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KOSOVO Antikriegsseite


Blätter für deutsche und internationale Politik 6/99
http://www.blaetter.de/kommenta/brum0699.htm

Ernstfall Grün
von Micha Brumlik

 In vielen Märchen und in manchen Kinderbüchern, etwa in Maurice Sendaks "Wo die wilden Kerle wohnen" oder in James Barries "Peter Pan" werden wir am Ende immer wieder Zeugen einer Szene, in der die kleinen Helden nach ihrer Reise ins Wunderland in ihrem Bettchen sitzen, sich – pardauz – aufrichten, verwundert die Augen reiben und fragen, wo sie eigentlich waren oder jetzt sind. Am Ende ist unklar, ob die vergangene Nacht mit ihren Träumen, mit ihrer Gegenwelt ein Vorgriff aufs Erwachsenensein oder Nachgeschmack einer zu Ende gehenden Kindheit war. Es handelt sich dabei ersichtlich um Geschichten von seelischen Wachstumsschmerzen. Das ist die Lage, in der sich die Grünen nach ihrer außerordentlichen Bundesdelegiertenversammlung in Bielefeld befinden.

Ein Abschiedsritual

Wer sich den Diskussionen der Grünen seit Amtsamtritt der Schröder/Fischer-Regierung unvoreingenommen stellt, kann nur erschrecken – weniger über die Inhalte, vielmehr über den Gefühlshaushalt der Partei. Da zankten sich einerseits Gremien, Fraktionen und Kabinettsmitglieder hingebungsvoll, leidenschaftlich und verbittert wochenlang über nicht anders als läppisch zu bezeichnende Themen wie die Doppelspitze und die Quote, während auf der anderen Seite ein Problem, das nun wahrlich keine andere Bezeichnung verdient als die einer "Schicksalsfrage" – der Krieg – zunächst gefaßt, respektvoll und ernsthaft debattiert wurde. Das Thema der "Doppelspitze", dies wird im Rückblick klar, war kein wirkliches Thema, schließlich hat die Partei mit dieser Struktur ihre größten Siege und die größten Niederlagen erlebt, ein Umstand, aus dem ersichtlich gar nichts folgen kann. Die Strukturdebatte war lediglich das Symptom einer tiefsitzenden Identitätskrise, einer Krise, die für die Zukunft der Partei entscheidender sein wird als jede andere zuvor und die mit dem Bielefelder Parteitag ihr rituelles Ende genommen hat. Bielefeld war ein Alptraum, ein rite de passage, ein fiebriger, wüster Abschiedstraum, in dem wie in einem Zeitraffer noch einmal all die Themen, Formen und Symbole der letzten dreißig Jahre auftauchten: Der mit blutroter Farbe gefüllte Wurfbeutel, der in der Zeit der Nachrüstung – von einem grünen Landtagsabgeordneten geworfen – einen US-amerikanischen General im hessischen Landtag traf; der nackte Jüngling, der den entwaffnenden Widerstand im Hüttendorf an der Startbahn West zitierte; die nicht mehr gewaltfreien Antimilitaristen, die absichtlich Körperverletzung betrieben; die Trillerpfeifen, die Transparente und die Stinkbomben… Beschwörende Worte, Geschäftsordnungsdebatten, Meinungsbilder und Abstimmungen.

Man kann den Hexenkessel von Bielefeld wohlwollend beurteilen und, mit Recht, darauf hinweisen, daß hier eine Partei – stellvertretend für die anderen Parteien und eine weitgehend stumme Öffentlichkeit – den streitigen, öffentlichen Diskurs gewagt, ein weiteres Mal zivilgesellschaftliche Umgangsformen auch bei schärfsten Kontroversen gepflogen und damit der Demokratie einen Dienst erwiesen hat. Man könnte die Festigkeit des Außenministers, die überlegte Regie des Bundesgeschäftsführers und die authentische Gewissensnot von Antje Radcke, Angelika Beer und Kerstin Müller hervorheben und als Fortschritt loben, daß hier Ambivalenz ausgehalten und ausgetragen wurde. Es ließe sich freilich auch darauf hinweisen, daß Nachdenklichkeit und Unsicherheit, Ambiguität und an den Tag gelegte Zerrissenheit die einzigen rhetorischen Elemente waren, die in der gegebenen Lage überhaupt noch wirkten. An der Ablehnung, die der den Krieg eindeutig befürwortende Daniel Cohn-Bendit erfuhr, wird deutlich, daß in diesem Milieu Krieg nicht nur durch Moral, sondern ebenso durch Nachdenklichkeit begründet werden muß. Das schmälert die subjektive Glaubwürdigkeit der Protagonistinnen nicht, beweist aber, daß sich auch noch die sperrigste Rhetorik abnutzt.

