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Stand der Informationen in diesem Text: Mai 1998.

AGAR (Autonome Gruppe Asylrecht) (Hg.)

Die Demontage des Asylrechts

Gesetzgebung, politische Akteure, private Profiteure - Protest und Widerstand


INHALT

0. Einleitung

1. Rechtliche Grundlagen

1.1 Die Verabschiedung des Asylbewerberleistungsgesetzes
1.2 Die Novellierung des Asylbewerberleistungsgesetzes 1997
1.3 Die erneute Novellierung des Asylbewerberleistungsgesetzes (Zweites Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes)

2. Politisch Verantwortliche

2.1 Politische Entscheidungsträger auf Bundesebene
2.2 Politische Entscheidungsträger auf Berliner Landesebene
2.3 Die konkrete Umsetzung des Asylbewerberleistungsgesetzes in Berlin
2.4 Die Bezirke

3. Private Profiteure - das Beispiel des SORAT-Konzerns

3.1 Aktivitäten im Bereich Asylbewerber
3.2 Weitere Informationen zu SORAT und den Beteiligten

4. Gegner und Gegenaktionen

Anmerkungen [Verweise in eckigen Klammern]
Quellen {Verweise in geschweiften Klammern}
Literaturauswahl

 

0. Einleitung

Kommt demnächst das Heiratsverbot für Asylbewerber; droht künftig die "Sippen-Abschiebung" ganzer ausländischer Familien, wenn eines ihrer Kinder straffällig geworden ist; werden in Kürze Internierungslager für "Ausreisepflichtige" eingerichtet? Man muß sich wohl hüten, Forderungen solchen Kalibers, wenn sie laut werden, als abstrus und unrealisierbar abzutun. Denn noch vor wenigen Jahren hätte man andere politische Maßnahmen gegen Ausländer und Asylbewerber [1] mit der gleichen Berechtigung als nicht durchsetzbar qualifizieren können, die inzwischen - oft nahezu reibungslos - politisch umgesetzt worden sind.
Die Bundesregierung hat schon vor Jahren ihr Interesse an einer "Festung Europa" nachdrücklich verdeutlicht, indem sie eine führende Rolle dabei übernahm, die Außengrenzen der EU gegen die vermeintliche "Asylantenflut" abzuschotten ("Schengener Abkommen"). Innenpolitisch hat sie vielfältige Initiativen entwickelt, um Flüchtlingen und Asylbewerbern den Aufenthalt in der BRD so unerträglich wie möglich zu machen. Sie konnte sich dabei über weite Strecken auf die - bestenfalls durch rhetorisches Wortgeklingel verbrämte - Zustimmung der SPD-'Opposition' stützen und auf die teils opportunistische, teils initiative Rolle praktisch aller Bundesländer bauen.
Die Veränderung der politisch-rechtlichen Bedingungen, die damit einhergehende ideologische Klimaverschärfung und die Auswirkungen für die betroffenen Menschen sind in vielen Publikationen geschildert, analysiert und bewertet worden. Der vorliegende Text verzichtet daher darauf, die grundsätzlichen Positionen und generellen Einschätzungen noch einmal wiederzugeben. Er konzentriert sich statt dessen darauf, einige ausgewählte - und in der linken Diskussion zum Teil noch nicht so breit wahrgenommene - Aspekte aufzugreifen. Im einzelnen wird das folgende Papier

  • die Stoßrichtung der politisch-rechtlichen Maßnahmen gegen Asylbewerber exemplarisch am mehrfach novellierten Asylbewerberleistungsgesetz verdeutlichen (1);
  • umreißen, wer die einzelnen Etappen und Maßnahmen politisch initiiert und getragen sowie administrativ durchgesetzt hat; dabei werden die Prozesse am Beispiel Berlins bis auf die Ebene einzelner Kommunen (Bezirke), Behörden und Personen verfolgt (2);
  • am Beispiel Berlins illustrieren, wie politische Entscheidungsträger, administrative Handlanger und privatwirtschaftliche Profiteure eine unheilige Allianz eingehen, um politische Ziele und private Gewinninteressen einträchtig und effizient zu realisieren (3);
  • anhand einer Auswahl verschiedener Aktivitäten, Aktionsformen und Akteure demonstrieren, daß Widerstand (insbesondere im außerparlamentarischen Bereich) möglich ist und auch tatsächlich stattfindet (4).

