butback.gif (224 Byte)

KOSOVO Antikriegsseite


DIE BARBAREI DES KRIEGES 
DIE SPIRALE DER GEWALT WIRD NIE ENDEN

von DIEMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 27. MÄRZ 1999

Der Fortschrittswahn auf dem Balkan hält an - eine der bittersten Lehren der Geschichte scheint sich zu wiederholen: Niemand weißwie Krieg endet!

Die Luftschläge gegen MILOSEVIC - führen sie zu dem von der NATO erhofften 'Erfolg', können sie die Unterzeichnung irgendwelcher Verträge erzwingen, wird der Schlächter von Serbien, den Attacken der NATO trotzen, um sich dann als 'Sieger' feiern zu lassen, der seinen tumbenTraum eines ethnisch 'gesäuberten' Serbien weiterträumen kann, wird es Bodentruppen geben, die sich in einen verheerenden Krieg, Mann gegen Mann, verzetteln könnten, werden deutsche Truppen dann zeigen dürfen, was sie eigentlich schon immer wollten, Krieg führen?

Einige Flugstunden von uns entfernt, ist nun das eingetreten, was niemand erhoffte, was aber eigentlich aufgrund des rasanten Niedergangs der globalen Weltwirtschaft im letzten Jahrzehnt gerade von Jugoslawien zu erwarten war: MILOSEVIC Ethnonationalismus hat beständig zum Shodown der Teilrepubliken beigetragen. Sie sind im Prinzip zerfallen, haben keine eigenständige Existenz mehr, und werden nur noch durch das Stopfen von immer neuen Löchern zusammengehalten.

Die Nachwende-Ordnung in ihrer Angst vor den großen Chaos hat die alten Grenzen in nie gekannter Form sanktioniert. Sie machte MILOSEVIC stark, der ganz ungeniert vor den Augen der Weltöffentlichkeit ein Massaker nach dem anderen gegen die Menschen im Vielvölkerstaat verüben durfte.

Der rasante Zerfallsprozeß der Moderne hat die Völker Jugoslawiens in die Barbarei des Krieges hineingetrieben, sie als Ganzes genommen, sie den Plünderungen, Vergewaltigungen, Vertreibungen, den Verteilungskämpfen ausgesetzt und preisgegeben.  Und dazu wurden die Unglücklichen noch von dem Tyrannen der Willkür und Gewalt niedergehalten, dem sich jede/r zu entwerfen hat.

Jetzt zeigt die Krise des Geldes, der Ware, daß ihre Stunden abgelaufen sind, und sie sich als Opfer des Technizismus fühlen dürfen, des Fetischs und der Verherrlichung des Geldes. Opfer dieser 'Verheißungen' sind nicht nur Millionen Menschen auf dem gesamten Balkan, sondern auf der ganzen Welt, die ihnen die Reste jedweder Eigenverantwortung genommen haben; denn entscheidend ist nur noch die hohe Produktivität, auf die die kapitalistische Warenwirtschaft abzielt, alles andere bleibt weiter wertlos: Die Gedanken und Ideen, das Wissen, das Wohl der Menschheit, Anerkennung und Dankbarkeit, menschliche Zustände, Zukunft und Perspektive. Auf der historisch höchsten Stufe der Moderne, der kapitalistischen Waren- und Mehrwertproduktion, des Zusammenbruchsprozesses, der jetzt mehr und mehr fortschreitet, kommt es zu eben jener glo- balen Krise, die das gesamte System dieser 'modernen Ware' wie ein Kartenhaus zusammenfallen läßt. Es gibt nichts - und das sehen wir sehr deutlich an Jugoslawien - was diesen Prozeß aufhalten kann, im Gegenteil: Er beschleunigt sich unaufhaltsam.

Die allgemeine Krise im Weltmaßstab wird folgen. An der Schwelle zum 21.Jahrhundert vergrößert sich die Spanne zwischen Arm und Reich, sie wird die Menschen weltweit in zwei feindliche Lager spalten (Desintegration). Eine neue Verelendungswelle wird alles Staaten erreichen - Jugoslawien ist ein weiterer Beweis dafür - , und die automatisierte High-Tech- Wirtschaft hatte es schon lange in den Abgrund geführt. Dort, wo sich die Menschen im Prinzip vom primitiven Tauschhandel ernähren mußten, wo die jugoslawische 'Umverteilungspolitik' vor allem das Kosovo, aber auch Montenegro, Makedonien, Bosni- en-Hercegovina in die totale Abhängigkeit führte, die ab 1989/90 das Diktat über sie zementierte und ökonomisch betrachtet zum Einfrieren des Entwicklungsniveaus dieser Teilrepubliken führte, wurde das Aufbrechen der Verteilungskämpfe offensichtlich, und Nutznießer waren die 'Reformer' unter MARKOVIC und MILOSEVIC.