Am 13. Mai hat sich das Schicksal der Partei entschieden, und sie wird danach nicht mehr – nie mehr – dieselbe sein wie vorher. Bei der am Himmelfahrtstag aufgeführten Inszenierung ging es darum, ob sich die Partei endlich ehrlich machen, den Kriegskurs der Bundesregierung mittragen, sich damit als Partei der radikalen, systemkritischen Reform endgültig verabschieden und unwiderruflich in das politische System der Bundesrepublik integrieren will – oder ob sie den Regierungskurs deutlich kritisiert, damit die Koalition aufs Spiel setzt und sich, wenn schon nicht ins Aus, so doch in eine mehr als ungewisse Zukunft katapultiert. Realistisch und verantwortungsvoll schien es gegenüber dieser Alternative zu sein, einen Mittelweg zu finden, der einerseits deutliches Mißfallen über den Bombenkrieg sowie eine undeutliche Friedenssehnsucht artikuliert, aber mindestens so deutlich den Friedensplan von Außenminister Joschka Fischer unterstützt. Zu diesem schließlich erzielten Ergebnis sei allerdings vermerkt, daß damit die Krise nur verschoben und ihre eventuelle Lösung auf einer systematischen Lebenslüge beruhen wird. Man kann es nicht oft genug und nicht deutlich genug sagen: Auch und gerade der Friedensplan von Außenminister Fischer setzt die Bombardierung der Bundesrepublik Jugoslawien einschließlich aller sogenannten Kollateralschäden zwingend voraus: Kein Friedensplan ohne Bombenkrieg!

Die Begriffspolitik, die im Vorfeld der Entscheidung fried- und regierungsliebende Delegierte überzeugen sollte, verstärkt den Verdacht einer Lebenslüge. Es sei an der Zeit, den bisherigen Pazifismus als "politischen Pazifismus" neu zu definieren. Freilich: Es gibt keinen politischen Pazifismus. Der Pazifismus ist eine gesinnungsethische, prinzipielle Haltung, die die Lösung von Konflikten durch den Einsatz staatlich organisierter militärischer Macht immer, zu allen Zeiten und in jedem Fall ablehnt – bis hin zur Gefährdung von Leib und Leben seiner Befürworter. Daß im allgemeinen eine friedliche Lösung vor allem zwischenstaatlicher Konflikte einer kriegerischen vorzuziehen ist, ist eine Binsenweisheit, die normale, konservative Machtpolitiker seit Jahrhunderten beherzigen. Die scholastische Lehre vom gerechten Krieg setzt diese Einsicht geradezu voraus.