Wenngleich die generellen Bewertungen der Methoden und Ziele der bundesdeutschen Asylpolitik hier, wie gesagt, nicht noch einmal zusammengefaßt werden sollen, scheint es im Hinblick auf das folgende dennoch wichtig, auf den Doppelcharakter der herrschenden politischen Strategie noch einmal hinzuweisen. Auf der einen Seite richtet sich Asylpolitik offenkundig an - genauer gesagt: gegen - Migranten und solche, die es werden könnten. Wahrscheinlich glauben mittlerweile viele politisch Verantwortliche selbst an das von ihresgleichen entworfene Szenario, wonach die Zahl der nach Europa und speziell nach Deutschland "einströmenden Wirtschaftsflüchtlinge" um so stärker anwachsen werde, je besser es den sich bereits hier befindlichen Migranten gehe. Daraus ergibt sich simpel als adäquate Gegenstrategie, die Existenz der Flüchtlinge in Deutschland (respektive Europa) so unattraktiv wie möglich zu machen, indem den betroffenen Menschen die materielle Existenzgrundlage weitgehend entzogen wird (Arbeitsverbot, Kürzung bzw. Streichung von Sozialleistungen), sie rechtlichen und alltagspraktischen Schikanen ausgesetzt und sozial isoliert werden (Ghettoisierung durch Heimunterbringung, Erschwerung der Kontakte ins Heimatland u.v.a.). Verknüpft ist damit das innenpolitische (sog. "sicherheitspolitische") Interesse, über Migranten und speziell über Flüchtlinge und Asylbewerber eine möglichst lückenlose Kontrolle auszuüben: Maßnahmen wie die Unterbringung in Sammelunterkünften (statt in individuellen Wohnungen, was obendrein preisgünstiger wäre und nachbarschaftliche Kontakte ermöglichte) oder der geplante Zwangseinkauf mit Chipkarte (womit gleichzeitig "sicherheitspolitisch" relevante Daten erhoben werden können) verdeutlichen, wie die Ziele Schikanierung und Kontrolle oft 'in einem Aufwasch' erreicht werden können.
Noch wichtiger als diese Seite ist die zweite Seite des Doppelcharakters von Asylpolitik: Sie richtet sich nämlich auch an - und man müßte auch hier wieder genauer sagen: gegen - die einheimische Bevölkerung, und zwar in mehreren Hinsichten.
Zum ersten in schlicht populistischer Hinsicht dergestalt, daß auf (staatlich und medial geschürte) Stammtisch-Ressentiments Rücksicht genommen wird. Die zunehmende Verbreitung und Akzeptanz von "Ausländer-raus"-Parolen verlangt eine politische Antwort, die auf gut populistisch natürlich in nichts anderem bestehen kann als in 'irgendwelchen' Maßnahmen zur "Eindämmung der Asylantenflut". Es kommt dabei weniger auf planmäßige, in ihren Wirkungen meßbare Handlungen an (insoweit ist 'irgendwelche' das korrekte Wort), sondern vielmehr darauf, publikumsvermittelbare und -wirksame Aktivitäten zu entfalten, die ihre Grenze lediglich in dem "nationalen Interesse" finden, den "Standort Deutschland" nicht durch ein allzu empörtes Echo im Ausland zu gefährden.
In zweiter Hinsicht richtet sich Asylpolitik insoweit an (gegen) die einheimische Bevölkerung, als auch nationalistisch-chauvinistische Ressentiments bedient werden sollen. Wenn es allgemein als ausgemacht gilt, daß "der Deutsche" etwas Besseres sei als "der Ausländer", so muß Politik sich verpflichtet fühlen zu demonstrieren, daß auch der deutsche Sozialhilfeempfänger besser behandelt zu werden verdient als ein ausländischer. Auch hier gewährleistet die konkrete politische Umsetzung einen doppelten Lernerfolg: Mit der Kürzung der Sozialhilfesätze für Asylbewerber kann man einerseits vermitteln, daß das Existenzminimum für einen Deutschen sich von dem eines Nicht-Deutschen unterscheidet (was auch zu lesen ist als: die eine Existenz ist wertvoller als die andere); andererseits kann man in Zeiten allgemeinen Sozialabbaus unterstreichen, daß bei den Nicht-Deutschen zugunsten der Deutschen zuerst (und/oder schärfer) gespart wird.
In dritter Hinsicht zielt Asylpolitik - hier nun uneingeschränkt - gegen die einheimische Bevölkerung insoweit, als an der weitgehend rechtlosen Gruppe der Asylbewerber ein publikumswirksames Exempel statuiert werden kann. Während bei allgemeinen Maßnahmen des Sozialabbaus, bei Lohnkürzungen, Massenentlassungen, Rechtseinschränkungen etc. in der Regel noch ein mehr oder minder lauter Chor von Betroffenheitsrhetorik angestimmt wird und dort, wo es aus Gründen der politischen Integration und Stabilisierung probat erscheint, flankierende Abpufferungsmaßnahmen ergriffen werden, geht man in Sachen Asylbewerber uneingeschränkt 'in die Vollen'. Ziel dabei ist es, auch dem langzeitarbeitslosen Sozialhilfeempfänger mit chronisch kranker Ehefrau und Kind ohne Lehrstelle zum einen noch eine Gruppe anzubieten, gegenüber der er sich abgrenzen und das eigene Schicksal als noch unterbietbar empfinden kann - und ihm zum anderen eine Gruppierung vor Augen zu führen, anhand derer er sich klarmachen kann, wie weit er noch sinken könnte, wenn ihm - im Falle mangelnden Wohlverhaltens - das Privileg entzogen würde, als 'guter Deutscher' behandelt zu werden.
Migranten, und speziell Asylbewerber mit ihrer schon weitgehend rechtlosen und sich kontinuierlich verschlechternden Situation, spielen mithin in dieser Republik unfreiwillig eine innenpolitische Dreifach-Rolle: Sie dienen als 'Blitzableiter' für ein ressentimentgesteuertes Aggressionspotential, das sich - wären sie nicht vorhanden - auch gegen die Herrschenden als eigentliche Aggressionsverursacher richten könnte; sie dienen als Abgrenzungsobjekt, anhand dessen sich die eigene Existenz noch ihrer - nur relativen - 'Wohlfahrt' vergewissern kann, anstatt offen zu rebellieren; und sie dienen als Drohpotential, an dem die Macht der Herrschenden, jemanden aus dem Kreis der Privilegierten ausstoßen zu können, illustriert wird.
An diese Dreifach-Rolle sollte im Blick auf das folgende noch einmal erinnert werden, weil diese Einsicht mehrere scheinbar naheliegende Schlußfolgerungen relativiert. Dazu gehören: Erstens, daß Asyl-, Rechts- und Innenpolitik keineswegs geradlinig und ausschließlich das Ziel verfolgen, die BRD zu 100 Prozent "ausländerfrei" zu machen. Gewiß gibt es mit Rücksicht auf bestimmte Wählerpotentiale und mit Rücksicht auf finanzpolitische Zielsetzungen das Bestreben, die Migrantenzahl zu reduzieren; aber diese Politik ist nicht eindimensional - sie ist sich der Vorzüge der Dreifach-Rolle sehr wohl bewußt und möchte auf eine gewisse Sichtbarkeit von Migranten, an denen Politik symbolisch exekutiert werden kann, natürlich nicht ganz verzichten.
Zweitens sollte die relativ ausführliche Beschäftigung mit privaten Profiteuren der Asylpolitik im dritten Abschnitt dieses Papiers nicht den Fehlschluß nahelegen, Ausländerpolitik werde so, wie sie in diesem Lande betrieben wird, zugunsten individueller Profitinteressen konzipiert. Daß durch "Public-Private-Partnership", wie es in der modernen Verwaltungslehre heißt, auch Profite maximiert und Günstlingswirtschaft optimiert werden können, ist lediglich ein willkommener Nebeneffekt, nicht Zweck der Politik. Auf diesem Politikfeld handelt der Staat im klassischen Sinne als "ideeller Gesamtkapitalist", dem es primär um die Sicherung der Herrschafts- und Legitimationsbedingungen geht, die Profite insgesamt gewährleisten, und erst sekundär um die individuellen Profite einzelner Kapitale.
Drittens verdeutlicht die Erinnerung an die Dreifach-Rolle - auf der allgemeinsten Ebene - noch einmal, daß Mobilisierung, Protest, Widerstand gegen die Migrationspolitik hierzulande sich nicht in Assistentialismus - also in Hilfestellung und konkreten Unterstützungsmaßnahmen - erschöpfen können, daß sie nicht Stellvertreterpolitik zu sein brauchen und ihr Ziel nicht allein darin bestehen kann, die aktuellen Lebensbedingungen bestimmter Flüchtlingsgruppen zu verbessern. So unbestreitbar wichtig und richtig es ist, oppositionelle Politik so zu machen, daß unmittelbar und gegenwärtig betroffene Menschen einen direkten und spürbaren Nutzen davon haben, so wichtig und richtig ist eben auch die Tatsache, daß auf diesem Gebiet Widerstand nicht bloß ein humanitäres Anliegen, sondern aufs engste mit der Frage verbunden ist, ob die gegenwärtigen Verteilungsverhältnisse von Macht, Wohlstand und humanen Lebensbedingungen insgesamt so bleiben können, wie sie sind. Oder nicht.


1. Rechtliche Grundlagen

1.1 Die Verabschiedung des Asylbewerberleistungsgesetzes

Als rassistisches Sondergesetz wurde zum 1.11.1993 das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) beschlossen. Es selektierte aus der Gruppe jener, für die bis dato die Regelungen des Sozialhilfegesetzes (BSHG) galten, die Asylbewerber, welche seitdem im ersten Jahr ihres Aufenthalts in Deutschland nur noch um nominell 20% geminderte Leistungen erhalten.
Zu den Eckpunkten des AsylbLG gehört die Unterbringung der Asylbewerber in Heimen und Lagern. Der Wegfall der Mietkostenübernahme, die Bestandteil der Sozialhilfe war, zog nicht nur eine forcierte Ghettoisierung nach sich, sondern erhöhte auch die Gefahr von Anschlägen durch den deutschnationalen Mob. Mindestens ebenso drastisch machte sich die Kürzung von Leistungen für Lebensmittel und anderen Waren des täglichen Bedarfs bemerkbar. Während im Rahmen der Sozialhilfe die Gewährung eines Grundbetrags in Höhe von 530 DM zuzügl. weiterer Beihilfen (für Kleidung, Brennstoff usw.) im Wert von mindestens 70 DM vorgesehen ist, dürfen Asylbewerber solchem 'Luxus' nur noch nachtrauern: Das AsylbLG gewährt ihnen gerade noch einen Grundbetrag von 360 DM (bei weiteren Familienmitgliedern 310 DM) sowie ein Taschengeld von 80 DM (für Kinder 40 DM). Unterm Strich ergibt das eine Senkung der Leistungen von 600 auf 440 DM.
Allerdings ist, in des Wortes wahrstem Sinne, auch vorstehende Rechnung noch ohne den Wirt gemacht: Das AsylbLG erteilt der Gewährung von Sachleistungen gegenüber der Auszahlung von Bargeld den Vorrang. Lebensmittel und andere Waren wurden und werden zumeist entweder als "Freßpakete" zugestellt oder per Wertgutschein von den Asylbewerbern bezogen (überwiegend in den Heimen angeschlossenen Läden). Weil die jeweils beauftragten Firmen aus diesen Leistungen aber auch die Verwaltungskosten decken, den Asylbewerbern überteuerte Waren geliefert oder verkauft werden und schließlich die Firmen auf ihren Reibach nicht verzichten wollen, beträgt die tatsächliche Kürzung der Leistungen nicht 20, sondern 50 bis 60%.
Hinzu kommt ferner, daß nach dem Gesetz medizinische Hilfe nur bei akuten Erkrankungen und in Schmerzfällen gewährt wird; mehr als eine Notversorgung sei nicht statthaft. (Daß u.a. Dauerfolgen früherer Folter, die in den Herkunftsländern erlitten wurde, nicht als akute Erkrankung gelten und ergo auch nicht behandelt werden, gehört zu den besonderen Inhumanitäten des AsylbLG.) Außerdem sieht das Gesetz den Zwang zur Arbeit vor: Gegebenenfalls müssen die Asylbewerber Aufgaben der Reinigung oder Instandhaltung der Heime übernehmen, wofür sie mit 2 DM pro Stunde entlohnt werden. Bei Weigerung droht ihnen die Kürzung des Taschengeldes. Renten- oder krankenversichert sind sie trotz des Arbeitszwanges nicht.
Bei der Umsetzung des AsylbLG besitzen die Länder und Kommunen nennenswerte Handlungs- und Entscheidungsspielräume. Hiervon zeugt eine Entscheidung des OVG Thüringen, das im Februar 1996 die zuständigen Behörden des Landes erst einmal zwang, trotz des ausdrücklichen Vorrangs des Sachleistungsprinzips Bargeld an die Asylbewerber zu zahlen. Wie restriktiv die Bestimmungen des Gesetzes trotzdem in vielen Fällen und v.a. in Berlin umgesetzt werden, ist weiter unten zu erfahren.