Hohe Inflationsraten, permanente Entwertungen des Dinar, der verheerende Versuch, ihn an die Deutsche Mark zu binden, ökonomische Dauerkrisen, restriktive Geldpolitik, letztlich der Wirtschaftskrieg, beschleunigten den Rückgang von Produktion, Beschäftigung und Export, tiefe Einschnitte im innerstaatlicher Handel forcierten die sozialökonomische Krise. Millionen Menschen wurden dadurch arm, sie verarmten. Und zu- sätzlich brach die Kaufkraft tief ein; der Glaube an die Selbstregulierung der Märkte erlebte von Jahr zu Jahr ein wirtschaftliches Desaster nach dem anderen. Und weil der Sturz des Dinar die Güter billigt machte, traf er nicht nur die heimischen Hersteller. Auch die Beschäftigung selbst unterlag der Abnutzung der Ware, (hier: Produktion) die allein 1991 um bis zu 30% sank; die Lebenshaltungskosten erhöhten sich aufgrund dieser Ent- wurzelungen um ca. 40%, und in allen Teilrepubliken gab es permanent hohe Arbeitslosenquoten. Jugoslawien mußte in die staatliche Überschuldung, und konnte die über- höhten Kredite, die sie als 'Zuschuss' an die Teilrepubliken vergab, nicht mehr einfordern, da diese bis zur Mitte der 90er Jahre schon Bankrott waren.

Die jugoslawische Wirtschaft geriet außer Rand und Band; die Stunde   für MILOSEVIC schlug, der, als Slowenien, Kroatien und Bosnien-Hercegovina ihren Ausstritt aus dem Staatenverband erklärten, dies als formalen Anlaß sah, Krieg zu führen - mit den brutalsten Mitteln, die wir seit dem Bosnien-Krieg kennen. Die fatalen Irrtümer wiederholten sich schnell: Auf Betreiben Deutsch- lands folgte die völkerrechtliche Anerkennung der abgefallenen Republi- ken, und man gab sich mit allgemeinen Zusagen des Diktators und ober- sten Kriegsherrn, SLOBODAN MILOSEVIC, zufrieden, die Menschenrechte anzuerkennen. Weit gefehlt: Die jugoslawische Armee unter ihm ging in die Offensive, und das militärische Ziel bestand einfach darin, den Machtfaktor Jugoslawien auszuweiten; die Macht zu erhalten, und die 'abgefallenen' Republiken, die ihre Unabhängigkeit bewahren wollten, durch Eroberung und ethnische Vertreibungen zu konsolidieren. Bei kriegerischen Auseinandersetzungen, die zwischen Moslems, Kroaten, Bosniern und serbischen Verbänden geführt wurden, ging es auch immer um Demoralisierung durch permanente militärische Attacken, wobei sich die Serben besonders hervortaten, die Feindbilder schufen, aufrechterhielten, um die eigenen Kriegsziele zu legitimieren, und um die Hemmschwelle ihrer Soldaten bei Massenerschießungen abzubauen. Krieg funktioniert - nicht nur in Jugoslawien - immer dann bestens, wenn das Mitgefühl stirbt.

Das häufigste Muster, das verwendet, und durch die jugoslawische Armee jetzt wieder gegen das Kosove eingesetzt wird, war, den Kosovo-Albanern die schlechtesten menschlichen Eigenschaften zu oktroyieren, die es nur irgendwie gibt. Spätestens 1989, als MILOSEVIC dem Kosovo die Autonomie entzog, und nach 1990, als es zu den ersten blutigen Auseinandersetzungen kam, er- zeugte die Propaganda der serbischen 'Sonderpolizei' die Feindbilder, ohne die die barbarischen Launen und widersinnigsten Menschenschlächtereien, die bekannt sind, nicht zu verstehen wären. Seit 1989 zieht sich die blutige Spur der Anarchie durch das Kosovo. Die Europäer schwiegen, wie immer, wenn es darum ging, öffentlich Menschenrechtsverletzungen anzuprangern, dem Morden, Plündern und Brandschatzen, Einhalt zu gebieten. So war es in Burundi und Ruanda (ca. 700.000 Tote); im Sudan (1 Million Tote); in Somalia (400.000 Tote); im Bosnien-Krieg (200.000 Tote): Massa- ker, Massenvertreibungen, Versklavungen, Völkermord vor unseren Augen; man sieht mit verschränkten Armen zu, und läßt der Gewalt ihren Lauf. Da muß eine 'Agenda für den Frieden' (UN, 1992) wie ein erhabenes Pa- thos wirken; denn sie verpflichtet zu nichts, allerdings ruft sie in Erinnerung, daß der Abgang der kollektiven Vernunft unwiderruflich ist; die Aus- rottung der individuellen Phantasie und Kreativität ist eingebettet in die Ruine, eine von der Moderne zerstörter Planet.

