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KOSOVO Antikriegsseite


GELSENKIRCHEN, 19. 06. 1999

Mitten in die Dinge hinein
DIE VERKAUFTE ILLUSION

von DIETMAR KESTEN

Als der amerikanische Präsident BILL CLINTON sich vor einigen Monaten im Repräsentantenhaus dafür stark machte, daß die US-Rüstungstechnik auf den neusten Stand gebracht wird, hatte er womöglich bereits bestimmte Krisenherde im Visier, in denen das bisherige Rüstungspotential der Amerikaner getestet werden sollte.

Der Jugoslawien-Krieg war unter dem Aspekt des 'Testfalls' allerdings eine hinkende Logik; denn konsequenterweise kam er nicht ohne wesentliche Zugeständnisse aus, die an die Rüstungsindustrie gemacht wurden: Der Bombenkrieg ums Kosovo war eine Schau überlegener Rüstungstechnik, der sehr verkaufswürdig ausgefallen sein dürfte.

CLINTON hatte bereits zu Beginn seiner Amtszeit die US-Rüstungsindustrie dazu aufgefordert, sich stärker auf den Export zu konzentrieren, um somit wieder in den Kreis der Produktion und des Profits einzutreten.

Seither gab es eine beispiellose Fusionswelle: Lockheed, Northrop, Martin-Marietta konkurrieren nicht mehr gegeneinander, sondern gemeinsam gegen Europa und Asien.

In dieser Zwickmühle stehend, muß Europa den künftigen Weg skizzieren, auf dem es der überstarken Großmacht etwas entgegenzusetzen hat und sie letztlich übertrumpfen kann.

Durch die Beteiligung Deutschlands am JugoslawienKrieg, hatte es seinen Einstand gegeben, und eine zutiefst pessimistische Beurteilung der zukünftigen 'Eurovision', speziell der deutschen Kraftentfaltung, dürfte jetzt unwiderruflich sein.

Ausgerechnet der Balkan, der Brennpunkt der europäischen Geschichte, könnte wieder einmal den Teufelskreis von Krieg, Elend, Vertreibung, Verarmung -und wieder neuer Kriege ebnen.

Die USA haben die europäischen Mächte, allen voran Deutschland, in eine 'Allianz' hineingezwängt, aus der sie nur schwer wieder herauskommen dürften. Vor zehn Jahren mit dem Fall der Mauer und der Sowjetunion schien ein ungeheures latentes Gewaltpotential gebrochen. Mit zunehmender Modernisierung und Globalisierung wurde seit dieser Zeit regelmäßig versucht, die unüberbrückbare Kluft zwischen Ideal und Wirklichkeit, zwischen Abschirm-Diskussion und Ausweich-Dispersion, zwischen Verkennung der tatsächlichen Realitäten und Ausweichmannövern durch Zwang und damit einhergehende Ideolisierung der Verhältnisse zu schließen.

Diese Strategien und Taktiken der westlichen Mächte liefen darauf hinaus, zu extrahieren, wo künftige 'Gefährdungsgebiete' liegen könnten, die eine Daseinsberechtigung der NATO ausmachen.

Die Winkelzüge der westlichen Diplomaten, die zunächst eine schier hoffnungslose Aufgabe übernommen hatten, wurden schon bald mit Erleichterung quittiert; denn die Illusion verflog, daß Osteuropa seit dem 'großen Aufbruch' den Weg in die eine wie auch immer geartete Freiheit nehmen würde. Ein latent vorhandener politischer Nationalismus war neben zahllosen anderen Unwägbarkeiten die Zukunft einer Reihe ehemals mehr oder weniger strammer marxistischer Staaten östlicher Prägung.

Es zeigte sich sehr bald, daß ein polnischer Nationalismus die Sowjetunion erhitzen würde, daß Rumänien und Bulgarien, aber auch Ungarn, die Tchechoslowakei und die jugoslawische Förderation den Hang zu politischen Verlustunternehmen hatten, und das Modernisierung die Bevölkerungsmehrheiten in immer tiefere ökonomische Desaster hineinführte.