1.2 Die Novellierung des Asylbewerberleistungsgesetzes 1997

Nachdem im Mai 1996 eine Novelle des AsylbLG scheiterte, handelten die Parteien einen Kompromiß aus, der zum 1.6.1997 in Kraft trat. Das novellierte Gesetz beinhaltet, daß die Leistungskürzungen nicht mehr nur für Asylbewerber während des ersten Jahres ihres Verfahrens gelten, sondern volle drei Jahre lang. Ebenso wurde es nun auf einen größeren Personenkreis ausgedehnt: Die alte Fassung von 1993 sah gemäß § 2 noch vor, Asylsuchende, die seit mehr als einem Jahr in Deutschland leben, sowie Ausländer mit einer Duldung analog den Regelungen des BSHG zu behandeln, was in der Praxis freilich auch nicht immer geschah. Diese - zunächst illegale - Benachteiligung wurde aber mit der 1997er Novelle legalisiert, indem man die Leistungskürzungen des AsylbLG nunmehr auf den genannten Personenkreis sowie auf Bürgerkriegsflüchtlinge ausweitete. Statt der bisher ca. 60.000 fielen somit um die 500.000 Menschen unter die Regelungen des Sondergesetzes.
Auf Initiative des Landes Berlin hin wurde in letzter Minute noch eine Klausel in die Gesetzesnovelle aufgenommen, nach der auch die bereits in Deutschland lebenden Bürgerkriegsflüchtlinge unter die Regelungen des AsylbLG fallen. Eine während der Verhandlungen lange Zeit anvisierte Übergangsregelung, die wenigstens sie noch vor diesem 'Schicksal' bewahren sollte, wurde kurzerhand fallengelassen. Unabhängig von der bisherigen Dauer ihres Aufenthalts werden ihnen nun 3 Jahre lang die Leistungen entsprechend gekürzt.
Die Wahl zwischen der Gewährung von Geld- oder Sachleistungen, d.h. der Handlungsspielraum bei der Umsetzung der gesetzlichen Regelungen, blieb erhalten.

1.3 Die erneute Novellierung des Asylbewerberleistungsgesetzes (Zweites Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes)

Nur wenige Monate nach Inkrafttreten der 97er Novelle tat sich das Land Berlin hervor, indem es eine Initiative zur neuerlichen Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes startete: Allen "ausreisepflichtigen" und geduldeten Ausländern, darunter die Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien, einstige DDR-Vertragsarbeiter aus Vietnam sowie Flüchtlinge aus Afghanistan, Algerien, Somalia, Äthiopien und anderen Krisenregionen, sollen von nun an sämtliche Leistungen gestrichen werden. Allein die Erbringung „unabweisbarer Leistungen“, die aber lediglich eine Rückfahrkarte und ein Reiseverpflegungsgeld umfassen, soll noch zugestanden werden. Falls das Zweite Änderungsgesetz beschlossen wird, wären etwa 500.000 Menschen (allein in Berlin ca. 40.000) betroffen.
Rechtlich sanktioniert wurde diese Politik des Aushungerns zunächst im Bundesrat, der der Gesetzesänderung im Februar 1998 zustimmte. Maßgebend waren hier nicht nur der Antrag Berlins und das rege Engagement der Scharfmacher Hübner (Sozialsenatorin) und Schönbohm (Innensenator), sondern nicht zuletzt die Zustimmung der rein SPD-regierten Länder Niedersachsen, Brandenburg und Saarland, die den Beschluß hätten kippen können.
Trotzdem bleibt der genaue Inhalt der neuen Novelle noch ungewiß. Im Änderungsantrag zum AsylbLG ist nämlich erstens eine Klausel enthalten, nach der Leistungen auch weiterhin erbracht werden können, sofern dies der zuständigen Behörde im Einzelfall geboten erscheint. Das heißt: Ob einem Flüchtling nun doch noch ein kleines Almosen gewährt wird oder nicht, entscheidet in zunehmendem Maße die Willkür der Ämter (bzw. des zuständigen Sachbearbeiters). Und zweitens bedarf die Änderung des AsylbLG noch des Beschlusses durch den Bundestag, wo der im Bundesrat sanktionierte Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Änderung des AsylbLG im März zum ersten Mal gelesen wurde. Hier hörte man nun allerdings erste Stimmen des Protests, und zwar nicht nur von den Grünen, der PDS und sogar der FDP, sondern auch von einer SPD, deren Geschäft offenbar im lauten Herummosern ebenso besteht wie in der schließlichen Absegnung derartiger Gesetze. Während einzelne Regelungen also noch umstritten bleiben, steht ein Fallenlassen der Gesetzesänderung aber nicht auf der Tagesordnung.
Annähernd auf den neuesten Stand gebracht sind damit die Grundlagen jenes Geschäfts, dessen Akteure und Profiteure im folgenden näher bezeichnet werden sollen.


2. Politisch Verantwortliche

2.1. Politische Entscheidungsträger auf Bundesebene

Wie im vorangegangenen Abschnitt deutlich wurde, trägt der Gesetzgeber - Bundestag und Bundesrat - die politischen Entscheidungen auf Bundesebene. Beide gesetzgebenden Kammern votierten seit der De-facto-Abschaffung des Grundrechts auf Asyl (Änderung des Artikels 16 Grundgesetz) zum 1.7.1993 auch für die Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes [2].

2.2 Politische Entscheidungsträger auf Berliner Landesebene

Verschiedene Bestimmungen des AsylbLG sind "Kann"-Bestimmungen und werden auf der nächsten Ebene, also in den Bundesländern von den dort zuständigen Sozialministerien unterschiedlich restriktiv ausgelegt und gehandhabt [3] {1}. Das Bundesland Berlin müht sich unter Federführung der Senatorin für Gesundheit und Soziales Beate Hübner (CDU) und des Innensenators Jörg Schönbohm (CDU) um eine eine besonders repressive Gesetzesauslegung:

  • Kein Bargeld an Asylbewerber und statt dessen deren unzureichende Versorgung auf ganzer Linie;
  • Planung eines sog. Chipkartensystems für Sachleistungen, mit der auch "sicherheitspolitisch" relevante Daten erhoben werden können;
  • Heimunterbringung und Abschiebungen um jeden Preis;
  • Üble Unterstellungen gegen und Kriminalisierung von Asylbewerbern und Flüchtlingen sowie ihren Unterstützern bis hinein in Kreise der evangelischen Kirche.

Die rigide Senatspolitik kann sich dabei einiger 'Erfolge' rühmen: Neben Arbeits- und Reiseverbot sowie fehlenden Möglichkeiten, die deutsche Sprache zu lernen, gibt es durch Heimunterbringung und das Gutscheinsystem kaum Kontakt zur hiesigen Bevölkerung. Die mangelnde Mobilität von Asylbewerbern und Flüchtlingen innerhalb Berlins hat ihre Ursache u.a. in der Abschaffung der Sozialkarte beim Berliner Verkehrsbetrieb BVG, die 1996 trotz Protesten unter Hinweis auf "Sparzwänge" gestrichen wurde. Ein weiteres Ergebnis dieser Politik ist die soziale Isolierung durch fehlende Kontakte in die Herkunftsländer (kein Geld für Porto oder Telefonkarten, obwohl oft wichtige Dokumente für das Asylverfahren eingeholt werden müssen). Durch die Streichung der Barauszahlung der ohnehin um 20% gekürzten Sozialhilfe gibt es kaum eine Möglichkeit für die Asylbewerber, ihr rechtliches Verfahren selbst positiv zu beeinflussen (z.B. durch die Übersetzung von Dokumenten, durch Inanspruchnahme eigener Rechtsbeistände).
Diese menschenunwürdigen, repressiven und kostenintensiven Maßnahmen (Heimunterbringung, Gutscheinsystem, Reise- und Arbeitsverbot, Ausbildungseinschränkungen, großer und undurchschaubarer Verwaltungsaufwand, bürokratische Hürden sowie Schikanen gegen Flüchtlinge) rechtfertigen die zuständigen Politiker zynisch mit dem Hinweis auf den angeblichen Effekt, potentielle Asylbewerber und Flüchtlinge auf lange Sicht von der Einreise abzuhalten.
Frau Hübner war es auch, die 1997 die erneute Verschärfung des AsylbLG im Bundesrat angeregt hatte, woraufhin CDU- und SPD-geführte Länder Anfang 1998 sogar eine noch giftigere Version als Hübners ursprüngliche billigten. Diese schmort jetzt in den Parlamentsausschüssen, bevor sie in der Wahlkampfzeit dem Bundestag zur Abstimmung vorgelegt werden wird (vgl. Abschnitt 1).

