werden von der Regierung nach wie vor davon abgehalten, sich zur Teilnahme am Krieg zu erheben, und deshalb läßt der Krieg bis auf den heutigen Tag noch den Massencharakter vermissen. Ein Krieg gegen die Aggression des japanischen Imperialismus ohne Massencharakter kann nie und nimmer vom Sieg gekrönt sein. Manche sagen: "Der Krieg ist schon jetzt ein allgemeiner Krieg." Das trifft insofern zu, als weite Gebiete Chinas in den Krieg einbezogen sind. Was aber den Bestand der am Krieg teilnehmenden Kräfte anbelangt, bleibt er immer noch einseitig, da er immer noch nur ein Widerstandskrieg der Regierung und der Armee ist, aber nicht der Volksmassen. Eben das war die Hauptursache für den Verlust ausgedehnter Gebiete und für zahlreiche militärische Mißerfolge innerhalb weniger Monate. Somit ist der gegenwärtige Widerstandskrieg zwar ein revolutionärer Krieg, aber sein revolutionärer Charakter ist noch nicht völlig zutage getreten - eben weil er noch nicht zum Krieg der Massen geworden ist. Das ist zugleich eine Frage des Zusammenschlusses. Obwohl die politischen Parteien und Gruppen in China jetzt enger als früher zusammengeschlossen sind, ist der notwendige Grad des Zusammenschlusses bei weitem noch nicht erreicht. Die große Mehrheit der politischen Häftlinge ist bis jetzt noch nicht freigelassen; das Parteienverbot ist noch nicht restlos aufgehoben. Die Beziehungen zwischen Regierung und Volk, Armee und Volk, Offizieren und Soldaten sind nach wie vor sehr schlecht, zwischen ihnen besteht eine Distanz und kein Zusammenschluß. Das ist ein fundamentales Problem. Wird dieses Problem nicht gelöst, kann von einem Sieg im Krieg nicht die Rede sein. Außerdem sind militärische Fehler eine andere wichtige Ursache für die Verluste an Streitkräften und an Territorium. Bisher wurden die meisten Gefechte in einer passiven Weise geführt, die in der Militärsprache als "reine Verteidigung" bezeichnet wird. Führt man auf diese Weise Krieg, kann man unmöglich den Sieg erringen. Um den
  |049|Sieg zu erringen, ist es notwendig, auf politischem und militärischem Gebiet eine Linie einzuschlagen, die sich von der jetzt verfolgten Linie kraß unterscheidet. Das sind die von uns gezogenen Lehren.
Frage: Welche politischen und militärischen Voraussetzungen halten Sie in diesem Fall für notwendig?
Antwort: Auf politischem Gebiet ist es erstens notwendig, die gegenwärtige Regierung in eine Regierung der Einheitsfront unter Teilnahme von Vertretern des Volkes umzubilden. Diese Regierung muß demokratisch und zugleich zentralisiert sein. Sie muß die notwendige revolutionäre Politik durchführen. Zweitens muß dem Volk die Freiheit der Rede, der Presse, der Versammlungen, der Vereinigung und des bewaffneten Widerstands gegen den Feind gewährt werden, damit der Krieg einen Massencharakter erlangt. Drittens ist es notwendig, die Lebensbedingungen des Volkes durch solche Maß-. nahmen zu verbessern wie Abschaffung der drückenden Steuern und verschiedenartigen Abgaben, Senkung der Pacht- und Darlehenszinsen, Hebung der materiellen Versorgung der Arbeiter, der unteren Offiziere und der Soldaten, Vorzugsbehandlung der Familien der Widerstandskämpfer sowie Unterstützung der Katastrophengeschädigten und Kriegsflüchtlinge. Die Finanzpolitik der Regierung muß auf dem Prinzip der gerechten Verteilung der Lasten aufgebaut werden, das heißt auf dem Prinzip "Wer Geld hat, der zahlt". Viertens muß die Außenpolitik aktiviert werden. Fünftens ist die Politik auf dem Gebiet der Kultur und der Volksbildung umzustellen. Sechstens sind die Landesverräter aufs schärfste zu unterdrücken. Das letztere ist jetzt zu einem außerordentlich ernsten Problem geworden. Die Landesverräter treiben skrupellos ihr Unwesen: In den Frontgebieten helfen sie dem Feind; im Hinterland stiften sie rücksichtslos Unruhe. Es gibt sogar Fälle, wo diese Elemente unter antijapanischer Maske Patrioten als Landesverräter anzeigen und sie verhaften lassen. Eine wirksame Unterdrückung der Landesverräter wird jedoch nur dann möglich sein, wenn das Volk sich zur Zusammenarbeit mit der Regierung erhebt. Auf militärischem Gebiet ist es ebenfalls notwendig, eine allseitige Reform vorzunehmen. Das Wichtigste dabei ist, in der Strategie und Taktik von der reinen Verteidigung zu aktiven Angriffen gegen den Feind überzugehen; die Armee alten Systems in eine Armee neuen Systems umzuwandeln; die zwangsweise Aushebung durch Agitation unter den Massen für den freiwilligen Einsatz an der Front zu ersetzen; an Stelle der aufgesplitterten Truppenführung eine einheitliche zu setzen; mit der Disziplinlosigkeit, durch welche die
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Frage: Was tut die Kommunistische Partei, um dieses Programm zu verwirklichen?