Krieg wird nicht nur auf Schlachtfeldern geführt; Krieg findet in den Köpfen der Menschen statt. Es ist üblich, die Konflikte im Kopf vorzubereiten, um dann, wenn sie real werden, die Schändlichkeit des Tuns der Gegner anzuprangern. Krieg ist somit lebhafte Propagandatätigkeit, die gezielt und mit Verve die Psyche der verblendeten Hirne erfaßt, um die Natur des Gegenübers als minderwertig einzustufen und abzuqualifizieren. Der Genozid - aber auch alle anderen nachhaltig dokumentierten Kriegsverbrechen - sind Beispiel genug: Die Opfer sind eben absolut inhuman und monolithisch zu charakterisieren; sie erzeugen Ängste und Aggressionen, sind als höchst bedrohlich für die Allgemeinheit anzusehen. So erklärt sich schnell die antithetische Gegenüberstellung der absolut 'guten' Serben und den total 'schlechten' Kosovo-Albaner, die geschichtlich nur das große Pech hatten, zur falschen Stunde an falschen Ort gewesen zu sein! Wenn das - und so scheint es zu sein - Rechtfertigung für Bürgerkriege ist, dann bleiben die Wahrnehmungsmuster aller Mordorgien für alle Zeiten be- stehen. Je länger ein Krieg dauer, je weiter sich die Kampfhandlungen ausweiten (in der Zwischenzeit greifen Serben Bosnien an), desto gesicherter erscheint die über den 'Feind' gewonnenen Erkenntnisse und die eigene Rolle. Ein 'jetzt erst recht' ist da nicht mehr weit, und der Verfolgungs,- und Größenwahn mündet ein in die Selbstüberschätzung und den integeren Charakter.

Die Feindbilder - in der schroffesten Gegenüberstellung 'gedeutet'- entstehen nun mal nicht spontan; sie werden produziert und sind manipuliert. Eine reale Gefahr für Jugoslawien gab es nun mal durch die Kosovo-Albaner nicht, genausowenig wie es eine durch die Bosnier gab, oder wie es eine durch Montenegro gibt. Der Mechanismus der selektiven Wahrnehmung für Kriegshandlungen ist eben abnormale Propaganda, Kriegspropaganda, die selbstherrlich durch die Medienverherrlichung eine Dimension erreicht hat, die in der Öffentlichkeit immer den besten Nährboden für eine verbale Zustimmung für die eine, oder andere Seite, unter der völligen Mißachtung von zuverlässigen Informationen, gefunden hat. Durch Reaktivierung und Konstruktion der 'dunklen Seelen' sollen die Rahmenhandlungen für Militärinterventionen gelegt werden, und die aktuelle Be- drohlichkeit soll weltweit den Gegner dämonisieren. Ein gewisser Irrationalismus erzüchtet beliebig einen Traumatisierungseffekt, der in der Bevölkerung den Glauben an eine Übermacht des 'Gegners' erzielt, den es gar nicht gab oder gibt. Als am 15. 01. 1999 in Racak 40 Albaner hingerichtet wurden, maßten sich die Serben an, zu erklären, es handle es sich hierbei um 'Terroristen der UCK', die zuvor Massaker an Serben verübt hätten. Nachweislich waren die 'Terroristen' Zivilisten, hauptsächlich Bauern, die nur aus dem einzigen Grunde massakriert wurden, um den Rest der Kosovo- Albaner einzuschüchtern, und Eroberungen vorzubereiten.