Überblick über die auf Berliner Senatsebene nominell Verantwortlichen und ihre Zuständigkeiten:

A. Verwaltung für Gesundheit und Soziales
Beate Hübner (CDU): Senatorin
Detlev Orwat: Staatssekretär für Gesundheit
Verena Butalikakis: Staatssekretärin für Soziales
Gabriele Lukas: Sprecherin

Zuständig für Asylbewerber, deren Antrag noch läuft.
Ausführendes Organ: Zentrale Leistungsstelle für Asylbewerber (ZLA) innerhalb des Landesamtes für Soziale Aufgaben (LaSoz)

B. Innenverwaltung
Jörg Schönbohm (CDU): Senator
Kuno Böse: Staatssekretär
Thomas Raabe: Sprecher

Zuständig für:

  • abgelehnte Asylbewerber bzw. nach behördlicher Auffassung "ausreisepflichtige" Flüchtlinge, die aber aus rechtlichen oder humanitären Gründen "nicht abschiebbar" sind - beispielsweise wegen fehlender Dokumente, wegen der Aufnahmeverweigerung seitens des Herkunftslandes oder weil sie aus Staaten kommen, für die momentan ein Abschiebestop besteht;
  • geduldete bzw. "nicht abschiebbare" ehemalige DDR-Vertragsarbeiter (v.a. aus Vietnam) sowie
  • geduldete (Bürgerkriegs-)Flüchtlinge (v.a. aus Ex-Jugoslawien).

Ausführende Organe: Landesamt für Soziale Aufgaben (LaSoz) und die Bezirksämter (Abt. Soziales)

C. Verwaltung für Jugend und Familie
In ihre Zuständigkeit fallen unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (ca. 2500 Menschen in Berlin). Durch einige spektakuläre Abschiebungen Minderjähriger hat sich auch diese Behörde in der Ausländerpolitik einen Namen gemacht. Der Senat hat im übrigen im Dezember 1996 eine Richtlinie verabschiedet, nach der unbegleitete minderjährige Flüchtlinge möglichst umgehend abgeschoben werden sollen, um aufwendige Verfahren und Kosten zu sparen. Unterzeichnet wurde diese Vorlage von der Ressortleiterin Ingrid Stahmer (SPD). Im weiteren zuständig ist für diese Flüchtlinge das Jugendamt Treptow unter Leitung von Joachim Stahr (CDU), das offiziöse Amtsvormundschaften bestimmt, die sich für die Minderjährigen nicht individuell einsetzen {2}.

D. Finanzverwaltung
Sie spielt bei den unnötig hohen Kosten für die Verelendungspolitik, die 'Flüchtlingsverwaltung' und die Vergabe von Senatsaufträgen an Profiteure (oft ohne öffentliche Ausschreibung) ebenso mit wie bei den Kostensteigerungen, die jede Verschärfung des AsylbLG verursacht (Zusatzkosten von rund 2,5 Mio DM würden z.B. durch die Ausweitung des Gutscheinsystems auf ca. 30.000 Bürgerkriegsflüchtlinge in Berlin entstehen {3}).
Die enge Zusammenarbeit von Sozial- und Innenverwaltung drückt sich auch in einer Art Spitzelanweisung an die Sozialämter der Bezirke aus, wonach "ausreisepflichtige" Menschen, die bei den Sozialämtern vorsprechen wollen, zur Ermöglichung der polizeilichen Festnahme gemeldet werden sollen {4}. Bis auf sieben Bezirksämter befolgen inzwischen alle anderen diese Anweisung und denunzieren fleißig {5}. Außerdem findet ein Datenabgleich zwischen den Bezirken statt (bzw. außerhalb Berlins auch zwischen anderen Sozialhilfeträgern). Angeblich geschieht das, um den doppelten Bezug von Sozialleistungen zu verhindern.
Ein weiterer Beleg für die Law-and-order-Politik gegenüber Ausländern ist die Auflösung des "Ausschusses für Ausländerfragen" und dessen Integration in andere Ausschüsse des Abgeordnetenhauses {6}].