Polen war im Dezember 1990 dafür ein Paradebeispiel: Als damals die polnischen Streitkräfte bei der deutschen Bundesregierung vorstellig wurden, um freigewordenes Kriegsmaterial der Ex-NVA der DDR zu Ramschpreisen zu erwerben, fiel der Blick mehr und mehr auf eine desaströse wirtschaftliche Verwahrlosung nicht nur Polens, sondern aller ehemaligen Ostblockstaaten. Die ethnischen Minderheiten wurden überall vertrieben, drangsalisiert und systematischen waghalsigen stragegischen Planspielen unterworfen, in der Regel von der Weltöffentlichkeit nicht wahrgenommen.

Wie einst CEAUSESCU in Rumänien, der als unerbittlicher Tyrann und Autokrat Schrecken und Elend verbreitete, so konnte sich der serbische Chauvinist und Neostalinist MILOSEVIC, der nur an der Erhaltung seiner Macht interessiert war, nur mit Mord, Vertreibung, Vergewaltigung, Gefangenhaltung, Folter, Verstümmelungen, Plünderungen und Zerstörungen in Erinnerung rufen. Und spätestens im Mai 1989 (MILOSEVIC wird Präsident) gebärdete er sich durch die folgende systematische Unterdrückung der Kosovo-Albaner offen irrational.

Über seine ganze Volksrepublik hatte er ein unterbittliches Repressionsund Spitzelsystem verhängt, das mit seinen Methoden an das einstige osmanisch-türkische Reich auf dem Balkan anknüpfte.

Aufbegehren von Minderheiten wurden z. B. im Kosovo bereits schon ab 1981 im Ansatz erstickt. Das 'Genie der Karpaten' (hier gleichen sich im übrigen CEAUSESCU und MILOSEVIC) wurde mit massiven Geldspritzen aus dem Westen immer wieder unterstützt, und niemand kam auf die Idee, daß dieser schwelende Territorialkonflikt nicht nur Jugoslawien außer Rand und Band geraten läßt, sondern das weitere alte nationale Gegensätze zur Destabilisierung der ohnehin schon prekären Lage beitragen: Ungarn gegen Rumänien, Slowenen und Kroaten gegen Serben, Bulgaren gegen Türken, dann die Albaner gegen die Serben. Das Erwachen der alten Gespenster begann mit dem blutigen Bosnien-Krieg -und im Sommer 1991 bewirkte das überdimensionale US-Engagement am Persischen Golf eine fatale Lähmung der westlichen Diplomatie, die sich selbst in Rambouillet noch nicht erholt hatte. Hatte Washington auf dem Höhepunkt der RumänienKrise einst die Sowjets noch dazu ermuntert, militärisch in Bukarest zu intervenieren, um Ruhe und Ordnung wiederherzustellen, so hatte die Europäische Gemeinschaft und das Atlantische Bündnis nur lauwarme Mahnungen für Bosnien-Herzegowina über. Die regionalen Konflikte brodelten weiter; mit jedem Tag Krieg in Bosnien wurden die Daumenschrauben enger gezogen, bis der Westen selbst in diese Fänge geriet und von ihnen gefesselt wurde.

Offenbar war daß das Startzeichen für die deutsche Diplomatie, die unter KLAUS KINKEL im September 1992 den Anspruch Deutschlands bekräftigte, einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu bekommen. Daß es dabei auch um handfeste 'vitale Interessen' gehen sollte, zeigte die durchgreifende Militarisierung der deutschen Außenpolitik, die mit dem GolfKrieg im Frühjahr 1991 verbunden war. Der damalige NATO-Sekretär, MANFRED WÖRNER, gehörte zu den Männern der ersten Stunde, die bereit waren, den NATO-Auftrag grundlegend zu ändern, der vorsah, überall auf der Welt 'friedenssichernd' aktiv zu werden.

