Mao Ausgewählte Werke Band III

Mao Tse-tung


Mao Tse-tung:

ÜBER TSCHIANG KAI-SCHEKS REDE AM GEDENKTAG DES 10. OKTOBER*

 (11. Oktober 1944)


Diese Version aus: Mao Tse-tung, Ausgewählte Werke Band III, Verlag für fremdsprachige Literatur, Peking 1969, S.209-214


Gegenstandsloses Geschwätz, keine Antwort auch nur auf eine einzige der das Volk bewegenden Fragen - das war eins der charakteristischen Merkmale der Rede Tschiang Kai-scheks am 10. Oktober[l]. Tschiang Kai-schek erklärt, daß es im Großen Hinterland noch ein riesiges Territorium gebe und daß man deshalb den Feind nicht zu fürchten brauche. Bis auf den heutigen Tag haben die KuomintangFührer, die eine oligarchische Diktatur ausüben, nicht den geringsten Wunsch und nicht die geringste Fähigkeit gezeigt, politische Reformen durchzuführen und dem Feind standzuhalten; das einzige verfügbare Kapital, das ihnen die Möglichkeit gibt, aufzutrumpfen, das ist das "Territorium". Aber jedem ist klar, daß ohne eine richtige Politik und ohne die Anstrengungen der Menschen dieses Kapital allein nicht genügt, da der japanische Imperialismus dieses verbliebene Territorium tagtäglich bedroht. Tschiang Kai-schek hat diese Bedrohung durch den Feind aller Wahrscheinlichkeit nach heftig empfunden; allein die Tatsache, daß er dem Volk wiederholt versichert, es gäbe keine Bedrohung, und sogar erklärt, daß "die Lage der Revolution in den zwanzig Jahren seit der Zeit, da ich in Huangpu die Armee aufbaute, noch nie so stabil wie gegenwärtig war", zeugt davon, daß er diese Bedrohung fühlt. Außerdem sagt er wiederholt, daß "wir unser Selbstvertrauen nicht verlieren dürfen", was gerade zeigt, daß in den Reihen der Kuomintang und unter den Vertretern der Öffentlichkeit in den Gebieten der Kuomintang-Herrschaft viele dieses Vertrauen schon verloren haben. Tschiang Kai-schek sucht nach Mitteln, dieses Vertrauen wiederherzustellen. Doch er sucht diese Mittel nicht in irgendeiner politischen Richtlinie oder in irgendeiner Tätigkeit auf politischem, militärischem, wirtschaftlichem oder kulturellem Gebiet; er hat das Mittel gefunden, gute Ratschläge zu ignorieren und die Fehler zu verkleistern. Er sagt, "die ausländischen Beobachter haben nicht begriffen, was der Kern der Sache ist", "die ausländische Öffentlichkeit ergeht sich in Kritteleien über unsere militärischen und politischen Angelegenheiten", weil sie "den Gerüchten und Tricks der feindlichen Eindringlinge und der Landesverräter" geglaubt habe. Sonderbar, solche Ausländer wie Roosevelt schenken genauso wie solche Mitglieder der Kuomintang wie Sung Tjing-ling, wie viele Mitglieder des Politischen Nationalrats und alle gewissenhaften Chinesen den honigsüßen Rechtfertigungen Tschiang Kai-scheks und seiner nächsten Vertrauten keinen Glauben und "ergehen sich in Kritteleien über unsere militärischen und politischen Angelegenheiten". Der darüber verärgerte Tschiang Kai-schek konnte bisher keine von seinem Standpunkt aus überzeugenden Argumente finden, und erst in diesem Jahr, am Gedenktag des 10. Oktober, hat er sie gefunden, nämlich: diese Menschen hätten "den Gerüchten und Tricks der feindlichen Eindringlinge und der Landesverräter" geglaubt. Und nun fällt Tschiang Kai-schek in seiner Rede mit großem Wortschwall heftig über diese "Gerüchte und Tricks der feindlichen Eindringlinge und der Landesverräter" her. Er nimmt an, daß es ihm durch diese seine Schmährede gelingen werde, allen Chinesen und allen Ausländern den Mund zu stopfen. Wer sich wieder in "Kritteleien" über unsere militärischen und politischen Angelegenheiten ergehen wird, der hat also "den Gerüchten und Tricks der feindlichen Eindringlinge und der Landesverräter" geglaubt! Wir halten diese Vorwürfe Tschiang Kai-scheks für in höchstem Maße lächerlich. Denn die feindlichen Eindringlinge und die Landesverräter haben die Kuomintang nicht nur niemals kritisiert wegen ihrer oligarchischen Diktatur, ihrer Passivität im Widerstandskrieg, ihrer Fäulnis und Ohnmacht, wegen der faschistischen Regierungsanordnungen und defätistischen militärischen Befehle der Kuomintang-Regierung, sondern im Gegenteil das alles voll und ganz gutgeheißen. Das Buch von Tschiang Kai-schek Die Geschicke Chinas, das allgemeine Unzufriedenheit ausgelöst hat, wurde von den japanischen Imperialisten mehrmals von ganzem Herzen gelobt. Auch davon hört man nichts, daß irgendein feindlicher Eindringling oder Landesverräter auch nur ein Wort über die Reorganisierung der Nationalregierung und ihres Oberkommandos gesagt hätte, weil die Erhaltung gerade einer solchen das Volk tagtäglich unterdrückenden Regierung und eines solchen tagtäglich Niederlagen erleidenden Oberkommandos, wie wir sie heute haben, den Erwartungen der feindlichen Eindringlinge und der Landesverräter entspricht. Ist es etwa nicht eine Tatsache, daß für die japanischen Imperialisten Tschiang Kai-schek und seine Clique stets Gegenstand ihrer Verlockungen zur Kapitulation sind? Ist es etwa nicht eine Tatsache, daß von den zwei Losungen, die ursprünglich von den japanischen Imperialisten ausgegeben wurden - "Kampf gegen die Kommunistische Partei" und "Vernichtung der Kuomintang" -, die Losung "Vernichtung der Kuomintang" schon lange fallengelassen wurde und nur die Losung "Kampf gegen die Kommunistische Partei" übriggeblieben ist? Die japanischen Imperialisten haben der Kuomintang-Regierung bis auf den heutigen Tag nicht den Krieg erklärt; sie erklären, daß zwischen Japan und der Kuomintang-Regierung noch kein Kriegszustand bestehe! Das Vermögen der gewichtigen Amtspersonen der Kuomintang im Gebiet Schanghai-Nanking-Ningpo wird bis auf den heutigen Tag von den feindlichen Eindringlingen und den Landesverrätern sorgsam aufbewahrt. Der Obermacher des Feindes, Shunroku Hata, schickte seine Vertreter nach Fenghua, damit sie an den Ahnengräbern Tschiang Kai-scheks Opfer bringen. Die von den Vertrauensleuten Tschiang Kai-scheks insgeheim entsandten Emissäre halten in Schanghai und in anderen Orten den Kontakt mit den japanischen Eindringlingen fast ununterbrochen aufrecht und führen mit ihnen Geheimverhandlungen. Diese Kontakte und Verhandlungen werden besonders häufig, wenn der Angriff der japanischen Eindringlinge energischer wird. Sind das alles etwa keine Tatsachen? Sollte man im Lichte all dessen sagen, daß diejenigen, die sich über die militärischen und politischen Angelegenheiten Tschiang Kai-scheks und seiner Clique "in Kritteleien ergehen", wirklich "nicht begriffen haben, was der Kern der Sache ist", oder daß sie - im Gegenteil - diesen Kern begriffen haben? Wo ist denn hier der "Kern" zu finden - in "den Gerüchten und Tricks der feindlichen Eindringlinge und der Landesverräter" oder bei Tschiang Kai-schek selbst und seiner Clique?