2.3 Die konkrete Umsetzung des Asylbewerberleistungsgesetzes in Berlin

Die Zentrale Leistungsstelle für Asylbewerber
Die konkrete Umsetzung des Asylbewerberleistungsgesetzes, also die Verwaltung des Mangels an der 'Basis', obliegt innerhalb des Landesamtes für Soziale Aufgaben (LaSoz) der Zentralen Leistungsstelle für Asylbewerber (ZLA), die von Wolf-Rüdiger Westphal (Tel. LaSoz 867-1 bzw. 8676611; privat: Alt-Moabit 110, Tel. 3914178) geführt wird [4]. Das LaSoz fungiert aber nicht nur als Befehlsempfänger, sondern beteiligt sich aktiv an der Gestaltung der Asylpolitik. Westphal äußert sich ähnlich wie seine Vorgesetzten auch öffentlich diskriminierend gegenüber den vom AsylbLG betroffenen Menschen im Asylverfahren (z.B. im Tagesspiegel vom 4.7.1997). Ebenso empfiehlt das LaSoz den Bezirken in puncto Heimunterbringung sogar auch privat-kommerzielle Träger - 'zufälligerweise' vor allem die SORAT GmbH (vgl. dazu den Abschnitt 3).
Für den Großteil der anderen nach dem - noch aktuellen - AsylbLG Leistungsberechtigten (v.a. Menschen mit einer sog. Duldung) sind die Bezirksämter zuständig [5]. Die Mangelverwaltung wird im Fall von Bürgerkriegsflüchtlingen, offiziell "ausreisepflichtigen" aber geduldeten bzw. "nicht abschiebbaren" Flüchtlingen oder geduldeten ehemaligen DDR-Vertragsarbeitern vom Landesamt für Soziale Aufgaben mit den Sozialämtern der Bezirke koordiniert, in denen die Flüchtlinge gemeldet sind. Die Umsetzung der Anweisungen des Sozial- bzw. Innensenats auf Bezirksebene ist Aufgabe der Sozialstadträte.
Das LaSoz hat umgehend Beschwerde beim OVG gegen das Urteil eingelegt, das sich gegen die Monopolstellung der zwei von der SORAT GmbH betriebenen Berliner Magazinläden zur Versorgung aller Asylbewerber wendet und das auch besagt, daß die ihnen zugeteilten Gutscheine nicht einmal den im Gesetz vorgesehenen Sachleistungen entsprechen {7}. Ob und wie diese Instanz entschieden hat, ist noch nicht bekannt. Mit der immer wieder verschobenen Einführung einer Chip-Card für Einkäufe durch die Leistungsberechtigten dürfte sich dieses Thema vorerst offiziell erledigen {8}. Zu den eventuellen Gründen für die Heimlichtuerei des Senats und das Verschieben der Einführung der Chip-Card für Flüchtlinge gehören: Drohungen und Anschläge gegen beteiligte Supermärkte, der Suchprozeß nach einem Anbieter solcher Chipkarten und die bisherige Kampagne gegen die Nutznießer des sog. Gutscheinsystems.
Das LaSoz/ZLA vergibt in Absprache mit der Senatsverwaltung für Soziales (und ggf. den Bezirkssozialstadträten) auch Aufträge für die zentrale Unterbringung (ca. 25 Wohnheime) und Verpflegung der Asylbewerber, über deren Antrag noch nicht abschließend entschieden ist. Beauftragt werden können generell sowohl private als auch gemeinnützige Träger. Als Grund für die überproportional häufige Vergabe an die SORAT GmbH oder an eine der mit ihr verflochtenen Firmen wurde vom LaSoz - und vor allem aber von Senatorin Hübner - wiederholt behauptet, daß es sich um preiswerte Anbieter handele, die schnell Infrastruktur zur Verfügung stellen könnten, da sie ja auch über Immobilien, einen eigenen Wachdienst usw. verfügten {9}.
Gefragt nach der Einrichtung der beiden sog. Sachleistungsmagazine durch die SORAT GmbH zur berlinweiten Versorgung aller Asylbewerber wartete Senatorin Hübner mit dem Vorwand auf, daß aufgrund der Kurzfristigkeit und Dringlichkeit der Umsetzung des Ersten Gesetzes zur Änderung des AsylbLG zum 1.6.1997 keine öffentliche Ausschreibung für den Magazinbetrieb notwendig und nur die freihändige - d.h. eine von ihrer Behörde ohne Ausschreibung bestimmte - Vergabe im Sinne der Landeshaushaltsordnung möglich gewesen sei. Die Verlängerung der Genehmigung zum Magazinbetrieb durch SORAT, die zunächst auf ein halbes Jahr begrenzt war, wurde ebenfalls dementsprechend begründet. Während SORAT und Konsorten schon seit Jahren durch den Betrieb von Heimen für Obdachlose und Aussiedler gute Geschäfte mit dem Senat machen, wird die vom Senat betriebene Bevorzugung des Profiteurs SORAT, der dadurch quasi zum Monopolisten auf diesem Terrain gemacht wird, in den neunziger Jahren unter fadenscheinigen Begründungen noch verstärkt. So wurde die "Entwicklung eines flächendeckenden Verfahrens zur Weiterentwicklung des Sachleistungsprinzips" vom Senat wieder mal nicht öffentlich ausgeschrieben, sondern erneut mit dem dürren Hinweis auf "Dringlichkeit" an die SORAT GmbH vergeben. Besonders dringlich schien die gesamte Angelegenheit aber gar nicht zu sein, da auch weitere sechs Monate später die Magazinläden immer noch von den Betroffenen aufgesucht werden müssen und kein flächendeckendes Chipkarten-System entwickelt worden ist, was im übrigen nur eine Verschlimmbesserung wäre. Außer kleinen Einzelhandelsläden hat sich (noch) keine größere Handelskette gefunden, die sich an einem solchen Einkaufssystem beteiligen würde.
Daß zuerst bei der Unterbringung und seit 1997 auch bei der Versorgung von Flüchtlingen 'Wettbewerbsverzerrung' und Günstlingswirtschaft durch die jahrelange Bevorzugung, Empfehlung bzw. Auftragszuschusterung an die SORAT GmbH seitens gewisser Senatsstellen vorliegt und daß das Preis- bzw. Dringlichkeitsargument - für die ohnehin unnötige und teure Heimunterbringung - für eine Vergabe an SORAT bzw. an ein anderes Unternehmen aus dem unübersichtlichen Firmenkonglomerat nur vorgeschoben ist, liegt auf der Hand {10}.
Unklar ist, ob der Rechnungshof das Land Berlin bereits zu wirtschaftlich sinnvollem Handeln in der Flüchtlingspolitik (z.B. Abschaffung der teuren Heimunterbringung und Sachmittelversorgung, Reduzierung des immensen Verwaltungsaufwands) angehalten hat. Auskunft darüber geben nur die geprüften Stellen bzw. ggf. das Abgeordnetenhaus. Den Rechnungshof zur Prüfung möglicher Unwirtschaftlichkeit hatte Herr Vorbrodt vom Berliner Flüchtlingsrat am 12.7.1997 schriftlich aufgefordert.
Mehr als fragwürdig ist auch die Praxis verschiedener vom Senat unterstützter Wohlfahrtsverbände, Sachspenden aus der Bevölkerung u.a. von ABM-Kräften aufarbeiten zu lassen und als Sachmittel auch an Asylbewerber weiterzugeben, was weder Spenderwillen, AsylbLG oder Verpflichtungen des Staates entspricht, der durch sogenannte Kleiderkammern und ähnliche Einrichtungen auf Kosten der Ärmsten eine Menge Geld spart und sogar Gewinne der Beteiligten durch dieses Vorgehen ermöglicht.

2.4 Die Bezirke

Die Sozialämter bzw. die sie leitenden Sozialstadträte haben eine gewisse 'Autonomie' bei der Umsetzung der Anweisungen des Sozial- bzw. des Innensenats - vor allem im Bereich der bei "Kann"-Bestimmungen getroffenen Weisungen der jeweiligen Senatoren. Wie weitreichend dieser Handlungsspielraum ist, bleibt allerdings umstritten. Senatorin Hübner behauptet, ihre Weisungen müßten befolgt werden, aber einzelne Sozialstadträtinnen wie Junge-Reyer (SPD; Kreuzberg) oder Schmiedhofer (B'90/Grüne; Wilmersdorf) bestreiten das und kündigen an, sich nicht an eventuelle Anweisungen zum Melden 'Illegaler' halten zu wollen. Ebenso lehnen sie die Ausdehnung und Umsetzung des Gutscheinsystems für die in ihren Kompetenzbereich fallenden Flüchtlinge ab und wollen dabei nicht mitmachen. Sprachregelung der Senatorin ist, daß sie sich auf den Treffen mit allen Sozialstadträten zwecks "einheitlicher Regelungen" abstimmt.
In dieser rechtlichen Grauzone haben die Sozialstadträte auf jeden Fall einen gewissen praktischen und politischen (Interpretations- und) Handlungsspielraum. Auch der Tagesspiegel vom 26.9.1997 behauptet zwar, die Bezirke seien zur Umsetzung der Senatsweisungen gezwungen, aber ganz so einfach ist das nicht, und die Praxis sieht entsprechend vielfältig aus: Einige Bezirksämter demonstrieren vorauseilenden Gehorsam gegenüber der restriktiven Senatspolitik (u.a. Mitte, Neukölln, Zehlendorf), während Sozialstadträte von Bündnisgrünen, PDS und zum Teil auch von der SPD - zumindest in Interviews - angeben, die Regelungen so weit wie möglich zugunsten der Flüchtlinge auslegen zu wollen. Die von den Sozialämtern per Weisung des Innensenats geforderte Bespitzelung bzw. Denunzierung von 'Illegalen', die bei Sozialbehörden vorsprechen, wird beispielsweise von Spandau, Neukölln, Schöneberg und Steglitz befolgt, während sich u.a. Charlottenburg, Kreuzberg und Wilmersdorf mit Berufung auf ihre Rechtsämter und die Bedenken des Datenschutzbeauftragten verweigern {11}. Ähnlich sieht es bei der Ausweitung und Umsetzung der Sachleistungspolitik gegenüber Flüchtlingen seitens des Senats aus {12}, dito bei der auf Senatsebene geforderten Heimunterbringung nicht nur von Asylbewerbern, sondern auch von anderen Flüchtlingsgruppen {13}. In Einzelfällen besteht für die Bezirke ferner die Möglichkeit der Prüfung oder Intervention. Wenn es z.B. um nachgewiesene negative Auswirkungen der Heimunterbringung auf die Gesundheit von Flüchtlingen geht, kann deren Unterbringung in einer Wohnung genehmigt werden {14}. Allerdings können die Bezirksverordnetenversammlung bzw. die Bezirksbürgermeister mit in die Bezirksämter für Soziales 'hineinregieren', und bereits jetzt dienen viele Sozialämter durch den vorauseilenden Gehorsam der politisch und administrativ Verantwortlichen als Versuchslabore für die praktische Anwendung der geplanten Zweiten Gesetzes zur Änderung des AsylbLG {15}.