Eigentlich ging es danach Schlag auf Schlag: Im November 1992 erließ der damalige Verteidigungsminister RÜHE die 'verteidigungspolitischen Richtlinien', die in sich die 'erweiterte Landesverteidigung' einschloß; im Juli 1994 konnte das Bundesverfassungsgericht feststellen, daß 'künftige Auslandseinsätze der Bundeswehr zu billigen sind'; dem folgte im Dezember 1994 die sog. 'außenpolitische Notgemeinschaft', mit dem Hinweis auf die Berechtigung der Stationierung deutscher Soldaten in zahlreichen Kriegsgebieten (Bosnien-Konflikt, Blauhelm-Aktivitäten, Tornado-Einsatz im Bosnien-Krieg); schließlich wird die Bundeswehr mit ihren deutschen Soldaten im März 1999 per Beschluß des deutschen Bundestages dazu verpflichtet, die Staatengemeinschaft im Krieg gegen Jugoslawien mit deutschen Tornados zu unterstützen.

Desweiteren wird beschlossen, starke Kontingente für die 'Friedenssicherung' im Kosovo bereit zu stellen.

Deutsche Soldaten befinden sich seit dem Frühjahr per Stationierungsbefehl in einer Reihe von osteuropäischen Staaten (Mazedonien, Albanien, Bosnien, Montenegro).

Damit fiel endgültig auch ein vierzigjähriges Tabu: Die gesamte deutsche Außenund Militärpolitik wurde über ein gutes Jahrzehnt hinweg ständig militarisiert. Mit dem politischen Machtwechsel in Deutschland, durch Rot/Grün und dem Wechsel im Kanzler und Außenministeramt (SCHRÖDER/FISCHER) trat die deutsche (Balkan-)politik in die Phase der Infiltration ein, was man an ihrer ökonomisch-strategischen Linie der Handelspolitik ablesen kann. Der Kölner-Gipfel beschloß u. a.für die 'europäische Verteidigungsund Sicherheitsidentität' die notwendigen finanziellen Sicherheiten zu schaffen, um damit ihr 'militärisches Krisenmanagement' zu unterstreichen, was heißen dürfte, daß der Grad praktischer europäischer Zusammenarbeit die 'militärische Befriedung' des Balkans zu erbringen habe. Dafür stehen Milliardenbeträge bereit, die über den Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und die WTO abgerufen werden können. Zusätzlich bedeutet die Vorgabe des Kölner G-7 Treffens, den 'ärmsten Ländern der Welt 40 Prozent ihrer Schulden zu erlassen', nichts anderes, als die 'Kultur der Zurückhaltung' aufzugeben, um damit zu beginnen, Ansprüche durch Schaffung von Abhängigkeiten zu realisieren, weitere ökonomische Instabilitäten zu erzeugen und Weltpolitik nach dem Motto von 'penetration pacifique' zu betreiben.

Dabei ist die besagte Handelspolitik (Zollsenkungen Öffnung der Märkte, Liberalisierung des Welthandels, Vorschriften zum Schutz von Konkurrenten, Infiltration durch Ausweitung des Handels, Erschließung von neuen ökonomischen Einflußzonen) bereits jetzt schon ein Zeichen des seit langem geführten Handelskrieges, die allesamt die Globalisierung der Moderne beschleunigen.

Bis zum Ende des Sommers sollen rund 50. 000 Soldaten für das Kosovo bereitstehen, um die Rückkehr der Vertriebenen zu garantieren; 30. 000 Mann überwachen zusätzlich in Bosnien die Einhaltung des Dayton-Abkommens, und vermutlich müssen für den gesamten Wiederaufbau der Krisenregion weitere Kontingente auf Jahre hinaus zur Verfügung gestellt werden.

Die Bundeswehr dürfte einschließlich der in Bosnien stationierten Soldaten bald ca. 15. 000 Mann auf dem Balkan haben.