In der Rede Tschiang Kai-scheks ist noch eine Erklärung enthalten, und zwar bestreitet er, daß es in China einen Bürgerkrieg geben wird. Aber dabei fügt er hinzu: "Es wird keiner mehr wagen, an der Republik Verrat zu üben und den Widerstandskrieg zu hintertreiben, wie das Wang Djing-we und seinesgleichen getan haben." Hier sucht Tschiang Kai-schek nach einer Rechtfertigung für den Bürgerkrieg und findet sie. Kein Chinese, der ein Gedächtnis hat, wird vergessen, daß Tschiang Kai-schek im Jahre 1941, als die Verräter Chinas die Auflösung der Neuen Vierten Armee bekanntgaben und das chinesische Volk sich erhob, um die Bürgerkriegskrise abzuwenden, in einer Rede gesagt hat, künftig würde es nie einen Krieg zur "Ausrottung der Kommunisten" geben, und falls es einen Krieg geben sollte, dann würde es nur ein Straffeldzug gegen Rebellen sein. Wer Die Geschicke Chinas gelesen hat, wird sich ebenfalls erinnern können, daß Tschiang Kai-schek dort behauptet, die Kommunistische Partei Chinas wäre in der Periode der Wuhaner Regierung im Jahre 1927 mit Wang Djing-we "im Bündnis" gewesen. In der Entschließung des II. Plenums des Zentralexekutivkomitees der Kuomintang im Jahre 1943 wird die Kommunistische Partei Chinas wiederum bezichtigt, "den Widerstandskrieg hintertrieben und den Staat gefährdet" zu haben. Und jetzt, nach der Lektüre der neuen Rede Tschiang Kai-scheks wird man das Gefühl nicht los, daß die Gefahr des Bürgerkriegs nicht nur besteht, sondern sogar immer größer wird. Das chinesische Volk muß sich schon heute fest einprägen, daß Tschiang Kai-schek eines schönen Tages den Befehl zu einem Straffeldzug gegen die sogenannten Rebellen erlassen und diese beschuldigen werde, sie hätten "an der Republik Verrat geübt" und "den Widerstandskrieg hintertrieben", "wie das Wang Djing-we und seinesgleichen getan haben". In solchen Sachen ist Tschiang Kai-schek Meister; er ist kein Meister darin, solche Leute wie Pang Bing-hsün, Sun Liang-tscheng und Tschen Hsiao-tjiang1 für Rebellen zu erklären, kein Meister darin, Straffeldzüge gegen sie zu unternehmen, aber dafür ist er ein Meister darin, die Neue Vierte Armee in Zentralchina und die Todesabteilungen in Schansi2 für "Rebellen" zu erklären, ein ausgezeichneter Meister darin, Straffeldzüge gegen sie zu unternehmen. Das chinesische Volk darf unter keinen Umständen vergessen, daß Tschiang Kai-schek zur gleichen Zeit, da er versichert, keinen Bürgerkrieg zu entfesseln, bereits Truppen in Stärke von 775000 Mann eingesetzt hat, die sich jetzt ausschließlich damit befassen, die Achte Route-Armee, die Neue Vierte Armee und die Partisanenabteilungen des Volkes in Südchina einzukreisen oder anzugreifen.