Von der jugoslawischen Führung ist in den letzten 10 Jahren eine Flut von Gerüchten und Untaten über angebliche 'Übergriffe' verbreitet worden, immer mit dem Ziel, Haß,- und Rachegelüste zu schüren. Und immer wieder kam der Medienpropaganda eine besondere Rolle zu, die jeweils das eigene Image aufbaute, das Gegnerische unterminierte. Die Gleichschaltung der Presse, des Rundfunks und des Fernsehens, hat in Jugoslawien in diesen Tagen dazu geführt, daß die serbische Bevölkerung über absolut keine vertrauenswürdigen und objektiven - sofern es sie in Kriegen überhaupt geben kann - Informationen verfügt. Man ist den Desinformationen aufgesessen; ein gewisser Beutejournalis- mus macht sich breit, der, um an alle möglichen Informationen heranzukommen, zu Tatsachenverdrehungen und einseitiger Berichterstattung greift, der ein Schlaglicht auf die Kriegsberichterstattung wirft. Im übrigen ist keine Seite davon ausgenommen, und gerade die Nachrichten über den Balkan schaffen jeden Tag in dieser Frage Sensilibität genug. Trotzdem, oder gerade deswegen, sind die Verbrechen an den Kosovo-Albanern, die nun mal tagtäglich an ihnen verübt werden, dann u. a.auch aus dem Nationalismus der Serben unter MILOSEVIC herauszufiltern.

Wie viele Rassisten und Nationalismen verbreitet der MILOSECIV-Nationalismus die Idee der permanenten Benachteiligung der Serben auf dem Balkan, den Mythos des 'auserwählten Volkes' , der auch in der Volksepik Entsprechung findet. Serbien, aber z. B. auch die kroatischen Nationalisten, fühlen sich als Ver- fechter der eigentlichen mitteleuropäischen Kultur- und Zivilisation, während die anderen Völker und Kulturen als barbarisch abqualifiziert wurden und werden. Die psychologische 'wir-Gruppe' schafft eigene Überlegenheit, Ausbeutung, physische Bedrohung, Versklavung von 'geistigen Freiheiten' und 'kultureller Identität'. Fast fühlt man sich an HITLER erinnert, der in MEIN KAMPF ausführte: 'Für was wir zu kämpfen haben, ist die Sicherung des Bestehens und der Vermehrung unserer Rasse und unseres Volkes, die Ernährung seiner Kinder und Reinerhaltung des Blutes, die Freiheit und Unabhängigkeit des Vaterlandes, auf daß unser Volk zur Erfüllung der auch ihm vom Schöp- fer des Universums zugewiesenen Mission heranzureifen vermag.' MILOSEVIC scheint ganz und gar diese Rolle zu übernehmen - das Topos von der jahrhundertealten Bedrohung und sogar physischen Vernichtung des serbischen Volkes. Das durchzieht die national-rassistisch serbische Argumentation wie ein ro- ter Faden. Es ist sehr seltsam, daß sich diese Kuriositäten der Kopf-Geschichte bis ins späte 20. Jahrhundert gehalten haben: 'Der Jude ist unser Unglück', gipfelt in der modernen Fassung, 'daß den Serben seit Jahrhunderten der Genozid drohe' (Memorandum der Serbischen Akademie der Wissenschaften, 1986).

Stets wird der Eindruck vermittelt, Jugoslawien sei der Urgrund des Hasses der anderen Teilrepubliken. Dabei war es MILOSEVIC selber, der noch 1986 die Selbstverwaltung der Republiken im Parlament bestätigte. Doch in Wirklichkeit war seit dieser Zeit klar, daß das Publikum mit leichten eingängigen Erklärungen auf die 'Mutter der kommenden Schlachten' vorbereitet werden sollte. Damit war die Geschichte der Teilrepubliken auf die kom- menden Tatbestände reduziert: Um politische Ziele zu erreichen, die eigene Macht auszudehen und zu erhalten, muß Jugoslawien Krieg führen.

Gleichzeitig wurde in der breiten Weltöffentlichkeit der Eindruck vermittelt, daß es bedroht sei, überzeitlich und universal: Die Rechtfertigung der 'Selbstverteidigung', das ideologische Bindemittel für alle Kriege, gewaltsame Konflikte, für Mord, Zerstörung, Raub, Terrorismus, Aggressionen, Kränkungen, Frustrationen, kurz, für das gesamte Arsenal nationaler Soli- darisierungen, Propaganda und Handlungsappelle - ein Horrorgemälde, das auch in der Verpackung der unterschiedlichen Religionsgemeinschaften einen dementsptrechenden Ausdruck zu finden scheint. Der absurdeste Bruderzwist schlägt Blüten, wenn die serbische Propanda die Mär der verlorenen Schlacht auf dem Amselfeld (1389) neu entstehen läßt, die Verteidigung gegen das Vordringen des 'Islamismus' mit der christlich-katholischen Ethik begründet.

