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KOSOVO Antikriegsseite


Seit Pfingstsonntag besucht eine Gruppe von deutschen Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern Betriebe in Jugoslawien, um sich ein Bild von den Zerstörungen zu machen. Zu den zehn Mitgliedern der Gruppe gehören der Hamburger Schauspieler Rolf Becker und der Hannoversche Journalist Eckart Spoo.

DER ZWÖLFTE ANGRIFF

Von Rolf Becker und Eckart Spoo

Unsere Ankunft in Novi Sad verspätete sich um vier Stunden, weil die ungarische Grenzpolizei dem Bus aus Jugoslawien, der uns abholen sollte, die Einreise verweigert hatte. Dem Fahrer gelang dann die Einreise über einen anderen Grenzübergang. Novi Sad liegt bei unserer Ankunft nach Mitternacht im Dunkeln, weil eine Graphitbombe der Nato gerade ein Kraftwerk getroffen hatte. Um 23 Uhr war Luftalarm gegeben worden, um 6 Uhr früh gibt es Entwarnung, und wir können den Keller verlassen. Im Stadtgebiet Novi Sad hat es keine Treffer gegeben, aber in 20 Kilometern Entfernung.

Zwei Kollegen des jugoslawischen Gewerkschaftsbundes, die beide jahrelang in Deutschland gearbeitet haben, begleiten uns bei einem Besuch der zerstörten petrochemischen Fabrik. Sie liegt auf einem Gelände von etwa zwei mal zwei Kilometern. Elf Angriffe haben sie zum Teil zerstört. Der Schaden wird auf eine Milliarde US-Dollar beziffert. Hier und in dem zweiten petrochemischen Werk in Pancevo haben 20000 Menschen ihre Arbeitsplätze verloren. Ob die Fabriken wieder aufgebaut werden können, stellt sich erst nach Bodenuntersuchungen heraus, die Monate dauern. Wir werden vor dem Berühren der weit verstreuten Kesselteile verwarnt wegen Strahlungsgefahr durch Uranmunition (abgereichertes Uran).

In einem Arbeiterwohnviertel an der Donau in der Nähe der zerstörten Freiheitsbrücke besuchen wir eine Grund- und Hauptschule, die dreimal angegriffen wurde und nicht mehr benutzbar ist. In zwei benachbarten Wohnblocks sind viele Wohnungen zerstört. Ein 68jähriger Dreher hat sich bei dem Luftangriff an einem Teppich aus dem Fenster abgeseilt, um die schreienden Kinder aus dem verschütteten Keller zu bergen. Er hat hier 33 Jahre gewohnt und regelmäßig mit einem Teil seines Arbeitseinkommens die Wohnung abbezahlt, bis sie sein Eigentum war. Jetzt hat er nichts mehr.

Ein Schaden von 70 bis 80 Millionen DM ist durch die völlige Zerstörung des modernen Fernsehsenders von Novi Sad entstanden, der ein wichtiges Glied der europäischen Fernsehkette war. Dieser Sender hat täglich Programme in sechs Sprachen ausgestrahlt und versorgte die zahlreichen ethnischen Gruppen. Seine Arbeit für die interethnische Verständigung ist mit dem europäischen Fernsehpreis ausgezeichnet worden. Im Gewerkschaftshaus von Novi Sad erfahren wir, daß es in der Wojwodina bis zum Ausbruch des Krieges zwischen den 26 verschieden ethnischen Gruppen keine Zusammenstöße gegeben habe. Die systematischen Angriffe auf die Fernsehstationen hätten offensichtlich den Zweck, den Aggressoren die Propaganda-Oberhoheit zu verschaffen. Getroffen wird aber nicht nur die Informationsfreiheit der jugoslawischen Bevölkerung, sondern auch unsere, denn über die Opfer der Bombardements erfahren wir praktisch nur durch das jugoslawische Fernsehen, nur selten über die Nato.

Beim Übersetzen über die Donau, auf dem Weg nach Belgrad, erhalten wir einen Überblick über die zerstörten Brücken. Die Donau ist hier 700 Meter breit. Unter der zerbombten "Freiheitsbrücke" verlief die Hauptwasserleitung, durch die Novi Sads südliche Stadtteile mit Trinkwasser versorgt wurden. Unter diesen Umständen hat auch das herzchirurgische Zentrum von Novi Sad seine Arbeit einstellen müssen.

Militärische Sinn hatte die Brücke nicht: die Zufahrtsstraßen sind viel zu schmal. Die "Freiheitsbrücke" ist nach dem Sieg über die deutsche Wehrmacht gebaut worden, die 1941 die alte Brücke zerbombt hatte, deren gemauerte Brückenpfeiler heute noch wenige hundert Meter entfernt stehen.

Wir sind mit unserem Bus zwanzig Minuten unterwegs nach Süden, als wir im Norden in etwa 25 Kilometern Entfernung hohe schwarze Rauchwolken aufsteigen sehen. In den Radionachrichten hören wir, daß wieder Raketen auf die Raffinerie geschossen wurden, die wir vorhin besucht haben. Es ist der zwölfte Angriff.

Erste Eindrücke, 24. Mai 1999

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