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KOSOVO Antikriegsseite


Krieg im Paralleluniversum
Kursfeuerwerk und Bombenhagel gehören zusammen wie Science und Fiction

von Robert Kurz

Gute Nachrichten sind schlechte Nachrichten und umgekehrt. Jedenfalls oftmals an der Börse, die bekanntlich schon immer das Tollhaus des Kapitalismus war. Das liegt schlicht in der Natur der Sache: Während das betriebswirtschaftliche Management höchst prosaisch reales Kapital durch die Vernutzung von Arbeitskraft zu verwerten hat, wird an der Börse eine imaginäre Zukunft kapitalisiert. Wie in der Science fiction mit ihren Zeitspielen kann diese Zukunft beliebig viele Verlaufsformen nehmen; der Zeitpfeil erscheint im noch nicht realisierten Bereich als ein verzweigtes System von möglichen Parallelwelten.

So kann (im Gegensatz zum gesunden Menschenverstand) trotz wirtschaftlicher Verluste und verschlechterter Beziehungen zur örtlichen Mafia ein regionaler Krieg wie der gegen Jugoslawien eine gute Nachricht sein; vorausgesetzt, die Nato wird ihn gewinnen und weltmarktwirtschaftliche Ordnung auf dem Balkan schaffen. Umgekehrt wäre eine innerjugoslawische Kompromißregelung ohne Krieg und Vertreibung, aber auch ohne klare weltpolizeiliche Option der Nato für die Zukunft des Balkan, eine schlechte Nachricht gewesen. Das ist keine Frage der Moral, sondern der Phantasie des Geldes. Krieg mit Siegeserwartung treibt die Börse schon immer, wie die »Wirtschaftswoche« zu vermelden weiß: 1942 explodierte der Dow Jones beim Kriegseintritt der USA um 20 Prozent, 1950 beim Korea-Krieg um gut 30 Prozent, 1964/65 beim Beginn des Vietnam-Krieges um 28 Prozent. Und weil für die direkt und indirekt negativ betroffenen Länder das Gegenteil gilt, krachen die Kurse der Möchtegern-Emerging-Markets in Kroatien, Bulgarien oder Rumänien herunter.

Sogar wenn die Börsenkurse selber fallen, kann diese Nachricht für die Börse eine gute Nachricht sein; jedenfalls für den Teil, der auf Baisse gewettet und Verkaufsoptionen (Puts) termingerecht geordert hat. In diesem Fall wäre also die schlechte gute Nachricht, nämlich daß die Nato den Balkan-Krieg nicht in ihrem Sinne beenden kann, wieder eine äußerst gute schlechte gute Nachricht. Es geht eben ziemlich dialektisch zu in der Futurologie des reinen Geldkapitals. Ob der Ereignishorizont, auf den man wettet, dem Kapitalismus insgesamt nützt oder schadet, tut dabei gar nichts zur Sache. Das hat der Börsianer nun wieder mit dem Manager gemein, den die gesellschaftliche Gesamtresultante des betriebswirtschaftlichen Tuns und Treibens auch nicht zu scheren hat. Der Unterschied ist nur der, daß sich die erstere strukturelle Borniertheit im Himmel des Geldkapitals tummelt, die letztere dagegen auf der Erde des Realkapitals. Wenn die »unsichtbare Hand« um sich schlägt und ganze Erdteile verwüstet, trifft sie außer dem gewöhnlichen Menschen und dem Manager natürlich auch den Börsianer; aber es kann sein, daß der das erst mal gar nicht merkt. Zumindest in der Weltversion, in der wir gegenwärtig leben.

Natürlich gibt es zwischen Hausse und Baisse, zwischen Puts und Calls letztlich kein Nullsummenspiel. Wenn die Kurse über einen größeren Zeitraum dramatisch fallen, dann freuen sich zwar zunächst die jeweiligen Inhaber von termingerechten Puts, aber trotzdem kommt die Weltwirtschaftskrise und verschlingt zuletzt auch die glücklichen Schwarzseher. Damit die ganze Veranstaltung ein ewig wiederkehrendes Lotto bleibt, das man rund um die Uhr spielen kann, müssen die Kurse langfristig steigen. Die Einbrüche nach unten sind dann bloß das, was man »Korrekturen« nennt. Insofern dürfen die Baisse-Spieler nur das Salz in der Suppe abgeben und auf keinen Fall die ganze Richtung bestimmen. Die Börse kann zwar schaukeln oder, wie es so schön heißt, »volatil« sein; aber aufs Ganze gesehen muß es nach oben gehen. Weil die Finanzmärkte auf interpretationsfähige Oberflächenereignisse aller Art reagieren, reden die Hausse- und Baisse-Spieler jeweils eine bestimmte Zukunft herbei oder weg. Wenn die Veranstaltung auf Dauer funktionieren soll, muß dabei die Hausse-Tendenz überwiegen, also die kapitalistische Zukunft rosig sein. Was ja kleinere siegreiche Weltordnungskriege durchaus einschließt.

