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KOSOVO Antikriegsseite


Gedanken zum Kosovo-Krieg (Mai 1999)

Anmerkungen zu Fischers Parteitagsrede von Joachim Voigt

"‘Kriegstreiber‘ – ja, darauf habe ich gewartet ... "(1) – dies war wahrscheinlich der objektiv authentischste, möglicherweise der einzige authentische Moment in Fischers Rede auf dem Bielefelder Sonderparteitag der Grünen zum Krieg im Kosova. Ob es auch der einzige subjektiv ehrliche war, sei dahingestellt. Es ist letztlich auch gar nicht wichtig, aber eine klare Unterscheidungsfähigkeit und einen klaren Unterscheidungswillen von Wahrheit und Lüge, die ja erst zur subjektiven Ehrlichkeit befähigen, traue ich den Charaktermasken des Typs Fischer, Scharping, geschweige denn Schroeder gar nicht (mehr) zu. An der zitierten Stelle konnte Fischer sich in Bielefeld in Position bringen – und das tat er in nicht mehr zu überbietender Klarheit und Zielstrebigkeit: " ... und Milosevic schlagt Ihr demnächst für den Friedens-Nobelpreis vor"(2) – auf die Gelegenheit, dies, nun gespielt spektakulär und gespielt improvisiert abzusondern, hatte er also gewartet, denn: Damit war seine zentrale politisch-argumentative Position öffentlichkeitswirksam [Botschaft auf einer ersten Sub-Text-Ebene an die Neue Mitte: " Seht, wie ich mich für Euch gegen meine eigenen, noch unerwachsenen ParteifreundInnen {deshalb wurden sie ja von ihm auch als Botschaft auf einer zweiten Sub-Text-Ebene als ‚Geliebte Feinde‘ angeredet; dies konnotiert zum einen: Papa Joschka hat Euch spontan-naiv-pazifistische Rasselbande trotz allem lieb, zum anderen: als richtiger Grüner weiß ich ja um die Bedeutung von öffentlichen Streits} quäle und mich dabei sogar demütigen lassen muß"; damit bei der Dumpfheit der hiermit auf der ersten Sub-Text-Ebene ins Visier genommenen Zielgruppe – eben in erster Linie die Neue Mitte, nicht die Delegierten oder Protestierer, jene fühlten sich höchstens angesprochen, waren aber wohl kaum vom Rhetor gemeint, denn dann hätte dieser ein Diskussionsangebot machen müssen und nicht die Diskussion böswillig verhindern müssen (s .auch unten) - keine kommunikativen Reibungsverluste aufkommen konnten, war es schon besser, das besudelte Designer- Jacket als Beweis des Kampfesmutes gegen die unerwachsene Parteibasis erst nach der Rede zu wechseln] polemisch – und damit " schau- " kämpferisch [: ach ja, der Joschka, dieser Vollblut-Politiker] - präsentiert, die " ... Reduktion aller komplexen Probleme des Balkans auf eine bloß zweiwertige Schwachkopf-Alternative (also [: rationale, J.V.] Alternativlosigkeit): Entweder ‚kriegerische humanitäre Intervention‘ [ - für deren humanitären Charakter ich, Joschka Fischer, der moralisch integre, realpolitisch geniale, durch einen Farbbeutel eines pazifistischen Fundi-Chaoten besudelte persönlich als einziger garantieren kann, dafür gebe ich Euch mein Barsch..., äh, Außenminister-Ehrenwort, J.V.] oder Milosovic. Wer gegen Milosovic ist (sind Sie etwa für Milosovic?!), muß für die ‚kriegerische humanitäre Intervention‘ [und damit für mich, Joschka Fischer, den moralisch ....]sein."(3) Jetzt war es auch für die letzte Dumpfbacke klar oder hätte klar sein können und müssen: die demagogischen Ausfälle Fischers gegen Gysi, den er als Antwort auf eine völker- und verfassungsrechtliche Argumentation (!) wenige Tage zuvor in abgeschmackter Weise als "Weißwäscher Milosovics" im Bundestag verunglimpft hatte, waren keine peinlichen Ausrutscher(4), in die er sprachlich – Vollblutpolitiker, der er nun einmal ist, äh, sein will – wie Deutschland in den Krieg "hineingeschliddert" wäre, sondern grundlegendes Element seiner argumentativ-strategisch-politischen Position, wie sie in ihrer Bedeutung insbesondere früh durch die "Internationale Initiative gegen den Balkan-Krieg"(5) bzw. durch Jürgen Link als "Schwachkopf-Alternative" (s.o.) kenntlich gemacht wurde (vermutlich hatte Fischer gegen die Titulierung Gysis als "Sozialfaschist" noch etwas Hemmungen, weil er ja schon recht großzügig mit Faschismus-Formulierungen in den Medien hausieren gegegangen