3. Private Profiteure - das Beispiel des SORAT-Konzerns

Unter dem Namen(sbestandteil) "SORAT" firmieren weit über ein Dutzend Einzelunternehmen, die v.a. als Hotelbetriebs- und -verwaltungsunternehmen, Consultingfirmen und Wohnheimerrichtungs- und -betriebsunternehmen tätig sind.
Die exakte Zahl von SORAT-Unternehmen ist wegen ständiger Neugründungen, Umfirmierungen und wechselnder Beteiligungen kaum zu ermitteln. Nahezu alle SORAT-Firmen werden als GmbHs lediglich mit dem gesetzlichen Mindeststammkapital betrieben; die meisten als GmbH. & Co. KG dergestalt, daß ein Haftungsrisiko für die Gesellschafter quasi ausgeschlossen ist.
Der Konzern betreibt ca. 15 Hotels in der gesamten BRD mit regionalen Schwerpunkten in Berlin und den Neuen Bundesländern. Das Berliner SORAT-Hotel Spreebogen (220 Zimmer) gehört zu den 150 größten Hotels der BRD (Jahresumsatz 1996: über 12 Mio DM). Der Gesamtumsatz der ganzen Hotelgruppe betrug 1997 57,2 Mio DM (plus 4,3% gegenüber dem Vorjahr), der Umsatz in den fünf Berliner Hotels (insges. 692 Zimmer) belief sich auf 33,6 Mio DM {16}.
Außerdem unterhält der Konzern ca. 20 Heime für Asylbewerber, Kriegsflüchtlinge, Aussiedler und Obdachlose {17}.
Über Beteiligungs- und Personenverflechtungen muß man dem Konzern noch viele weitere Unternehmen hinzurechnen: u.a. die Lunch Box am Potsdamer Platz, die MIXX-Kette (u.a. Souvenirladen; EDV-Dienstleistungen), zahlreiche Bau- und Immobilienunternehmen (u.a. "Gierso Wohnanlagen", "GWF Grundwert Fonds", "CBN Projektconsult" und "Pega [Penz/Garski] Bau", alle wiederum mit mehreren Untergesellschaften und GmbH & Co. KG-Verflechtungen) sowie die Objektschutz- und -reinigungsfirma B.O.S.S. (seit 1991). Auch hier läßt sich wegen ständiger Gründungs-/Löschungs- und Umfirmierungs-Tätigkeit kaum ein exaktes Bild gewinnen.
Hauptbeteiligte sind in allen Fällen die Kaufleute Helmuth Penz, Wilhelm Pless und Dietrich Garski. Der letztere ist wegen Wirtschaftsverbrechen vorbestraft und hat aus naheliegenden Gründen dafür gesorgt, daß die Anteile jeweils von seiner Ehefrau Claudia gehalten werden; angeblich ist sein persönlicher Einfluß jeweils durch die Gesellschaftsverträge abgesichert.
Personell verbandelt ist SORAT auch mit der "PeWoBe Wohnheim-Betreuungs-" bzw. "Soziale Betreuungs-GmbH" - ein besonders interessantes Konglomerat, das einmal als gewöhnliches, einmal als gemeinnütziges Unternehmen existiert. Es ist nicht nachzuweisen, aber denkbar, daß sich mit dieser Konstruktion durch Querverbindungen und Überkreuzgeschäfte ein lukratives Steuersparmodell verbindet. Als Verbindungsglied fungiert hier der Kaufmann Peter Wittkop, der gleichzeitig Geschäftsführer bei "PeWoBe" und der Helmuth Penz & Partner Handel-Leasing-Vermietung oHG ist.
Daß die Unübersichtlichkeit des Firmenkonglomerats und die Geschäftsfelder, auf denen man sich bewegt, in der Öffentlichkeit Mißtrauen oder Mißmut erregen könnte, ist natürlich auch Penz, Pleß und Konsorten aufgefallen. Man bemüht sich, dem entgegenzuwirken, indem demonstrativ ein besonders kultur- und gemeinwohlorientiertes Image gepflegt wird. In diese Richtung sollen nicht nur künstlerisch gestaltete Hotel-Interieurs wirken (wie insbesondere beim SORAT-"Art'otel" in der Westberliner City), sondern auch vielfältige Sponsoren-Aktivitäten beim Box- und Radsport (wo sogar ein "Team Sorat" mitfährt) sowie im Kulturbereich, wo man sich ironischerweise ausgerechnet das Haus der Kulturen der Welt als Förderungsempfänger ausgeguckt hat. In der öffentlichen Selbstdarstellung werden SORAT-Vertreter nicht müde, immer wieder die Sozialorientierung und beinahe Uneigennützigkeit des Konzerns zu betonen - wohl wissend, daß die nebulos verschachtelte Struktur von Außenstehenden kaum aufgedröselt werden kann und daher die klare Profitorientierung des komplizierten Gebildes nicht so leicht ins Auge fällt.

3.1 Aktivitäten im Bereich Asylbewerber

Der SORAT-Konzern bzw. die verbandelten Unternehmen betreiben in Berlin mehrere Asylbewerberheime, außerdem die beiden Magazinläden in der Holzhauser Str. 88 (Reinickendorf) und in der Methfesselstr. 43 (Kreuzberg). Die Zahl der Heimplätze, über die der Senat zur Unterbringung von Asylbewerbern Verträge mit SORAT geschlossen hat, belief sich per 1. Juni 1997 auf 3127, das entspricht mehr als einem Viertel aller Heimplätze von privaten Betreibern (insges. 11.965) und gut 15% aller Heimplätze insgesamt (total gut 20.000, davon gut 8.000 bei frei-gemeinnützigen Betreibern).[6] {18}
Für die Unterbringung von Asylbewerbern verlangt SORAT nach eigenen Angaben einen Tagessatz von DM 23/Tag/Person; dabei beträgt die Gewinnspanne für SORAT angeblich nur 3% {19}. Nach Auskunft des Senats werden an die privaten Heimbetreiber im Durchschnitt Tagessätze von DM 23,50 bezahlt, wobei der Senat gegenüber den Vertragspartnern eine Ausfallzahlung von 80% des Tagessatzes (entspr. ca. DM 18,80) vereinbart hat, wenn die Auslastung eines Heims unter 90% zu liegen kommt (10% Unterauslastung gelten als vertretbares "Wagnis", bei Auslastungsgraden unter 90% übernimmt der Senat auch nur die Differenz bis zur 90%-Grenze) {20}.
Hinsichtlich des Tagessatzes kursieren jedoch auch andere Angaben. So beträgt der Tagessatz im Vertrag zwischen Bezirksamt Tempelhof und SORAT DM 25/Tag/Person. Auch hier übernimmt der Bezirk Ausfallkosten bei einer Unterbelegung des Wohnheims (hier: Buckower Chaussee) von über 10%. Die Ausfallzahlungen werden abrechnungstechnisch auf die Tagessätze aufgeschlagen; dadurch ergab sich im zweiten Halbjahr 1997 ein durchschnittlicher Tagessatz von ca. 29 DM; in Zeiten stärkerer Unterbelegung hat der Tagessatz aber auch schon bei über 39 DM gelegen {21}.
Die beiden Zwangseinkaufs-Magazinläden hätten schon vor Monaten geschlossen worden sein sollen {22}; wegen der Verzögerung bei der Einführung eines neuen Einkaufssystems (siehe oben, Abschnitt 2.3) sind sie aber gegenwärtig immer noch in Betrieb. SORAT gibt an, durch die Magazinläden keinen Gewinn zu erwirtschaften {23}.
Auf politischer Ebene ist allerdings entschieden, daß die - öffentlich allzu viel unangenehmes Aufsehen erregende - Zwangseinkaufs-Praxis abgelöst werden soll, und zwar durch ein System von aufladbaren Chipkarten, mit denen Asylbewerber bargeldlos zahlen sollen. Bezeichnenderweise hat der Senat ausgerechnet SORAT mit der technisch-organisatorischen Vorbereitung des Umstellungsprozesses beauftragt.
SORAT erwies sich damit einmal mehr als eine Unternehmensgruppe, die zu den politisch Verantwortlichen äußerst gute Verbindungen hat; die Auftragsvergabe an SORAT - nicht nur in diesem Fall, sondern auch bei Heimverträgen etc. - scheint oft genug am Rande des rechtlich Zulässigen zu erfolgen: Öffentliche Aufträge werden nicht nach Ausschreibung vergeben, sondern freihändig an SORAT, wobei Eilbedürftigkeit behauptet und das Argument herangezogen wird, man habe mit SORAT beste Erfahrungen gemacht. Diese guten Erfahrungen dürften nicht zuletzt dadurch untermauert worden sein, daß das SORAT-Konglomerat diverse Leistungen (Unterkunft, Verpflegung, Reinigung, Bewachung) quasi aus einer Hand anbieten kann; selbst bei regulären Ausschreibungen wird SORAT aufgrund dieser Konstellation oft preiswerter anbieten können als andere.