Die Rede Tschiang Kai-scheks hat im positiven Sinne nichts zu bieten, gibt keinerlei Antwort auf den glühenden Wunsch des chinesischen Volkes, die Lage im antijapanischen Lager zu verbessern. Im negativen Sinne jedoch birgt diese Rede alle möglichen Gefahren. Die Einstellung Tschiang Kai-scheks wird immer anomaler; er tritt entschieden gegen die Forderung des Volkes nach politischen Reformen auf, hegt einen bitteren Haß gegen die Kommunistische Partei Chinas und deutet den Vorwand an, den er für den antikommunistischen Bürgerkrieg, den er vorbereitet, benutzen will. Doch all diese Versuche Tschiang Kai-scheks können ihm keinen Erfolg bringen. Wenn er seine Handlungsweise nicht ändern will, dann wird der Stein, den er aufgehoben hat, auf seine eigenen Füße fallen. Wir hoffen aufrichtig, daß er zu einer anderen Handlungsweise findet, weil seine jetzige ihn absolut zu nichts führen wird. Nachdem er verkündet hat, "den Umfang der Meinungsfreiheit zu erweitern"3, darf er den Menschen, "die sich in Kritteleien ergehen", nicht mit der Verleumdung, daß sie "den Gerüchten und Tricks der feindlichen Eindringlinge und der Landesverräter" Glauben schenken, drohen und ihnen den Mund stopfen. Nachdem er die "Kürzung der Frist der politischen Vormundschaft" verkündet hat, darf er nicht die Forderung nach Reorganisierung der Regierung und des Oberkommandos ablehnen. Nachdem er die "Lösung der Frage der Kommunistischen Partei mit politischen Mitteln" proklamiert hat, darf er nicht erneut nach Vorwänden zur Vorbereitung des Bürgerkriegs suchen.

ANMERKUNGEN

* Ein Kommentar, den Genosse Mao Tse-tung für die Nachrichtenagentur Hsinhua geschrieben hat.

1) Pang Bing-hsün, Sun Liang-tscheng, Tschen Hsiao-tjiang waren Kuomintang-Generäle, die zu verschiedenen Zeiten offen auf die Seite der japanischen Eindringlinge übergegangen sind.

2) Die Todesabteilungen in Schansi waren antijapanische bewaffnete Abteilungen der Volksmassen in der Provinz Schansi, die sich in der Anfangsperiode des Widerstandskriegs gegen Japan unter der Führung und unter dem Einfluß der Kommunistischen Partei entwickelt haben. Siehe auch die Arbeit "Alle antijapanischen Kräfte zusammenschließen, gegen die antikommunistischen Ultrakonservativen kämpfen", Anmerkung ;, Ausgewählte Werke Mao Tse-tungs, Bd. II, S. 46;.

3) Von 1944 an wurden die Forderungen nach Liquidierung des diktatorischen Regimes der Kuomintang, nach Verwirklichung der Demokratie und Sicherung der Redefreiheit zum allgemeinen Verlangen der Bevölkerung in den Gebieten unter der Kuomintang-Herrschaft. Um sich dieser dringlichen Forderungen des Volkes zu entledigen, proklamierte die Kuomintang im April 1944, daß "der Umfang der Meinungsfreiheit erweitert" werden würde; im Mai deklarierte das 12. Plenum des Zentralexekutivkomitees der Kuomintang wiederum die "Gewährleistung der Redefreiheit". Diese erzwungenen Deklarationen der Kuomintang blieben jedoch sämtlich auf dem Papier, während die Kuomintang mit dem Anwachsen der demokratischen Volksbewegung immer neue Maßnahmen ausklügelte, um die Redefreiheit des Volkes zu unterdrücken.

ANMERKUNGEN DES ÜBERSETZERS

[1] Siehe "Untersuchungsbericht über die Bauernbewegung in Hunan", Anmerkung ;, Ausgewählte Werke Mao Tse-tungs, Bd. I, S. 60.

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