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KOSOVO Antikriegsseite


Mit fremden Augen gesehen

von Rafik Schami*

1. Was die Gleichschaltung der westeuropäischen Medien während der zwei bedrohlichen Kriege Irak 1991 und Jugoslawien 1999 betrifft, sind die osteuropäischen, asiatischen, lateinamerikanischen und afrikanischen Diktatoren einfach Dilettanten. Das Schlimmste dabei ist, dass die Mehrheit der westeuropäischen Bevölkerung nicht einmal merkt, dass die Medien sie manipulierten. Wer radikal gegen den Krieg ist, kommt nicht zu Wort oder ist angewiesen auf kam lesbare Anzeigen, die man erst selbst einmal finanzieren muss und die ausser als historische Dokumente real keinen Wert und keinen Einfluss auf das Geschehen haben.

2. Die gefährlichsten Kriegstreiber unserer Zeit sind nicht die Konservativen, sondern eine regierende Koalition aus Sozialdemokraten und Grünen, weil sie die Einzigen sind, die Kriege führen und gleichzeitig den Protest auf der Strasse lähmen.

3. Die meisten Denker dieser beiden – aus der Protestbewegung der Arbeiter und der Intellektuellen hervorkommenden – politischen Strömungen der westlichen Welt sind korrupt. Sobald es hart auf hart geht, schleimen sie sich bei ihren Regierungen oder der Industrie an. Ihre Rede von gestern über Frieden, Umwelt und Verbrüderung der Völker interessiert heute nur ein paar ewig hinterherhinkende Moralisten.

4. Der Irak war der erste Anlauf, Jugo-slawien ist der zweite, um die Globalisierung der Herrschaft einer einzigen Supermacht zu erproben. Mörderische Diktatoren waren in beiden Fällen nicht das Ziel der Aktionen. Das wirft peinliche und dringend nach Antwort suchende Fragen auf, denn bei dem hohen Grad der Entpolitisierung der amerikanischen Gesellschaft und der Herrschaft der Medien dort wird es jedem Verbrecher möglich sein, von dort aus die Welt zu bedrohen.

5. Es ist müssig zu wiederholen, dass die Nato die Parlamente ihrer Mitgliedstaaten und die Uno verachtend überging, noch müssiger ist es, zu betonen, dass dieselben Politiker, die weder hohe Verluste an Menschenleben noch Kosten von 300 Millionen Dollar pro Nacht scheuen, ein Jahrzehnt lang nicht einmal einen Zehntel dieser Summe für die demokratische Opposition in Jugoslawien und im Irak bereitgestellt haben. Fast lächerlich klingt es, wenn man Sozialisten und Grüne unterrichten muss, dass sie in Achtung vor dem unbeschreiblichen Leid der Juden Ausch-witz und Hitler nicht verharmlosen sollen durch ihre Kriegspropaganda. Und man muss ein Gegenüber in der Tat für unzurechnungsfähig halten, wenn man ihm erklären muss, dass die Nato nicht Gegner der Diktatoren im Irak und Jugoslawien, sondern ihr Partner ist, mit denen sie nun auch die Verantwortung für das Elend der Völker in beiden Ländern trägt.

6. Europa ist spätestens seit dem Krieg in Jugoslawien als Hoffnungsträger für Selb-ständigkeit gescheitert. Die Amerikaner trieben erfolgreich einen Keil dazwischen, der die Bemühungen eines Jahrzehntes, Ost- an Westeuropa zu binden, innerhalb weniger Tage zunichte machte. Die aufgerissenen Wunden werden ein starkes Europa für eine lange Periode unmöglich machen. Das Haus Europa ist in der Mitte vom Dach bis zur Grundmauer aufgerissen.

7. Die Folgen dieser Art Konfliktbewältigung werden für alle Länder der Erde furchtbar sein, denn wenn selbst Supermächte wie Frankreich, Deutschland, England und Italien von den USA zu Handlangern degradiert werden konnten, wie kann dann ein hoch verschuldetes afrikanisches oder asiatisches Land noch einen selbständigen Weg gehen, geschweige denn Widerstand leisten?

8. Insofern also scheint der Sieg der US-Amerikaner von weitblickenden, strategischen Gedanken getragen und nicht nur auf eine kurzfristige Lösung des Konflikts zwischen Albanern und Serben zu zielen. Die USA sind die unbestrittenen Sieger dieses Krieges.

9. Was bleibt aber denen übrig, die von den US-Strategen als Feinde ihrer globalen Bestrebungen betrachtet und zu jeder Zeit und an jedem Ort nach Belieben mit Zerstörung bestraft werden? Wohl nur wenig, und selbst das ist lebensgefährlich für die westliche Welt. Nach ein, zwei, drei bitteren Niederlagen werden diese Feinde feststellen, dass ihnen weder Mut noch neuere Waffen, die ihnen die Waffenhändler andrehen werden, helfen können. Zudem können sie sich weder auf die Protestbewegung noch auf die progressiven Parteien, noch auf die Aufklärung der durch die Lawinen weltweiter Katastrophen unempfindlich gewordenen Bevölkerung in den westlichen Medien verlassen. Und irgendwann werden sie nicht mehr so duldsam diese Einbahnstrasse der Gewalt hinnehmen. Wie wird dann ihre militärische Gegenstrategie sein? – Heimtückische Anschläge mitten in den westlichen Metropolen (von verstümmelnden Splitterbomben über Giftgas bis hin zu furchtbaren Viren), die weder Satelliten noch Raketen noch Geheimdienste verhindern können. Anschläge, die Dank des leichten Zugangs zu Wissen und Mitteln hohe Verluste unter der Zivilbevölkerung anrichten und damit das westliche Herrschaftssystem dort treffen, wo es sich nicht wehren kann. Mit anderen Worten, den Kriegsschauplatz tatsächlich grenzenlos machen: globalisieren.
Das ist wahrscheinlich die grösste Katastrophe, die auf die westliche Welt zurollt und die von niemandem anderem zu verantworten ist als von dieser westlichen Welt.
Was fehlt? Eine Bewegung, eine Partei, die sich nicht in den Dienst der Globalisierung stellt, sondern dieser mutig die Stirn bietet im Interesse der Erhaltung der menschlichen Würde.

*Der Schriftsteller Rafik Schami wurde in Damaskus geboren und lebt seit 1971 in Deutschland. Schami schreibt regelmässig für die WoZ.

Quelle: www.woz.ch

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