war, vielleicht gönnt er uns dies ja auch noch bald.). Seine Gegner auf diesem Parteitag auf diese Weise anzugreifen, war bizarr, konnte man den anwesenden Delegierten und auch den friedenspolitischen Protestierern schwerlich ohne Verleumdungsabsichten unterstellen, daß ihnen die Menschenrechts-Verbrechen Milosovics als folkloristische Bagatelle erschienen und sie an dem Schicksal der Kosovo-AlbanerInnen desinteressiert wären. Hierzu waren ja bereits zahlreiche, öffentlich zugängliche Debatten geführt worden, die auch einem gestreßten Außenminister ja nicht alle entgangen sein können. Was hier also passiert war, war im Grunde eine böswillige Argumentationsverweigerung und ebenso böswillige Diffamierung friedenspolitischer Positionen. Erstaunlich war, wie hilflos-masochistisch-demütig die Fischer-GegnerInnen auf die eigentlich doch vorhersehbare Konfrontation mit der Schwachkopf-Alternative letztlich reagierten (oder reagieren wollten? oder reagieren zu müssen glaubten?? oder ...???) und sich durch den dreist-plumpen Frontalangriff Fischers in den "legitimatorischen Schwitzkasten"nehmen ließen: wie beweise ich ebenso öffentlichkeitswirksam wie Fischer und wirke dabei genauso erwachsen, daß mir Milosovic und die Kosovo-AlbanerInnen nicht egal sind. Wie leicht diesem zu entkommen war, machten Buntenbach und insbesondere Bärbel Höhn mit ihrem beherzten fünf-Minuten-Statement deutlich, in dem sie nüchtern die verheerende Bilanz zog, die der Krieg bis dahin gefordert hatte, ohne die Verantwortung Milosevics für seine Verbrechen auch nur im mindesten in Frage zu stellen. Das weiter Beunruhigende an diesen Geschehnissen neben dem Sieg der Fischerschen Position und einer Opposition hierzu, die etwas wie "mit angezogener Handbremse" agierte und argumentierte, war, wie analytisch und historisch uninspiriert diese Auseinandersetzung von den FernsehreporterInnen kommentiert wurden und werden. Das von ihnen präsentierte gestelzte, von keinem Anspruch angekränkelte Drumherumgerede und belanglos-räsonnierende Geschwätz vernebelt, was Altvater dann auf eine nüchterne wie analytisch prägnante Formulierung brachte:"Wer das (die Unterstützung der NATO-Politik, J.V.) als ‘Realpolitik‘ bezeichnet, hat nicht mehr alle Tassen im Schrank."(6) Mit Bizarrheiten konnte der Parteitag aber noch weiter aufwarten. Wie hoch die Vorstandssprecherin Röstel jetzt einmal vor Entsetzen ihre Augen aufreissen konnte, weil die friedenspolitischen Aktivisten nicht alle lammfromm agitierten und agierten, das erinnerte aufgrund der hohen Prozesskongruenz fast aufdringlich (aber nicht aufdringlich genug für die Journalisten, um das zu bemerken) an die Gründungszeit der Grünen, nur daß eben damals die Grünen selbst entsprechend abgekanzelt wurden und dies von Herrschaften wie Dregger, Strauß, v. Stahl und Konsorten. Geht man noch genauer in die Gründungszeit, wird‘s noch bizarrer, denn die Farbbeutel-Aktion sowie die Buttersäure-Aktion, "damit Euch das Kotzen kommt", erinnern ebenfalls an grün-alternative Aufbruchzeiten, v.a. im Rahmen des Widerstands gegen den NATO-Doppel-Beschluß und die amerikanischen SDI-Pläne (uns somit einer Tradition, der man sicht unbedingt schämen muß.). Davon hatten sich auch zwar seinerzeit Leute vom Kaliber eines Schily schon distanziert, aber man war doch überwiegend bereit, mögliche Legitimationen solcher Protestformen vor der theoretischen Folie "struktureller Gewalt" zu diskutieren. Immerhin funktioniert die Kumpanei der Grünen mit den Medien, nicht zuletzt mit der taz, aber schon so gut, daß solche zeitgeschichtlichen Erinnerungen im Regelfall nicht mehr zur Sprache gebracht werden. Ich will das jetzt nicht alles durchdeklinieren, obwohl man in diesem Zusammenhang noch einiges aufzählen könnte, Vollmers dramatischer Appell an die Parteiraison etwa, in dem er sich nicht entblödete darauf hinzuweisen, daß der Bogen der Eigenständigkeit der Partei Bündnis90/DieGrünen auch überspannt werden könne (Wollte die Parteibasis hier etwa in einer den offiziellen Verlautbarungen nach basisdemokratischen Partei zu viel Demokratie wagen??) ...