3.2 Weitere Informationen zu SORAT und den Beteiligten

SORAT pachtete 1991 das Naherholungsgebiet "Helenesee" bei Frankfurt/Oder - ein Geschäft, das durch den vormaligen Frankfurter Wirtschaftsdezernenten Klaus Franke (CDU) eingefädelt worden war. Franke (Berliner MdA seit 1964, Vorsitzernder des Bauausschusses seit 1972 und seit 1983 Bausenator - bis zu seinem Rücktritt 1986 wegen des Berliner Bauskandals) war u.a. Kommanditist einer Grundstücksverwaltungsgesellschaft, an der auch Claudia Garski, die Ehefrau des vorbestraften Spekulanten Dietrich Garski, beteiligt war; Claudia Garski ist wiederum Geschäftsführerin bzw. Anteilseignerin mehrerer Firmen, an denen auch Helmuth Penz beteiligt ist. Die wegen ungünstiger Konditionen und fehlender Ausschreibung dubiose Verpachtung des "Helenesees" an SORAT löste in Frankfurt heftigen politischen Widerstand aus; im Rahmen des Lokalskandals kam ebenfalls zutage, daß Franke weitere Immobilien zu für die Stadt viel zu schlechten Konditionen (offizielle Einschätzung der Treuhand) an den Berliner Baulöwen Dietmar Otremba und die Berliner Klingbeil-Gruppe verscherbelt hatte {24}.
CDU-Mitglied Otremba 'revanchierte' sich u.a. durch eine Spende von über 50.000 DM an die CDU 1995. Die Klingbeil-Gruppe zeigte sich u.a. durch eine Spende von 25.000 DM an die CDU, 1995 geleistet durch ihren Geschäftsführer Klaus Groenke, erkenntlich (wobei sich die Klingbeil-Gruppe politische Sympathie von allen Seiten sichert: durch das Klingbeil-Unternehmen "Interprojekt" erhielt auch die SPD 1995 eine Spende, und zwar in Höhe von 75.000 DM).
Garski wurde als möglicherweise begünstigter Käufer abermals im Zusammenhang mit den Vorwürfen genannt, in Potsdam sei es bei kommunalen Grundstücksverkäufen nicht korrekt abgelaufen {25}.
Penz hat im Juni 1997 ein Sanierungskonzept für die "Baumaschinen Welzow" entwickelt, aufgrund dessen die BvS (Ex-Treuhand) und die Landesregierung 9 Mio DM. investiert haben. Bereits am 30. Oktober 1997 wurde für die Firma Konkurs angemeldet {26}.


4. Gegner und Gegenaktionen

Seit Inkrafttreten des Asylbewerberleistungsgesetzes (1.11.1993) wird aus verschiedenen Kreisen nachdrücklich protestiert. Antirassistische Gruppierungen (Pro Asyl, Flüchtlingsrat, Antirassistische Initiative etc.) und auch Parteien (Die Grünen, PDS) veranstalteten Demonstrationen und Kundgebungen. Frau Lottenburger (Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen) und Frau Hopfmann (Abgeordnete der PDS) stellten wiederholt Anfragen an den Berliner Senat. Legal arbeitende antirassistische Gruppen leisteten und leisten kontinuierlich Öffentlichkeitsarbeit; sie informieren in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften über das Asylbewerberleistungsgesetz und seine Umsetzung im Land Berlin sowie über Nutznießer der gesetzlichen Regelungen. Besonders der Flüchtlingsrat trat als wichtiges Koordinationsgremium sowie als Organisator von Aktionen in den Vordergrund. Mitarbeiter kirchlicher Organisationen machten und machen sich durch gründliche Informations- und Beratungsarbeit verdient.
Autonome Gruppen zeigen ihren Protest in militanten Aktionen, insbesondere versuchen sie den derzeitigen und womöglich zukünftigen Profiteuren (SORAT, Tengelmann-Gruppe) zu schaden. Ein kurzer Abriß soll über gelaufene Aktionen informieren:
Bereits im Oktober 1993 wurde im Zusammenhang mit der Aktionswoche der besetzten Wagenburgen und Häuser u.a. in taz und INTERIM über die SORAT-Gruppe und deren unterschiedliche wirtschaftliche Standbeine (Bau und Betrieb von Luxushotels, Betrieb von Obdachlosen-und Flüchtlingsheimen, Hausbesitz, Sicherheitsfirma B.O.S.S. usw.) informiert. Besonders das Profitschlagen aus der Unterbringung von Obdachlosen und Flüchtlingen in Berlin und Brandenburg wurde heftig kritisiert.
Des weiteren versuchte die "Initiative gegen das Asylbewerberleistungsgesetz" seit Ende 1994, die diskriminierende Praxis des Sachleistungsprinzips durch An- und Verkauf von Waren aus Flüchtlingsheimen zu unterlaufen. Im "Rat und Tat" im Wedding wurden Waren von Flüchtlingen aufgekauft und zum Ankaufspreis weiterverkauft. Die Sache scheiterte nach einigen Monaten aufgrund der geringen Anzahl von Käufern.
Seit Inkrafttreten des Zwangseinkaufssystems für ca. 2300 Flüchtlinge und Asylbewerber am 1.6.1997 fanden verstärkt Protestkundgebungen statt, insbesondere vor dem seit 1.7.1997 geöffneten Magazinladen in der Kreuzberger Methfesselstraße sowie vor SORAT-Hotels. An den Demonstrationen beteiligten sich jeweils mehrere hundert Menschen. Über die Rolle des SORAT-Konzerns in der Berliner Flüchtlings- und Asylpolitik sowie über die Situation der Flüchtlinge wurde bei diesen Aktionen immer informiert.
Auch im Internet konnte man fündig werden. Ralf Roschinski informiert seit Januar 1998 Interessierte unter der Überschrift "Was SORAT-Hotelgäste wissen sollten" (http://hauptstadt.snafu.de/ ~rro/sorat/index.html) über SORATs Machenschaften bei der Flüchtlingsbetreuung sowie über die Stornierung von SORAT-Hotelplätzen infolge der öffentlich bekannt gewordenen Proteste. (Die "Akademie für Ethik in der Medizin" und die Jenapharm GmbH stornierten vorgesehene Übernachtungen in SORAT-Hotels.)
Wegen der Bundesratsinitiative vom 6.2.1998 zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes riefen eine Vielzahl von Organisationen und Einzelpersonen im "Berliner Aufruf gegen eine Politik des Aushungerns von Flüchtlingen in Deutschland" zum Protest auf.
Militante Aktionen gegen Sorat wurden bereits seit 1993 durchgeführt; die Aktivitäten wurden insbesondere seit August 1997 gesteigert (seit Juni 1997 existiert in Berlin das Gutscheinsystem). Im August 1997 verübte eine autonome Gruppe einen Brandanschlag auf die Spar Handels AG in Mittenwalde. In einem Bekennerschreiben wurde darüber informiert, daß Spar beide von SORAT betriebenen Magazinläden beliefert. Die Gruppe forderte das Einstellen der "rassistischen Gutschein- und Sammelmagazinpolitik" {27}. Mit dem selbem Motiv wurden im Dezember 1997 bei 13 Spar-Filialen die Türschlösser verklebt.
Am 3.10.1997 wurde ebenfalls von einer autonomen Gruppe der Kaisers-Supermarkt am Teutoburger Platz in Berlin-Prenzlauer Berg angezündet. Es entstand ein Sachschaden von ca. 3,5 Mio DM. Anlaß des Anschlages war das bekannt gewordene Interesse der Tengelmann-Gruppe, zu der auch Kaisers gehört, sich am Warengutscheinsystem für Asylsuchende zu beteiligen.
Zu Fensterbruch in zwei SORAT-Hotels kam es Mitte Dezember 1997. Im Bekennerschreiben wurde auf SORATs gewinnträchtige Geschäfte durch den Betrieb von Flüchtlingsheimen und Magazinläden sowie auf das Vorhaben des Senats, das Chipkartensystem einzuführen, hingewiesen.
Eine "Seeräuberschlacht" initiierte eine Gruppe namens "John Silver, i.A. der Piraten und Piratinnen" im Januar 1998. Sie setzte ein SORAT-Hotelschiff in Brand und drohte, "das Feuer erst dann einzustellen", wenn SORAT seine sämtlichen Besitztümer einer Flüchtlingsorganisation übertragen hat.
In Anknüpfung an vorangegangene Aktionen wurde Ende März 1998 eine Hamburger Gruppe aktiv. Auf dem Fuhrparkgelände des Hauptsitzes der Spar Handels AG im Stadtteil Schenefeld setzten sie mehrere LKW in Brand. Ferner suchten die Akteure das Haus des Spar-Vorsitzenden und Multimillionärs Helmut Dotterweich im Villenvorort Blankenese auf, wo sie Scheiben einwarfen und Farbe verschmierten.
In den meisten Bekennerschreiben wurde zu weiteren Aktionen gegen SORAT und andere Nutznießer der Asylpolitik aufgerufen.


