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KOSOVO Antikriegsseite


http://www.ZEIT.de/archiv/1999/17/199917.kriegskosten_.html  Nr. 17/1999

Offene Rechnungen
Wie die Nato-Partner die Kosten des Krieges kalkulieren

Von Wolfgang Hoffmann

Präsident Bill Clinton bereitet den amerikanischen Kongreß schon darauf vor, ihm bis zu zehn Milliarden Mark für den Luftkrieg gegen Jugoslawien zu bewilligen. Verteidigungsminister Rudolf Scharping dagegen will vorerst überhaupt nichts von den Kosten des Kosovo-Einsatzes wissen. Als ihm der Unionsabgeordnete Dietrich Austermann unlängst vorhielt, 1,2 Milliarden Mark Bundeswehrkosten für das Kosovo nicht begleichen zu können, meinte Scharping nur, Austermann solle das erst einmal belegen.

Damit hat dieser kein Problem. Addiert man nämlich sämtliche Posten - den Bundeswehrbeistand in Bosnien, die Ausgaben für die nicht geplanten Kampfeinsätze im Kosovo, die Aufwendungen für die Stationierung in Mazedonien und für die Versorgung der Flüchtlinge -, kommt rasch ein Betrag von gut einer Milliarde Mark zustande. Austermann hat zudem noch die Etatrisiken der diesjährigen Besoldungserhöhung und den Dollarkurs einkalkuliert. Die Hardthöhe, die internationale Verpflichtungen in Dollar begleicht, hatte noch mit einem Kurs von 1,62 Mark gerechnet; jetzt liegt er bei 1,80 Mark. Fazit: Die Krise auf dem Balkan wird leicht 1,2 Milliarden kosten. Dann aber fehlen Scharping rund 750 Millionen Mark.

Das zu erwartende Defizit wäre allenfalls mit dem ursprünglich von Theo Waigel geplanten Wehretat zu begleichen. Der sah gegenüber dem Etat von Rot-Grün noch 500 Millionen Mark mehr vor.

Jede Woche Krieg kostet eine Milliarde Mark

Selbst wenn das Balkan-Defizit wider Erwarten geringer ausfällt, Ausgleich aus dem wiederholt zusammengestrichenen Wehretat ist nicht zu erwarten. Die Truppe ist chronisch unterfinanziert. Schon zeigen interne Kosovo-Analysen: Die Bundeswehr ist wieder mal nur bedingt einsatzbereit.

Um so weniger wundert, wenn sich der Wehrminister bei den Einsatzkosten zurückhält. Ein weiterer, vielleicht noch wichtigerer Grund gebietet Schweigen. Bonn geht zwar offiziell davon aus, daß jedes Nato-Land nur den jeweils eigenen Kosovo-Anteil bestreitet. Doch werden sich die Vereinigten Staaten kaum damit zufriedengeben, daß Deutschland nach dem gegenwärtigen Einsatz-Prozedere mit weniger als fünf Prozent der Gesamtkosten davonkäme. Angemessen wären - entsprechend dem deutschen Anteil am Bruttosozialprodukt der Nato-Länder - zwölf Prozent. Zu den 130 Millionen Mark, die Bonn der Kosovo-Einsatz bereits gekostet hat, käme dann ein zusätzlicher Beitrag in mindestens gleicher Höhe dazu.

Den Hauptteil der Lasten im Feldzug gegen Slobodan Milocevic tragen bisher eindeutig die Amerikaner. Generalleutnant a. D. Jürgen Schnell, vor Jahren Stellvertreter des Luftwaffeninspekteurs, schätzt den US-Anteil an den Kosten der Militäraktion auf 75 Prozent. Von den 680 eingesetzten Nato-Flugzeugen stellen die USA 500, darunter insbesondere die teuren Systeme. Der Anteil Deutschlands - 14 Tornados - macht ganze zwei Prozent aus. Auch die meisten Bomben und Marschflugkörper stammen aus amerikanischen Arsenalen. Nach Berechnungen des Washingtoner Center for Strategic and Budgetary Assessment zahlen die Amerikaner für den Luftkrieg Tag für Tag 20 bis 40 Millionen Dollar; gut eine halbe Milliarde Dollar war das in den ersten beiden Kriegswochen. Allein die weit mehr als 1500 Präzisionsbomben, die nach Expertenmeinung abgefeuert wurden, haben 100 Millionen Dollar gekostet. Die 220 Marschflugkörper, die Marine und Luftwaffe zündeten, kosteten pro Stück ein bis zwei Millionen Dollar. Bisherige Gesamtkosten: 300 Millionen Dollar (540 Millionen Mark).

Diese Berechnungen decken sich weitgehend sowohl mit der Kurzstudie von Schnell und dessen Mitarbeiter Gabriel Straub von der Bundeswehrhochschule München als auch mit den Schätzungen der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers in London. Aus den knapp 6000 Fliegeroperationen in den ersten drei Kriegswochen errechneten die Analysten durchschnittlich 350 Starts pro Tag mit einer Einsatzdauer von drei Stunden. Jede Flugstunde kostet rund 25 000 Mark. Die B-2-Bomber zum Beispiel starten von ihrer Basis im US-Bundesstaat Missouri nach Europa; Kosten für Hin- und Rückflug: 540 000 Mark.