Die Armee 'müsse modernisiert' werden , erklärten unlängst hohe deutsche Militärs. Doch tatsächlich geschieht das bereits seit 1991 gnadenlos, und selbst ein Berufsheer und die Zwangsrekrutierung (unbegrenzte Aufstockung des Heeres mit Reservisten) von Bürgern aller Altersklassen und schichten, ist wieder im Gespräch, was im übrigen nach der Notstandsverfassung auch weiter zu jedem Zeitpunkt möglich ist. Die 'europäische Harmonisierung' scheint sich zur 'politischen Einkreisung' zu entpuppen. Die deutsche Kerneuropaidee mit dem Wegfall der Grenzen (Schengener Abkommen) und der künftigen einheitlichen Währung, dem Euro, kann weitere Grundsteine für einen neuen großdeutschen Expansionismus legen, eben Grenzen und Staaten nicht zu akzeptieren; eine Konstante in der deutschen Außenpolitik seit BISMARCK.

Die präzisen Folgen dieses Balkan-Aktes werden vermutlich erst später zutage treten. Der Balkan wird zu weiteren Unternehmungen ermuntern, er wird eines der Krisen-Interventionsgebiete bleiben, und die Bundeswehr-Planer werden dem Rechnung tragen: Das wird bedeuten: Truppenteile zu verstärken (Bereitstellung einer sog. 'schnellen Eingreiftruppe' mit ca. 50. 000 Soldaten); Übernahme polizeilicher und paramilitärischer Aufgaben (Erneuerung von Satelitenaufklärungssystemen, Luftabwehrsysteme); Aufhebung der massiven Abhängigkeit von amerikanischen Flugzeugen, Marschflugkörpern etc. durch den Ausbau von Marine und Luftwaffe (dafür sollen in den nächsten Jahren runde 7 Milliarden DM ausgegeben werden); und vor allem müssen angesichts der jüngsten BalkanErfahrungen alle anderen Waffensysteme im EU-Arsenal auf den Prüfstand. Das dürfte sich auf Kampfhubschrauber, Panzer, Haubitzen, Ablösung des Tornados durch den Euro-Figther usw. beziehen. So wird der Balkan für die westlichen Modernisierer zum 'defining event', zum prägenden Ereignis und die Einmischungspflicht, die gerade die deutsche Diplomatie in den letzten Monaten auszeichnete, wird nationalistisch inspiriert werden, sich verselbständigen und territoriale Integritäten auch über den Balkan hinaus mit den Füßen treten.

Entscheidend wird die künftige Orientierung Deutschlands sein, ohne deren Gewicht in der EU die geographische Schlüsselstellung nicht machbar erscheint. Dazu wird es eine Reihe von Absprachen, begrenzter Zusammenarbeit, Kräfteverlagerungen, politische und wirtschaftliche Veränderungen in Mitteleuropa geben müssen.

Kommt es doch darauf an, die gewittrige Weltzone nachträglich zu verändern durch staatliche, polizeilich-militärische Unterdrückung, durch politische Diktaturen und autoritäre Staatsführungen. Daneben wird die marktwirtschaftliche Modernität durch eine katastrophische Entwicklung dafür sorgen, daß die Höllenfahrt des warenproduzierenden Systems unvermindert fortschreitet.

'Rette sich, wer kann!' heißt also die Devise, die so bewundernswert ist, daß die sowieso schon begrenzte politische Meinungsfreiheit in Deutschland beachtlich erscheint. Die Avantgarde der neuen Modernisierungsprojekte laufen unterdessen auf die Titelverteidigung des warengesellschaftlichen Systems hinaus. Den stattfindenden Krisenprozeß durch das Festhalten an die Fiktion von Arbeitsgesellschaft, der Ware-Geld-Beziehung, Nationalökonomie und etatistischer Marktwirtschaft können sie jedoch nicht ummodeln, geraten damit schließlich in die unausweichliche Defensive.

