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KOSOVO Antikriegsseite


WAS GESCHIEHT MIT DEN FLÜCHTLINGEN?

von DIETMAR KESTEN

GELSENKIRCHEN, 11. April 1999

Was sich heute auf dem Balkan abspielt, scheint ein Vorspiel zu sein, für die wirkliche, die kommende Katastrophe, und könnte auch für den Westen zum Umbruch werden. In Jugoslawien haben sich seit Jahren sowohl die Westeuropäer als auch die Amerikaner durch Untätigkeit schuldig gemacht. Ob nun weiter gebombt wird, ein Waffenstillstand ausgerufen,  Rambouillet wiederbelebt wird, ein 'unabhängiges Kosovo' entsteht, krampfhaft nach Übergangskompromissen gesucht wird, ein Gebilde, was wiederum auf Jahre neue Konfliktherde vorzeichen wird, kann möglich sein. Eines steht fest: Es wird niemals mehr ein vertrauensvolles, halbwegs normales oder gar kooperatives Zusammenleben zwischen Serben, Albanern, Kroaten und Slowenen geben.

Während sich die Kriegsdiplomatie bei ihrer Suche nach einer 'Friedensordnung' sich bisher in die unsinnige Vorstellung verrannte, eine solche Utopie sei auf der Basis einer Zugehörigkeit des Kosovo zu Jugoslawien möglich, mit dem Ergebnis, daß MILOSEVIC beinahe unangefochten seine tyrannische Herrschaft ausüben konnte und kann, den Großserbischen Nationalismus - gestützt auf Panzer und Paramilitärische Einheiten - propagiert, täglich Fakten schafft und die Staatsminister nasführt, spielte sich bereits vor Jahren ein Elendsdrama im Kosovo ab. Da mag man einwenden, daß das immer bei Kriegen so war, und  daß sie immer Vertreibung, Flüchtlingselend, elementare Verstöße gegen die Menschenrechte mit sich brachten; nur ist die Fast-Ausrottung der Kosovo-Albaner eine neue Dimension in Europa, und das Schweigen der westeuropäischen Staaten schon fast unverzeihlich.

Hier hätte sich endlich dem säkularisierten Abendland noch eine   Chance geboten, für die elementaren Menschrechte einer bedrängten Minderheit einzutreten. Aber diese Gelegenheit ist vertan, nicht wieder gut zu machen.

Die dargebotene Passivität - denn sie ist es, wenn an das Jonglieren mit den Flüchtlingen gedacht wird, an ihrer 'Notaufnahme' durch die Staaten, die sie durch ein Raster laufen lassen - wird auch nicht kompensiert durch den Massenapplaus für die angelaufenen Hilfen.

Der Verdacht drängt sich auf, daß mit den Flüchtlingen ein übles Spiel getrieben wird: Staatenlos, abgeschoben, im Niemandsland allein gelassen, schutzlos den Serben ausgeliefert, massakriert und den Geist auf immer zerfetzt - das kann nur als unerträgliche Herausforderung empfunden werden.

'Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu   schützen ist die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.' (Artikel 1 GG).

Hat der Artikel vielleicht ganz andere, geheime Beweggründe; meint   er vielleicht, daß die staatliche Gewalt uantastbar ist, das es gilt, sie zu schützen, und damit eine Verpflichtung auf den Menschen an sie selbst zurückgegeben wird? Erstaunlich ist die Lethargie, die hier zur Schau getragen wird: Flüchtlinge werden zur Routineveranstaltung, zum Hauptargument um nationale Identitäten zurückzugewinnen, eine tiefe Sehnsucht um das Individuum vorgaukelnd, wehleidig, tränenvoll, aber doch der schändlichen Preisgabe ausgesetzt. Die gleichen Mächte, die heute politischen Pluralismus, Ethnen- vielfalt, Menschenrechte einfordern, waren diejenigen, die den abscheulichsten Diktaturen huldigten, und sich damit rühmten, die Regierungskunst von den Vätern geerbt zu haben. Dafür mußten Millionen Menschen sterben, lagen verhungernde und verdurstende Flüchtlingsmassen auf den Leichenfeldern der Geschichte, über deren Martyrium sich bereit das Leichentuch des Schweigens gebreitet hat.

