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KOSOVO Antikriegsseite


AP v. 10.06.1999

Die serbische Bevölkerung
blickt in eine ungewisse Zukunft

Menschen horten schon Nahrungsmittel für den Winter - Kein Geld für Reparaturen

Von AP-Korrespondentin Candice Hughes

Belgrad (AP) Es ist Sommer in Serbien. Die Menschen tragen Shorts und Sonnenbrillen und nippen in Straßencafes an eiskalten Getränken. Aber sie bereiten sich auch schon auf den Winter vor. Es ist ein unbehaglicher Frieden, der sich langsam in Serbien breitmacht. Das Land hat wenig Hilfe von außen zu erwarten, um all die Schäden zu reparieren, die die Nato-Bomben in den vergangenen Monaten angerichtet haben. Die Schätzungen, auf welche Summe sich die Schäden an der serbischen Infrastruktur belaufen, sind sehr unterschiedlich. Besonnene Beobachter gehen von mindestens zehn Milliarden Dollar aus.

Die Wirtschaft, der es schon vorher nach jahrelangem Krieg auf dem Balkan und damit zusammenhängenden Sanktionen nicht gut ging, liegt inzwischen völlig darnieder. Selbst mit ausländischer Hilfe würde es Jahre dauern, um die von der Nato zerstörten Brücken und Straßen, Raffinerien, Fabriken und Elektrizitätswerke wieder aufzubauen und dem Land wieder auf die Beine zu helfen.

Angesichts drohender Energieknappheit im kommenden Winter sind Holzöfen und Generatoren schon jetzt begehrte Waren, werden Kamine gebaut und Grundnahrungsmittel wie Zucker gehortet. Mehr als die Hälfte der serbischen Arbeitskräfte ist ohne Beschäftigung, und die industrielle Produktion steht so gut wie still. Wegen fehlenden Treibstoffs und Düngers wird erwartet, daß auch die Ernten dieses Jahr nur halb so groß ausfallen werden wie üblich.

Die Europäische Union und internationale Hilfsorganisationen wollen die Reparatur- und Aufbauarbeiten in den Nachbarländern Serbiens und im Kosovo unterstützen. Der Rest Serbiens soll aber so lange keine Hilfe bekommen, wie Präsident Slobodan Milosevic an der Macht ist. Während einige glauben, daß die wirtschaftlich schwierige Situation den Sturz Milosevics auslösen könnte, bezweifeln andere, daß dessen Macht in absehbarer Zeit gebrochen wird. Alle jedoch fürchten die schwierigen Zeiten, die auf sie zukommen. «Uns steht der wirtschaftliche Tod des Landes bevor», sagt Zoran Jelicic, Chef des unabhängigen Medienzentrums, voraus.

Das bescheidene kleine Haus der Familie Mitrovic hat Sprünge wie eine Eierschale. Tiefe Risse ziehen sich in wilden Mustern durch Backstein und Stuck. Decken und Böden sind von den Wänden getrennt, seit am 30. April eine Nato-Bombe nur 15 Meter entfernt in dem alten Belgrader Wohnviertel einschlug. Ein Nachbar starb, mehrere Häuser in der Umgebung wurden völlig zerstört, und die Wasserleitungen unterhalb der Straße barsten. Das Haus der Mitrovics wackelt nun jedesmal wie Pudding, wenn die schweren Räumfahrzeuge zur Beseitigung der Trümmer in Gang gesetzt werden.

Überleben mit 37 Mark im Monat

Marija Mitrovic wurde vor 60 Jahren in dem Haus mit vier Zimmern geboren und hat ihr ganzes Leben lang hier gewohnt. Jetzt sitzt sie tagein, tagaus unter dem Aprikosenbaum im Hof, weint und grübelt, was werden soll. Die Pensionärin arbeitete früher als Büroangestellte, ihr 64jähriger Mann Jordan verdiente sein Geld als Lastwagenfahrer. Sie schlagen sich mit einer kümmerlichen Rente von umgerechnet etwa 37 Mark monatlich durch. Ihr 25jähriger Sohn Lazar, ein Elektriker, ist seit zwei Jahren arbeitslos. Kurz gesagt, die Familie Mitrovic kann sich keinerlei Reparaturen an ihrem demolierten Haus leisten. Und weil so viele andere, größere und wichtigere Dinge ebenfalls in Trümmern liegen, rechnen sie auch nicht mit Hilfe von der Regierung. «Ich bin 64, und ich bin kaputt!», sagt Jordan. Ich kann mir nicht mal ein neues Hemd leisten, geschweige denn ein Haus zu bauen.»

Ein wenig hoffnungsvoller blickt Djorde Cvejic, ehemals ein aufstrebender Plastik-Magnat, in die Zukunft. Aber nur ein wenig. «Wir haben keine Kunden verloren», sagt der 47jährige in seinem Büro in der Belgrader Innenstadt stolz, dessen Firma Harze an zahlreiche Fabriken in Jugoslawien liefert. Es gibt allerdings ein kleines Problem: «Sie produzieren im Moment überhaupt nichts.» Dennoch glaubt Cvejic, der mehr als einen Balkankrieg überstanden hat, daß er es auch diesmal schaffen wird. Irgendwie. Das Material, das seine Firma herstellt, wird für zahlreiche Produkte verwendet, beispielsweise für Steckdosen und Schalter. Als Cvejic seinen Betrieb startete, hatte er allerdings mehr im Sinn als bloßes Überleben. Er träumte davon zu expandieren, neue Technologien nach Jugoslawien zu bringen, das Land für neue Märkte zu öffnen. «Und jetzt?», fragt er sich. «Wir sind völlig isoliert vom Rest der Welt. Jetzt sind wir verloren.»

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