Anmerkungen

[1] - In diesem Papier ist von "Ausländern", "Politikern", "Profiteuren" usw. die Rede. Die Weglassung der Komplikationen mit "Ausländer und Ausländerinnen" oder "PolitkerInnen" usf. bezweckt eine Vereinfachung des Lesens; daß Asylsuchende ebenso männlich oder weiblich sein können wie Nutznießer etc., gerät dadurch nicht in Vergessenheit.
[2] - Hinweise auf Quellen: in geschweiften Klammern.
[3] - Da die Änderungen zum Asylbewerberleistungsgesetz auch im Bundesrat debattiert und verabschiedet wurden, sind die SPD-regierten Länder für die jeweilige Verschärfung ebenso maßgeblich mitverantwortlich (allen voran Niedersachsen). Mehr oder weniger klar stehen die von der SPD regierten Bundesländer zu dieser Verantwortung. Einige springen auf den fahrenden Zug auf in der Hoffnung, mit dem 'harten Durchgreifen' Volkes Seele zu streicheln oder ein paar Wählerstimmen abzugreifen. Andere glauben, als Mitläufer werde schon kein 'liberaler' Wähler ihre reaktionäre Abstimmungspraxis und deren Folgen bemerken. Andere tun bewußt unwissend vor entscheidenden Abstimmungen wie beispielsweise die SPD-Regierung Brandenburgs vor der Abstimmung im Bundesrat am 6.2.1998 zum "Zweiten Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes" (Ausweitung des betroffenen Personenkreises und Verschärfung des AsylbLG). Die neue Gesetzesvorlage wurde dann trotz angeblicher Uninformiertheit über Gesetz und dessen Tragweite mit Brandenburgs Stimmen verabschiedet. Die Berliner SPD war ihrerseits für eine Verschärfung des AsylbLG eingetreten. Als andere Länder (Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen) den Entwurf noch zuspitzten, vergossen die SPD-ler im Abgeordnetenhaus Krokodilstränen, während das Land Berlin im Bundesrat dem Antrag brav zustimmte.
[4] - Die Asylanträge selbst werden vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFL) in Nürnberg bzw. dessen Außenstellen bearbeitet. Für den 'gewöhnlichen' Aufenthalt von Ausländern ist das Landeseinwohneramt (LEA) zuständig, dessen betreffende Abteilung oft Ausländerbehörde bzw. Ausländerpolizei genannt wird.
[5] - Falls allen "Ausreisepflichtigen" bzw. "Geduldeten" der Anspruch auf Sozialleistungen verweigert wird, wie durch das geplante Zweite Gesetz zur Änderung des AsylbLG vorgesehen, würden dann Angestellte der Sozialämter zu beurteilen haben, ob Leistungen "im Einzelfall unabweisbar geboten" sind – wie es schwammig im Gesetzentwurf heißt. In anderen Worten bedeutet dies auch, daß durch die geplante Gesetzesverschärfung diese Angestellten darüber befinden würden, ob Flüchtlingen die Rückkehr bzw. Abschiebung in das Herkunftsland gegen ihren Willen aufgezwungen werden soll.
[6] - Diese Zahlen beruhen auf der Zuordnung der veröffentlichten Daten zu Unternehmen, die nachvollziehbar dem SORAT-Konzern zugehören; es ist natürlich nicht ausgeschlossen, daß der SORAT-Anteil noch größer ist, weil zu weiteren Betreiberfirmen bisher unentdeckte Verflechtungen existieren.

Quellen

{1} - Vgl. hierzu z.B. die Ausführungen von Georg Classen (siehe Literaturauswahl) und taz 8.7.1997.
{2} - Vgl. auch taz-Berlin 27.1.1997.
{3} - Vgl. taz-Berlin 30./31.8.1997.
{4} - Vgl. taz 22.7.1997; 13.3.1998.
{5} - Vgl. Berliner Zeitung 10.9.1997.
{6} - Vgl. Berliner Zeitung 10.9.1997.
{7} - Vgl. auch taz 26.7.1997.
{8} - Vgl. taz 28.2/1.3. 1998.
{9} - Zur Vergabe von Aufträgen zum Heim- und Magazinbetrieb an die SORAT GmbH vgl. auch Landespressedienst (LPD): Antwort vom 6.9.1997 auf die Kleine Anfrage Nr. 2436 (von I. Lottenburger) vom 7.7.1997 – Punkte 9 und 10. Der Senat kommt außerdem für Personal- und Sachkosten der beiden sog. Sachleistungsmagazine auf. – Zu den Heimbetreibern allgemein siehe auch Landespressedienst (Kleine Anfragen vom 19.6.1997 von K. Hopfmann): Nr. 13/2383 [privat-kommerzielle Träger], LPD vom 26.8.1997 und Nr. 13/2384 [gemeinnützige Träger], LPD vom 1.10.1997.
{10} - Zu weiter zurückliegenden Aufträgen des Senats an die SORAT GmbH vgl. z.B. Der Spiegel Nr.34/1989 vom 21.8.1989, S.26-28; taz 5.2.1993; 10.2.1994 (Frauenflüchtlingsheim) bzw. den Artikel von Carsten Otte mit Zitaten des Sorat-Unternehmers Penz zu Senatskontakten aus dem Tip Nr.14/1994. Auch im Land Niedersachsen konnte derartige Vetternwirtschaft nachgewiesen werden. Vgl. hierzu den Artikel von Klaus Wallbaum "'Schwarze Schafe' unter Betreibern von Asylbewerberheimen. Seilschaften zwischen Behörden und Firmen?" im Tagesspiegel 10.6.1997.
{11} - Vgl. taz-Berlin 22.7.1997.
{12} - Vgl. taz-Berlin 31.7.1997; 30./31.8.1997; 24.9.1997.
{13} - Vgl. Berliner Zeitung 28.1.1997.
{14} - Siehe auch Tagesspiegel 5.7.1996.
{15} - Vgl. Frankfurter Rundschau 20.3.1998.
{16} - Vgl. taz-Berlin 27.2.98.
{17} - lt. Jürgen Haehnsen, SORAT-Abteilungsleiter Soziale Dienste, zit. in taz 9.7.97.
{18} - Landespressedienst 26.8.97.
{19} - lt. Jürgen Haehnsen, SORAT-Abteilungsleiter Soziale Dienste, zit. in taz 9.7.97.
{20} - Landespressedienst 26.8.97.
{21} - Antwort des Bezirksamts auf eine Anfrage der B90/Grüne-Fraktion in der BVV-Tempelhof, 29.10.97.
{22} - so Gabriele Lukas, Sprecherin der Berliner Sozialsenatorin Beate Hübner (CDU), bereits im Juli 1997, taz 29.7.97.
{23} - lt. Jürgen Haehnsen, SORAT-Abteilungsleiter Soziale Dienste, zit. in taz 9.7.97.
{24} - Vgl. taz 1.2.1992.
{25} - Vgl. Berliner Morgenpost 15.11.97.
{26} - Vgl. BZ 7.12.97.
{27} - taz 12.8.1997.


Literaturauswahl

Amnesty International (Hrsg.): Zwei Jahre neues Asylrecht: Auswirkungen des geänderten Asylrechts auf den Rechtsschutz von Flüchtlingen, 2., überarb. Auflage, Bonn 1996
Classen, Georg: Sozialleistungen für Flüchtlinge nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und anderen Gesetzen, in: Schutz für Flüchtlinge und Asylsuchende. Aktuelle Entwicklungen des Asylrechts. Hrsg. vom Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 1996, S.25-61
Pro Asyl und Flüchtlingsrat Niedersachsen (Hrsg.): Das Asylbewerberleistungsgesetz und was man dagegen tun kann, bearb. von Georg Classen, Frankfurt/M. / Berlin 1994
Todd, Emmanuel: Das Schicksal der Immigranten. Deutschland, USA, Frankreich, Großbritannien, Hildesheim (Claassen Verlag) 1998

Zeitschriften
Arranca!, Nummer 14, Berlin, Frühjahr 1998, S. 40-50
off limits, Nummer 22, Hamburg, Mai/Juni 1998