Das Prädikat "bizarr" ist mit Bedacht so häufig verwendet worden, man möchte endlich aufwachen aus diesem surrealen, chaotischen antizivilisatorischen, antiaufklärerischen und antiemanzipatorischen Alptraum. Das Einzige, was der Sonderparteitag nach dieser Skizze für sich offensichtlich in Anspruch nehmen kann, ist diese deprimierende Situation, in der allen für den Parteitagsbeschluß Verantwortlichen alle moralischen und intellektuellen Sicherungen gleichzeitig durchgeknallt sind, in allen relevanten Facetten angemessen zu repräsentieren und zu symbolisieren – und diese gar nicht mal so einfache Leistung sollte man denn auch würdigen. Das sei hiermit ausreichend getan.

1) Zitiert aus dem Gedächtnis nach der Live-Übertragung von Fischers Rede auf dem Sonderparteitag der Grünen am .....1999
2) wie Fn. 1
3) leicht abgeändert nach Link, Jürgen: "Diese Bilder!!" in: Jäger, Margret u.a. (Hg.) : Im Auge des Tornados. Gemeinsames Sonderheft des DISS-Journals und der KultuRReevolution. o.O. o. J. (Bochum 1999), S. 10
4) Das sollte einem schon peinlich sein aufgrund der Gesellschaft, in die man sich damit begibt, nämlich in eine offensichtliche Diffamierungsoffensive gegen Gysi, dem man anscheinend intellektuell und rhetorisch nichts entgegenzusetzen hat. Die wurde eingeleitet durch Schroeders Formulierung der PDS als "fünfter Kolonne Belgrads" - , das war nun wirklich intellektuell nicht mehr zu unterbieten und damit selbst für Fischer nicht mehr polemisch zu toppen und wurde dann bei Christiansen – wo sonst? – weitergeführt unter ausdrücklicher Bezugnahme seitens Thierse auf sein Amt als Bundestagspräsident, in dem er nämlich Gysis Rede besonders gut hören konnte aufgrund seiner hohen Sitzposition (Gibt es im Bundestag keine Lautsprecheranlage?) und dabei doch (um Gottes willen!) festgestellt habe, daß Gysi kein einziges mal das Wort "Humanität" benutzt hätte - womit bewiesen wäre, daß Gysi ein gottloser, völkerrechts-korinthenkackender Inhumanist wäre? Wenn die Bielefelder Störer diese Aufnahmen hätten präsentieren können, hätten sie sich die Buttersäure als Kotz-Stimulans sparen können.
5)Bourdieu, Pierre u.a.: Internationale Initiative gegen den Balkan-Krieg. In: Jäger, Margaret u.a. (Hg.): Im Auge des ..., a.a.O., S. 5f.
6) Altvater, Elmar: Nicht mehr alle Tassen im Schrank. In: Junge Welt v. 19.05.99

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