Mao Werke


Mao Tse-tung:

ZUR FRAGE DER NATIONALEN BOURGEOISIE UND DER AUFGEKLÄRTEN SCHENSCHI*

(2. März 1948)

 

* Eine von Genossen Mao Tse-tung verfaßte innerparteiliche Direktive des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas.

Die chinesische Revolution ist im gegenwärtigen Stadium ihrem Charakter nach eine Revolution der breiten Volksmassen unter der Führung des Proletariats gegen Imperialismus, Feudalismus und bürokratischen Kapitalismus. Unter den breiten Volksmassen verstehen wir alle jene, die vom Imperialismus, Feudalismus und bürokratischen Kapitalismus unterdrückt, geschädigt oder eingeschränkt werden, nämlich: die Arbeiter, Bauern, Soldaten, Intellektuellen, Kaufleute und alle anderen patriotisch gesinnten Persönlichkeiten, wie das in der Deklaration der Chinesischen Volksbefreiungsarmee vom Oktober 1947 klar aufgezeigt wurde.1 In der Deklaration werden unter "Intellektuellen" alle verfolgten und Einschränkungen unterworfenen Intellektuellen verstanden. Als "Kaufleute" sind die zur nationalen Bourgeoisie, d. h. die zur mittleren und Kleinbourgeoisie gehörenden Personen anzusehen, die verfolgt und eingeschränkt werden. Bei "anderen patriotisch gesinnten Persönlichkeiten" handelt es sich hauptsächlich um die aufgeklärten Schenschi. Die chinesische Revolution ist in ihrem gegenwärtigen Stadium eine Revolution, in der alle diese Menschen sich zusammenschließen und eine Einheitsfront gegen den Imperialismus, Feudalismus und bürokratischen Kapitalismus bilden, wobei die Werktätigen die Hauptsubstanz sind. Unter Werktätigen verstehen wir alle diejenigen, die körperliche Arbeit leisten (wie Arbeiter, Bauern, Handwerker usw.), und die Geistesarbeiter, die den körperlich Arbeitenden nahestehen und keine Ausbeuter sind, sondern 'i selbst ausgebeutet werden. Das Ziel der chinesischen Revolution besteht im gegenwärtigen Stadium darin, die Herrschaft des Imperialismus, Feudalismus und bürokratischen Kapitalismus zu stürzen und eine neudemokratische Republik der breiten Volksmassen mit den Werktätigen als Hauptkraft zu errichten, nicht aber den Kapitalismus im allgemeinen abzuschaffen.

Die aufgeklärten Schenschi, die in der Vergangenheit mit uns zusammengearbeitet haben und auch jetzt mit uns zusammenarbeiten, die mit dem Kampf gegen die USA und Tschiang Kai-schek sowie mit der Bodenreform einverstanden sind, dürfen wir nicht beiseite stoßen. Nehmen wir z. B. Leute wie Liu Schao-bai aus dem Grenzgebiet Schansi-Suiyüan und Li Ding-Ring aus dem Grenzgebiet Schensi-Kansu-Ningsia 2 Da sie uns in den schweren Zeiten während des Widerstandskriegs gegen Japan und eine Zeitlang danach beträchtlich geholfen und die Bodenreform, als wir sie durchführten, weder behindert noch bekämpft haben, müssen wir ihnen gegenüber weiterhin die Politik des Zusammenschlusses verfolgen. Der Zusammenschluß mit ihnen bedeutet aber nicht, sie als eine Kraft zu behandeln, die den Charakter der chinesischen Revolution bestimmt. Die Kräfte, die den Charakter einer Revolution bestimmen, sind auf der einen Seite die Hauptfeinde und auf der anderen die hauptsächlichen Revolutionäre. Jetzt sind unsere Hauptfeinde der Imperialismus, der Feudalismus und der bürokratische Kapitalismus, während die Hauptkraft in unserem Kampf gegen diese Feinde alle die körperliche und geistige Arbeit verrichtenden Werktätigen sind, die 9o Prozent der Bevölkerung des ganzen Landes ausmachen. Und dies bestimmt, daß unsere Revolution im jetzigen Stadium den Charakter einer neudemokratischen, einer volksdemokratischen Revolution trägt und sich von einer sozialistischen Revolution wie der Oktoberrevolution unterscheidet.