In dieser Situation auch um weitere interne Erosionen zu beseitigen versuchen SCHRÖDER und BLAIR den endgültigen Kollaps eines total verkommenen modernisierten Staatsund Wirtschaftssystems zu vermeiden, und noch einmal die Geschichte einzufordern, den Niedergang zu vermeiden, die innere Spaltung der Demokratie zu überwinden. Auf der Suche nach internationaler Einstimmigkeit legten sie Anfang Juni die gemeinsame Erklärung 'Der Weg nach vorne für Europas Sozialdemokratie' vor: Der letzte Modernisierungskurs? SCHRÖDER/BLAIR fordern darin eine 'neue soziale Gerechtigkeit' mit 'gegenseitiger Verantwortung' und die 'Politik des Dritten Weges'. Vielleicht sind sie hier ein wenig Verbalradikaler als ihre sozialdemokratischen Vorgänger oder üben etwas mehr 'freundschaftliche Distanz' zu den Kapitalistenverbänden, sie bleiben aber mit ihrer Erklärung auf die Modelle der Moderne fixiert, versuchen im Widerspruch zwischen Marktmodernität und brutaler Arbeitsgesellschaft den Bürgern Sozialleistungen, Steuererleichterungen, Reduktion von Staatsausgaben, Einkommensund Rentensicherung zu versprechen.

Aber es ist wiederum der Staat, der hier sein häßliches Gesicht zeigt, und mit seinen 'inneren Gemeinkosten' sich des äußeren Konkurrenzdrucks erwehren muß.

Im Zuge der Globalisierung und Modernisierung soll die Welterrungenschaft eines 'Dritten Weges', der in seiner Vorstellung schon längst auf den Misthaufen der Geschichte gehört, die politische Gerechtigkeit bringen, von der man in den Führungsetagen von Rot/Grün noch träumen mag.

Wird das hinterfragt, dann ist das Ergebnis mehr als niederschmetternd: Der Weltmarkt selber ist es, der die hochproduktiven Produktionszentren der Welt mit Waren überschwemmt und gleichzeitig die vorhandenen Industrien niederwalzt.

Das führt zur substantiellen Verlustigkeit des Faktors Arbeit, dem Zusammenbruch dieser und dem ohnehin schon latent zu beobachtenden globalen Kaufkraftdesaster. Auf dieser Ebene hat sich die Weltmarktentwicklung schon lange ad absurdum geführt.

Der Clou: SCHRÖDER/BLAIR versprechen die 'Flexibilität der Arbeitsmärkte' und 'Jobs, Jobs, Jobs', in einer Zeit, in der das Abschmelzen der Arbeitssubstanz weltweit den objektiven Krisenprozeß bestätigt, und in dieser seiner dramatischen Zuspitzung hat gerade die SPD seit dem Regierungsantritt das selbstproduzierte Elend durch eine brutale Krisenverwaltung auf die Spitze getrieben. Der jüngste Streich dieses generalmobilmachenden Szenarios ist die Rentendebakeldiskussion, die der Arbeitsminister und einstige IGM-Mann, RIESTER, vom Zaun gebrochen hat, und damit eine künftige Option zur Unfinanzierbarkeit des Staates im kommenden Jahrhundert entschlüsselt.

Der GIDDENSFreund BLAIR meint den Schlüssel für alle gesellschaftlichen Probleme im 'Umbau des Sozialstaates' gefunden zu haben und setzt wie SCHRÖDER auf 'Eigenverantwortung', auf 'neue Jobs' und Abbau von 'Rigidität und Überregulierung': Diskussion an einer Gespensterdebatte!

In der simulativen 'Lösung' der Krise der Arbeit steckt das Bedürfnis, den barbarischen Charakter dieser zu verschleiern und die Warengesellschaft um jeden Preis mit aller Gewalt zu erhalten. Die Zugeständnisse, die dabei gemacht werden, sind nur Zugeständnisse an die eigenen Strategien, die den Perfektionismus der politischen Bergpredigten auf die Spitze treiben. Die Warengesellschaft mutiert auch hierzulande immer offensichtlicher zu einer Gesellschaft der neuen Armut, mit einem Armenheer und kommender Verelendung. Wenn die Opfer der 3. technologischen Revolution Millionen entfremdeter Menschen sein werden, nicht mehr in irgendwelche Arbeitsmärkte hineinintegriert werden können, dann stellt sich mit Bitternis die Frage, ob das SCHRÖDER/BLAIRProgramm nicht eines ist, daß den politischen Feldzug durchs Fegefeuer predigt? Die von der Modernisierung geschwängerte SPD macht aus der Not eine Tugend und will in den Gesamtmechanismus schlichtend eingreifen.