Gemessen an den - bis Mitte April - auf insgesamt etwa drei Milliarden Mark addierten Einsatzkosten, sind die Verluste der Allianz gering. Die USA haben bis zu Beginn dieser Woche lediglich einen Tarnkappenbomber - Wert etwa 80 Millionen Mark - verloren. Die Bundeswehr meldet den Abgang dreier Aufklärungsdrohnen im Gesamtwert von 7,5 Millionen Mark.

Der Krieg ist aber noch nicht zu Ende. Amerikanische Experten rechnen bereits mit einer Fortdauer bis zu drei Monaten. In diesem Falle würden dann die Kosten auf mindestens 20 Milliarden Dollar (36 Milliarden Mark) steigen, heißt es in Washington. Das hält Exgeneral Schnell für zu hoch. Seine Rechnung: "Eine Projektion der Kosten bei unveränderter Einsatzintensität ergibt, daß ein fortgesetzter Einsatz bis zum 1. Juli 1999 den Nato-Staaten circa 12 bis 14 Milliarden Mark an militärischen Kosten verursacht." Jede Kriegswoche würde demnach eine Milliarde Mark kosten. Im Vergleich zu den Kosten der Kriege in Vietnam und im Irak sind dies geringe Beträge. Vietnam hat 720 Milliarden Dollar (zu Preisen von 1995) gekostet, die "Operation Wüstensturm" gegen Bagdad 102 Milliarden Dollar. Am Golfkrieg war die Bundesrepublik weder mit Material noch mit Soldaten beteiligt, dafür bezahlte sie um so mehr: 17 Milliarden Mark. Um die aufzubringen, wurde seinerzeit sogar die Mehrwertsteuer erhöht, und das dauerhaft. Zwar bestreitet das Finanzministerium, die Steuern seien damals für die deutsche Golf-Rechnung erhöht worden, tatsächlich hätte Bonn seinen Anteil aber gar nicht anders finanzieren können.

Mit jedem weiteren Kriegstag vergrößert sich das Elend der Menschen in der Region. Die humanitären Hilfen, so großzügig sie auch ausfallen mögen, stellen nur einen Bruchteil der Kriegskosten dar: Die 100 Millionen Mark, die die Deutschen bisher insgesamt gespendet haben, nehmen sich gegenüber 113 Millionen täglich für Waffen und Soldaten bescheiden aus.

Der Wiederaufbau wird noch teurer als der Krieg

Auch die Versorgung der Flüchtlinge kostet im Vergleich dazu wenig. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR rechnet mit 430 Millionen Mark, um 650 000 Vertriebene in der Region fürs erste zu versorgen. Ein Zelt des Technischen Hilfswerks für eine Flüchtlingsfamilie kostet 2500 Mark, ein Cruise-Missile dagegen bis zu 1,8 Millionen Mark. Krieg sei allemal billiger als die totale Vertreibung der albanischen Bevölkerung aus dem Kosovo, sagen Nato-Experten. Der britische Verteidigungsminister George Robertson wird mit der Bemerkung zitiert, die Kosten des Einsatzes seien gering im Vergleich zu dem Preis, der hätte gezahlt werden müssen, hätte die Nato auf Luftangriffe verzichtet und Milocevic gewähren lassen. Tatsächlich haben Länder und Gemeinden in Deutschland allein für die Versorgung von 350 000 bosnischen Bürgerkriegsflüchtlingen zweistellige Milliardenbeträge ausgegeben.

Aber die ökonomische Aufrechnung gerät schnell an ihre Grenzen. Wegen der zerstörten Infrastruktur in Serbien sind auch die Nachbarländer Bulgarien, Rumänien, Mazedonien, Ungarn, Kroatien und Griechenland indirekt betroffen. Zwar steht die Bilanz der Zerstörung und ihrer Folgen noch aus, doch schon erste Schätzungen lassen Schlimmes befürchten. Neben den Kosten für den Wiederaufbau werden die des Krieges jedenfalls verblassen. Unbestellte Frühjahrsfelder der Region sind dabei noch das geringste Übel. Für den Fall, daß die Militäraktion nach einem Monat beendet werde, schätzt Lehman Brothers, würden zum Wiederaufbau der zerstörten Albaner-Häuser im Kosovo einschließlich notwendiger Einkommenshilfen für ein Jahr etwa 12 Milliarden Dollar (21,6 Milliarden Mark) benötigt. Zuverlässige Quellen für Schätzungen über den Wiederaufbau der Wirtschaft Jugoslawiens fehlen allerdings. Die Spekulationen reichen von 27 Milliarden Mark bis zu 200 Milliarden Dollar (360 Milliarden Mark).

Sicher jedenfalls ist, daß von den Ausgaben für den anvisierten Marshallplan ein erklecklicher Teil wieder in die Kassen von Unternehmen aus den Nato-Ländern zurückfließen wird. Die ersten Kriegsgewinnler stehen auch schon fest. Die Hauptlieferanten der Militäraktion des Bündnisses, die Rüstungskonzerne General Dynamics und Raytheon, melden bereits Kursgewinne - um 10 bis 20 Prozent.

Mitarbeit: Christian Tenbrock

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