Damit stand die Partei vor einer Weggabelung mit drei Ausgängen, die alle gleichermaßen unerfreulich sind: a) die rückstandslose Integration in den politischen Status quo, b) der Ausbruch womöglich ins politische Nichts, c) die auf Dauer gestellte Lebenslüge, die früher oder später – bei beliebigem Anlaß – die Krise wieder aufbrechen lassen wird. Die Krise selbst besteht in dem an und für sich einfachen Umstand, daß die Grünen – und ich spreche absichtlich von den Grünen und nicht von den Bündnisgrünen, da es die Partei in Ostdeutschland praktisch nicht mehr gibt und wegen des Krieges nicht mehr geben wird – auch und trotz aller Auseinandersetzung mit dem "Fundamentalismus" ihrem Anspruch nach eine radikalreformerische Partei waren. Regierungspraxis und Regierungserfahrung haben indes bewiesen, daß unter den obwaltenden Umständen noch nicht einmal moderate Änderungen, geschweige denn Reformen durchzusetzen sind. Die Regierungskoalition begeht einen handwerklichen Fehler nach dem anderen, die zentralen Vorhaben der Grünen – der Einstieg in den Ausstieg aus der Kernenergie; eine substantielle, emanzipatorische Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts; eine Gesundheitsreform, die ihren Namen verdient; eine Ökosteuer, die effektiv zu geringerem Ressourcenverbrauch führt
– sind versandet. Da geht es den Grünen wie der SPD der Weimarer Republik, über die Kurt Tucholsky einmal sagte: Sie wähnen sich an der Macht, sind aber nur an der Regierung. Mit dem Parteitag am 13. Mai schickte sich die ehemalige Protestpartei endgültig in die gegebenen Verhältnisse – wenn auch auf der Basis einer Lebenslüge. Der Parteitag hat diese Lage nicht geschaffen, sondern allenfalls in einem erregenden Schauspiel, einem gefühlsmäßig aufgeladenen Ritual vollendet, was sich seit Jahren in Kommunen, in den Ländern, in Koalitionen und Koalitiönchen, in Geschäftstellen und Arbeitskreisen Schritt für Schritt vollzogen hat. Daß dies anhand eines Krieges, des Kosovokrieges geschah, ist nicht ohne historisches Beispiel und nicht ohne Logik. Die Entscheidung von Bielefeld läßt sich strukturell – nicht an Reichweite, Dramatik und Gewicht – nur noch mit der Gewährung der Kriegskredite durch die SPD 1914 vergleichen. Kriege sind prototypische Situationen binärer Logik – sie zeichnen sich dadurch aus, nur zwei Seiten zu kennen, zwischen denen man sich entscheiden muß. Damit eignen sie sich vorzüglich zur Scheidung der Geister, zur Herausbildung neuer Identitäten und eindeutiger Positionierungen. Weil sie blutig sind, binden sie jene, die sie befürworten, und bannen sie in ihre neue Position. Ein Zurück gibt es dann nur noch durch aufwendige Rekonversion. Im Rückblick wird deutlich, daß eine SPD, die den Krieg von 1914 mitgetragen hatte, nach 1919 weder eine Revolution noch eine wirklich weitgehende Reform durchsetzen konnte. Es gibt nichts Staatstragenderes als den Krieg, sei er nun wie in den Weltkriegen total oder wie jetzt mehr oder minder gehegt. Staatlichkeit und Krieg hängen strukturell miteinander zusammen, wie wenige soziale Elemente sonst: die Integration der grünen Partei in den Ist-Zutand wird durch jede von Tornados abgeworfene Bombe und durch jeden serbischen Ziviltoten weiter besiegelt. Wer – aus welchen Gründen auch immer – seine bisherigen, als höchste beschworenen Werte aufgibt, wird später, das ist der innenpolitisch interessante Aspekt, wenn schon nicht zu allem, so doch zu vielem bereit sein. Nicht, daß die Grünen nicht irgendwann einmal – zumal wenn sie wieder in der Opposition sitzen – dem einen oder anderen NATO-Einsatz widerstehen werden…, aber das wird dann kaum mehr Gewicht haben als der gegenwärtige Widerstand der CDU/CSU gegen den möglichen Einsatz von Bodentruppen.

Mit dem Formelkompromiß vom 13. Mai wurde die Integration der Grünen in das System des Status quo abgeschlossen – und zwar unwiderruflich.

The day after: Nachhaltig und imperialistisch?

Die Würfel sind gefallen, weshalb die Frage vom 14. Mai an nicht mehr lauten kann, wie man aus den gegebenen Verhältnissen heraus-, sondern nur noch, wie man besser in sie hineinfindet. Kurz: Wie wird man zu einer staatstragenden, liberalen Partei des neuen Bildungsbürgertums, wie werden die Gewichte zwischen Wirtschafts- und Rechtsstaatsliberalismus verteilt sein? Bürgerliche wie alternative Presse haben unisono ein neues Drehbuch vorgelegt: Die Partei, in ihrer sozialen Zusammensetzung wirtschaftlich abgesichert und keinem klassischen Milieu verhaftet, soll die Rolle der konsequenten "Modernisierer" spielen, jenen agilen Part übernehmen, den eine von traditionellen Sozialpolitikern dominierte SPD nicht spielen kann. Werden die Grünen also – wie einige Unverdrossene noch hoffen – wenigstens eine konsequent linksliberale Partei oder nicht doch ein schillerndes Sammelbecken von Berufspolitikern, Kommunikationsexperten sowie Fabrikanten von Photovoltaik-Produkten?

Als Fazit läßt sich festhalten: Das grüne Projekt ist am Ende, die grüne Partei sucht noch ihren Platz. Das Vorhaben eines grundlegenden sozialökologischen Umbaus, einer tiefgreifenden Reform der kapitalistischen Industriegesellschaft durch parlamentarische Beteiligung ist gescheitert. Mag sein, daß es von Anfang an illusionär war, mag sein – das wird die Historiker noch beschäftigen –, daß irgendwann Ende der 90er Jahre der Wille einer älter gewordenen politischen Generation, beruflich Politik betreiben zu wollen und zu müssen, so übermächtig wurde, daß ihre Ideale darüber verblaßten, ja verblassen mußten. In Zukunft jedenfalls wird die grüne Partei, will sie nicht als Kohortenpartei der heute Fünfzigjährigen allmählich erodieren, mit der FDP um liberale Wählerpotentiale konkurrieren. Die Partei wird dann all die Konflikte durchleben, die die FDP bis-her durchlaufen hat – der Ausgang ist durchaus offen.