Die dramatische Darstellung ihrer Leiden - die ohne Abstriche nun wirklich Leiden sind - kommt den Medien zugute, die ein sinnloses Gemetzel aufbereiten und den Fernsehkonsumenten unter die Augen schieben. Völkerrechtliche Bedenken gibt es hier offensichtlich nicht. Der Westen hat auf einmal das 'Friedensbewegte' in Europa entdeckt, auf dem Rücken der Flüchtlinge. Aber er trägt für das unermäßliche Leid, das ihnen angetan wurde, primäre und entscheidende Verantwortung. Die 'Reinigung des Volkskörpers' gehörte immer mit zur Errichtung einer 'hierarchischen Rassenordnung', die durchaus als 'Krankenge- schichte der Moderne' bezeichnet werden kann; denn der National- sozialismus, der Rassenstaat, hatte neben den Juden auch Sinti und Roma, 'Erkranke' und 'Asoziale' aus der 'Volksgemeinschaft' ausge- geschlossen, sie ihrer Rechte beraubt, verfolgt, verfemt und für vogel- frei erklärt. Der Schatten der Vergangenheit holt die Mörderbanden heute ein. Ihre Institutionen wurden ihnen zum Verhängnis, ihre Ideologien wa- ren nationalistisch inspiriert, ihr Staatswesen verselbständigte sich, wurde in furchterregende Exempel umgesetzt.

Die Irrungen und Torheiten des Westens haben eben auch jene Instinktlosigkeiten hervorgerufen, die darauf insistieren, daß ihre Territorien zu klein seien, um Flüchtlinge in großer Anzahl aufzuneh- men und ihnen ein langfristiges Bleiberecht zu gewähren. Da wird aufgerechnet, abstrahiert, verglichen, wie etwa das Pe- troleum,- mit dem Ölvorkommen von Kuwait; Menschen auf dem Fruchtmarkt feilgeboten, wie eine Ware; wenn sie vergammelt ist, auf den Müll geworfen - das klingt so gespenstisch, daß man sich wegen seiner eigenen unerträglichen Degenerierungen schon schämen muß. Das schreckliche Menetekel, das an der Wand erscheint, erinnert an den Dilettanten CHURCHILL, als er in Jalta (Februar 1945) mit STALIN die (demokratischen) Garantien und Chancen der osteuropäischen Staaten durch absurde Prozentsätze zu fixieren suchte. Die 'Hilfe' des Westens ist zu Anachronismus geworden, weil er nie wirkliche Armut bekämpfte, und nie dafür gesorgt hat, daß Menschen als Menschen behandelt werden. Leider wird Moral importiert, scheint festgelegt, wird von den Religi- onen oktroyiert und erscheint als kleinbürgerliche Vorstellung, der wir aufgesessen sind; über den Krieg zum Frieden - tatsächlich? Doch erst erscheint der Krieg, und mit ihm tritt das Leiden auf, der Zivilisten, der Angehörigen, der Opfer, der Täter, der Unterlege- nen, der Besiegten; der Menschen, die vertrieben werden, die flie- hen, um mordenden Banden zu entkommen. Die 'Glücklichen' sind die, die wenigstens ihr bißchen Leben retten konnten, wenigstens ihr Leben. Sie müssen alles zurücklassen, was sie sich über Jahre und Jahr- zehnte hinweg aufgebaut haben; es fällt uns schwer, das zu begrei- fen. Worauf sie warten, was sie erwartet, was aus ihnen wird, wissen sie nicht - das ist so furchbar, daß uns dieses Schreckenszena- rio vielleicht noch Jahrzehnte verfolgen wird! 50 Jahre 'danach' ist Musik in den Ohren.

Der Krieg endet oft tödlich, für viele, sehr viele. Die Fernsehbilder vom Balkan sind keinem Science-Fiction Film entnommen, oder den plumpen Versuchen, den amerikanischen Bürgerkrieg 'nachzuspielen'. Nein, er ist Wirklichkeit in Europa. Der Balkan - 2 Flugstunden von uns entfernt - ist nicht so weit weg, daß wir uns gemütlich ins Kaffee setzen, um über belangsloses zu schwadronieren.

Erstmals nach dem 2. Weltkrieg sind deutsche Soldaten im Kampf- einsatz. Es ist kein Spiel mehr, keine Übung, nach der man sich auf ein Bier trifft. Das hier, vor unserer Haustür, ist Ernst, ernster kann es nicht mehr sein. Es ist Krieg, auch wenn die NATO z. Zt. 'nur' mit Flugzeugen und Raketen angreift, um den Schlächter MILOSEVIC in die Knie zu zwingen. Krieg legt die Verteilung der Produktion lahm, auf Dauer, die gesellschaftliche Kaufkraft, Krieg vernichtet sie, die Produktionszweige, die Profitabilität, ganze Völker mußten in Kriegen darunter leiden, weil es einen Zusammenhang zwischen Mangel und natürlichen Res- sourcen gibt.