Antwort: Unsere Arbeit ist darauf gerichtet, unermüdlich die gegenwärtige Lage zu erläutern sowie im Bündnis mit der Kuomintang und mit allen übrigen patriotischen Parteien und Gruppen dafür zu kämpfen, daß die antijapanische nationale Einheitsfront erweitert und gefestigt wird, daß alle Kräfte zur Erringung des Sieges im Widerstandskrieg mobilisiert werden. Gegenwärtig ist der Rahmen der antijapanischen nationalen Einheitsfront noch sehr eng. Es ist notwendig, diese Front zu verbreitern, das heißt "die Volksmassen zu wecken", wie es Dr. Sun Yat-sen in seinem Testament gefordert hatte, und die unteren Schichten der Gesellschaft zur Teilnahme an der Einheitsfront zu mobilisieren. Und die Festigung der nationalen Einheitsfront bedeutet die Verwirklichung eines gemeinsamen Programms, das für die Tätigkeit aller politischen Parteien und Gruppen bindend sein sollte. Wir sind einverstanden, die revolutionären Drei Volksprinzipien Dr. Sun Yat-sens, seine drei politischen Hauptrichtlinien und sein Testament als das gemeinsame Programm der Einheitsfront aller Parteien, Gruppen und aller Bevölkerungsschichten anzunehmen. Jedoch ist dieses Programm bisher noch nicht von allen politischen Parteien und Gruppen anerkannt worden, und vor allem, die Kuomintang hat ein solches Gesamtprogramm noch nicht anerkannt und verkündet. Augenblicklich verwirklicht die Kuomintang bereits zum Teil das von Dr. Sun Yat-sen verkündete Prinzip des Nationalismus - das zeigt sich in der Verwirklichung des Widerstandskriegs gegen Japan. Aber das Prinzip der Demokratie wurde bisher nicht verwirklicht, ebensowenig das Prinzip des Volkswohls. Eben darum befindet sich gegenwärtig der Widerstandskrieg in einer ernsten
  |051|Krise. In dieser kritischen militärischen Lage ist es für die Kuomintang höchste Zeit, die Drei Volksprinzipien restlos zu verwirklichen; andernfalls wird die Reue zu spät kommen. Es ist die Pflicht der Kommunistischen Partei, in aller Öffentlichkeit eindringlich und unermüdlich die Kuomintang und das ganze Volk aufzuklären und davon zu überzeugen, daß es notwendig ist, die wahrhaft revolutionären Drei Volksprinzipien, die drei politischen Hauptrichtlinien und das Testament Dr. Sun Yat-sens im Landesmaßstab vollständig und konsequent in die Tat umzusetzen, um die antijapanische nationale Einheitsfront zu erweitern und zu festigen.

DIE ACHTE ROUTE-ARMEE IM WIDERSTANDSKRIEG

Frage: Erzählen Sie mir bitte etwas über die Lage der Achten Route-Armee. Dafür haben viele ein großes Interesse. Erklären Sie mir beispielsweise etwas über ihre Strategie und Taktik, über ihre politische Arbeit usw.
Antwort: In der Tat, nachdem die Rote Armee in die Achte Route-Armee umorganisiert und an die Front abgerückt war, begannen sehr viele, sich für ihre Tätigkeit zu interessieren. Ich will Ihnen jetzt in allgemeinen Zügen etwas über sie erzählen.