Diese 'Blut-Boden-Religion' Ideologie ist im derzeitigen Krieg auf der höchsten Stufe versinnlicht und aufbewahrt. Sie hinterläßt den Eindruck, daß die politischen Ziele Jugoslawiens sich aus der Vergangenheit herauskristallisieren lassen -analog zum Rekurs auf geschichtliche Ereignisse und Symbole, die den Ewigkeitsanspruch untermauern sollen: Kristallisationspunkte sind alte ideologische Symbolwelten (Verbundenheit des Volkes mit der Erde der Ahnen), nationale Gemeinschaft, die großserbische Geschichte des Leids, der Unterdrü- ckung, der Opfer etc.) Es paßt ins Bild, wenn der Einsatz deutscher Tornados mit 'heroischen Filmen' aus dem Partisanenkrieg gegen die faschistischen Okkupanten untermauert wird. Heldenhafte und verlustreiche Schlachten liegen in der Vergangenheit der serbischen Gräber begraben, können zu jeder Zeit wieder auferstehen, wenn akutuelle Ereignisse es verlangen. Flächendeckende ethnische Vertreibungen, besondere Brutalität und Grausamkeit (und immer wieder abscheuliche Vergewaltigungen von Frauen), Angriffe auf Leib und Leben, Brandschatzungen, Zerstörungen, lassen sich unter dem Begriff Euphemismus ('Säuberungen') subsumieren. Er bezeichnet eben den Einsatz von Gewalt -und aller Arten von Gewalt, und Einschüchterungen gegen Volksgruppen bestimmter Gebiete. Diese 'Bereinigung' ist prinzipiell dem Nationalsozialismus entlehnt, der suggerierte, daß Deutsche und Juden 'nicht friedlich koexistieren könnten'. MILOSEVIC hat HITLER gut verstanden: Die Kausalkette der Geschichte, fast verdrängt, aber leider wieder mit Macht an die Oberfläche gelangt.

Die rassistische Verfolgung kennt keine Grenze. Sie wird da neu auferstehen, wo ein ein ethnisches Nationalverständnis, zwar unterdrückt, aber in der gesamten kulturellen Tradition von Völkern unterschwellig weiter brodelt. Massenumsiedlungen und Zwangsassimilationen biszum Ethnozid sind aus dem Bosnien-Krieg bekannt. Bevölkerungstransfer und Umsiedlungen - auch da steht MILOSEVIC in der Tradition HITLERs sollen die 'Neuordnung' Jugoslawiens rechtferti- gen (territoriale Komponente): DIE serbische Nation entsteht nicht nur aus der Gemeinschaft, auch aus der gesamten Geschichte des Territo- riums, in dem die Vorfahren zu Hause waren, wo sich symbolträchtige Plätze befinden. Die wenigen Interviews, die mit Serben geführt, in den Medien wiederge- geben werden, lassen erahnen, um welche Verblendung es sich hier handelt: Die aktuelle Politik MILOSEVIC entspringt dieser 'gedachten Vertreibung', die jedoch nichts anderes ist als pures Machtdenken, und sein Machtkalkül zum Ausdruck bringt. Heterogene Bevölkerungsgruppen werden in der Geschichte eben nicht in die eigene Nation integriert, sondern eliminiert. Die Form, in der das geschieht, mag jeweils anderes sein, doch der Te- nor lautet: Zwingt sie zur Abwanderung, wenn nicht, werden ihre Kultur- räume zerstört.

Diese Ohnmacht wird u. a. die Zäsur des 21. Jahrhunderts sein. Damit große Völker expandieren können, werden sie ihre Gebietsansprüche legitimieren müssen, dies vermutlich in der Regel mit kriegerischen Mitteln, mit Vertreibungen, mit Eroberungspolitik. Nach dem Motto: Je weniger 'fremde Volksgruppen' die Hemissphäre bevölkern, desto zielstrebiger könnnen die eigentlichen Herrschafts- und Gebietsoptionen gehalten werden. Somit sind sie Herrschaftstechnisch. Eigentliches Ziel ist also Vertrei- bungspolitik, nationalistisch-rassistisch, und damit vermutlich auch faschistische Aussiedlung. Der faschistischen Komponente kommt dabei - wie ich meine - in den kommenden Jahren, eine besondere Bedeutung zu, die in sich in verkapp- ter Form im Genozid (Antisemitismus) und Imperialismus (Krieg um die Pfründe des zusammenbrechenden warenproduzierenden Systems) niederschlagen könnten: Der 'moderne Totalitarismus' (HANNAH ARENDT) basiert eben auf bestimmte 'Rassen' oder 'Klassen', die vernichtet werden müssen, um dem Rest des Volkes Lebensperspektive zu bie- ten. Totalitäre Diktaturen greifen selbstredend zu den Mitteln der Ideolo- gie und des Terrors - Hauptcharakteristika totalitärer Staaten. Es zeigt sich, daß die gezielten Offensiven MILOSEVIC von all dem nicht weit entfernt sind, und er bereit ist, vollendete Tatsachen zu schaffen.