Chancenreich scheinen daher die bei den Grünen vorhandenen neoliberalen Positionen zu sein, die unter der Flagge einer "nachhaltigen Finanzpolitik" eine unternehmerfreundliche Austeritätsstrategie betreiben und die sachlich angemessene Renaissance eines den Zeitläuften entsprechenden Keynesianismus aus weltanschaulichen Gründen nicht wahrhaben wollen. Nachdem der Partei ihre klassischen Werte "ökologisch, sozial, gewaltfrei, basisdemokratisch" abhanden gekommen sind, wird sie im Zuge der demnächst zu führenden Grundsatzdebatten einen neuen Begriff in die politische Arena werfen, der nicht nur im schlichten Sinn ideologieverdächtig, sondern geradezu demokratiegefährdend werden kann: die "Nachhaltigkeit". Dieser Begriff, ursprünglich und denkbar harmlos der Forstwirtschaft entstammend, soll nicht nur die Ressourcenbewirtschaftung, sondern jedes Politikfeld regeln – zumal die Finanz- und Familienpolitik. Dabei liegen die Argumente gegen eine sogenannte nachhaltige Finanzpolitik und mittelstandsfreundliche Wirtschaftspolitik auf der Hand:

1. Kapital, Lebenschancen und Ressourcen sind innerhalb einer Generation extrem ungleich verteilt. Will man – um einer angeblichen Gerechtigkeit zwischen den Generationen willen – auf eine Behebung der Ungleichheit durch Eingriffe aus Steuermitteln und eventuelle Nettokreditaufnahmen verzichten, so transportiert man die Ungleichheiten innerhalb einer Generation einfach auf die nächste. Warum eine Partei, die bisher soziale Gerechtigkeit auf ihre Fahnen geschrieben hat, dies tun sollte, bleibt unerfindlich.

2. Der zweite Fehler ist kategorialer Art: Geld und Reichtum sind kein Naturstoff. Während natürliche, fossile Ressourcen grundsätzlich nicht regenerierbar sind, sind menschliche Kreativität und Leistung nicht nur regenerierbar, sondern auch neu erschaffbar. Nicht einmal die klassische Forstökonomie wollte auf Wachstum verzichten.

3. So richtig es ist, daß im Mittelstand ein Löwenanteil künftiger Arbeitsplätze entstehen wird, so richtig ist ebenfalls, daß auch in Zukunft die Mehrheit, vor allem junge Menschen, abhängig beschäftigt sein wird. Warum läßt die Partei diese Gruppe eigentlich außer acht und klammert sich an eine Klientel, die sich bei der FDP ohnehin besser aufgehoben fühlt?
Sollte also das Ende vom Lied, die politische Endmoräne der Neuen Sozialen Bewegungen, der Friedens-, Frauen- und Umweltbewegung darin bestehen, der Finanzpolitik eines Oswald Metzger zum Durchbruch zu verhelfen und damit Bodo Hombachs Vision einer "Angebotspolitik von links" zu stärken? Man kann das wollen – aber der sachliche Bruch zu allem, wofür die Grünen je standen, ist nicht zu übersehen. Diese Krise ist noch nicht ausgestanden, Bielfeld war nur eine Etappe. Gleiches gilt für die Außenpolitik, erstmals alleiniges Thema einer Bundesdelegiertenkonferenz. In der Not, die Koalition zu retten und an der Regierung zu bleiben, wurde undiskutiert eine NATO akzeptiert, deren neues Konzept keinem, auch keinem auf militärische Intervention setzenden Menschenrechtsprinzip in der Außenpolitik genügen kann. Denn mit einer NATO, die – wie jetzt nach ihrem neuen von der Bundesregierung mitbeschlossenen Konzept – bereit ist, die "Unterbrechung lebenswichtiger Ressourcen" sowie die "unkontrollierte Bewegung einer großen Zahl von Menschen" als Sicherheitsrisiko und damit als möglichen Anlaß zu militärischem Handeln zu nehmen, mit einer solchen NATO, die mit anderen Worten bereit ist, nicht anders denn als imperialistisch zu bezeichnende Rohstoffkriege zu führen und Flüchtlingsmassen gegebenenfalls militärisch zum Stehen zu bringen, läßt sich für eine ökologische, nachhaltige und menschenrechtsorientierte Partei beim besten Willen kein Staat mehr machen. Rohstoffkriege sind – jede Frage nach sozialer Gerechtigkeit beiseite geschoben – mit nachhaltigem Wirtschaften nun wirklich nicht mehr zu vereinbaren.