Ich werde vor allem auf die Kampflage eingehen. Strategisch ist die Provinz Schansi das Zentrum der militärischen Operationen der Achten Route-Armee. Wie Ihnen bekannt ist, hat die Achte Routearmee viele Siege errungen, beispielsweise in dem Gefecht bei Pinghsingguan, bei der Zurückeroberung von Djingping, Pinglu und Ningwu, bei der Wiedererlangung von Laiyüan und Guangling und bei der Einnahme von Dsidjingguan; sie unterbrach die drei wichtigsten Verbindungslinien der japanischen Armee, nämlich die Linien zwischen Datung und Yänmenguan, Yühsiän und Pinghsingguan, Schuohsiän und Ningwu; sie griff die japanischen Etappen südlich von Yänmenguan an und nahm zweimal Pinghsingguan und Yänmenguan wieder ein; in den letzten Tagen eroberte sie Tjüyang und Tanghsiän zurück. Die in Schansi eingefallenen japanischen Truppen sind gegenwärtig durch die Achte Route-Armee und andere chinesische Truppen strategisch eingekesselt. Wir können mit Sicherheit sagen, daß die japanischen Truppen in Nordchina von nun an auf zähesten Widerstand stoßen werden. Wenn die japanischen Truppen in der
  |052|Provinz Schansi willkürlich zu schalten und zu walten trachten, werden sie unweigerlich auf Schwierigkeiten stoßen, wie sie solche noch nie erfahren haben.
Jetzt will ich zu Fragen der Strategie und der Taktik übergehen. Wir operieren so, wie bisher keine anderen chinesischen Truppen operiert haben, d. h., wir kämpfen vor allem in den Flanken und im Hinterland des Feindes. Diese Methode der Kriegführung unterscheidet sich kraß von der reinen Frontalverteidigung. Wir sind nicht gegen den Einsatz eines Teils der Kräfte in frontalen Kämpfen - das ist notwendig. Aber man muß die Hauptkräfte in den Flanken des Feindes einsetzen, die Taktik der Einkreisung und Umgehung anwenden und selbständig, aus eigener Initiative den Feind angreifen. Nur auf diese Weise kann man die eigenen Kräfte erhalten und die Kräfte des Feindes vernichten. Ferner ist der Einsatz eines gewissen Teils unserer Kräfte für Operationen im Hinterland des Feindes besonders wirksam, weil er die Verbindungslinien des Feindes und seine Stützpunkte desorganisiert. Aber auch die Truppen, die Frontalkämpfe führen, sollen nicht zur Kampfmethode der reinen Verteidigung Zuflucht nehmen; sie müssen hauptsächlich die Methode der "Gegenschläge" anwenden. Eine der wichtigsten Ursachen für die militärischen Mißerfolge in den letzten Monaten waren die falschen Methoden der Durchführung von Operationen. Die Methoden der Kriegführung, wie sie jetzt von der Achten Route-Armee angewandt werden, bezeichnen wir als selbständigen und unabhängigen Partisanenkrieg und Bewegungskrieg. In ihren Grundprinzipien sind das die gleichen Methoden, die wir während des vergangenen Bürgerkriegs angewandt haben, jedoch gibt es hier auch gewisse Unterschiede. Zum Beispiel, im gegenwärtigen Stadium des Krieges sind die Fälle eines konzentrierten Einsatzes der Truppen verhältnismäßig selten, während Operationen mit aufgelockerten Kräften häufiger durchgeführt werden. Das geschieht, um auf einem großen Territorium Überraschungsangriffe gegen die Flanken und gegen das Hinterland des Feindes zu erleichtern. Infolge ihrer großen zahlenmäßigen Stärke ist es für die gesamte chinesische Armee notwendig, einen Teil ihrer Kräfte zur frontalen Verteidigung, einen anderen Teil aber zur Führung des Partisanenkriegs mit aufgelockerten Kräften bereitzustellen; auch die Hauptkräfte müssen in der Regel konzentriert gegen die Flanken des Feindes eingesetzt werden. Das erste Gebot der Kriegführung ist die Erhaltung der eigenen Kräfte und die Vernichtung der feindlichen Kräfte. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es notwendig, einen selb-
  |053|ständigen und unabhängigen Partisanenkrieg und Bewegungskrieg zu führen und alle passiven, inflexiblen Methoden der Kriegführung zu vermeiden. Wenn eine große Anzahl der Truppen den Bewegungskrieg führt, während die Achte Route-Armee sie durch ihren Partisanenkrieg unterstützt, dann wird der Sieg zweifellos in unseren Händen liegen.