Andererseits können die Ausschläge in die eine oder andere Richtung auch nicht nur dem Zufall folgen, sprich: dem Meinungsgequatsche der Politiker, Notenbanker, Charttechniker und Börsengurus, von denen diese Zukunft interpretiert wird. Die Voraussicht solcher Herrschaften ist weitaus weniger präzise als die Interpretation des Vogelflugs oder die Eingeweideschau der Opfertiere durch antike Priester. Wenn man für die Vorhersage von Kursbewegungen Börsenprofis einerseits mit Hausfrauen konkurrieren läßt und andererseits mit Affen, die Pfeile auf eine Dart-Scheibe werfen, gewinnen in der Regel entweder die Hausfrauen oder die Affen. Die nutzlosesten Geschöpf der Welt sind nicht, wie noch Gustav Meyrink argwöhnte, mülltrennende Pastorengattinnen, sondern diese Palme gebührt den sogenannten Finanzmarktanalysten der Banken und Fonds, deren geistiger Horizont vom Bildschirm der elektronischen Börse begrenzt wird. Die Zukunft der Finanzmärkte ist also selbstverständlich keine Resultante der inkompetenten Voraussagen. Was die Kursbewegung letztlich treibt, kann eigentlich überhaupt keinem endemischen Prozeß des Finanzhimmels entstammen. Wie die Marktpreise realer Waren durch Angebot und Nachfrage nur um einen substantiellen Wert fluktuieren, der durch die Produktivkraftentwicklung bestimmt ist, so schwanken die Finanzmarktkurse (gewissermaßen in zweiter Potenz) um die Realakkumulation des Kapitals, die ihrerseits vom substantiellen Wert der realen Warenproduktion getragen sein muß.

Genau diese notwendige »Erdung« des Finanzhimmels ist durch die Entkoppelung der Finanzmärkte von der Realakkumulation (»Kasinokapitalismus«) seit den 80er Jahren beseitigt worden. Nur institutionell gesehen war das eine Folge der neoliberalen Deregulierung. Tatsächlich lag diese scheinbar rein politisch induzierte Enthemmung der Finanzmärkte in der Logik der an ihre Grenzen stoßenden Realakkumulation selbst: Die auf der Ebene des Realkapitals ökonomisch nicht mehr darstellbare Produktivität der 3. industriellen Revolution machte die (scheinbare) Verselbständigung des Geldkapitals und seiner spekulativen Bewegung geradezu unausweichlich. Seitdem haben wir es mit einer objektiv subjektivierten Science fiction des Finanzkapitals zu tun.

Diese nicht mehr »geerdete« Bewegung der Finanzmärkte wird, solange sie andauert, von keiner ökonomischen Gesetzmäßigkeit des Realkapitals begrenzt. Die »Volatilität« pendelt um keine substantielle Akkumulation, sondern wird willkürlich. Sogar auf den Zusammenbruch des Kapitalismus kann man wetten. Nebenbei bemerkt, ist dies die gesellschaftliche Grundlage von Beliebigkeit, Virtualismus und Maßstabslosigkeit in der postmodernen Ideologie. Für die Börse heißt das, daß die entkoppelte Kursbewegung tatsächlich von zufälligen Ereignissen, subjektiven medialen Interventionen und Interpretationen bestimmt wird. Der Abgang von Oskar Lafontaine als ein-deutig gute, gute, gute Nachricht war dem Seismographen der Finanzmärkte zufolge einige hundert Milliarden DM schwer; eine Woche später konnte das Börsengewicht des Herrn Lafontaine schon wieder gewissermaßen mit einer Briefwaage gewogen werden. Als Anzeiger für die Tendenz der Realakkumulation ist die Finanzmarktbewegung inzwischen ungefähr so sinnvoll wie ein Höhenmesser in einer Rakete auf dem Weg zum Mars.

Das Verhältnis von Maßstab und Gemessenem hat sich sogar auf den Kopf gestellt. Die Börse scheint die reale Warenproduktion zu bestimmen, die Interpretation der Zukunft die Gegenwart. Mit anderen Worten: Wenn man mit genügend Optimismus eine rosige Zukunft herbeiredet, wird sie nicht nur wirklich kommen, sondern trägt schon jetzt den Wirtschaftsprozeß. Die wundersam andauernde US-Konjunktur resultiert nicht aus einer gelingenden aktuellen »Verwertung des Werts«, sondern nur noch aus der Kapitalisierung der imaginären Zukunft, indem die Leute massenhaft ihre Kursgewinne beleihen und damit Waren kaufen. Daran hängt mittlerweile sogar die Weltwirtschaft.

Es ist also für die reale Warenproduktion unerläßlich geworden, daß alle paar Wochen die Sektkorken knallen, um ein neues Allzeithoch des Dow Jones zu feiern. Alle Börsen der Welt dürfen beliebig Achterbahn fahren, nur die in New York nicht. Wenn dort die Baissiers die Oberhand gewinnen, steht der Aufprall der Postmoderne auf die Realität bevor. Gerade der neue Balkankrieg konnte als Treibsatz dienen, um ein neues globales Kursfeuerwerk zu inszenieren, das nicht nur den Dow Jones über die phantastische Marke von 11.000 Punkten getrieben, sondern auch die europäischen und asiatischen Börsen gegen die realökonomischen Tatsachen in eine falsche Euphorie versetzt hat, die allerdings jederzeit umschlagen kann - etwa, wenn aus Versehen die eine oder andere chinesische Botschaft ausradiert wird und der Weltordnungskrieg sich überhaupt zu sehr in die Länge zieht. Der Auftrag der globalen Börsen an die Nato lautet daher: Nun siegt mal schön! Alles andere könnte den längst fälligen katastrophalen Crash auslösen.

Quelle: konkret 6/99

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