Kriegswirtschaft ist auch Mangelwirtschaft und zeigt die Verknappung von Gütern, Materialien und Maschinen an, die immer wie- der exemplarisch neue Krisenerscheinungen, Katastrophen und unhalt- bare Zustände hervorrufen. Kriegselend ist Flüchtlingselend, nicht nur für einen Großteil der Weltbevölkerung, sondern real auch hier in Europa, wo die barba- risierten Zustände die 'Normalität' täglich ad absurdum führt. Die sich vollziehende gewaltsame Vertreibung von Menschen läßt den KANTschen Impetus vom 'Ewigen Frieden' wie eine Farce erscheinen, er bringt genaus das Gegenteil hervor.

Eine Kulturgeschichte, die sich an den Horrorvisionen der Television in ihrem vermeintlich höchsten Triumph glaubt: Uns kann so etwas nicht passieren!!

Eine Welt, die den Automatismus predigt, deren Institutionen aus gewaltbereiten Henkern bestehen, politischen Repräsentanten, die Friedensnobelpreise empfangen, die mit der ultima ratio militärische Gewalt durchsetzen, damit jede menschliche Spielregeln durchbrechen, sich damit legitimieren, daß den 'Friedensstörern' saures gegeben werden muß, wird weiter in blinden Gewaltausbrüchen enden müssen, da der globale Verteilungskampf keine 'menschen-freundlichen Mächte' mehr zulassen wird.

Das Beispiel der 'Dritten Welt' ruft in Erinnerung, daß die eigentliche Zerstörung mit Progromen und Bürgerkriegen dem Westen womöglich erst noch bevorsteht: Der Verteilungskampf um die Pfründe hat längst begonnen, und mit äußerst großer Brutalität rufen sie auch die Flücht- lingsströme hervor, durch die systematische Zerstörung der ökologi- schen Grundlagen des Lebens für Millionen Menschen. Schaut man sich die Sahel-Zone an, die Vertriebenen des Krieges zwischen Äthiopien und Eritrea, wird einem Angst und Bange. Es ist möglich - und die Warenproduktion der Moderne kennt keiner- lei Rücktsichtnahme - daß es bald Gebiete auf der Erde geben wird, die zu einem erheblichen Teil aus Flüchtlingsgebieten bestehen, aus Völkern, die in den Kriegen aufgerieben werden, zwischen den Fronten geraten, an denen 'ethnische Säuberungen' durchgeführt werden (wie auch an den Kurden) - eine so erzeugte neue Völkerwanderung?

Wenn immer mehr Menschen im globalen Vernichtungs- und Verteillungskampf auf der Strecke bleiben, dann wird es auch keine Insel der Seligen mehr geben, wo man zufrieden - wie einst Robinson und Freitag - leben könnte.

Bedroht sind wie im aktuellen Fall alle Verliererregionen der Erde, die Outlwas, überflutet mit Flüchtlingen und illegal Einreisenden, damit überlasten sie zusätzlich noch die bereits am Rande des Existenzminimumlebenden. Und so trägt man wissentlich an der Destabilisierung der ökonomischen Grundlagen dieser Länder bei. Montenegro, Mazedonien und das 'Armenhaus' Europas, Albanien, werden unweigerlich in neue Katastrophen hineinschlittern, weil sie wenige Möglichkeiten haben, die re- ale Not zu lindern, und weil vom Westen selektiert wird; Flüchtlinge in das bürokratische Fegefeuer hineingeraten; denn ohne Paß und Nach- weis eines 'festen Wohnsitzes' bleibt nur noch das grobkörnige Raster der tatterigen Wach- und Schließgesellschaften des Westens: Letztend- lich der Ausschluß aus dem 'Gemeinwesen'. Wenn Menschen in Hunger und Verzweifelung getrieben werden, dann hat das gemeingefährliche System versagt. Es ist nicht mehr ein Warnsystem, sondern eines, daß sein Scheitern selbst hervorgerufen hat. Die Leidtragenden sind am Ende die Menschen dieser EINEN Erde. Wir fühlen uns ja sooo sicher! Die Frage die offenbleibt: Wie lange noch?

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