Nun zur Frage der politischen Arbeit. Die Achte Route-Armee hat ferner noch eine äußerst wichtige und stark ausgeprägte Besonderheit - ihre politische Arbeit. Es gibt drei Grundprinzipien für die politische Arbeit der Achten Route-Armee, und zwar: Erstens, das Prinzip der Einheit zwischen Offizieren und Soldaten. Es bedeutet die Liquidierung der feudalen Beziehungen in der Armee, die Abschaffung des Systems der Beschimpfungen und Mißhandlungen, die Herstellung einer bewußten Disziplin und die Einführung einer Lebensweise, bei der Offiziere und Soldaten Wohl und Wehe miteinander teilen. Dadurch ist die ganze Armee fest zusammengeschlossen. Zweitens, das Prinzip der Einheit von Armee und Volk. Es bedeutet die Aufrechterhaltung einer Disziplin, bei der nicht das geringste Vergehen gegen die Volksmassen geduldet wird, ferner Propaganda unter den Massen, ihre Organisierung und Bewaffnung sowie die Erleichterung ihrer ökonomischen Lasten und die Niederschlagung der Landesverräter und Kollaborateure, die der Armee und dem Volk Schaden zufügen. Dadurch ist die Armee fest mit dem Volk zusammengeschlossen und wird überall von den Volksmassen willkommen geheißen. Drittens, das Prinzip der Zersetzung der feindlichen Truppen und der milden Behandlung der Kriegsgefangenen. Unser Sieg hängt nicht nur von den militärischen Operationen unserer Truppen, sondern auch von der Zersetzung der Truppen des Feindes ab. Obwohl die Methode der Zersetzung der feindlichen Truppen und der milden Behandlung der Kriegsgefangenen jetzt noch keine sichtbaren Ergebnisse zeitigt, wird diese Methode in der Zukunft zweifellos ihre Früchte tragen. Darüber hinaus füllt die Achte Routearmee gemäß dem zweiten Prinzip ihre Reihen nicht durch die Methode der Zwangsaushebung unter der Bevölkerung auf, sondern durch die Methode der Agitation für den freiwilligen Einsatz an der Front. Diese Methode ist bedeutend wirksamer als die Zwangsmethode.
Jetzt sind die Provinzen Hopeh, Tschahar, Suiyüan und ein Teil der Provinz Schansi zwar verloren, aber wir lassen den Mut durchaus nicht sinken, sondern rufen entschlossen unsere gesamte Armee auf,
  |054|im Zusammenwirken mit allen befreundeten Truppen bis zum letzten Blutstropfen zu kämpfen, um die Provinz Schansi zu verteidigen und die verlorenen Gebiete zurückzugewinnen. Die Achte Route-Armee wird ihre Operationen mit denen der übrigen chinesischen Truppen koordinieren, um den Widerstandskrieg in Schansi entschlossen weiterzuführen; dies wird für den gesamten Krieg, besonders für den Krieg in Nordchina, von großer Bedeutung sein.
Frage: Können Ihrer Meinung nach diese Prinzipien, die als Vorzüge der Achten Route-Armee anzusehen sind, auch von den übrigen chinesischen Truppen angewandt werden?
Antwort: Selbstverständlich, sie können durchaus angewandt werden. Seinerzeit war die Kuomintang-Armee im wesentlichen von dem gleichen Geist erfüllt wie heute die Achte Route-Armee. Das war in den Jahren 1924 bis 1927. Damals organisierten die Kommunistische Partei Chinas und die Kuomintang gemeinsam eine Armee neuen Systems, die zunächst nur aus zwei Regimentern bestand, aber schon vermochte, eine große Anzahl Truppenteile um sich zu scharen und den ersten Sieg über Tschen Djiung-ming zu erringen. Dann wurden diese Regimenter zu einem Korps ausgebaut, und unter ihren Einfluß gerieten noch mehr Truppen. Erst dann konnte es zum Nordfeldzug kommen. In der Armee herrschte damals eine neue Atmosphäre; zwischen Offizieren und Soldaten, zwischen Armee und Volk war der Zusammenschluß im wesentlichen erreicht worden, die Truppen waren von einem vorwärtsstürmenden, revolutionären Geist durchdrungen. Das in der damaligen Armee eingeführte System der Parteivertreter und der politischen Abteilungen, das es bis dahin in der Geschichte Chinas nicht gegeben hatte, verlieh der Armee ein neues Aussehen. Die 1927 gegründete Rote Armee und die heutige Achte Route-Armee haben dieses System übernommen und weiter ausgebaut. In der Periode der Revolution von 1924 bis I927 war eine Armee auf den Plan getreten, die von dem neuen Geist durchdrungen war, und ihre Methoden der Kriegführung entsprachen naturgemäß ihrem politischen Gepräge: Das war nicht mehr die passive, inflexible, sondern aktive, bewegliche Kriegführung, die von offensivem Geist durchdrungen war, und infolgedessen wurde im Nordfeldzug der Sieg errungen. Auf den gegenwärtigen Schlachtfeldern des Widerstandskriegs braucht man gerade solche Truppen. Es ist nicht unbedingt notwendig, daß sie einige Millionen Mann zählen. Um den Sieg über den japanischen Imperialismus zu erringen, genügt es, einige Hunderttausende solcher Soldaten als festen Kern zu haben. Wir bringen
  |055|allen Truppenverbänden unseres Landes, die seit Beginn des Widerstandskriegs heroische Opfer gebracht haben, höchste Achtung entgegen; aber man muß aus diesen blutigen Kämpfen bestimmte Lehren ziehen.