Die wenigen Elemente des rechten Flügels der nationalen Bourgeoisie, die im Schlepptau des Imperialismus, Feudalismus und bürokratischen Kapitalismus segeln und der volksdemokratischen Revolution entgegentreten, sind gleichfalls Feinde der Revolution, während die Anhänger des linken Flügels der nationalen Bourgeoisie, die sich den Werktätigen anschließen und gegen die Reaktionäre kämpfen, und die wenigen aufgeklärten Schenschi, die mit der Feudalklasse gebrochen haben, auch zu den Revolutionären gehören. Aber die ersteren können ebensowenig als Hauptkraft des Feindes betrachtet werden wie die letzteren als Hauptkraft der Revolutionäre, und keine der beiden Gruppen ist eine Kraft, die den Charakter der Revolution bestimmen kann. Die nationale Bourgeoisie ist eine in politischer Hinsicht sehr schwache und schwankende Klasse. Aber die große Mehrheit ihrer Angehörigen kann sich der volksdemokratischen Revolution anschließen oder der Revolution gegenüber eine neutrale Haltung einnehmen, weil auch sie vom Imperialismus, Feudalismus und bürokratischen Kapitalismus verfolgt und eingeschränkt wird. Diese Leute sind ein Teil der breiten Volksmassen, aber sie sind weder ihre Hauptsubstanz noch eine Kraft, die den Charakter der Revolution bestimmt. Wir können und müssen uns jedoch mit ihnen zusammenschließen, weil sie eine wirtschaftliche Bedeutung haben und sich am Kampf gegen die USA und Tschiang Kai-schek beteiligen oder sich in diesem Kampf neutral verhalten können. Vor der Geburt der Kommunistischen Partei Chinas vertrat die Kuomintang mit Sun Yat-sen an der Spitze die nationale Bourgeoisie und wirkte zu jener Zeit als Führer der chinesischen Revolution (einer inkonsequenten demokratischen Revolution alten Typus). Aber nachdem die Kommunistische Partei Chinas entstanden war und ihre Fähigkeiten gezeigt hatte, konnte die Kuomintang nicht mehr Führer der chinesischen Revolution (einer neudemokratischen Revolution) sein. Die nationale Bourgeoisie trat der revolutionären Bewegung von 1924-1927 bei, aber in der Zeit von 1927 bis 1931 (vor den Ereignissen des 18. September) schlossen sich ziemlich viele ihrer Angehörigen der Tschiangkaischek-Reaktion an. Doch das kann keinesfalls Anlaß zu der Behauptung geben, daß wir während jener Periode nicht hätten versuchen sollen, die nationale Bourgeoisie politisch zu gewinnen und wirtschaftlich zu schützen, oder zu der Behauptung, daß unsere "links" abweichlerische Politik in jener Periode gegenüber der nationalen Bourgeoisie nicht abenteuerlich gewesen wäre. Im Gegenteil, damals hätten wir weiterhin die Politik verfolgen sollen, die nationale Bourgeoisie zu schützen und zu gewinnen, damit wir unsere Kräfte auf den Kampf gegen den Hauptfeind hätten konzentrieren können. Während des Widerstandskriegs gegen die japanische Aggression war die nationale Bourgeoisie ein Kriegsteilnehmer, der zwischen der Kuomintang und der Kommunistischen Partei schwankte. Im gegenwärtigen Stadium hegt die Mehrheit der nationalen Bourgeoisie einen wachsenden Haß gegen die USA und Tschiang Kai-schek; ihr linker Flügel folgt der Kommunistischen Partei und ihr rechter Flügel der Kuomintang, während die in der Mitte stehenden Elemente eine zögernde und abwartende Haltung zwischen den beiden Parteien einnehmen. Diese Umstände machen es für uns notwendig und möglich, die große Mehrheit der nationalen Bourgeoisie zu gewinnen und die Minderheit zu isolieren. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir den wirtschaftlichen Status dieser Klasse umsichtig regeln und grundsätzlich eine Politik des Schutzes verfolgen, ohne Ausnahmen zu machen. Andernfalls werden wir einen politischen Fehler begehen.

Die aufgeklärten Schenschi sind einzelne Grundherren und Großbauern mit demokratischem Anstrich. Solche Leute stehen im Widerspruch zum bürokratischen Kapitalismus und zum Imperialismus und bis zu einem gewissen Grad auch zu den feudalen Grundherren und Großbauern. Wir schließen uns mit ihnen zusammen, nicht weil sie eine bedeutende politische Kraft wären, und auch nicht weil sie eine wirtschaftliche Bedeutung hätten (ihr feudaler Grundbesitz soll mit ihrer Einwilligung den Bauern zur Aufteilung übergeben werden), sondern weil sie uns während des Widerstandskriegs gegen Japan und während des Kampfes gegen die USA und Tschiang Kai-schek eine beachtliche politische Unterstützung gegeben haben. Wenn in der Periode der Bodenreform eine kleine Anzahl aufgeklärter Schenschi unserer Bodenreform zustimmt, dann wird das für die Durchführung der Bodenreform im ganzen Land von Nutzen sein. Insbesondere wird dies dazu beitragen, die Intellektuellen (die meistens aus Grundherren oder Großbauernfamilien stammen), die nationale Bourgeoisie (die größtenteils mit Grund und Boden verbunden ist) und die aufgeklärten Schenschi (die mehrere Hunderttausend zählen) im ganzen Land zu gewinnen, den Hauptfeind der chinesischen Revolution, die Tschiankaischek-Reaktionäre, zu isolieren. Gerade darum, weil sie diese Rolle spielen, sind auch die aufgeklärten Schenschi ein Bestandteil der revolutionären Einheitsfront gegen den Imperialismus, Feudalismus und bürokratischen Kapitalismus; daher muß man auch der Frage des Zusammenschlusses mit ihnen Beachtung schenken. Während des Widerstandskriegs verlangten wir von den aufgeklärten Schenschi, daß sie für den Widerstand gegen Japan, für die Demokratie (nicht gegen die Kommunisten) und für die Senkung der Pacht- und Darlehenszinsen Stellung nehmen; im gegenwärtigen Stadium verlangen wir von ihnen, daß sie für den Kampf gegen die USA und Tschiang Kai-schek, für die Demokratie (nicht gegen die Kommunisten) und für die Bodenreform Stellung nehmen. Wenn sie diesen Anforderungen nachkommen können, sollen wir uns mit ihnen ohne Ausnahme zusammenschließen und sie während des Zusammenschlusses erziehen.

ANMERKUNGEN

1. Siehe die erste der acht politischen Richtlinien in der "Deklaration der Chinesischen Volksbefreiungsarmee", vorliegender Band, S. t54.

2. Liu Schao-bai, ein aufgeklärter Schenschi des Grenzgebiets Schansi-Suiyüan, wurde zum Vizepräsidenten der Provisorischen Volksversammlung des Grenzgebiets Schansi-Suiyüan gewählt. Li Ding-ming, ein aufgeklärter Schenschi in Nordschensi, wurde zum stellvertretenden Vorsitzenden der Regierung des Grenzgebiets Schensi-Kansu-Ningsia gewählt.

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