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KOSOVO Antikriegsseite


Quelle: Freitag v. 28.5.1990

Franz Schandl

Aufhören? Aufhören!
KRIEGSSIRENEN
Befund und Befindlichkeit passen in bewaffneten Konflikten selten zusammen

Durch den nichterklärten Krieg der NATO gegen Jugoslawien hat diese den Ruf eingebüßt eine, wenn auch unsympathische, so doch berechnende Kraft zu sein. Sie ist - und darauf wird man sich einstellen müssen - zu einer unberechenbaren Institution geworden. Völkerrecht und Menschenrecht werden je nach Belieben zurechtgebogen oder beiseite geschoben. Denn das Recht des Stärkeren ist das stärkere Recht. Und die NATO ist groß und allmächtig. Im jugoslawischen Vorhof (und als nichts anderes betrachtet man nach 1989 die Reste des titoistischen Staates) hat man den Präzedenzfall geschaffen. Weitere sollen folgen.

Die Herren des Nordens führen sich auf wie eine Bande, ihre Umgangsformen gleichen der Mafia. Rache nennen sie Recht, Ultimatum Vertrag, Erpressung Angebot, Menschenleben Kollateralschäden. Die okzidentale Cosa nostra, das sogenannte Freiheitsrudel, ist in Bombenstimmung. Ihre obersten Gockel spielen Schwanz messen. Wer ermannt sich am meisten? Wer schießt die meisten Panzer ab? Wer wird zuerst mit seinen Bodentruppen ins Landesinnere vorstoßen? Wer killt Slobo, den tollwütigen Köter aus Belgrad? Im Rudel wird selbst aus Rudi Ratlos ein Rudi Rambo. Wahrlich, sie sind scharf wie ihre Bomben.

Freilich, was als Stärke erscheint, ist Schwäche. Das grundsätzliche Problem ist, daß die Politik der kapitalistischen Zentren mit ihrem Latein (nicht nur in Jugoslawien) schlicht und einfach am Ende ist. Ihre herkömmlichen Rezepte wirken hilflos, außer einer rassistischen Abgrenzung im Inneren ist ihren Politikern bisher wenig eingefallen. Was die NATO betreibt, ist Zerstörung. Ihre führenden Politiker erlitten spätestens mit Kriegsausbruch einen Kollaps, der - inzwischen chronisch geworden - in autistischen Ereiferungen sich ausbebt. Biedere Demokraten entpuppten sich als fanatische Kreuzritter, die ihre abendländischen Werte mit allen Mitteln durchsetzen wollen. Nicht erst nachdem Karl Kraus Rudolf Scharping und Joseph Fischer gesehen hatte, schrieb er: »Politik ist das, was man macht, um nicht zu zeigen, was man ist, und was man selbst nicht weiß.«

Daß das gemeinsame Europäische Haus, von dem Gorbatschow noch träumte, neuerlich zu einem Totenhaus werden könnte, vor allem in den von der »Macht des Bösen« befreiten Gebieten, wer hätte das gedacht. »No Stalin or Hitler is in sight«, jubelte das Magazin Newsweek nach den Umbrüchen 1989. Inzwischen werden Hitler und Stalin geradezu seriell produziert. Phantasierte man gestern den Endsieg, so ist nun das Böse immer und überall. Zumindest wenn es ins Freindbild der US- oder der EU-Administration paßt. Die maßlosen Vergleiche sind Verdummungs- und Denunziationsmittel in einem, Ausdruck einer unerträglichen Arroganz, die aber gerade die Ignoranz des eigenen Publikums ausgezeichnet zu hantieren versteht.

Zweifellos, die Kehrseite des Herrschaftsrassismus ist ein völlig destruktiver (Befreiungs-)Nationalismus. Die gemeingefährliche Absicht, alle »Gleichstämmigen« in einen Staat stecken zu wollen, alle anderen auszuschließen oder zu drangsalieren, konnte am Balkan nur zum Krieg führen. (Dieser war - außer in Deutschland und Österreich ist das auch schon allgemein anerkannt - nicht nur hausgemacht.) Ein Unglück besteht darin, daß Bevölkerungen sich nach wie vor als Völker begreifen - das heißt als nationale Schicksalsgemeinschaften und Handlungskollektive, nicht ganz profan als das, was sie eigentlich sein könnten, solidarische Subjekte einer transnationalen Gesellschaft.

Den dualistischen Diktaten darf man sich nicht unterwerfen. Wer gegen Scharping und Fischer ist, ist nicht für Milosevic! Eine Debatte, ob man für oder gegen die Serben oder Albaner sei, ist eine Zumutung sondergleichen. Die Entscheidung zwischen dem marktwirtschaftlichen Kahlschlag einer Globalisierung und dem nationalistischen Ma rodieren der Kleinstaaterei ist keine. Es geht schlichtweg darum, in diesem Konflikt nicht Kriegspartei, sondern Partei gegen den Krieg zu sein, es geht darum hier, in den satten Zentren des Nordens, entschlossen gegen die von NATO, Medien und Politik vorangetriebene Eskalation, gegen die Verwilderung internationaler Kommunikation und mediale Kriegsmache, aufzutreten.

Eine Debatte über den Gesichtsverlust der NATO, aber auch des serbischen Präsidenten oder der UÇK-Führung ist eine, die man sich nicht leisten sollte. Besser sie verlieren ihr Gesicht als andere verlieren weiterhin das Leben. Die Sirenen werden allerdings erst dann verstummen, wenn die Garde der Menschenrechts-Interventionisten hierzulande zu spüren bekommt, was sie verdient: eine mächtige und intelligente Anti-Kriegsbewegung. So ist es auch aktuell müßig, Schuldzuweisungen bis ins letzte Detail zu klären, viel wichtiger ist, daß sich die Kontrahenten ermöglichen, keine weitere Schuld mehr auf sich zu laden. Das heißt: Ende der Bombardierung! Ende der Vertreibung! Besser heute als morgen als übermorgen als gar nicht.

Ob das aktuell machbar ist, muß allerdings bezweifelt werden. Doch die Alternative ist das Gemetzel in Permanenz mit einer Tendenz Richtung Weltbürgerkrieg, was konkret meint: Menschen, die - ähnlich wie im Dreißigjährigen Krieg - immer in Angst und Schrecken leben müssen, nicht sicher davor, überfallen und beraubt, vertrieben und bombardiert, vergewaltigt und erschossen zu werden.

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