Frage: Meinen Sie nicht, daß bei der in der japanischen Armee herrschenden Disziplin Ihre Politik der milden Behandlung der Gefangenen wohl kaum positive Ergebnisse zeitigen kann? So läßt beispielsweise das japanische Kommando die von Ihnen entlassenen Kriegsgefangenen gleich nach der Rückkehr hinrichten; der japanischen Armee als Ganzem bleibt der Sinn Ihrer Politik unbekannt.
Antwort: Das kann nicht sein. Je mehr von uns freigelassene Kriegsgefangene vom japanischen Kommando hingerichtet werden, desto mehr Sympathien werden unter den japanischen Soldaten für die chinesische Armee geweckt werden. Vor der Soldatenmasse lassen sich diese Tatsachen nicht geheimhalten. Wir werden an unserer Politik festhalten. So erklärt beispielsweise die japanische Armee heute schon offen, daß sie gegen die Achte Route-Armee Giftgase anwenden wird, aber selbst in diesem Fall werden wir unsere Politik der milden Behandlung der Gefangenen nicht ändern. Wir werden die gefangenen japanischen Soldaten und gewisse Offiziere unterer Dienstgrade, die man zu kämpfen zwang, nach wie vor mit Milde behandeln, wir werden sie nicht beleidigen noch schmähen, sondern werden ihnen die Gemeinsamkeit der Interessen der beiden Völker auseinandersetzen und sie freilassen. Denjenigen, die nicht zurückkehren wollen, wird die Möglichkeit geboten, in der Achten Routearmee zu dienen. Und falls in der Zukunft auf dem Kriegsschauplatz gegen die japanischen Eindringlinge eine "internationale Brigade" auftaucht, dann werden sie dieser beitreten und mit der Waffe in der Hand gegen den japanischen Imperialismus kämpfen können.

KAPITULANTENTUM IM WIDERSTANDSKRIEG

Frage: Soviel mir bekannt ist, setzt Japan bei Fortführung des Krieges gleichzeitig in Schanghai Gerüchte über den Frieden in Umlauf. Was sind letzten Endes die Ziele Japans?
Antwort: Nachdem der japanische Imperialismus gewisse Ergebnisse bei der Durchführung seiner Pläne erzielt hat, wird er erneut versuchen, mit Hilfe eines Friedens-Nebelschleiers drei Ziele zu errei-
  |056|chen. Diese Ziele sind:
1. die bereits eroberten Positionen zu festigen, um sie im zweiten Stadium des Angriffs als strategischen Aufmarschraum auszunutzen;
2. die antijapanische Front in China zu spalten;
3. die internationale Front der Hilfe für China zu sprengen. Die jetzt in Umlauf gesetzten Gerüchte über einen Frieden bedeuten lediglich, daß Japan bereits seine erste Friedens-Rauchbombe geworfen hat. Gefährlich ist, daß es in China immerhin schwankende Elemente gibt, die bereit sind, auf den Köder des Feindes anzubeißen, und nun treiben sich die Landesverräter und Kollaborateure zwischen ihnen herum, verbreiten alle möglichen Gerüchte und versuchen dadurch, China zur Kapitulation vor den japanischen Eindringlingen zu verleiten.
Frage: Wozu kann Ihrer Meinung nach diese gefährliche Situation führen?
Antwort: Es gibt da nur zwei Möglichkeiten: Entweder wird das Kapitulantentum durch das chinesische Volk überwunden, oder es gewinnt die Oberhand, und dann werden über China Wirren hereinbrechen, und die antijapanische Front wird gespalten werden.
Frage: Welche von diesen beiden Möglichkeiten ist die wahrscheinlichere?