Demnächst

Der in Bielefeld inszenierte Entschluß, einschließlich der Lebenslüge vom politischen Pazifismus, wird die Partei zwar weiter existieren lassen, sie jedoch unwiderruflich in die babylonische Gefangenschaft der SPD Gerhard Schröders führen. Sein Kommentar, daß Realitätssinn keine besondere Belohung erwarten dürfe, markiert nur den Anfang einer jetzt einsetzenden Reihe von Lektionen. Unter diesen Auspizien bleiben die Grünen solange an der Regierung, wie es dem Bundeskanzler und den entsprechenden Kräften der SPD ins strategische Projekt paßt. Als Folge ist mit einer weiteren Schwächung von Einflußmöglichkeiten zu rechnen, ein Umstand, der mittelfristig Wählerinnen und Wähler kaum unbeeindruckt lassen wird.

Als Fazit kann nur gelten, daß das klassische grüne Projekt seinem Ende entgegengeht. Das ist zwar bedauerlich, aber weder verwunderlich noch ungerecht, dafür um so logischer. Die Grünen waren in jeder Hinsicht die erste und einzige politische Partei, die die zivile westdeutsche Bundesrepublik hervorgebracht hat, die also nicht in die Geschichte von Kaiserreich und Weimarer Republik zurückreicht.

In dem Ausmaß, in dem sich die Bundesrepublik zu einem player im game der globalisierten Welt auflöst, passen sie, an ihren ursprünglichen Intentionen gemessen, einfach nicht mehr in die Landschaft. Ob es ihnen gelingen wird, als kleine – im besten Falle linksliberale – Partei einen dauerhaften Platz im politischen Spektrum der Berliner Republik zu erobern, steht heute in den Sternen.

Und die Linke, sofern dieser Begriff überhaupt noch ohne Ironie zu verwenden ist? Die sich jetzt am Rande der Grünen formierenden, einstweilen in ihrem Rahmen verbleibenden pazifistischen Basiszirkel haben innerhalb der Partei keine Zukunft. Sie werden sich aller Wahrscheinlichkeit nach zunächst lose vernetzen und sich früher oder später, sofern sich dazu eine kritische Masse findet, auch organisatorisch verfestigen. Auf dem Wählermarkt hat diese Gruppierung keine Chance. Ihr inhaltliches Profil könnte sich, sieht man von kulturellen und sozialisatorischen Differenzen ab, weder im Osten noch im Westen von einer der vielen Strömungen der PDS so deutlich unterscheiden, daß daraus ein eigenes, klar geschnittenes Angebot für die Wähler erwächst. Vielmehr ist anzunehmen, daß sich diese Gruppierungen, sollten sie einige Jahre überstehen, früher oder später auf Listenverbindungen mit der PDS einlassen werden und ihr somit – gerade, weil sie kein Teil dieser Partei sind – Zugang zur westdeutschen Wählerschaft verschaffen und die Kulturdifferenz überwinden helfen könnten.

Mit alledem ist das Dilemma der Linken überhaupt nicht gelöst. Schien der Zusammenbruch der UdSSR zunächst eine Chance zu gewähren, nämlich eine linke Politik zu artikulieren, die nicht mehr vom Despotismus des realsozialistischen System instrumentalisiert werden könnte, so ist es an der Zeit sich einzugestehen, daß dies eine Illusion war. Mit dem Ende des grünen Projekts, bei Fortexistenz der grünen Partei, sollte auch deutlich geworden sein, daß es derzeit im deutschen Parteiensystem keine Partei mehr gibt, in der sich eine radikal demokratische Linke besonders zu Hause fühlen könnte. Eine entsprechende Haltung läßt sich in allen anderen Parteien – mit Ausnahme der CSU, die zu rechts, und der gegenwärtigen FDP, die zu marktradikal ist – mit Anstand mehr oder minder lautstark artikulieren, aber nicht durchsetzen. Der Utopieabbruch seit 1989, der erzwungene Rücktritt von Lafontaine und der Bielefelder Parteitag der Grünen beweisen, daß eine linke Politik – so man denn wüßte, worin sie bestünde – derzeit nicht möglich ist. Es ist noch nicht einmal klar, ob man sich soziale Zustände, und das könnten nur katastrophale Krisen sein, wünschen soll, in denen ein klassisches Angebot wieder Chancen hätte.

All die, die am Prinzip linker Politik nach wie vor Interesse haben, finden sich jetzt in einer Lage wieder, in der sie über eine sonst knappe Ressource in überwältigender Fülle verfügen. Sie sollte genutzt werden, um eine Realität, die gewiß veränderungsbedürftig ist, wenigstens zu verstehen.

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