Was das bedeutet, oder bedeuten kann, gerade vor dem Hintergrund des unheilsschwangeren Balkan, kann niemand vorhersagen. Doch offensichtlich ist schon heute: Selbst evtl. kommende 'Schutzzonen' (wie nach dem Bosnien-Krieg), die eine 'Friedenstruppe' zu garan- tieren hätte, wären nichts anderes als eine aktuelle 'Begradigung' der derzeitigen Frontlinien, und der Einbindung in eine spätere Staatsgrenze. Weitere Konflikte mit den Anreinern dürften auf Jahre hinaus gelegt sein. Wenn US-Außenministerin ALBRIGHT erklärt, daß die Wiederaufnahme von Verhandlungen im Rahmen von 'taktischen Korrekturen' des von MILOSEVIC abgelehnten 'Friedensplan' denkbar seien, dann entspricht diese Haltung auch dem Vorgehen der NATO und seiner 'Osterweiterung' für die kommenden Jahre. Die Geldwachstumsperioden, die sich nur an die stetige Fortentwicklung des Kapitalismus knüpfen lassen, sind vorbei, lassen sich weltmarktmäßig nur noch schwer aufrechterhalten; bei höchster staatlicher internati- onaler Verschuldung, der Militarisierung der Ökonomie (siehe Jugosla- wien), der Konfrontation der Zentralbanken, der Massenvertreibungen der Bevölkerungen, wird es eine Befriedung der Moderne nur schwerlich geben können.

Die NATO - speziell mit deutscher Einbindung - kann die alten Begehrlichkeiten wahr machen. Wie lange benötigt Deutschland noch, um die Vorherrschaft über Europa zu erlangen? Alles deutet darauf hin (Vormachtstellung in der EU, Vorreiter beim EURO, 'vereinigtes Deutschland', Schengener-Abkommen, ökonomische Unterjochung anderer Staaten, Nichtverhinderung des Rechtsextremismus, Duldung von antisemitischen Ideen, Ausländerdiskussionen, Abschiebungen, Europapolitik mit deutscher Machtdemonstration (Agenda 2000), Mandat für den Einsatz deutscher Truppen auf dem Balkan, Lockerung der Bin- dung nach Westen, Aufrüstung der Bundeswehr - modernes Gerät und Ausbau zur Interventionsarmee - bis zum Jahr 2010 sollen ca. 65 Milliar- den DM für den Ausbau der Streitkräfte aufgebracht werden), daß Deutschland bereit ist, seine Einverleibungsgebiete abzustecken. Das KOSOVO - der Grundstein für den neudeutschen Großexpansionis- mus? Geopolitisch gibt es keine Grenzsteine mehr, die nicht antastbar wären Und völlig unabhängig von der Sichtweise des derzeitigen Krieges, gilt die Prämisse: Man probt schon mal, lege 'versuchsweise' ein Land mit 'chirurgischen' Bomben in Schutt, formiert die Handelsblöcke neu, nimmt Länder in die wirtschaftliche Abhängigkeit, erreicht so katastropha- le Zusammenbrüche, schreitet militärisch unaufhörlich voran, schafft eine 'eurasische Option' in Mitteleuropa, und tritt das Prinzip der univer- sellen Gleichheit aller Menschen mit Füßen. Die Warenproduktion der Moderne - sie läßt sich vermutlich nur noch im 'Todestrieb' nieder

'Und schon wieder Beklommenheit und Hochmut, Arroganz um die Verletzlichkeit herumgebaut; unentschlossenes Wetter, daß sich unter die Haut zwängt, spöttisch lächelnd, seine Gefühle ins Kalte drehend. In der Tat, eine peinsame Zeit!' (KOWALSKI, SCHLAGENDE WETTER, 1982, Text: UWE FELLENSIK, Song: EINE PEINSAME ZEIT)


nach oben