Antwort: Das gesamte chinesische Volk fordert, daß der Widerstandskrieg bis zu Ende geführt wird. Selbst wenn ein gewisser Teil der herrschenden Kreise in China praktisch den Weg der Kapitulation einschlagen sollte, wird der übrige entschlossene Teil dem unbedingt entgegentreten und zusammen mit dem Volk den Widerstandskrieg fortführen. Eine solche Kapitulation wäre natürlich ein Unglück für die antijapanische Front in China. Ich glaube jedoch, daß es den Kapitulanten nicht gelingen wird, die Unterstützung der Volksmassen zu erhalten; die Volksmassen werden das Kapitulantentum überwinden, den Krieg entschlossen fortführen und den Sieg erringen.
Frage: Darf ich fragen: Wie kann man das Kapitulantentum überwinden?
Antwort: Sowohl in Worten auf die Gefahr des Kapitulantentums hinweisen wie auch in Taten die Volksmassen organisieren, um die Umtriebe der Kapitulanten zu unterbinden. Die Wurzeln des Kapitulantentums liegen im nationalen Defätismus, das heißt im nationalen Pessimismus. Solche Pessimisten sind der Meinung, daß China nach manchen verlorenen Schlachten keine Kräfte mehr hätte, den japanischen Eindringlingen Widerstand zu leisten. Sie begreifen nicht, daß gerade die Niederlage die Mutter des Erfolgs ist, daß die aus den Niederlagen gezogenen Lehren eben zur Grundlage des
  |057|künftigen Sieges werden. Die Pessimisten sehen nur die Niederlagen im Widerstandskrieg, nicht aber die Erfolge in diesem Krieg, und noch weniger vermögen sie zu sehen, daß in unseren Niederlagen bereits Elemente des Sieges, in den Siegen des Feindes dagegen Elemente seiner Niederlage enthalten sind. Wir müssen den Volksmassen die Perspektive unseres Sieges im Krieg vor Augen führen und ihnen begreiflich machen, daß die Niederlagen und Schwierigkeiten vorübergehenden Charakter haben und daß der endgültige Sieg zweifellos unser sein wird, wenn wir trotz aller möglichen Rückschläge unbeugsam kämpfen. Verlieren die Kapitulanten die Stütze in den Massen, werden sie außerstande sein, ihre Machenschaften zu verwirklichen, und die antijapanische Front kann gefestigt werden.

DEMOKRATIE UND WIDERSTANDSKRIEG

Frage: Was ist der Sinn der von der Kommunistischen Partei in ihrem Programm formulierten "Demokratie"? Steht sie nicht im Widerspruch zu der "Regierung der Kriegszeit"?
Antwort: Nicht im geringsten. Die Kommunistische Partei hat bereits im August 1936 die Losung der Schaffung einer "demokratischen Republik" ausgegeben. Der politische und organisatorische Inhalt dieser Losung läuft auf folgende drei Leitsätze hinaus:
1. Kein Staat und keine Regierung e i n e r Klasse, sondern ein Staat und eine Regierung der Koalition aller antijapanischen Klassen, unter Ausschluß der Landesverräter und Kollaborateure; ein Staat und eine Regierung, denen unbedingt die Arbeiter, die Bauern und die anderen Schichten des Kleinbürgertums angehören müssen.
2. Die organisatorische Form dieser Regierung ist der demokratische Zentralismus. Diese Regierung muß demokratisch und zugleich zentralisiert sein, das heißt in bestimmter Form zwei dem Anschein nach einander widersprechende Dinge Demokratie und Zentralismus - in sich vereinen.
3. Die Regierung gewährt dem Volk alle notwendigen politischen Freiheiten, vor allem die Freiheit der Organisation, der Ausbildung und der Bewaffnung zum Selbstschutz. Wie aus diesen drei Leitsätzen zu ersehen ist, stehen eine demokratische Republik und eine "Regierung der Kriegszeit" überhaupt nicht im Widerspruch zueinander. Das eben ist die Staatsordnung und das Regierungssystem, die den Widerstandskrieg gegen die japanische Aggression begünstigen.
  |058| Frage: Ist der Ausdruck "demokratischer Zentralismus" nicht eigentlich ein Widerspruch in sich selbst?