Man könnte auch sagen: Das Haus Europa verlangt auf Jahre hinaus die Erfüllung der Maastricht-Kriterien; es verlangt im direkten Gegensatz zur gemeinsamen Erklärung den weiteren Abbau von Sozialleistungen, die Beschneidung des gesamten sozialen Netzes (Gesundheitsfürsorge, Rentenund Sozialversicherungssysteme, Brüche im Lohnund Gehaltsgefüge etc.), und führt vermutlich in die weltweite soziale Desintegration mit gigantischen und hyperinflationären Wirtschaftskrisen. Daß ausgerechnet jetzt der programmatische Vorstoß gewagt wird, der mit dem Krieg in Jugoslawien fast zeitgleich die Öffentlichkeit erreicht, kann kein Zufall sein: Ein gesellschaftlicher Konsens mit der Partizipation am 'Wohlstand für alle' ist längst dahingeschmolzen und ist unter den gegenwärtigen Bedingungen ein Ergebnis des gesamtgesellschaftlichen Zusammenbruchs. Eine Doppelbotschaft nach dem Motto 'Wir schaffen das moderne Europa' ist nichts anderes als eine Verschiebung im Spiel der politischen Kräfte. Sie zeigt auch an, wie sehr sich SCHRÖDER/BLAIR auf eine neoliberale Wirtschaftsund Standortpolitik eingeschworen haben. Sie zeigen auch wofür sie stehen und wogegen sie sind, und was von ihnen zu erwarten ist.

Sie haben im Positionspapier versucht, alte Schwächen der Sozialdemokratie zu modernisieren, und sind dabei auf halbem Wege steckengeblieben. Es git: Das Primat der Ökonomie auch in Krisenzeiten durchzusetzen und den Glauben an die Möglichkeit eines neuen Anfangs der Warenwirtschaft aufrechtzuerhalten.

Das warenproduzierende System selbst ist es, daß diesen Gedanken als wahnwitzige Idee geißelt, und es wird weder auf nostalgische Stimmungen, auf brüderliche Einigkeitsbestrebungen, noch auf eine 'sozialisierte Generation, einer 'neuen Linken', 'halblinken' oder 'sozialistischen Linken' insistieren. Das ist nichts anderes als die schäbige Idee der sozialdemokratischen Rhetorik, die immer in Krisenzeiten ihr wahres Antlitz gezeigt hat.

Darum ist gerade sie so besonders gefährlich, weil sie die Illusion von der Wandelbarkeit des modernen Kapitalismus schürt, und weil sie ihre Klientel der 'Neuen Mitte' materiell und moralisch annehmbar machen will.

SCHRÖDERs Stabilitätsbedingungen sind BLAIRs Marschrichtungen auf der Zinnenund Trutzburg; beide zusammen proben das Halali in den postsozialen Individualismus.

Mit dem Jugoslawien-Krieg und der Gesamtkrise auf dem Balkan ist ein neues beklemmendes Abenteuer entstanden: In diesem Teil der Welt kann sich eine völlig neue Entwicklung einleiten. SCHRÖDER/BLAIR haben schon mal die Botschaft des 'European way of Life' verkündet jene illusorische Verheißung, die bei einer Wiedergeburt an die Pforten Mitteleuropas klopfen könnte. 'TEMPORA MUTANTUR, ET NOS MUTAMUR IN ILLIS!' (Die Zeiten ändern sich, und wir ändern uns in ihnen).  

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