Antwort: Man darf nicht nur auf den Ausdruck schauen, sondern man muß die Tatsachen sehen. Zwischen der Demokratie und dem Zentralismus liegt keine unüberbrückbare Kluft, sowohl das eine wie auch das andere ist für China unerläßlich. Einerseits muß die Regierung, die wir fordern, eine solche Regierung sein, die den Willen des Volkes tatsächlich repräsentieren kann. Diese Regierung muß unbedingt die Billigung und Unterstützung der breiten Volksmassen ganz Chinas genießen; das Volk muß unbedingt die Möglichkeit haben, die Regierung frei zu unterstützen, ihm müssen auch alle Möglichkeiten gewährt werden, auf die Politik der Regierung einzuwirken. Das ist die Bedeutung der Demokratie. Andererseits ist die Zentralisierung der administrativen Gewalt notwendig. Sobald die Politik, die das Volk verlangt, von seinen repräsentativen Organen angenommen und der vom Volk selbst gewählten Regierung übertragen ist, wird sie von dieser Regierung in die Tat umgesetzt werden. Nur wenn die Regierung bei der Durchführung dieser Politik die durch den Willen des Volkes angenommene Linie nicht verletzt, wird sie die gegebene Politik erfolgreich und ungehindert verwirklichen können. Das ist die Bedeutung des Zentralismus. Nur durch die Einführung des demokratischen Zentralismus kann die Regierung eine wirklich große Stärke besitzen. Die Regierung der Landesverteidigung muß in der Periode des Widerstandskriegs unbedingt dieses System annehmen.
Frage: Aber das dürfte wohl nicht dem System des Kriegszeitkabinetts entsprechen?
Antwort: Ja, das entspricht nicht dem System gewisser in der Geschichte bekannter Kabinette der Kriegszeit.
Frage: Und gab es etwa Fälle, in denen es ihm entsprach?
Antwort: Ja, es gab auch solche Fälle. Die politischen Systeme der Kriegszeit kann man im allgemeinen in zwei Kategorien teilen: das System des demokratischen Zentralismus und das System des absoluten Zentralismus. Das wird jeweils durch den Charakter des Krieges bestimmt. Alle Kriege, die es in der Geschichte gegeben hat, kann man ihrem Charakter nach in zwei Kategorien teilen: in gerechte Kriege und ungerechte Kriege. So war beispielsweise der große Krieg in Europa vor mehr als 20 Jahren seinem Charakter nach ein ungerechter, ein imperialistischer Krieg. Damals zwangen die Regierungen aller imperialistischen Staaten die Völker, für die Interessen des Imperialismus zu kämpfen, und handelten somit den Interessen der
  |059| Völker zuwider. Unter diesen Umständen waren eben solche Regierungen wie die Lloyd-George-Regierung in England erforderlich. Lloyd George unterdrückte das englische Volk, gestattete ihm nicht, sich gegen den imperialistischen Krieg zu äußern, und verbot jede Organisation oder Versammlung, die die Antikriegsstimmungen des Volkes zum Ausdruck brachte; das Parlament bestand zwar weiter, aber das war ein Parlament, das die Kriegsbudgets auf Befehl von oben bestätigte, also gleichfalls ein Organ der imperialistischen Meute. In diesem Krieg waren Regierung und Volk nicht einig, und infolgedessen entstand eine Regierung, die nur den Zentralismus anstrebte und die Demokratie ablehnte - eine Regierung des absoluten Zentralismus. In der Geschichte gab es jedoch auch revolutionäre Kriege wie zum Beispiel die revolutionären Kriege in Frankreich, in Rußland und gegenwärtig in Spanien. In Kriegen dieser Art fürchtet die Regierung nicht, daß das Volk ihr die Unterstützung verweigert, weil das Volk zur Führung eines solchen Krieges vollauf bereit ist; die Regierung verläßt sich auf die freiwillige Unterstützung des Volkes, und deshalb braucht die Regierung das Volk nicht zu fürchten, im Gegenteil, sie muß das Volk wachrütteln und dazu anleiten, seine Ansichten zu äußern, damit es aktiv am Krieg teilnimmt. Der nationale Befreiungskrieg Chinas findet die volle Billigung des Volkes; zudem wird der Sieg im Krieg ohne die Beteiligung des Volkes unmöglich sein. Deshalb wird der demokratische Zentralismus zur Notwendigkeit. Der Sieg im Nordfeldzug der Jahre 1926/27 in China war ebenfalls dem demokratischen Zentralismus zu verdanken. Hieraus geht hervor, daß ein Krieg, wenn seine Ziele unmittelbar den Interessen des Volkes entsprechen, um so leichter geführt werden kann, je demokratischer die Regierung ist. Eine solche Regierung braucht nicht zu fürchten, daß das Volk gegen den Krieg sein wird; im Gegenteil, Passivität des Volkes und seine gleichgültige Einstellung zum Krieg können für sie Anlaß zur Beunruhigung sein. Der Charakter des Krieges bestimmt die Beziehungen zwischen Regierung und Volk - das ist ein Gesetz der Geschichte.
Frage: Wenn das so ist - welche Schritte werden Sie unternehmen, um das neue politische System zu verwirklichen?
Antwort: Der Schlüssel dazu liegt in der Zusammenarbeit zwischen der Kuomintang und der Kommunistischen Partei.
Frage: Wieso?
Antwort: In den letzten 15 Jahren waren die Beziehungen zwischen der Kuomintang und der Kommunistischen Partei der entschei-
  |060| dende Faktor der politischen Lage in China. Die Zusammenarbeit dieser beiden Parteien in den Jahren von 1924 bis 1927 hat zum Sieg der ersten Revolution geführt. Der Bruch zwischen diesen Parteien im Jahre 1927 hat die unglückliche Situation der letzten zehn Jahre verursacht. Aber nicht wir sind für diesen Bruch verantwortlich. Wir waren gezwungen, den Kurs des Widerstands gegen die Unterdrückung durch die Kuomintang einzuschlagen, und wir hielten unbeirrt das ruhmreiche Banner der Befreiung Chinas hoch. Jetzt ist das dritte Stadium angebrochen, und die beiden Parteien müssen auf der Grundlage eines bestimmten Programms in vollem Umfang zusammenarbeiten, um der japanischen Aggression Widerstand zu leisten und das Vaterland zu retten. Durch unsere unermüdlichen Anstrengungen ist eine solche Zusammenarbeit schließlich einigermaßen zustande gekommen, und jetzt geht es darum, daß beide Seiten ein gemeinsames Programm anerkennen und nach diesem Programm handeln. Ein wichtiger Teil dieses Programms ist die Errichtung eines neuen politischen Systems.
Frage: Auf welche Weise kann man über die Zusammenarbeit der beiden Parteien zur Errichtung eines neuen Systems gelangen?
Antwort: Wir machen jetzt den Vorschlag, den Regierungsapparat und das System der Armee umzugestalten. Um der gegenwärtigen Notlage Herr zu werden, schlagen wir vor, eine provisorische Nationalversammlung einzuberufen. In diese Versammlung müssen Vertreter aller antijapanischen Parteien und Gruppen, Armeen, Massenorganisationen und Organisationen der Unternehmer in einem bestimmten Verhältnis gewählt werden - im wesentlichen so, wie Dr. Sun Yat-sen im Jahre 1924 vorgeschlagen hat. Diese Versammlung muß als höchstes Organ der Staatsgewalt im Land funktionieren; ihr werden die Festlegung der Politik für die Rettung des Vaterlands, die Bestätigung des Verfassungsprogramms und die Wahl der Regierung übertragen werden. Wir sind der Meinung, daß im Verlauf des Widerstandskriegs jener kritische Wendepunkt bereits eingetreten ist, wo es nur durch die unverzügliche Einberufung einer solchen Nationalversammlung, die über Macht verfügt und den Willen des Volkes zu repräsentieren vermag, möglich ist, das politische Antlitz des Landes völlig neu zu gestalten und die gegenwärtige Krise abzuwenden. Wir tauschen gegenwärtig mit der Kuomintang Meinungen über diesen Vorschlag aus und hoffen, ihre Zustimmung zu erhalten.
Frage: Hat nicht die Nationalregierung in einer Erklärung die Einberufung der Nationalversammlung widerrufen?
  |061| Antwort: Dieser Widerruf ist eine richtige Maßnahme. Widerrufen wurde die Einberufung jener Nationalversammlung, die von der Kuomintang in der Vergangenheit vorbereitet worden war. Diese Nationalversammlung sollte, wie das von der Kuomintang bestimmt worden war, über keinerlei Macht verfügen, und ihre Wahlen wären in vollem Widerspruch zum Willen des Volkes verlaufen. Wie alle Kreise der Gesellschaft sind wir mit dieser Art von Nationalversammlung nicht einverstanden. Die von uns jetzt vorgeschlagene provisorische Nationalversammlung unterscheidet sich grundlegend von der Versammlung, deren Einberufung bereits widerrufen wurde. Nach der Einberufung der provisorischen Nationalversammlung wird das ganze Land ein völlig neues Antlitz erhalten, und es wird somit eine notwendige Voraussetzung für die Umgestaltung des Regierungsapparats und der Armee sowie für die Mobilisierung des Volkes geschaffen werden. Fürwahr, davon hängt eine Wendung zum Besseren im Widerstandskrieg ab.

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